Frankfurter Allgemeine Zeitung - 18.02.2020

(Jacob Rumans) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien DIENSTAG, 18.FEBRUAR2020·NR.41·SEITE 13


E


in Abend ir gendwoinDeutsch-
land. EinPaar fragt sich, wiees
weiter gehen soll. Es fürchtet
um die Kinder und das sozialeUmfeld,
weil es unversehens als „verdächtig“
gelten könnte. Wiekönnen sie sichvor
einerAnstec kung schützen,oder is tes
schon zu spät? Müssen sie einenTest
machen, um nicht als infiziert zu gel-
ten? In Zeiten einer drohendenPande-
miehat die IsolierungdesVirusheraus-
ragendeBedeutung.Potentielle Anste-
ckungswege sollen durch die Quarantä-
ne infizierterPersonen unterbrochen
werden.Seuchenbekämpfung funktio-
niertheutekaum anders als in frühe-
renJahrhunderten,allerdings hat sich
die Diagnostik verbessert. DiesesPaar
fürchte taber nicht das Coronavirus:
Der EhemannistCDU-Mitglied undin
der Werteunion. Das macht ihn der
NähezurAfDverdächtig,sodieAngst.
Schließlichwirddie Partei als „faschis-
tisch“ und „rechtsextremistisch“ defi-
niert,gleichzusetzen mit „Nazi“. Es
droht die Ansteckungsgefahrdurch ein
die Demokratie zersetzendes Virus, so
die Logikder allgegenwärtigen media-
len Diskurse. Die Infektionsquelle
mussunter Quarantänegestelltwer-
den,entsprechendwirdnach verdächti-
genTreffen vonCDU-Leuten mitAfD-
Mitgliederngesucht.Der Verdacht ei-
nes Zusammenhangsgenügt, um die
Polit-Virologen zu alarmieren. Diese
fahnden nachden „Netzwer kender
Neuen Rechte n“. Die Distanzierung
vonder AfD istein Schnelltest,reicht
aber nicht.Soh at derVorsitzende der
Werteunion, AlexanderMitsch, vor
vier Jahren der AfD Geldgespendet,
zudemdachte er über einenPartei-
wechsel nach. Inzwischen wirdnach
Hinweisenfür rechtsextremistisches
Denken ausMitschs Jugendzeitge-
sucht .Dabeigilt heuteals gefährlich,
wasesgester nnochnicht war. Etwa
dass die AfD Gesetzesvorschlägeder
Linken im Thüringer Landtag unter-
stützenkönnte. BenjaminHoff, Leiter
der Staatskanzlei des früherenMinis-
terpräsidenten BodoRamelow,hatte
damitvorvierWochen in einerDiskus-
sionssendung desMDRkeingrundsätz-
liches Problem.Undjetzt?HabenSeu-
chenbeauftragteinder sozialdemokra-
tischen Landtagsfraktion in Nord-
rhein-Westfalen im Sinn, jedes Gesetz
fürungültigzu erklären,das nur mitZu-
stimmung der AfD beschlossen wor-
denis t. Dasis tein of fensichtlichverfas-
sungswidrigerVorschlag. Die Empö-
rung darüberblieb freilichaus. Diege-
samteGesellschaftwirdindie demo-
kratiepolitisch begründeteSeuchenbe-
kämpfung einbezogen. In früherenZei-
tenhatten dieliberalen Kräfte die
Grundwerteund demokratischen Ver-
fahren gegendie Zumutungen einer
konservativenHegemonieverteidigt.
Heutewerden demokratischeVerfah-
renvon einem imFreund-Feind-Den-
kenerstarrtenantifaschistischen Bünd-
nis zur Dispositiongestellt, ohne dass
dies in vielenMedienwenigstens hin-
terfragt würde. Es entsteht einegesell-
schaftlicheStimmung, diePolitik nicht
mehr alsdemokratischenWettbewerb
ansieht. Die Existenz derAfD und die
ihrer Wähler wirdpathologisiert. Vor
den Methoden und denFolgen einer
solchen politischen Virologie sollten
Journalistenwarnen. Vieleaber verste-
hensichselbstals Seuchenbekämpfer.


