Neue Zürcher Zeitung - 18.02.2020

(Darren Dugan) #1

Dienstag, 18. Februar 2020 INTERNATIONAL 5


Westliche Forscher als Spielball der Politik in Iran

Die Hardliner wollenmit Geiselnahmen europäische Versuche zur Rettungdes At omabkommens hintertreiben


ULRICHVON SCHWERIN


Nach fünfzigTagen hat die franzö-
sisch-iranische Anthropologin Fa-
ribaAdelkhah ihren Hungerstreik be-
endet. Die Forscherin der Pariser
Hochschule SciencesPo hatte seit dem



  1. Dezember dieAufnahme fester Nah-
    rung verweigert, um gegen ihre anhal-
    tende Inhaftierung imTeheraner Evin-
    Gefängnis zu protestieren. Ihre Unter-
    stützer in Europa haben das Ende ihres
    Hungerstreiks am vergangenen Mitt-
    woch mit Erleichterung zurKenntnis
    genommen, da die Protestaktion der
    Gesundheit der 60-Jährigen ernsthaft
    zuzusetzen drohte.
    «Wir vom Unterstützerkomitee
    hatten sie gebeten, ihren Hungerstreik
    zu beenden, da sie ihre politische Bot-
    schaft übermittelt hat», sagt derPoli-
    tologe Didier Péclard von der Uni-
    versité de Genève, der die Kampagne
    für dieFreilassung vonAdelkhah und
    ihrem ebenfalls inhaftiertenKollegen
    und LebensgefährtenRoland Marchal
    mitorganisiert. Der Soziologe war am

  2. Juli 2019 bei seiner Ankunft inTehe-
    ran zusammen mitAdelkhahfestgenom-
    men worden.
    DerForscher von SciencesPo Paris
    ist Spezialist fürKonflikte in Ostafrika
    und war nur privat inTeheran, doch
    bewahrte ihn dies nicht vor derFest-
    nahme. Adelkhah weilte zu diesem Zeit-
    punkt bereits mehrere Monate zurFeld-
    forschung in Iran. Die Anthropologin
    ist bekannt für ihre Studien zurRolle
    derJugend und derFrauen in der ira-
    nischen Gesellschaft und hat mehrere
    Bücher zum schiitischen Islam in Iran
    und Afghanistan veröffentlicht.


Haft wegenSpionage


«Adelkhah hat niemals direkt Posi-
tion gegen die islamischeRevolution
bezogen», sagtPéclard. Sie habe Iran
lan ge vor dem Umsturz1979 für das
Studium verlassen und politischeÄusse-
rungen stets vermieden. DieJustiz wirft
ihr und Marchal nun dennoch «Propa-
ganda gegen dasRegime» und «Gefähr-
dung der Staatssicherheit» vor. DerVor-
wurf der Spionage, auf den dieTodes-
strafe steht, wurde dagegen fallengelas-
sen. Ihr Prozess soll im März vor dem
TeheranerRevolutionsgericht beginnen.


Marchal undAdelkhah sind nicht die
einzigen westlichenForscher, die derzeit
in Iran festgehalten werden. Bereits seit
September 2018 sitzt die australisch-bri-
tischePolitologinKylie Moore-Gilbert
in Evin inHaft. Die junge Dozentin der
Universität Melbourne, die ein irani-
sches Gericht vergangenesJahr zu zehn
Jahren Haft wegen Spionage verurteilt
hat, trat Ende Dezember zusammen mit
Adelkhah aus Protest gegen ihre Inhaf-
tierung in den Hungerstreik.
Anders als bei denPariserForschern,
deren Unterstützer denFall im Okto-
ber an die Öffentlichkeit brachten, hat
sich Moore-GilbertsFamilie entschie-
den, weitgehend Stillschweigen zu be-
wahren. Sie will damit derRegierung
in Canberra die Chance geben, denFall
hinter denKulissen zu lösen.Das Cen-
ter for Human Rights in Iran (CHRI)
veröffentlichte jedoch Ende Januar

eineReihe von Briefen derAustralie-
rin an die Gefängnisleitung, die Ein-
blick in ihreLage geben: «Ich nehme
psychiatrische Medikamente, doch diese
zehn Monate, die ich hier verbracht
habe, haben meine geistige Gesundheit
schwerbeschädigt», schrieb sie etwa im
Juli. «Mir werden noch immerTelefon-
anrufe und Besuche verweigert, und ich
fürchte, dass mein mentaler und emo-
tionaler Zustand sich weiter verschlech-
tert, wenn ich in diesem extrem restrikti-
ven Gefängnisblock 2A bleiben muss.»
Der Block 2A von Evin untersteht den
Revolutionswächtern.

