Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

Dienstag, 18. Februar 2020 WIRTSCHAFT 25


Das Coronavirus droht Japans Wirtschaft zu infi zieren


Nippons Wirtschaft ist bereits durch eine Mehrwertsteuerer höhung geschwächt


Schon im vergangenen Quartal


warJapansWirtschaft stärker


geschrumpft als erwartet.Jetzt


bedroht die Krise um das


Coronavirus den erhofften


Aufschwung.


MARTINKÖLLING,TOKIO


In Japan wächst nach einem über-
raschend starkenWirtschaftseinbruch
im vergangenen Quartal das Risiko
einer Rezession. So fiel das Brutto-
inlandprodukt (BIP) im vierten Quar-
tal 20 19 unerwartet stark um 1,6% klei-
ner aus als in den drei Monaten zuvor.
Experten hatten im Schnitt nur ein Mi-
nus von rund 1% erwartet. Doch ein
starkerTaifun und derWirtschaftskrieg
zwischen China und USA verstärkten
die negativen Effekte einer Mehrwert-
steuererhöhung auf denKonsum noch.
DieJapaner gaben gleich 3% weniger
aus als imVierteljahr davor. Doch nun
könnte derAusbruch des Coronavirus


in China auch die erwartete Erholung
ve rzögern.
Bis anhin gingen die Volkswirte
generell davon aus, dass dieJapaner be-
reits im laufenden Quartal den Steuer-
schock überwinden würden. Doch nun
sagen immer mehrFinanzinstitute–
beispielsweise eben erst die USB Secu-
rities – auch für das laufende Quartal
einenRückgang vorher. Denn essind
nicht nur die zahlungskräftigenTouris-

ten aus China ausgeblieben, die bis-
her ein wichtiger Motor der Binnen-
nachfrage waren.Auch die Produktion
vonAutos und anderen Produkten sta-
gniert, weilBauteile aus China fehlen
oder die dortige Nachfrage einbricht.
Auch der Ökonom undJapan-Kenner
JesperKoll vom Investmentfonds«Wis-

domTr ee» sagt warnend: «Eine tech-
nischeRezession, also zwei schrump-
fende Quartale inFolge, ist sehr wahr-
scheinlich.»

Kleiner Puffer gegen Schocks


Allerdings ist dies noch das positive Sze-
nario.Das Wirtschaftsforschungsinsti-
tutDaiwa warnt inzwischen sogar da-
vor, dassJapans BIP bei einerAuswei-
tung der Epidemie das erste Mal seit
2011, als dasLand durch Erdbeben, Tsu-
nami und Atomkatastrophe erschüttert
wurde, im gesamtenJa hr schrumpfen
könnte. Denn ausbleibendeTouristen,
zurückgehende Exportproduktion und
negative Einflüsse auf die globale Lie-
ferkettekönnten in ihrenAugen mehr
als 1% des BIPkosten.
Das Problem:Japan startete schon
mit schlechten Prognosen ins neueJahr
und hat daher nur einen kleinen Puf-
fer gegen neue Schocks. Sokorrigierte
dieRatingagentur Moody’s ihreWachs-
tumsprognose fürJapan imJahr 2020
bereits um 0,1 Prozentpunkte nach

unten – auf 0,3%.Nurgehen die Öko-
nomen von Moody’s dabei davon aus,
dass sich ChinasWirtschaft bereits im
kommenden Quartal normalisiert. Aber
sie geben zu bedenken: «Das Abwärts-
risikokönnte gross werden, falls das
Coronavirus pandemische Ausmasse
annimmt.»
ChinasWachstumkönnte in solch
einemFall von knapp unter 6 auf 4% ab-
nehmen. Dann erwartet Moody’sauch
für viele andereVolkswirtschaften eine
Korrektur der Prognose nach unten.
Und es gibt Zeichen, dass derTeufels-
kreis aus Massnahmen zur Bekämpfung
der Krankheit und den psychologischen
Folgen schon begonnen hat.

Abwärtsspirale inAsien


SingapursRegierung passte ihreWachs-
tumsprognose schon um einen Prozent-
punkt nach unten an und erwartet nur
eine Entwicklung von minus 0,5 bis plus
1,5%. Die jüngsten Entwicklungen in
Japan und Südkorea schüren inzwischen
die Sorge, dass auch in den beiden ost-

