Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

Dienstag, 18. Februar 2020 FINANZEN 27


WERNER GRUNDLEHNER


«Everything is perfect», lautet derTi-
tel der neusten Präsentation von Steen
Jakobsen, Chefstratege der SaxoBank.
Er ist bekannt für prägnanteAussagen.
So publiziert er im Dezember jeweils
die viel beachteten «Outrageous Pre-
dictions» für daskommendeJahr. Für
2020 beschäftigt sichJakobsen mit Dis-
ruption. Sollte sich der im vergangenen
Jahrzehnt beobachteteTrend fortsetzen,
würde die Gesellschaft mit sich selbst
im Krieg stehen undstaatliches Han-
deln anstelle von Marktwirtschaft stel-
len, schrieb er im Dezember.
Es istaber nicht alles in wenigen
Wochen «perfekt»geworden. «DerTitel
der Präsentation ist ironisch gemeint»,
sagtJakobsen. Es sei alles perfekt, wenn
man auf die Märkte schaue– in der
Realwirtschaft sei demaber nicht so.
«Global beginnen sich dieAuswirkun-
gen des Handelskriegs imWirtschafts-
wachstum niederzuschlagen», fügt er an.
Auch die Schweiz sei nicht frei von Pro-
blemen, da gebe es etwa denVorwurf,
dasLand sei einWährungsmanipula-
tor. Es gibt gemässJakobsen drei grosse
Einflussgrössen, die dasJahr 2020 be-
stimmen werden: die US-Wahl, China
und dasverlorene Vertrauen in nega-
tive Zinsen.


Eine Steuer für Arme


Mit den negativen Zinsen werde eine
«Armensteuer» erhoben. Es zeichne
sich immer mehr ab, dass die Nega-
tivzinsen nicht die gewünschteWir-
kung hätten.Das letzte Mal, als man
dieses Instrument anwandte, habe es
funktioniert. Es gebe aber einen gros-


sen Unterschied. In den siebzigerJah-
ren war die Schweiz allein mit diesem
Versuch, heute versuchten alleVolks-
wirtschaften, dieses «Heilmittel» einzu-
setzen. Es gibt immer weniger Stimulus
durch dieNachfrage nach Krediten.Je
tiefer die Zinsen gehen, desto stärker
nimmt die Dynamik des Geldumlaufs
und der Inflation ab.
«Negativzinsen sorgen derzeit dafür,
dass Haushalten mit niedrigemEin-
kommen, älteren Menschen und Stu-
denten der Zugang zu Hypotheken
verweigert wird, da dieregulatorischen
Eigenkapitalanforderungen die Kredit-
hürden zu hoch setzen, als dass diese
Gruppen einDarlehen erhaltenkönn-
ten», sagtJakobsen. Statt ein Eigen-
heim abzubezahlen, müssten diese
Menschen letztlich für den doppelten
Preis mieten– einFaktor für zuneh-
mende Ungleichheit. Dies wiederum
bi rgt die Gefahr, dass eine ganze Gene-
ration nicht die Ersparnisse aufbauen
kann, die für den Besitz eines Eigen-
heims erforderlich sind – während bis
anhin ein Haus in derRegel den ein-
zigen grösseren Vermögenswert dar-
stellt, wie derDäne anfügt. Dies laufe
dem ökonomischen Mechanismus, der
den älteren Generationen einen gewis-
senWohlstand beschert hat, zuwider.
«Stattdessen riskieren wir eine dauer-
hafteVermögenslücke zwischen den
Generationen.»


«Normalerweise habenWahlen nur
einen kurzfristigen Einfluss auf den
Markt», sagtJakobsen mit Blick auf
die US-Wahl. In diesemJahr werde es
anders sein.Trump werde alles unter-
nehmen, um seineWiederwahl zu er-
möglichen. Der Preis, um dieWirt-
schafts- und Börsendaten positiv zu hal-
ten, wird 2021 und in den folgendenJah-
ren bezahlt werden müssen. Vier Jahre
Trump-Wirtschaft liessen sichkorrigie-
ren; achtJahre würden die Ökonomie
nachhaltig beschädigen.«Verliert aber
Trump dieWahl, wird allerVoraussicht
nach einkompletter Gegenentwurf zu
Trump an die Machtkommen, sei dies
Warren, Sanders oder ein anderer Kan-
didat.» Damit würde dieWirtschaft
punkto Geldpolitik,Banken, Pharma-
industrie, Klimaschutz u. a. neu ausge-
richtet, was eineWachstumsverlang-
samung nach sich zöge.

