Dienstag, 18. Februar 2020 ZUSCHRIFTEN 9
Keine ausgewogene
Darstellung Birchers
Erich Aschwanden greift einmal mehr
ein fast 80Jahre zurückliegendes his-
torisches Ereignis auf (NZZ 11. 2. 20),
direkt betroffene Zeitzeugen sind natur-
gemäss verstorben. Die fast ausschliess-
licheFokussierung auf Eugen Bircher
mag zwar der oberflächlichen Informa-
tion dienen, dürfte aberder während des
Krieges herrschendenkomplexen Situa-
tion kaum gerecht werden. Eugen Bir-
cher war seit1934 nicht mehr Chefarzt
und Spitaldirektor und widmete sich als
OberstdivisionärProblemender schwei-
zerischenLandesverteidigung – auch
gegen Deutschland – und militärmedi-
zinischenFragen, eines seiner zentralen
Anliegen. Schon lange vor dem Krieg
hatte er aufgrund seiner medizinischen
und militärischen Interessen ausgezeich-
neteKontakte zu führenden deutschen
Ärzten und hohendeutschen Offizieren
etabliert. Er war einePersönlichkeit, die
oftKontroversen auslöste, seine direkte,
manchmal brüske Art führte einerseits
zu langjährigenFreundschaften, ande-
rerseits zu manchen Feindschaften,
unter anderen mitVorgesetzten, poli-
tischen Gegnern sowie auch mit dem
zitiertenRudolf Bucher, der seine diver-
senAussagen nach einem Prozess 1946
zurücknahm.Das hinderte diesen aller-
dings nicht daran, imJahre1967, 11Jahre
nach demTod Birchers, in seinem Er-
lebnisbericht dieselbenVorwürfe wieder
aufzunehmen. DieKonsultation weite-
rer Quellen (u. a.Daniel Hellers «Eugen
Bircher», 1988,Verlag NZZ), die durch-
aus zurVerfügung stehen, hätte sicher zu
einer ausgewogenerenDarstellung die-
ser für die damalige Schweiz und die in-
volviertenPersonen schwierigen Ange-
legenheit beigetragen.
AndreasJ. Bircher, Enkel,Basel
Die NZZ-Rubrik «Blick zurück» bringt
immer wieder spannende historische
Beiträge. Die Bircher-Mission war un-
bestritten eine deutschfreundliche An-
gelegenheit mit Divisionär Eugen Bir-
cher, einem grossen Bewunderer des
deutschen Militarismus, glühenden
Antikommunisten, der sich für denFüh-
rer bedankte, undkeineswegs eine neu-
trale humanitäre Aktion der Schweiz.
Mit dieser Mission ist auch eine verges-
sene unternehmerische Aktion verbun-
den, die zeigt, wie ein damals einfluss-
reicherWirtschaftsführer seinen persön-
lichenWiderstand umsetzte. Hans Sul-
zer war VR-Präsident von Sulzer und
denWinterthur-Unfallversicherungen,
bevollmächtigter Minister und Chef
einer Sektion im Kriegs-, Industrie-
und Arbeitsamt des Bundes sowie Prä-
sident der Überwachungskommission
Einfuhr undAusfuhrimZweiten Welt-
krieg. Die Geschäftskorrespondenz der
deutschenWinterthur, damals ein füh-
render Lebensversicherer Deutschlands,
musste mit «Heil Hitler» beendet wer-
den. Die Gestapo überwachte dieKor-
respondenzen in denPostzentralen.Das
verabscheute Sulzer, und er suchte eine
Lösung. DieWinterthur warVersicherer
von Ciba-Geigy. Ein grosser Schadenfall
kündete sich infolge einesVerfalls von
Medikamenten und medizinischen Pro-
dukten an. Er hörte von der Mission an
die Ostfront und handelte mit dem deut-
schen Botschafter einenVergleich aus.