Pandemie


VonFrankLübberding

Angesichts der ungewissenZukunftfür
die Evangelische Journalistenschule
(EJS) in Berlinkommt eineKooperation
der beidengroßen Kirchen ins Gespräch.
Zu einem entsprechendenVorstoßder Ge-
sellschaftKatholischer Publizisten
Deutschlands (GKP) sagteder Direktor
des Gemeinschaftswerks der Evangeli-
schen Publizistik (GEP), JörgBollmann,
er freue sichsehr über das Gesprächsange-
bot. „Wir haben darauf unmittelbarrea-
giert, die ersten Gesprächefinden bereits
in dieserWochestatt“, sagteer.
Die GKP hatteeine Kooperation mit
dem katholischen Institut zurFörderung
publizistischen Nach wuchses (ifp) in
Münchenvorgeschlagen. Der GKP-Vorsit-
zende JoachimFrank regteanzuprüfen,
ob sichüber „ökumenischeKooperatio-
nen zwischender EJS und dem ifp Syner-
gien nutzen und zukunftsträchtigeFor-
men der Journalistenausbildung im
Raum der Kirchen entwickeln lassen“.
EJS-Leiter OscarTiefenthal sagtedem
epd: „Eine ökumenischeZusammenar-
beit in der Journalistenausbildungwäre
ein gangbarer und denkbarerWeg. Wirha-


ben viele Gemeinsamkeiten zwischen ifp
und EJS, auchwenn sichdie konkreten
Ausbildungswegeunterscheiden. Es muss
aber klar sein:ZumNulltarif gibt eskeine
Qualitätsausbildung!“ GEP-Direktor Boll-
mann sagte, sein Haus habe zukeinem
Zeitpunktvorgehabt,vollständig aus der
journalistischen Aus- und Fortbildung
auszusteigen. Er halte eine ökumenische
Zusammenarbeit für einevonmehreren
möglichen Alternativen, die journalisti-
sche Aus- undFortbildung unter dem
Dachdes GEPfortzusetzen.
Das GEP alsTräger der Evangelischen
Journalistenschule hat entschieden,we-
genfehlenderFinanz mitte lzunächstkei-
nen neuenAusbildungsjahrgang auszu-
schreiben.Fürdas kommende halbe Jahr
hat das GemeinschaftswerkBeratungen
über geplanteRestrukturierungen ange-
kündigt.JenachAusgang der Gespräche
könntenachVerabschiedung des13. Jahr-
gangs Anfang Dezemberdie Ausbildung
vonJournalistenunter dem Dachder
evangelischen Kirchenach25Jahren an
der Schule in Berlin beendetwerden. In
dieserZeit wurden mehr als 200Volontä-

rinnen undVolontäreausgebildet. Hin ter-
grund sind Sparmaßnahmen im GEP,der
zentr alenMedieneinrich tungder Evan ge-
lischen KircheinDeutschland (EKD) so-
wie ihrer Landeskirchen undWerke, zu
der unter anderem auchdie Zentralredak-
tion des Evangelischen Pressedienstes
(epd)gehört. Angesichtskontinuierlich
steigenderKosten beigleichzeitig schwie-
rigerwerdenden Bedingungen auf den
Medienmärkten müsse das GEP bis 2024
seine jährlichen GesamtkosteninHöhe
vonrund 22,5 Millionen Euroum1,9 Mil-
lionen Euroreduzieren, hieß es zur Be-
gründung. Gesellschafterdes GEP sind
zu 94 Prozentdie EKD und zu6Prozent
die Diakonie Deutschland. Der Betrieb
der Schule kostet brutt orund 500 000
Eurojährlich.
Direktor JörgBollmann will dieRe-
strukturierung im GEP nacheigenenWor-
tenmöglichstohne betriebsbedingteKün-
digungen erreichen. An der EJS wieder-
um werden in den nächstenJahren zwei
Stellen bedingt durch Ruhestände frei,
die bei einer Schließung nicht wiederbe-
setzt würden. epd/F.A.Z.

N


icht immer hatComedymitSen-
tenzentendenz oderPointenzu-
spitzung zu tun. Manchmal ist
weniger mehr,insbesonderebei
solcher mitkomplizierteren Humanitätsfra-
gen(wieinLarry David sAllzeitklassiker
„Curbyour Enthusiasm“ oder bei „Pas-
tewka“). EineVariantestelltdie Diskrepan-
zen zwischen Sollenund Sein, (Geschlech-
ter-)Rolle und Zuschreibunginden Mittel-
punkt,wie etwa Ricky Gervais’enormes
Witwer -Trauerwitzspiel„After Life“ bei
Netflix oder PhoebeWaller-Bridges Ge-
fühlstrampeltierforschungsprojekt „Flea-
bag“ bei Amazon Prime. Fluchtpunktedie-
ses Humortyps sindechte oder eingebilde-
te Schic ksalsschläge,die Mann oderFrau
kaum zu überlebenmeint.Oder Selbst-
mordpläne, die durch allerlei hinderliche
Lebenswendungenimmer wiederaufge-
schobenwerden. Auch der Todkann eben
auf lustigeWeise prokrastinieren. Dazu
kommt beinahe zwingend dieTendenz des
Personals, sich selbst allzu wichtig zu neh-
men (wieinLena Dunhams „Girls“).
Kommt alles auf einen einzigenÜbertrei-
bungshaufen, steigtdie komischeFallhöhe
mitunterdrastisch.
Wiein„Work in Progress“(jetzt bei Sky
Atlantic), einergroßartigen, tief menschli-
chen undhochgewitzten Comedy „über
das Outsider und down sein“vonund mit
Abby McEnany, einermit sezierendem
Blickund T iming begabten Impro-Come-
dienneaus Chicago.Komplett „on loca-