Gegen Iraner eingetauscht


Moore-Gilbert hatte vor ihrer Fest-
nahme zur schiitischen Opposition in
Bahraingeforscht. Im September 2 018
war sie auf Einladung einer Univer-

sität in Qom zu einerKonferenz nach
Iran gereist und anschliessend noch ei-
nigeTage für Gespräche mit bahraini-
schen Oppositionellengeblieben. Es
war ihr erster Besuch in Iran, und wo-
möglich warsie sich der Brisanz des
Themas nicht bewusst.Womöglich war
es aber auch Zufall, dass sie festgenom-
men wurde.
Über die Hintergründe derFestnah-
menkann nur spekuliertwerden. Die
iranischen Behörden begegnen aus-
ländischenForschern undJournalisten
seit je mit Misstrauen.Visa werden nur
sehrrestriktiv erteilt, freieRecherchen
sind kaum möglich, und derVerdacht
der Spionage ist schnell bei der Hand.
Immer wieder gab esFestnahmen, und
die meisten Betroffenen kamen erst
nach langenVerhandlungen frei. Einige
wurden gegen imAusland inhaftierte
Iraner eingetauscht.

DerVerdacht, dass auchAdelkhah,
Marchal und Moore-Gilbert alsTausch-
objekte festgehalten werden, liegt umso
näher, als Ende 2019 ein anderer inhaf-
tierterForscher aus Harvard bei einem
Gefangenentausch freigelassen wurde.
NachVermittlung der Schweiz wurde
der amerikanisch-chinesische Historiker
XiyueWang Anfang Dezember gegen
einen iranischen Stammzellforscher ein-
getauscht, der in den USA unter dem
Vorwurf desVerstosses gegen Sanktio-
nen inhaftiert war.

Opfer eines Machtkampfs


Wie viele ausländische Bürger aus poli-
tischen Gründen in Iran inhaftiert sind,
ist nicht bekannt. Zu den bekannte-
ren Fällen gehört die iranisch-britische
Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-
Ratcliffe. Die 41-jährige Mutter einer
kl einenTochter, die für die Medien-
stiftung Thomson Reuters gearbei-
tet hatte, sitzt seit April 2016 in Haft.
Viele andere Haftfälle sind jedoch nicht
publik. Ein westlicherJournalist, der
lange inTeheran gearbeitet hat, sagt,
die bekanntenFälle seien nur die Spitze
des Eisbergs.
Wer hinter demVorgehen steckt, ist
unklar, doch verdächtigenPéclard und
andere Beobachter die Revolutions-
wächter. «Sie nehmen Geiseln, um bei
denVerhandlungen mit demAusland
ihrePosition zu stärken», sagt derPoli-
tologe. Er sieht einen internen Macht-
kampf zwischen der Regierungvon
Präsident Hassan Rohani und den
Revolutionswächtern, die dessen Be-
mühungen hintertreiben wollten, das
internationale Atomabkommen mit den
Europäern zurett en.
DieRevolutionswächter lehnen das
Abkommen seit langem ab und drin-
gen auf einen härterenKurs. DieFest-
nahme vonAdelkhah und Marchal im
Juli fiel in eine Zeit, daFrankreichs
Präsident Emmanuel Macron ver-
suchte, einenAusweg aus der Eskala-
tionsspirale zu finden, welche die USA
mit ihremAusstieg aus dem Atom-
abkommen ausgelöst hatten. DieFest-
nahme derForscher erscheint damit
eng mit dem Atomstreit verknüpft.
Entsprechend steht zu befürchten, dass
auch ihreFreilassung von seinem wei-
terenVerlauf abhängen wird.

Ein Unterstützerkomitee fordert dieFreilassung vonFariba Adelkhah und ihrem LebensgefährtenRoland Marchal. MICHEL EULER / AP

100 000 Studenten aus China können nicht in Australien einreisen


Eine Einreisesperre wegen des Coronavirus könnte die australischen Universitätenrund acht Milliarden Dollar kosten


ESTHER BLANK,SYDNEY


Im Februar, nach den langen Som-
merferien, beginnt das neue akademi-
scheJahr an den australischen Univer-
sitäten. An der Universität von New
SouthWales drängen sich normaler-
weise ab Mitte des MonatsTausende
Studenten auf dem Campus. In der so-
genannten Orientierungswoche gibt es
Einführungskurse, Konzerte undFüh-
rungen durch Studentenheimeund Col-
leges. Cafés undRestaurants auf dem
Campus sind voll. Abends wird im be-
rühmtenRoundhouse der Uni wild ge-
feiert. Am Haupteingang der Univer-
sität begrüssen Hunderte Studenten-
organisationen neue und zurückkeh-
rendeStudenten anbunt geschmückten
Ständen.
Doch diesesJahr ist die Atmosphäre
in der «O-Week» gedämpft.Einige
der grössten und aktivsten Studenten-
klubs wenden sich vor allem an die vie-
len Studenten aus China, die inAustra-
lien studieren. Doch diese stecken in
ihrer Heimat fest.Viele Studenten tra-
gen schwarze, weisse oder hellgrüne Ge-
sichtsmasken. «Das ist fast schon chic!»,
kichert eine Studentin aus Malaysia.
Sie trägt die Maske sicherheitshalber–
wegen des Coronavirus.
Australien hat einen Einreisestopp
für alleReisenden aus China verhängt.
Jeder Nichtaustralier, der in den letz-