Er würde den Schweizer Ärzten diese
Medikamente und pharmazeutischen
Produkte übergeben, wenn im Gegen-
zug nach schweizerischer Gepflogenheit
dieGeschäftskorrespondenz mit «Hoch-
achtungsvoll» unterzeichnet werden
könne. Der Handel wurde perfekt, der
hohe Schaden der Ciba-Geigy wurde
abgedeckt und gleichzeitig für einen be-
sonderen Widerstand eingesetzt.
Roger E. Schärer,Feldmeilen
Daniel arap Moi
tat auch Richtiges
Ich war von1968 bis1998 Leiter eines
grossen touristischenFachschulprojekts
inKenya (KUC). Die Deza hatte dieses
einer damaligenBaslerFirma übertra-
gen.Damals warDaniel arap Moi län-
ger Präsident. Nun ist er verstorben. Die
NZZ hatüberihn am 5.Februar einen
sehr negativen Bericht geschrieben, der
keine positiven Seiten erkennen lässt.
Das entspricht nicht meiner Sicht. Ich
bin mir zwar Mois negativer Seiten be-
wusst, habe aber auch sein positivesWir-
ken erlebt.
Ich hatte mich ab1968 dafür einge-
setzt, die von der Deza nicht gedeckten
lokalen Projektkosten aus einemFonds
zu decken.Diesersollte durcheine
Steuer auf alleAusgaben derTouristen
für Hotels undRestaurants alimentiert
werden.Das würde angesichts des boo-
menden Fremdenverkehrs genügend
Mittel schaffen. Und dieTouristen aus
allerWelt würden dieAusbildung junger
Kenyaner undKenyanerinnen finanzie-
ren. DieRegierungKenyatta übernahm
die Idee, und dasParlament schuf ein
entsprechendes Gesetz. Aber um 1990 –
Moi war Präsident – drohte der Unter-
gang. Der landesweit als extrem mäch-
tig undkorrupt bekannteVizepräsident
Georges Saitoti versuchte, dieKontrolle
über denFondszu übernehmen.Das
hätte die finanzielleBasis des Projektes
zerstört. Ich bat den damaligen Direk-
tor der Deza, BotschafterFritz Staehlin,
sofort nach Nairobi zukommen, um das
Projekt zuretten. Staehlin war innert
dreierTage vor Ort. Er ging sogleich ins
Büro desVizepräsidenten. Der stand
amFenster, schaute hinaus und drehte
sich weder um,noch sagte er etwas, bis
Staehlin wieder ging. Kurzfristigkonnte
Staehlin dann noch Präsident Moi tref-
fen und um seine Hilfe bitten. Moi hörte
sich alles an und verabschiedete sich.
Vor demRückflug in die Schweiz infor-
mierte der Botschafter mich und meinte,
er wisse nicht, ob er etwas erreicht habe.
Aber unglaublich geschickt ergriff
Präsident Moi ein Serie von Mass-
nahmen undrettete so das Projekt. Er
schickte zum Beispiel mehrerehohe
Beamte, deren Mithilfe Saitoti brauchte,
auf eine lange Überseegeschäftsreise;
andere beförderte er, versetzte sie aber
in andere Ministerien. Nach gewonne-
ner Schlacht kam Präsident Moi immer
wieder auf demWeg zur Arbeit imange-
schlossenen Schulhotel des KUCvorbei,
um einen Kaffee zu trinken.