tion“gefilmt, wirdhier eineArtLesben-Ak-
tivismus mit Selbstschutz gegeben. Ver-
steht sich:Wersichprophylaktischselbster-
niedrigt und andauerndbeleidigt,verhin-
dert,dassesanderetun. Also nennt die
45-jährige Abby figur aus„WorkinPro-
gress“ sicheine „f ette,queereKampfles-
be“, weiß abertrotzdem nicht,warumsie
sich sobesser fühlen soll.Diagnose:Vergeb-
lichkeit.Eigentlichist ihr Lebenschon seit
Jahrenruiniert, seit dieKomikerin Julia
Sweeneyin„Saturday Night Live“ mit der
androgynenKunstfigurPatjemandengab,
bei demWitze aufKosten der unbestimm-
tenGeschlechtlich keit gemacht wurden.
Patist AbbysLebensfluch–und sie sieht
ihr leider auchnochähnlich.Notorisch un-
glücklichundvomPechverfolgt, beschließt
sie, si ch in genau 180Tagenumzubringen.
Wenn das Schicksal nicht ein paar drasti-
sche Wendungen ausdem Hutzauber t. Das
lässt sic hnicht langebitten .Die Therapeu-
tin, derAbby vonder Beleidigung durch
eine Arbeitskollegin erzählt, stirbt wäh-
rend der Sitzung–aus Langeweile, wie
Freundinnenvermuten?
EinenBehältermit –nachgezählt–
kalifornischen Mandeln hat die Arbeitskol-
leginAbbyaus demUrlaub mitgebracht.
Hochkalorische Mandeln.Aus dem sonni-
genKalifornien,wo alleparadoxerweisesu-
perdünn sind. Ausgerechnetihr,die seit
Jahr undTag regelmäßig ein Anonyme-Di-
cken-Treffenbesucht, trotzdemkeine Fort-
schrit te bei der Gewichtsreduktionerzielt
undauchkeineneinzigen„Thumbs up!“-
Stickerals anerkanntes Motivierungsvor-
bild vorweisenkann. Aber immerhin hat
Abby ein Date. Leider ist Chris (TheoGer-
maine)ein Transmann, also nichtsfür eine
Lesbe.Oder doch. BeimqueerBrunchinei-
nerPrivatwohnungscheintdie gesamte
LGBTQ-Community Chicagosmit Heiden-
spaßZuschreibungenzusprengen.Chris je-
denfalls findetAbbymerkwürdiggenug
undsuperhot.
Daneben hatAbbyeine Schwestermit
Mann und Kindern, die den„American
Dream“ der Heteronormativität leben, ihr
aber trotzdem überaus zugewandt sind. Da
kennesich nocheine(r) aus. AlsAbby beim
Restaurantdatemit Chris auch nochJulia
Sweeney(als sie selbst)kennen lernt, die
untröstlichist und sie unbedingt bekochen
will, geraten ihr eSelbstmordpläne auf den

Prüfstand.Auchbei den anerkannten Au-
ßenseitern istnicht allesqueer,was bunt
wirkt .Sweeneyführtein Langweilerleben
mit ihrem schnarchigen Ehemann,„Weird
Al“ Yankovic (als er selbst).Die ikonogra-
phischen Lockendes Parodien-Lieder-
königs („cheesy compilations“)sind eine
Perücke,das MAD-Heftmit seinemTitel-
bildist zwar zu Hause ausgestellt, viel lie-
berredet„WeirdAl“ aberstocknüchtern
überdie Wichtigkeit desReifeg radsvon
Obstbeim Verarbeiten.Wenn schon dieUn-
konventionellen normaler als dieNorma-

len sind, vielleicht istesdann auchgar
nicht so schlecht, einevon Frauen erotisch
angezogeneFrau mit individuellem Body-
Mass-Indexzusein?Beim amerikanischen
Sender „Showtime“lief dievonAbbyMcE-
nanyund Regisseur TimMason zusammen
mitTransf rauLillyWacho wski („The Ma-
trix“, „Sense8“) produzierte Comedybe-
reits im Dezember. Eine zweiteStaffel ist
glücklicherweise bestellt. HEIKEHUPERTZ

Workin Progressläuftheuteum20.15 Uhr
bei SkyAtlantic.