ten14 Tagen in China war, muss sich
nach Ankunft auf einem australischen
Flughafen in eine geschlossene Qua-
rantänestation begeben. Wer aller-
dings seit seinem Chinabesuch die 14
Tage in einem anderenLand verbracht
hat, darf einreisen. Chinesische Studen-
ten, die bereits vor dem Einreisestopp
in Australien angekommen sind, müs-
sen sich vierzehnTage lang in ihren
Unterkünften von allen anderen Stu-
denten isolieren.

Viele Studenten sindverärgert


2019 studierten rund 420 000 ausländi-
sche Studenten an australischen Uni-
versitäten und technischen Hoch-
schulen.Fast 40 Prozent kamen aus
China. Die Universitäten nahmen 20 19
fast 32 Milliarden australische Dollar
(rund 21MilliardenFranken) an Stu-
diengebühren ein. Internationale Stu-
denten zahlen zwischen 20000 und
45 000australische Dollar proJahr. Für
viele Universitäten machen diese Ein-
nahmen mehr als einViertel des Bud-
gets aus. Die Universitäten versuchen
damit, wiederholte Budgetkürzungen
verschiedener australischerRegierun-
gen auszugleichen.
Für 2020 haben sich157 000 chine-
sische Studenten angemeldet und ihre
Studiengebühren gezahlt. Doch über
100000 von ihnen stecken in China fest.

Entwederkönnen sie wegen der lokalen
Quarantänebestimmungen in China sel-
ber nichtreisen, oderAustralien lässt sie
nicht ins Land. Das könnte die australi-
schen Universitäten nach Einschätzung
der International Education Association
of Australia rund acht Milliarden austra-
lische Dollarkosten.
Besonders betroffensind die Univer-
sity of New SouthWales und dieSydney
University. Letztere versucht die Situa-
tion miteilends erstellten Online-Kur-
sen für ihre Studentenin China abzu-
mildern. Doch die chinesische Internet-
zensur blockiert den Zugang zu vie-
len Internetdiensten, welche es für
dasFunktionieren der Online-Kurse
braucht.Viele Studenten seien ver-
ärgert, sagt Abbey Shi von der Studen-
tenvertretung derSydney University:
«Die Studenten sind sauer, dass sie jetzt
40 000 Dollar imJahr für einen Online-
Kurs bezahlen sollen.»
Die University of New SouthWa-
les schlägt deshalb andereWege ein:
Chinesische Studentenkönnen ihre
Kurse im zweitenTrimester Anfang
Juni beginnen. Intensivkurse in den
Semesterferien und Online-Kurse,
die sie nach ihrer Ankunft inAustra-
lien zusätzlich belegenkönnen, sollen
ihnen helfen, bei ihren Studien auf-
zuholen und ihre Prüfungen wie ge-
plant abzulegen, ohne mehr zahlen zu
müssen. NachAuffassung desVize-

kanzlers der Universität, IanJacobs,
zeigt die Coronavirus-Krise, wie sehr
das australische Hochschulsystem auf
die Zahlungen ausländischer Studen-
ten angewiesen ist. Die öffentlichen
Gelderreichten nicht aus, um erstklas-
sige Universitäten zu finanzieren.Das
sei gefährlich.

Auch derTourismus leidet


Zurzeit gibt es15 bestätigte Corona-
virus-Fälle inAustralien. 540Personen
befinden sich in Quarantänestationen
in Darwin und auf Christmas Island. Es
handelt sich um australische Bürger, die
aus Wuhan evakuiert wurden.
Die australischeRegierung hat am
Donnerstag den Einreisestopp für
alleReisenden aus China auf unbe-
schränkte Zeitverlängert.Woche für
Woche soll nun entschieden werden,
ob der Einreisestopp aufrechterhal-
ten wird oder nicht.Das schafft nicht
nur für die Studenten in China und die
Universitäten grosse Unsicherheit, son-
dern auch für denTourismus, wo chi-
nesische Gäste auch eine grosse Rolle
spielen. China istAustraliens wichtigs-
ter Handelspartner. Wenn chinesische
Studenten undTouristen länger aus-
bleiben, ist das ein weiterer Schlag für
die lokaleWirtschaft nach den Busch-
bränden und anderen Naturkatastro-
phen in diesemJahr.

Chinesen machen den grössten
Anteil an ausländischen Studenten
in Australien aus
Anzahl eingeschriebeneStudenten
an Universitäten und technischen Hochschulen
(inTausend)

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Aus China Aus anderen Ländern
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