Die Welt - 17.02.2020

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17.02.20 Montag, 17. Februar 2020DWBE-HP


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2 FORUM DIE WELT MONTAG,17.FEBRUAR


Die Menschen sagen nicht


mehr, was sie wirklich denken


DAVID STADELMANN

K


limapolitik, Trump, Genderstern-
chen – in vielen Bereichen gilt die
öffentliche Meinung als polarisiert.
Allerdings entspricht die Polarisierung
der öffentlichen Meinung selten einer
Polarisierung der Gesellschaft. Eine
Mehrheit in der Mitte beteiligt sich nicht
am Diskurs, um nicht in eine bestimmte
Ecke geschoben zu werden.
Im öffentlichen Diskurs äußern die
Bürger nicht immer ihre tatsächlichen
Präferenzen und Wertungen. Das Phäno-
men der Präferenzverfälschung ist aus
autoritären Staaten wohlbekannt – die
öffentlichen Huldigungen gegenüber den
Herrschern entsprechen selten den un-
ausgesprochenen, privaten Ansichten der
Bürger. Selbst in der liberalen Demokratie
kann dieses Phänomen nicht ausgeschlos-
sen werden, vielmehr ist es zu erwarten.
Ob der einzelne Bürger seine privat
gehaltenen Präferenzen öffentlich kund-
tut und am Prozess der kollektiven Wil-
lensbildung teilnimmt, hängt vom Zu-
sammenspiel dreier Abwägungen ab. Ei-
nerseits kann der Einzelne einen direkten
Nutzen daraus ziehen, sich besonders
expressiv zu verhalten und seine Position
vehement zu vertreten. Darüber hinaus
spielt der intrinsische Nutzen eine Rolle,
den ein Bürger dann hat, wenn eine sei-
nen tatsächlichen Präferenzen entspre-
chende politische Entscheidung aufgrund
der vorangegangenen öffentlichen Mei-
nungsbildung zustande kommt. Zuletzt
spielt im öffentlichen Diskurs insbeson-
dere die soziale Anerkennung oder Äch-
tung eine Rolle, die einem Bürger wider-
fährt, wenn er eine bestimmte Ansicht
öffentlich vertritt.
Der einzelne hat im Regelfall einen
vernachlässigbar kleinen Einfluss auf die
öffentliche Meinung, und die öffentliche
Meinung führt, wenn überhaupt, nur
verzögert zu Politikentscheidungen. Da-
her spielen bei der Abwägung, sich öffent-
lich zu äußern, vor allem eine mögliche
soziale Ächtung sowie der Wunsch, sich
expressiv zu verhalten, relevante Rollen.
So wird sich der durchschnittliche
Pendler derzeit eher hüten, öffentlich für
niedrigere Belastungen für den Auto-
mobilverkehr einzutreten, selbst wenn
dies seine private Meinung ist. Er kann
die öffentliche Meinung kaum beein-
flussen. Öffentlich möchte er nicht als
„Umweltsau“ dastehen, nur weil er weiter
mit dem Auto pendeln will. Um der Ge-
fahr öffentlicher Ächtung zu entgehen,
wird er schweigen oder sogar behaupten,
er wäre für den Öffentlichen Nahverkehr,
wenn dieser denn regelmäßiger aufs Dorf
käme und günstiger wäre. Aus Angst vor
sozialer Ächtung nimmt er davon Ab-
stand, seine Präferenzen wahrheitsgemäß
kundzutun.
Ähnlich mögen manche Bürger gewisse
Elemente der amerikanischen Politik, wie
zum Beispiel die Steuersenkungen, auch
in Deutschland als wünschenswert be-
trachten. Amerikanische Steuersenkungen
öffentlich als vorbildlich zu loben dürfte
eher nicht zu sozialer Anerkennung füh-
ren. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass
einzelne sich expressiv verhalten und ihre
private Meinung ohne große Berücksichti-
gung sozialer Anerkennung oder Ächtung
bekannt geben: Für manche*n geht es
ohne Gender* absolut nicht – für andere
verhunzt es die geschriebene Sprache.
Exponenten beider Gruppen stehen auch
öffentlich zu ihrer Meinung.
Soziale Ächtung einer öffentlich ver-
tretenen Meinung hängt davon ab, wie
viele andere Gesellschaftsmitglieder diese
Meinung öffentlich vertreten. Viele Bür-
ger schätzen eine intakte Umwelt, aber
sie wollen auch günstig und möglichst
ungehindert Auto fahren. Ebenso schät-
zen die meisten den Wert der Gleichbe-
rechtigung von Frau und Mann als sehr
hoch ein, aber sie sehen nicht, in welcher
Form das Gendersternchen spezifisch
dazu beitragen soll oder ob es gar Ge-
schlechterunterschiede akzentuiert, wo
gar keine sind. Alle diese Menschen ten-
dieren dazu, im öffentlichen Diskurs zu