Lernt auf die harte Tour,dass sichdas Leben lohnenkann: Abby McEnanyals Abby. FotoShowtime

LangeNacht


dervergessenen


Stücke


JetztKartenkaufen:
besucherservice @volksbuehne-berlin.de
oder +49(0)30 24065777

Die Frankfurter AllgemeineZeitung, derTropenVerlag unddie VolksbühneBerlin präsentierenTheaterstücke
aus vierJahrhunderten,die noch nieoder seit langerZeit nichtmehr aufder Bühne zusehen waren. Freu en Sie sich
auf eine Mischung aus szenischen Lesungen,Performances,Tanz-und Videokunst, Podiumsdiskussionen und
Konzerten.Am18. April 2020von17Uhr bisin die frühen Morgenstunden inder BerlinerVolksbühne.

EineVeransta ltungvon

„Rhein-Zeitung“ baut ab
Die „Rhein-Zeitung“ mit Hauptsitz in
Koblenzwill den Großteil ihrer Lokal-
redaktionen schließen. Das berichtete
am Montag derSWR, der sichauf eine
interne Mitteilung an die Mitarbeiter
beruft, die dem Sendervorliege. Dem-
nachsollenLokalredaktionen undAu-
ßenbüros in Cochem,Betzdorfoder
Bad Neuenahr-Ahrweiler geschlo ssen
werden. Dafür soll die Lokalbericht-
erstattungkünftig vonKoblenz aus so-
wie voneinemStandortimOsten und
einem im Süden des Verbreitungs-
gebietesimNordenvonRheinland-
Pfalz erfolgen. LautSWRhat die Ge-
schäftsleitung des Verlages erklärt,
dasskeineMitarbeiter entlassenwer-
den sollen. Neben den Lokalredaktio-
nen werden auchdie Servicestellen der
„Rhein-Zeitung“wegfallen ,woLeser
vorOrt Veranstaltungstickets kaufen
oderTodesanzeigen aufgebenkonnten.
DieRhein-Zeitunghatals regionaleTa-
geszeitung eineverkaufte Auflagevon
etwasmehr als 165 000 Exemplaren
und erreicht eigenen Angaben zufolge
täglichmehr als 600 000 Leser. wei.

„Bild“darfidentifizieren
Die „Bild“-Zeitung durfte einemUr-
teil des Bundesgerichtshofszufolgein
einem Artikel über dierechtswidrige
Vermietun gvon Wohnraum in Mün-
chen anMedizin-TouristendieVermie-
tererkennbarmit Foto zeigen.Eine
identi fizierendeBerichterstattun gsei
nichtnur beischwerenStraftaten mög-
lich,sonder nauchbei nichtstrafba-
remFehlverhalten wieeinemBericht
überein Verwaltungsgerichtsverfah-
renwegen derZweckentfremdungvon
Wohnraum.Das ThemaWohnungs-
notsei vonhohemöffentlichen Interes-
se, welches eine identifizierendeFoto-
Veröffentlic hung begründenkönne
(Az.: VI ZR 504/18). „Bild“ hatteüber
ein Verwaltungsgerichtsverfahren be-
richtet,in demsichzweiMünchnerwe-
genderZweckentfremdungvon Wohn-
raum verantworten mussten. IhrGe-
schäftsmodellbestand darin, dassei-
nereineWohnun goder Hausanmie te-
te und dieses an denanderenunter ver-
mietet. Medizin-Touris ten, vorwie-
gend aus demarabischenRaum,konn-
tendannfür 20 0bis 300 Europro Tag
die Wohnung nutzen. epd/F.A.Z.

Ökumene bei knappen Finanzen


Gespräche zurZukunftder Evangelischen Journalistenschule


KurzeMeldungen


Warte, es wirdgerade so schön bunt!


Tief menschlichund


hochgewitzt:„Work in


Prog ress“ist eine


großartige


Comedy-Serie überdas


„Outsider und down


sein“ einerFrau, die


dem Ganzen ein Ende


bereiten will.

Free download pdf