asiatischen Industrieländern die pessi-
mistischen Szenarien wahr werden.
So identifizierteJapan bereitsvorige
Woche die ersten Infizierten, die sich
ni cht in China oder bei chinesischen
Touristen angesteckt hatten. Am Mon-
tag folgte Südkorea mit einem ähnlichen
Befund. Japans Gesundheitsminister
Katsunobu Kato warnte daher schon
am Sonntag davor, dass nun inJapan
eine neue Phase beginne: dieAusbrei-
tung daheim.
DieRegierung verschiebtdenFokus
bereits vom Grenzschutz auf die Bewäl-
tigung einer Infektionswelle. Am Mon-
tag erliess sie ersteRegeln, um bei einer
Massenansteckung die Behandlung von
schweren Krankheitsfällen zu gewähr-
leisten.Ausserdemempfahl sie ihren
Bürgern, wenn möglich Menschen-
ansammlungen zu vermeiden. Ökono-
men erwarten zudem, dass dieRegie-
rung auch ihrKonjunkturprogramm
aufstocken wird,mitdem siebisher
dieKonjunkturvonden negativenFol-
gen der Mehrwertsteuererhöhung hei-
len wollte.

Japan greift
nach ei nem St rohhalm
Kommentar auf Seite 11

Gegen Epidemien


ist kaum ein Unternehmen versichert


Noch immer steht bei vielen Firmen in China wegen des Coronavirus der Betrieb still – das kann teuer werden


Absicherungen gegen Epidemien


sindkeine Standardprodukte, sie


werden für jedenKunden


massgeschneidert.Vor allem aber


sind solche Lösungen teuer.


MATTHIAS KAMP


Gunther Kraut arbeitet mit seinem
Team in einer absoluten Nische desVer-
sicherungsgeschäfts, dasKundeninter-
esse an seinen Angeboten ist gemeinhin
überschaubar. DieAusbreitung des neu-
artigen Coronavirus hat das schlagartig
geändert – auf einmal interessieren sich
zahlreicheFirmen für Krauts Arbeit.
Der Deutsche leitet für den Münchner
Rückversicherer MunichRevon Singa-
pur aus ein achtköpfigesTeam, das sich
mitVersicherungslösungen für Epide-
mierisiken beschäftigt. Es wird jetzt mit
Anfragen bombardiert:soviele, dass
Kraut und seine Mannschaft sie nicht
alle beantwortenkönnen.
Dass aus den vielen Anfragen am
Ende neues Geschäft in grösserem Um-
fang erwächst, ist indes eher unwahr-
scheinlich. Versicherungen für Epide-
mierisiken sind hochkomplex.Essind
keine herkömmlichen Lösungen wie
Haftpflichtversicherungen. Vielmehr
wird jedeVersicherung zur Deckung
von Epidemierisiken für denKunden
massgeschneidert – vor allem aber ist
sie teuer, dennAusbrüche von Epide-
mien lassen sich so gut wie gar nichtvor-
hersagen, historischeDaten gibt es nur
wenige. «Es istkein billiges Standard-
produkt», sagt Kraut über dieVersiche-
rung gegen Epidemierisiken.


Schäden in Milliardenhöhe


Auch derAusbruch der durch das neue
Coronavirus verursachten Lungenkrank-
heit im Dezember inWuhan kam aus hei-
terem Himmel. Um dieAusbreitung des
Virus einzudämmen,verlängerten die
chinesischen Behörden kurzerhand die
Neujahrsferien und stellten fast 60 Mio.
Menschen unter Quarantäne. DieFolge:
Auch jetzt, mehr als dreiWochen nach
dem chinesischen Neujahrsfest, ruht bei
vielenFirmen noch der Betrieb. DieAus-
wirkungen auf globale Lieferketten sind
unabsehbar. DerVolkswagen-Konzern
etwa, der fast jedes zweite seiner welt-
weitgefertigten Fahrzeuge in China ver-
kauft, hat dieseWoche in einigen der mit
dem chinesischenPartnerFAW betrie-
benenFabriken den Betrieb wieder an-


gefahren. In denWerken, die dieWolfs-
burger mit demJoint-Venture-Partner
SAIC in der Nähe von Schanghai betrei-
ben, ruht weiterhin der Betrieb, zunächst
bis zum24.Februar, wie das Unterneh-
men am Montag mitteilte.
Den allfälligen finanziellen Scha-
den kannVolkswagen noch nicht bezif-
fern,versichert sei derKonzern gegen
dieEinbussen durch den Stillstand nicht,
teilt ein Sprecher mit.Auch der Schwei-
zerAutomobilzuliefererAutoneum ist
gegen dieFolgen des Stillstands nicht
abgesichert, ebenso wenig der deutsche
ZuliefererWebasto. BMW betreibt im
Nordosten Chinas gemeinsam mit sei-
nemJoint-Venture-Partner Brilliance
drei Fabriken. Dort ist dieseWoche
der Betrieb wieder angelaufen. Ob sie
gegen dieAusfälle der vergangenen
zweiWochen versichert sind, wollen die
Münchner nicht mitteilen.
Die herkömmlichen Sachversiche-
rungen decken zumeist Schäden aus
Erdbeben oder Überschwemmungen
ab, Epidemierisiken jedoch nicht. Mehr

