Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

26 WIRTSCHAFT Dienstag, 18. Februar 2020


Sensoren aus Therwil gehen in die ganze Welt

Die kleine Medtech-Firma Sentec ist gross in der nich tinvasiven Blutgasmessung


GIORGIOV. MÜLLER, THERWIL (BL)


In dieser trostlosen Gegend würde man
kaum eine Hightech-Firma vermuten,
die in ihrer Nische eine internationale
Führungsposition einnimmt. Unter-
gebracht ist die Medizintechnikfirma
Sentec im Industriegebiet derBaselbie-
ter GemeindeTherwil. In dem schmuck-
losen, mehrstöckigen Gebäude vis-à-
vis einer McDonalds-Filiale und einem
Aldi-Laden wurden früherFenster her-
gestellt. DieVergangenheit sieht man
denRäumlichkeiten noch an. Heute
werden hier aberkomplexe Sensoren
hergestellt, die in den besten Kliniken
derWelt zum Einsatzkommen.
Jeder Sensor ist eine Einzelanferti-
gung, was den 25 Mitarbeitern in der Pro-
duktion viel per Handarbeit abfordert.
Eineinhalb Stunden dauere die Herstel-
lung eines Sensors, denn jeder einzelne
müsse individuell programmiert und kali-
briert werden. Anschliessend werde er
während dreierTageauf den eigens da-
für entwickelten Messgerätengetestet,
erklärtPeter Schumacher bei einemFir-
menbesuch. Schumacher steht dem rund
20 Mitarbeiter zählendenForschungs-
und Entwicklungsteamvon Sentec vor.
ProJahr würden inTherwil 2500 bis 30 00
Sensoren hergestellt.
Die Sensoren sind dasKernstück
eines Geräts, mit dem Sentec denKoh-
lenstoffdioxidgehalt im Blut messen


kann. Ein überhöhterWert signalisiert
eine Störung der Lungenventilation,
was zu einer gefährlichen Hyperkapnie
(einem erhöhtenKohlenstoffdioxidge-
haltim Blut) führen kann. In der Medi-
zin sind drei verschiedene Messmetho-
den verbreitet.Amgenausten und am
weitesten verbreitet ist die arterielle
Messung, sie ist quasi der Goldstan-
dard.Doch ist sienicht nur schmerzhaft
und teuer, sondern sie liefert auch nur
punktuelle Messresultate. Bei zu früh
geborenenBabys, die über wenig Blut-
volumen verfügen, ist siekeine Lösung.
Kontinuierliche und zudem günstige
Messungen sind über eine Gesichts-
maske oder eine Nasenkanüle möglich.
Der Nachteil dieser Methode ist indes,
dass sieeher ungenau und beiFrüh-
geburtenoderPatienten mit Lungen-
erkrankungen (COPD) wenig geeignet
ist. Beim dritten, von Sentec angewen-
detenVerfahren erfolgt die Messung
transkutan, also nichtinvasiv über die
Haut. Vor allem bei der Überwachung
von Frühgeborenen habe sich die-
sesVerfahren laut Schumacher durch-
gesetzt. In den USA sei es mittlerweile
zum Standard geworden.
Entscheidet sich ein Spitalfürein
Sentec-Gerät, muss es mitKosten von
1000 0 bis 15 000 Fr. rechnen.Laut
Dominik Ellenrieder, demVerwaltungs-
ratspräsidenten und Mehrheitsaktionär
des Unternehmens, sind bisher rund

10000 Geräte verkauft worden. Zuge-
lassen sind sie in allen wichtigen Märk-
ten.«Wir sind ein Mikromulti», sagt El-
lenrieder. Der 61-jährige Schweizer ist
eine feste Grösse in der Medizintech-
nikbranche. In seiner langen Karriere
hat er führendePositionen bei nam-
haftenFirmen (unter anderem Sulzer
Medica, Stratec Medical,Kuros, Strau-
mann, Medartis) bekleidet.