NeueWähler meist gegenTrump


Auch der amerikanischeRepo-Markt
stelle ein Risiko für dieWirtschaft dar.
Die US-Notenbank versichere zwar,
dass eskein Problem gebe. «Wieso
schiesst dasFederalReserve dann spon-
tan 83 Mrd. $ in diesen Markt ein, um
die Liquidität zu sichern?», fragtJakob-
sen. AlleFinanzkrisen hätten ihre Ur-
sachen in Illiquidität. Und derzeit zeig-
ten mehrereTeile desFinanzmarktes
Anzeichen von mangelnder Liquidität.
Als Lösung werde in den USAüber
ein viertes Anleihekaufprogramm nach-
gedacht. Doch die Summen sind mitt-
lerweile so gigantisch, dass der Einfluss
auch von grossen Stimulierungsmass-
nahmen immer geringer wird.
DieFinanzmärkte gehen von einer
95%igenWahrscheinlichkeit aus, dass
Trump dieWahlen für sich entscheiden
wird.Jakobsen glaubt eher an einFif-
ty-fifty. Was nicht berücksichtigt werde,
sei der Umstand, dass bei diesenWah-
len viel mehr Nichtweisse, Frauen und
Jugendliche an die Urnen gehen wer-
den als vor vierJahren.Fast alleWäh-

ler, die sich neuregistrierten, würden
gegenTrump stimmen.
Falls Trump wiedergewählt werde,
erlebe der Dollar einen Einbruch.
DennTrump wolle nicht mehrWelt-
polizist sein und den Dollar nicht als
globaleReservewährung. «Ich bin etwas
genervt von derAussage, der US-Wirt-
schaft gehe es gut», sagtJakobsen. Die
langfristige Entwicklung der Charts
zeige etwas anderes. DieKosten des
Gesundheitssektors fressen für die
meisten Bürger die kleinen Einkom-
mensgewinne der vergangenenJahre

mehr als auf. Eine gute Schulbildung
ist für viele unbezahlbar geworden. Die
Arbeitslosigkeit ist zwar niedrig, aber
viele US-Amerikaner gehen zweiJobs
nach, ohne damit wirklich gut über die
Runden zukommen. Zwei Drittel der
Amerikanerhabenweniger als 500$
an verfügbaren Ersparnissen.

Klimaals bestimmendesThema


Der Klimawandel werde zudem ein
bestimmendesThema für dieFinanz-
märkte werden. «Ich weiss nicht, ob es
die menschengemachte Klimaerwär-
mung als Bedrohung gibt», sagtJakob-
sen.Als Investor müsse ihn das aber gar
nicht kümmern. Denn er sehe die Häu-
fung anWetterereignissen, welche die

Wirtschaft schädigten: dieTrockenheit
in weitenTeilen Afrikas, die Verteue-
rung von Zwiebeln in Indien – dort für
die Armen ein Grundnahrungsmittel –,
die Taifune überJapan, die Überflutun-
gen inDubai und vieles mehr. Das alles
dämpfe dasWirtschaftswachstum in die-
sen Regionen.
DieWirtschaft müsse denFokus
ändern, vomOptimieren desWachs-
tums auf die Optimierung des Klimas.
«Fr üher unterschieden wirnicht zwi-
schenverschmutzenden und umwelt-
freundlichen Produktionsstätten», sagt
der Saxo-Stratege. Man differenzierte
zwischenrentabel und nicht rentabel.
In Zukunftmüsse aber zwingend der
Umwelteinfluss in die Erfolgsrechnung
einfliessen.Saubere Luft,Wasser und
Kulturland würden sonst noch knap-
per werden.

NeueBörsenriesenentstehen


Wenn man die grössten Unternehmen
nach Börsenkapitalisierung in denJah-
ren nach derJahrtausendwende be-
trachtete, dominierten die grossen Erd-
ölkonzerne – heute sind es die grossen
Technologiekonzerne. Jakobsen wettet
darauf, dass es in einemJahrzehnt unter
den grösstenFirmen fünf neue gibt, die
helfen, die Klimaprobleme zu lösen.
Diese werden gemässJakobsenkeine
Software-Unternehmen sein, denn das
Klima lässt sich nicht mit einer App
verbessern: «Dabei wird es umThe-
men wie Brennstoffzellen gehen, um-
weltfreundliche Energieerzeugung und
-speicherung.»
Der Detailhandel werde auch nicht
mehr zu den Börsenschwergewichten
zählen, da die Produktion sowie Her-
stellung von Nahrung und Kleidern
wieder lokal und damit dezentral be-
trieben werde. Es wird nach Meinung
vonJakobsen weiterhin ein kapitalisti-
schesSystem sein, aber alleKosten wer-
den in den Produkten berücksichtigt–
auch derKonsum von «freien» Gütern
aus der Natur wie Luft undWasser.