noch: Virusepidemien wie Sars, Ebola
und Zika haben dazu geführt, dass die
Versicherer in den vergangenenJa hren
Klauseln zumAusschluss von Epidemie-
risiken noch verschärft haben. Experten
gehen daher davon aus, dass den durch
das Coronavirus von Betriebsunterbrü-
chen betroffenenFirmen Schäden in Mil-
liardenhöhe entstehen werden. Die Sars-
Krise 2003 verursachte allein in Hong-
kong wirtschaftlicheVerluste in Höhe von
4 Mrd. $, in Singapur waren es 5 Mrd. $,
und in Kanada lagen die Schäden zwi-
schen 3Mrd.und 6 Mrd. $, wiedie Risiko-
manager des NewYorkerVersicherungs-
brokers Marsh errechnet haben.
Versicherer, diePolicen zum Schutz
vor Epidemierisiken anbieten, arbei-
ten beim Risikomanagement und zur
Preisfindung mit externen Beratern
wie beispielsweise Metabiota in San
Francisco zusammen,einem Spezialis-
ten für die Sammlung von Echtzeit-
daten und Analyseverfahren bei Epi-
demien. Zudem stützen sich Anbieter
von Epidemieversicherungen bei der

Risikokalkulation auf Erfahrungs-
werte vergangener Epidemien und
Pandemien. Kraut und seinTeam be-
obachtenauch die jetzige Krise um
das Coronavirus genau. Grosse Abwei-
chungen von vergangenen Epidemien
können sie in Bezug auf die modellier-
ten Szenarien nicht feststellen. Kraut
sagt:«Wir müssen unsere Modelle nicht
überarbeiten.»
Ein Novum sind allerdings die dras-
tischen Massnahmen, die ChinasRegie-
rung gegen dieAusbreitung der Epide-
mie ergriffen hat. Bis zu 60 Mio. Men-
schen unter Quarantäne zu stellen, das
hat es bisher noch nicht gegeben. An-
gesichts derraschenAusbreitung des
Coronavirus halten Experten dasVor-
gehen der chinesischen Behörden aber
für durchaus angemessen.
Welche Leistungen eineVersiche-
rung im Ernstfall übernimmt, verhan-
deln Versicherungsnehmer und Ver-
sicherer individuell.Während der Ebola-
Krise in Afrika zwischen 20 14 und 20 16
bekamendie Folgen vor allem Branchen

mit grossemPersonalbedarf zu spüren.
Der Betreiber einer Kautschukplantage
war beispielsweise gegen Epidemierisi-
ken versichert. Als immer mehr der
mehreren tausend Arbeiter erkrankten,
errichtete die Betreibergesellschaft der
Plantage ein Behandlungszentrum für
die Infizierten und leitete Massnahmen
zur Eindämmung desVirus ein. Insge-
samt versorgte das Unternehmen 80 000
Menschen, auch Angehörige der Beleg-
schaft, mit Gesundheitsleistungen, alles
gedeckt von derVersicherung.

Lebensversichererbelastet


Doch auch jenseits des Geschäfts mit
Epidemieversicherungen beobachten
Versicherungskonzerne denVerlauf der
Krise in China genau. Sokönnte das
Coronavirus, sollte es nichtrasch ein-

gedämmt werden, bei Lebensversiche-
rern zu zusätzlichen Belastungen führen.
Für Krankenversicherer in China dürf-
ten sich dieFolgen dagegen in Grenzen
halten, denn die chinesischeRegierung
hat versprochen, die öffentliche Hand
werde für einen Grossteil der Krank-
heitskosten aufkommen. Versicherer
rechnen zudem damit, dass die Krise
das Bewusstsein der Chinesen für ange-
messenen Krankenversicherungsschutz
schärfen wird. 20 17 waren Chinesen
beim Schutz vor Gesundheitsrisiken in
einer Grössenordnung von 800 Mrd. $
unterversichert.
Der Ausbruch des neuartigen
Coronavirus hält für Experten indes
eine wichtige Lehre bereit: «In Asien
muss man alle zwanzigJa hre mit so
einemAusbruchrechnen», sagt Kraut
und erinnert ausser an Sars imJahr 2003
auch anMers 2015 und an die Schweine-
grippe imJahr 2009.

Die Kantine von BMW in Shenyangwar am Montagweitgehendmens chenleer, obwohldie Arbeit wieder anläuft. PAUL YULONG/ IMAGO

Herkömmliche
Sachversicherungen
decken zumeist
Schäden aus
Erdbeben oder
Überschwemmungen
ab, Epidemierisiken
jedoch nicht.
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