In den USA etabliert


Laut Angaben beläuft sich derJahres-
umsatz von Sentec auf 33 Mio. $. Der
grössteTeil davon (20 Mio. $)kommt
aus Nordamerika.Für die Hersteller ist
di es eine besonders attraktiveRegion,
weil es dort kaum Preiskontrollen gibt.
In den USA hat Sentec neun eigene
Standorte, ansechs weiteren wird mit
Distributoren zusammengearbeitet.
Seit 20 17 sind die Schweizer auch in
China präsent.Weil dort aber vor allem
der Zwischenhändler Geld verdient –
die Geräte würden für 50 000 Fr. ver-
kauft –, erwägt das Unternehmen, bald
einen Direktvertrieb einzurichten. Der
zweite wichtige Produktionsstandort
befindet sich im deutschenRostock, wo
Verbrauchsmaterialien (Pflaster, Kon-
taktgel, Ohrenklipp, Membranen) her-
gestellt werden. Mittelfristig sollen dort
auch Monitoren gefertigt werden.
Das Unternehmen wächst rasant.
DiesesJahr steige die Belegschaft in
Therwil auf 80 Personen, weltweit
auf145. Offenbarkönnen endlich die
Früchte der langjährigen Entwicklung
geerntet werden. Gegründet wurde Sen-

tec vor über zwanzigJahren, als eine aus
demRoche-Konzern entstandeneFirma
zweigeteilt wurde. Der andere Teil,
Radiometer, ist heute einKonkurrent
von Sentec und gehört zum US-Gesund-
heitskonglomeratDanaher. Am Anfang
wurde das Startup von einer Schwei-
zerBank finanziert. Doch die Produkte-

qualität und derVertrieb warenmangel-
haft. Als 2006 dasAus drohte, schlug El-
lenrieder zu, er behob die technischen
Probleme und erhöhte die Preise. Ent-
weder die Gewinnschwelle erreichen
oder untergehen, hiess das Motto. Da-
beimussteviel Lehrgeld bezahlt werden.
«Wir haben in den vergangenen zwan-
zigJahren vieleFehlläufe gehabt und
eliminiert», erinnert er sich.
Nach dem Einstieg von Ellenrieder
wurde zehnJahre lang Geld in die Ent-
wicklung gesteckt. Jetzt befindet sich
Sentec am Ende dieses Investitionszyk-
lus; neue Geräte und Produkte stünden
kurz vor derLancierung. Bisher war die
Handhabung der Gerätekompliziert
und aufwendig. Weil transkutane Mes-
sungen nicht langzeitstabil sind, muss
das Gerät alle acht Stunden kalibriert

werden. Nun stehe eine einfachere
Lösungbereit, sagt Ellenrieder. Und es
gebe einen neuen Sensor, der den CO 2 -
Gehalt nicht mehr chemisch, sondern
optisch messe. Laut Ellenrieder besitzt
dieKonkurrenznichtsVergleichbares. In
ein bis zweiJa hren will er damitauf den
Marktkommen.

Geografische Expansion


Bald werden auch die Monitoren
anders aussehen. Ab nächstemJahr
sind sie perTouch-Bildschirm bedien-
bar und werden vielleicht ganz wegfal-
len, wenn dieFunktionen im verdick-
ten Kabel statt im Messgerät Platz fin-
den. Bei der technischen Entwicklung
geholfen hat der Kauf vonSwisstom im
Jahr 2018. Die 2009 ausdem Unterneh-
men Hamilton hervorgegangeneFirma
inLandquart wendet die sogenannte
elektrischeImpedanztomografie an, ein
nichtinvasives, dreidimensionales bild-
gebendesVerfahren, das sich der elek-
trischen Leitfähigkeit im menschlichen
Körper bedient.
Neben der technischenWeiterent-
wicklung der Geräte habe die geogra-
fische Expansion derzeit Priorität, sagt
Ellenrieder. Ob Sentec einst denWeg
an die Börse suchen wird, lässt er offen.
Von derBasler Orthopädiefirma Med-
artis, an der er ebenfalls beteiligt ist und
bei der er alsVerwaltungsratsvizepräsi-
dent amtet, weiss er, dass es in dieser
Branche viel Geduld braucht.Auch bei
Medartis mussten die Gründeraktio-
näre zwanzigJahre warten, bis 20 18
endlich der Börsengang gelang.