«Die Finanzmärkte sind sich


über Trumps Sieg zu sicher»


Der Saxo-Strate ge Steen Jakobsen sieht viele Probleme auf die Anleger zukommen


Die US-Wahl,China und die Negativzinsenprägen in diesemJahr die wirtschaftliche Entwicklung. JUSTIN LANE / EPA

Steen Jakobsen
Chefstratege
PD der SaxoBank

WALL-STREET-NOTIZEN

Die grosse


Börsenillusion


in den USA


Krim Delko· Wie hat sich die Präsident-
schaft von DonaldTrump auf die Börse
ausgewirkt? Gemessen an den Indizes
eigentlich ganzgut. Seit seinerWahl
hat der S&P-500-Index zum Beispiel
um über 50% zugelegt. Zugetraut hat
man das dem Geschäftsmann aus New
York eigentlich nicht.AmTag nach sei-
nerWahl sind die Indizes stark gefal-
len.Dazu kommt, dass er sich imWahl-
kampf offen für einerestriktive und vor
allem protektionistischeWirtschaftspoli-
tik eingesetzt hat.Besondersnervös sind
die Auguren imTechnologiebereich ge-
wesen, zumalTrump dem SiliconValley
allein schon aus persönlichen Gründen
den Kampf angesagt hatte.
Doch wie vieles mitTrump ist alles
anders gekommen. Mit Abstand am bes-
ten abgeschnitten haben nämlich die
Technologieaktien.Allen voranTitel wie
Amazon, Microsoft und Apple. Diese
dreiTitel haben seit seinerWahl weit
über 1Bio. $ anWert zugelegt. Dass sich
Trump zu einemRegenmacher für die
Silicon-Valley-Elite entwickeln würde,
hat amTag nach seinerWahl wohl nie-
mand an derWall Street erwartet.

Wahlslogan umgedeutet


UndTrump wäre nichtTrump, wenn
er daraus nicht Kapital schlüge. Kürz-
lich hat er seinenWahlslogan «Maga»
(«Make America great again») in Micro-
soft,Apple, Google und Amazon umge-
deutet, um auf die enormeWertschöp-
fung unter seiner Präsidentschaft hin-
zuweisen. Es ist durchaus verständlich,
dass sich ein Präsident mit diesen an der
Börse mit über 1 Bio. $ bewertetenFir-
men identifizieren will.
Aber eigentlich hätteTrump das
Gegenteil machen müssen. Er hat die
Dominanz derTechnologie-Blue-Chips
nicht nur imWahlkampf, sondern auch
nach dem Einzug insWeisse Haus immer
wieder offen infragegestellt.Viele der
Tech-CEO sind, um es vorsichtig aus-
zudrücken, nicht gerade befreundet mit
ihm. Der Amazon-CEOJeff Bezos etwa
hat durch seinen Einfluss als Besitzer der
«WashingtonPost» den Druck aufTrump
hoch gehalten, was imWeissen Haus auf
Unmut gestossen ist.Trump hat sich auch
öffentlich gegen die Dominanz vonAma-
zon ausgesprochen und mit Massnahmen
gedroht.Trotzdem haben sich die Aktien
seit seinerWahl verdreifacht.

FossileBrennstoffe verlieren


Problematisch aus Sicht derTrump-An-
hänger ist jedoch weniger der Erfolg
des SiliconValley als die Misere in vie-
len Bereichen, in denen der Präsident
Unterstützung versprochen hatte. Sek-
toren wie Stahl,Kohle und andere CO 2 -
Sünder hätten sich eigentlich nach der
Wahl sicher fühlen sollen, zumalTrump
ständig das Ende der Umweltpolitik
Obamas gepredigt hat. Doch trotz sol-
cher Rhetorik haben diese Branchen
seit derWahl an der Börse massiv an
Wert verloren. Ähnlich schlecht haben
die Aktien vonWaffenherstellern abge-
schnitten. Auch hier zeigt sich die grosse
Diskrepanz zwischenTrumpsAussagen
und derRealität an der Börse.
Verblüffend ist schliesslich auch die
starkePerformance von erneuerbaren
Energien.Wer hätte gedacht, dass sich
der Einsatz von Sonnenenergie und
Wind unterTrump lohnen würde und
fossile Brennstoffe wieKohle, Erdgas
oder Erdöl zuVerlustbringern würden?
Diese Beispiele zeigen lautFondsmana-
gern zwei Dinge auf. Zum einen ist der
Einfluss von Präsidenten auf die Börse
in einerkomplexen und diversifizier-
ten Wirtschaft nicht mehr so gross. Zum
anderen besteht jedoch auch die Ten-
denz imWeissen Haus, denWortennicht
im merkonkreteTaten folgen zu lassen.

Steen Jakobsen wettet
darauf, dass es
in einem Jahrzehnt
unter den grössten
Firmen fünf neue gibt,
die helfen, die Klima-
probleme zu lösen.

Euro/Fr.
1,0628-0.11%

Dollar/Fr.
0,9811-0.08%

Gold($/oz.)
1581,800.43%

SMI
11168,450.36%

DAX
13783,890.29%

DowJones
29398,08-0.09%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
57,590.61%
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