schweigen und ihre wahren Präferenzen
zu verfälschen.
Ein hoher Grad an allgemeiner Un-
wahrhaftigkeit in der Öffentlichkeit muss
nicht bestehen bleiben. Einzelne Vor-
kommnisse können dazu führen, dass
bestehende öffentliche Meinungsmono-
pole brechen, insbesondere wenn für
größere Gruppen echte Kosten drohen.
Die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich
formierte sich wegen einer geplanten
höheren Besteuerung fossiler Kraftstoffe.
Die private Präferenz vieler Franzosen
ist, nicht zu tief für Treibstoff in die Ta-
sche greifen zu müssen. In Deutschland
sammelte die Gruppe „Fridays for Hub-
raum“, die sich für den automobilen Indi-
vidualverkehr einsetzt, innerhalb weniger
Tage bei Facebook ein Vielfaches der
Mitglieder von Fridays for Future.
Unter Umständen können bereits die
öffentlich geäußerten Meinungen einer
kleinen Zahl von Bürgern dazu ausrei-
chen, andere zu überzeugen, sich eben-
falls gemäß ihren wahren Präferenzen zu
äußern. Diese Sichtweise entspricht der
Einsicht, die dem bekannten Märchen
von Hans Christian Andersen zugrunde
liegt: Es bedurfte nur eines Kindes, das
wahrheitsgemäß äußerte, der Kaiser sei
nackt, damit alle Bürger öffentlich das
äußerten, was sie insgeheim wussten –
der Kaiser ist nackt.
Die Anreize, sich öffentlich zu äußern,
sind allerdings vor allem für jene beson-
ders hoch, die sich sehr expressiv ver-
halten wollen, stark eindimensional den-
ken oder bewusst polarisieren. Wer ohne-
hin extremere Positionen vertritt, wagt es
eher, sich überhaupt zu äußern. Die Pola-
risierung der öffentlichen Meinung
kommt zustande, weil die Mehrheit in der
Mitte ihre wahren Präferenzen verfälscht
oder schweigt. Die Gesellschaft selbst ist
aber nicht polarisiert, sondern jene, die
sich eher äußern, sind diejenigen, die oft
polarisierende Positionen einnehmen.
Etablierte Medien tragen indirekt zu
einer solchen Polarisierung bei. Zum
einen sind extreme Positionen oft span-
nender und damit berichtenswerter als
moderate Haltungen, die versuchen, der
Komplexität und Vielfalt der Präferenzen
in der Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Zum anderen äußern sich wenige von
denen, die in der Mitte stehen – genau
weil sie Angst haben, zu pointiert dar-
gestellt und falsch verstanden zu werden.
Lieber schweigen viele, als nach ihrer
öffentlichen Meinungsäußerung ein „Das
wird man ja wohl noch sagen dürfen“
hinzuzufügen.
Die öffentlich geäußerte Meinung er-
scheint daher von extremen Positionen
geprägt. Durch die Filterblasen der sozia-
len Medien wird die Polarisierung der
öffentlichen Meinung weiter verstärkt.
Wiederum deshalb nehmen große Teile
der Bevölkerung an politischen Diskursen
in den sozialen Medien überhaupt nicht
teil. Sie posten Urlaubsbilder oder Videos
von Katzenbabys.
Um das Auseinanderfallen von privaten
Präferenzen und lügenhafter, polarisierter
Öffentlichkeit zu vermeiden, ist die For-
derung nach einem „freien öffentlichen
Diskurs“ unfruchtbar. Öffentliche Aus-
sagen werden immer kategorisiert wer-
den. Vielmehr braucht es institutionelle
Arrangements, die es jedem einzelnen
Bürger erlauben, gesellschaftswirksam für
das einzustehen, was er privat für richtig
hält, ohne deswegen soziale Ächtung zu
erfahren. Geheime Wahlen in der Demo-
kratie sind ein solches Arrangement, und
sie sind immer wieder für Überraschun-
gen gut. Ein weiteres Arrangement ist
Bürgerbeteiligung im Sinne echter, bin-
dender Bürgerentscheide. Die schweigen-
de Mehrheit erhält dadurch eine Stimme
bei Sachentscheidungen, und es wird
rentierlicher, Kompromisse in den öffent-
lichen Diskurs einzubringen.
Aber Vorsicht! Manche, die heute allzu
gerne die öffentliche Meinung machen
und polarisieren, werden gegen Bürger-
entscheide argumentieren, diese könnten
zu „politisch inkorrekten“ Ergebnissen
führen. Das ist in der Tat so, und dabei
gesellschaftlich erwünscht.