GotthardFrick, Bottmingen
Zukunft der Kirchen
Die Behauptung, «Botschaft und Sinn-
angebot der Kirchen» seien «aktuell»
und entsprächen «einem Bedürfnis»,
wird zwar häufig wiederholt, dadurch
aber nicht wahrer (Gastkommentar
vonDanielKosch, NZZ 6. 2. 20). Meist
stammt sie aus dem Munde von Kir-
chenfunktionären, welche offenbar die
leeren Kirchenbänke während der Got-
tesdienste ebenso übersehenwiedie sta-
tistischenTr ends, die sich seitJahrzehn-
ten fortsetzen: Gehörten1970 noch über
95 Prozent der SchweizerWohnbevölke-
rung einerLandeskirche an, sind es 20 18
unter 60 Prozent. Derweil hat die Kate-
gorie «ohne Religionszugehörigkeit»
in derselben Zeitspanne von 1,2 Pro-
zent auf 28 Prozent zugenommen.Kein
Wunder, gab es 20 18 auf jedenrefor-
mierten Pfarrer des Kantons Zürich im
Durchschnitt gerade noch knapp zwei
Hochzeiten. Eine repräsentative Stu-
die zumgesamtgesellschaftlichen Nut-
zen der Kirchen im Kanton Bern ergab
20 16, dass 87 Prozent der Bevölkerung
deren soziale Angebote nicht nutzt. Die
«aktuellen Bedürfnisse» der Bevölke-
rung gehen klar in RichtungTr ennung
von Staat und Kirche.
Eliane Schmid,Bern
Begrenzungsinitiative
schwächt Wirtschaft
Im Interview mit der NZZ (12. 2. 20)
sagt Bundesrätin Karin Keller-Sut-
ter: «Jetzt den bilateralenWeg einfach
in die Luft zu sprengen, wäre fatal.»
Die Annahme der Begrenzungsinitia-
tive derSVP hätte dieKündigung der
Personenfreizügigkeit und damit auch
der bilateralenVerträge zurFolge, was
unseren Forschungs-,Wirtschafts- und
Werkplatz namhaft gefährden würde.
Es ist unverständlich,dass dieSVP, die
auch eineWirtschaftspartei sein will,
mit ihrer Begrenzungsinitiative in Kauf
nimmt, unsereWirtschaft empfindlich
zu schwächen.Daher sollten alle aufsei-
ten der Arbeitnehmer und der Arbeit-
geber im eigenen Interesse der Begren-
zungsinitiative im Abstimmungskampf
wirksam entgegentreten. Die Sicherung
der Zukunft unseresForschungs-,Wirt-
schafts- undWerkplatzes ist eine erst-
rangige und nachhaltigeAufgabe im
Interesse der heutigen undkommen-
der Generationen.
Werner Streich, Zürich
An unsere
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Wir danken allen Einsenderinnen
und Einsendern von Leserbriefen
und bitten umVerständnis dafür,
dasswir über nichtveröffentlichte
BeiträgekeineKorrespondenz
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REPLIK
Whistleblower
und interne Kontrolle
Gastkommentar
von RE TO EBERLE
Zurzeit berät dasParlament dieWhistleblower-Vorlage. Bedarf es
eines besseren Schutzes der Informanten? Hätten Hinweisgeber-
systeme gesellschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verhindert?
Während die ersteFrage in juristischen Kreisen umstritten zu sein
scheint, führt eine isolierte Betrachtung bei der zweitenFrage zu
falschen Schlüssen.
Die im Gastkommentar«Whistleblower alsTeil des Risiko-
managements» gemachteAussage, dass Hinweisgebersysteme als
«Kontrollelement wichtiger als Management und externe sowie
interneRevision zusammen» seien, überhöht deren Bedeutung.
Würde dieseAussage nämlich für bareMünzegenommen,könnten
mit der Einrichtung eines Hinweisgebersystemsalle Missstände
aufgedeckt werden – was natürlich nicht zutreffend ist. Denn bei
allerSympathie für das Instrument des Hinweisgebersystems muss
der Blick für das Ganze, die Corporate Governance, und daskom-
plexeSystem vonKontrollmechanismen im Sinne eines ausge-
wogenenVerhältnisses von Checks undBalances gewahrt werden.