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Sentec erzielt mit seinen Geräten einenJahresumsatz von 33 Mio. $. JOËL HUNN /NZZ


Preispoker um Aufzüge


ThyssenKrupp verhandelt mit Finanzinvestoren


(dpa)· Bei dem in Finanznöten ste-
ckenden Stahl- und Industriekonzern
ThyssenKrupp rückt derVerkauf der
milliardenschwerenAufzugssparte nä-
her. Die Essener wollen vorrangig mit
zwei GruppenvonFinanzinvestoren
über einen Mehrheits- oderKomplett-
verkauf verhandeln. Gesprochen werde
mit einemKonsortium aus Blackstone,
Carlyle und CanadianPension Plan so-
wieeinem weiteren ausAdvent und Cin-
ven, teilteThyssenKrupp am Montag
mit. Angestrebt werde eine kurzfristige
Einigung. Konzernchefin Martina Merz
hatte jüngst erklärt,eine Entscheidung
solle bis EndeFebruar fallen.
DerWettbewerberKone ist damit
aus demRennen. DieFinnen kündig-
ten am Montag an,sichaus dem Bieter-
rennen zurückzuziehen. Sie hatten an-
nähernd 17 Mrd. € geboten.Thyssen-
Krupp befürchtete aber offensichtlich
Kartellprobleme. Finanzvorstand Jo-
hannes Dietsch hatte erst vergangene
Woche bei derVeröffentlichung der
Zahlen zum ersten Quartal eingeräumt,
dass es bei einem strategischen Investor
länger dauern werde, bisThyssenKrupp
den Kaufpreis erhalten werde.
Den zunächst insAuge gefassten Bör-
sengang hatThyssenKrupp nicht abge-
sagt.Fallskeine Einigung mit einem Bie-
ter erreicht werdenkönne, stelle ein Bör-


sengang unverändert eine Option dar.
Dieser wäre dann ab demFrühsommer
möglich, teilten die Essener mit. Betrof-
fen von einemVerkauf derAufzugssparte
wäre fast jeder dritte der weltweit rund
160 000Mitarbeiter vonThyssenKrupp.
Die IG Metall will mit den Interes-
senten schnell über Sicherheiten für die
Beschäftigtensprechen. Die Arbeitneh-
mervertreter hätten eine sehr guteVer-
einbarung mit derThyssenKruppAG
und dem Elevator Managementaus-
gehandelt, sagte der NRW-Bezirkslei-
ter der IGMetall, Knut Giesler, der
«Rheinischen Post». DieseRegelun-
gen müssten nun zügig in einer tarifver-
traglichenVereinbarung mit dem Käu-
fer festgeschrieben werden.Dabei gehe
es insbesondere um Zusagen in Sachen
Standorte, Beschäftigte, Investitionen,
Forschung und Entwicklung sowieAus-
bildung. «Wir wollen eineEinigung noch
vor der entscheidendenAufsichtsrats-
sitzung EndeFebruar.»
Der angeschlageneRuhrgebietskon-
zern braucht dringend Geld zum Schul-
denabbau und zurFinanzierung des ge-
plantenKonzernumbaus. Bei denVer-
handlungen mit den Investoren strebe
man «eineWertmaximierung» an, heisst
es in der Mitteilung vonThyssenKrupp.
Die Angebote lägen «auf einem hohen
Bewertungsniveau».

Dominik Ellenrieder
Verwaltungsrats-
PD präsidentvon Sentec

Welches ist die

grösste Branche

der Region Genf?

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