TDer Autor ist Professor für Volkswirt-
schaftslehre an der Universität Bayreuth
und Mitglied des Walter-Eucken-Instituts

GASTKOMMENTAR


B


eginnen wir mit einem Bekennt-
nis: Ich halte die Homöopathie
für unwissenschaftlichen
Quatsch. Wie die Astrologie.
Und mit einem zweiten Be-
kenntnis: Gelegentlich nehme
ich homöopathische Medika-
mente; und das Horoskop, das mir mein Cousin
bei der Geburt ausstellte, hat sich als beängs-
tigend zutreffend erwiesen.
Wie die meisten Menschen lebe ich im Zwie-
spalt zwischen dem, was ich weiß oder wissen
könnte, weil es wissenschaftlich erwiesen ist, und
dem, was ich zu wissen meine, weil ich es erlebt
habe. Zwischen anekdotischer Evidenz und sta-
tistischem Beweis. Darauf hat die Bildung nicht
nur keinen Einfluss, sondern – zumindest in
Sachen Homöopathie – einen paradoxen: Je ge-
bildeter die Leute sind, desto eher glauben sie an
Globuli. Demografisch gibt es große Überschnei-
dungen zwischen der Fridays-for-Future-An-
hängerschaft und der Klientel der Homöopathen.
Überdurchschnittlich gebildet, eher weiblich und
westlich. Follow the science? Nicht, wenn’s um
die eigene Gesundheit geht.
Denn alle wissenschaftlichen Studien belegen:
Die Globuli haben in etwa die gleiche Wirkung
wie ein Placebo, also eine Tablette ohne Wirk-
stoff, wie sie bei Doppelblindversuchen einge-
setzt wird. Die Grundannahmen der Homöo-
pathie – dass Gleiches mit Gleichem bekämpft
werden soll und dass extreme Verdünnung die
Wirkung „potenziert“ – sind vorwissenschaft-
lich, um es vorsichtig auszudrücken. Wer eine
Erkältung mit Globuli bekämpft, schadet sich
und anderen nicht; aber wenn das indische „Mi-
nisterium für Ayurveda, Yoga, Naturheilkunde,
Unani, Siddha und Homöopathie“ (Ayush) zur
Vorbeugung gegen das Coronavirus die Ein-
nahme von Arsenicum album 30 (einmal täglich
auf leerem Magen, drei Tage lang) empfiehlt,
wird es gemeingefährlich. Wenn deutsche Ho-
möopathieblogs begeistert diese Empfehlung
„des indischen Gesundheitsministeriums Ay-
ush“ weitergeben, ohne zu erklären, welche
Rolle das Ayush-Ministerium für die regierenden
Hindu-Nationalisten spielt, und ohne darauf
hinzuweisen, dass kein Mediziner in Deutsch-
land einen solchen Rat geben würde, dann han-
deln sie verantwortungslos.
Anhänger*innen der Homöopathie reden ver-
ächtlich von der wissensbasierten Medizin als
„Schulmedizin“, als würde sie nicht auf univer-
sitärer Forschung und praktischer Erfahrung
basieren, sondern auf staubigen Textbüchern
und sturer Paukerei. Dagegen setzen sie die
„alternative Medizin“, als gäbe es eine Alternati-
ve zu den Naturwissenschaften, wenn es um die
Natur geht, als gäbe es einen Planeten B, auf
dem nicht physikalische und chemische Gesetze
gelten, sondern okkulte Kräfte im nicht moleku-
laren Bereich wirken. Und natürlich werfen sie

ihren Gegnern vor, im Sold der „Chemielobby“
oder anderer Profiteure der Gesundheitsindus-
trie zu stehen. Die wiederum kritisieren die
„Globulilobby“ und reden von den Abermillio-
nen, die mit Zuckerpillen und Leichtgläubigkeit
verdient würden.
Ein wenig Neid ist auch dabei. Ärzt*innen, die
eine von ihrer Ärztekammer anerkannte homöo-
pathische Zusatzausbildung abgelegt haben, kön-
nen ihre Leistungen bei allen privaten und vielen
gesetzlichen Kassen abrechnen. Dazu gehören die
mindestens einstündige Erstanamnese und meh-
rere halbstündige Folgeanamnesen, die laut Ge-
bührenordnung großzügig vergütet werden. Von
so viel Zeit zum Gespräch können andere Ärzte
nur träumen. Beim Homöopathen jedenfalls wird
man „ganzheitlich“ wahrgenommen, nicht wie
oft sonst als Knie beim Orthopäden, als Milz bei
der Internistin, als Tinnitus beim HNO-Arzt und
so weiter. Man darf annehmen, dass es gerade
dieser Aspekt der Homöopathie ist, der sie so
attraktiv macht – und so effektiv.
Denn in einer Marktwirtschaft mit weitgehend
freier Ärztewahl müssten die homöopathischen
Praxen mangels Nachfrage kollabieren, wenn sie
massenhaft Misserfolge zu vermelden hätten.
Das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil. 2009
stimmten die Schweizer per Volksabstimmung
nicht nur für ein Minarettverbot, sondern auch
dafür, die sogenannte Komplementärmedizin –