Die Möglichkeit,vermutete oder festgestellte Missständezu
melden, ist wichtig. Noch wichtiger ist aber, Vorkehrungen zu tref-
fen, damit es gar nicht zu Missständenkommt. Und hier spielen
die im Gastkommentar in ihrer Bedeutung herabgesetztenKon-
trollelemente eine entscheidendeRolle:Ausgehend von den iden-
tifizierten Risiken, veranlasst derVerwaltungsrat dieAusgestal-
tung der erforderlichenKontrollen im Hinblick auf die Befolgung
der Gesetze, aber auch anderer externer und internerVorschrif-
ten.Das Management ist für die Umsetzung undDurchführung
derKontrollen verantwortlich.
Die interneRevision unterstützt das Unternehmen und emp-
fiehltVerbesserungen, wo notwendig. Die externeRevision wirft
einen unabhängigen Blick vorwiegend auf jeneKontrollen, die
mit der Erstellung derJahresrechnung verbunden sind,und be-
urteilt die Übereinstimmung mit den anzuwendendenRechnungs-
legungsvorschriften.
Der Nutzen der diesbezüglichen Anstrengungen vonVerwal-
tungsrat, Management, interner und externerRevision hat auch
einen präventiven Charakter: Allein dieTatsache, dass interne und
externeKontrollen durchgeführt werden, verhindert viele delikti-
sche Handlungen. Aber nur weil dieser präventive Nutzen nicht
messbar ist, sind solcheKontrollen nicht weniger wichtig als zum
Beispiel ein Hinweisgebersystem,ganz im Gegenteil. Vorausset-
zung für einregelkonformesVerhalten (Compliance) ist einkohä-
rentes, effizientes und effektives Risikomanagement-, Steuerungs-
undKontrollsystem.
Bei allenKontrollanstrengungen ist auf eineAusgestaltung die-
serSysteme zu achten, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, ihren
Aufgaben einfacher und dennoch vorschriftsgemäss nachzukom-
men. Zu warnen istvor noch mehrReglementen undPapier. Wich-
tiger (und effektiver) ist gemässjüngsten wissenschaftlichen Er-
kenntnissen eine Unternehmenskultur, diekorrektesVerhaltenbe-
günstigt und Missstände erstgar nicht aufkommen lässt. Schliess-
lich werden sich aus der Digitalisierung Möglichkeiten ergeben,
Prozesseso zu gestalten,dass ein nicht normenkonformesVer-
halten verhindert wird, und intelligente, vorausschauendeKon-
trollen vorzusehen.Damit kann das interneKontrollsystem (IKS)
der Zukunft, zu dem auch ein Hinweisgebersystem gehören kann,
seineWirkung zum Nutzen des Unternehmens und der Gesell-
schaft entfalten.
Reto Eberleist Professor für Auditing and Internal Controlan der Universi-
tät Zürich und Partner bei KPMG.
Missstände zu melden, ist wichtig.
Noch wichtiger ist aber,
Vorkehrungen zu treffen, damit es
gar nicht zu Missständen kommt.
NZZTRIFFTFILM
Die NZZlädt SieimVorfeld desWeltf rauentags2020zur exklusivenVorpremieredes Films«ThePerfect
Candidate» ein. ErlebenSie dashumorvolle und feinsinnigeDrama überdie junge Ärztin Maryam, welche
zwischen strenger Traditionundvorsichtiger EmanzipationimpatriarchalischenSaudiarabien steht. Im
Anschlussstellt sichdie Regisseurin Haifaa al-Mansour Fragen zum Filmsowie zu den Herausforderungen
und derRealität der Frauen in der arabischenWelt.
Moderation
Lory Roebuck,Filmredaktor«NeueZürcher Zeitung»
«The PerfectCandidate»–Vorpr emiere undHintergrundgespräch
In Kooperation mit Zu Gast bei
- März 2020, 18.15 Uhr
KinoKOSMOS, Zürich
Anmeldung
nzz.ch/live
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