darunter die Homöopathie – in den Leistungs-
katalog der Pflichtversicherung aufzunehmen. In
Deutschland zwingt vor allem die Konkurrenz
um gutverdienende Versicherte die Kassen, ho-
möopathische Leistungen zu erstatten. Der Po-
pulismus siegt in der Medizin. Egal, was die Wis-
senschaft sagt.
Deshalb mobilisieren die deutschen Gegner
der Homöopathie ihrerseits das mächtigste aller
Volksgefühle: den Neid. Warum, so fragen sie,
soll „die Versichertengemeinschaft“ für eine
Behandlung aufkommen, die reine Scharlatanerie
ist? Warum dürfen Homöopathen auf Kosten der
Beitragszahler teure Erstanamnesen durchfüh-
ren, während Orthopäden ein Knie nach dem
anderen durch das Röntgengerät jagen müssen,
um die Praxismiete und den Skiurlaub und das
englische Edelinternat für das Kind finanzieren
zu können? Ist das gerecht?
Schon in sechs Bundesländern wollen die Ärz-
tekammern – die Zunftorganisation der Medizi-
ner*innen – die homöopathische Zusatzausbil-
dung künftig nicht anbieten und anerkennen. Es
ist vielleicht kein Zufall, dass sich die FDP – die
bei niedergelassenen Ärzten beliebteste Partei –
für die Streichung der homöopathischen Leis-
tungen aus dem Katalog der Kassen eintritt und
in den Bayerischen Landtag sogar einen Antrag
einbrachte, den Kassen die Erstattung solcher
Leistungen zu verbieten. Die Grünen hingegen –
von der FDP als „Verbotspartei“ bespöttelt –
treten mit Rücksicht auf ihre Klientel für den
Status quo ein, unterstützt vom christdemokrati-
schen Gesundheitsminister Jens Spahn.
Jenseits aller schwarz-grünen Koalitionsarith-
metik hat Spahn recht. Die Nachfrage nach „al-
ternativer“ Medizin ist nun einmal groß, ob es
sich um sinnvolle Yogaübungen oder wirkungs-
freie Globuli handelt. Besser, diese Nachfrage
wird von Ärzt*innen bedient, die über eine solide
wissenschaftliche Ausbildung verfügen. Keine
Ärztin wird Arsen gegen das Coronavirus, oder
überhaupt homöopathische Mittel anstelle not-
wendiger Impfungen, verordnen. Wenn ein Arzt
Globuli gegen eine Migräne verschreibt, so mag
das angehen und vielleicht sogar – kraft Sug-
gestion oder Autosuggestion – wirken. Er wird
aber genau wissen, wann die Grenzen der Ho-
möopathie erreicht sind. Anders ist es in der
problematischeren Halbwelt der Heilpraktiker,
Gurus und Quacksalber. Da kann es eher vor-
kommen, dass jemand Krebs mit Rote-Beete-Saft
heilen will und Depression mit Zuckerpillen –
und dadurch verhindert, dass die Patientin recht-
zeitig eine Ärztin oder einen Arzt aussucht.
Aufklärung ist wichtig. Wer beim Klima „fol-
low the science!“ ruft, sollte das erst recht beim
eigenen Körper beherzigen. Ärzt*innen und Apo-
theker*innen sollten sich an Aufklärungskam-
pagnen beteiligen und die Auseinandersetzung
mit Anhängern der Homöopathie suchen. Ver-
bote sind aber der falsche Weg.

ESSAY


ALAN POSENER

Die Alternativmedizin


ist so beliebt wie


potenziell gefährlich –


beides aus


handfesten Gründen.


Gerade deshalb muss


Homöopathie eine


Kassenleistung


bleiben


G
ETTY IMAGES/ 500PX PRIME

/ JULIANA NAN

Globuli-Populismus


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