Süddeutsche Zeitung - 17.02.2020

(Marcin) #1
von björn finke

Brüssel– Es wäre eine Jahrhundertreform
derUnternehmensbesteuerung, und 137
Staaten sind daran beteiligt: Bei der Indus-
trieländer-Organisation OECD in Paris ver-
handeln Regierungen darüber, wie die Be-
steuerung von Gewinnen multinationaler
Konzerne fairer zwischen Staaten aufge-
teilt werden kann. Das zielt vor allem auf
Internetfirmen wie Facebook und Amazon
ab, die weltweit Kunden und Nutzer ha-
ben, aber ihre Gewinne bislang ganz über-
wiegend in den USA versteuern. Eine ver-
trauliche Analyse der EU-Kommission
kommt zum Schluss, dass Europa bei Ände-
rungen des Systems insgesamt zu den Ge-
winnern zählen würde. Doch gibt es auf
dem Kontinent größere und kleinere Ge-
winner – sowie manche Verlierer. Deutsch-
land würde mit am meisten profitieren.
Die Steuereinnahmen der Bundesrepu-
blik könnten um bis zu 0,25 Prozent der
Wirtschaftsleistung steigen – das sind fast
neun Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich.
Diese Zahlen ergeben sich aus einer Präsen-
tation von Fachleuten der Kommission,
die derSüddeutschen Zeitungvorliegt. Der
16-seitige Foliensatz der Generaldirektion
Steuern und Zollunion stammt vom Okto-
ber und beleuchtet die Folgen verschiede-
ner Reformmodelle. Die neun Milliarden
Euro wären Resultat jenes Modells, über
das bei der OECD, der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-

wicklung, gerade verhandelt wird. Die be-
teiligten Regierungen trafen sich Ende Ja-
nuar in Paris und zurrten einen Zeitplan
fest. Bis zu einer Zusammenkunft in Berlin
im Juli wollen sie eine politische Einigung
bei den strittigen Details erreichen. Bis Jah-
resende soll die Reform endgültig stehen.
Gesprochen wird über zwei Bereiche.
Zum einen sollen Konzerne in Zukunft ei-
nen Teil ihrer Gewinne auch in jenen Län-
dern versteuern, in denen sie keine Nieder-
lassung haben, dafür jedoch viele Kunden
und Nutzer. US-Internet-Unternehmen
würden dann mehr Profite in Europa ver-
steuern und weniger in ihrer Heimat. Um-
gekehrt würde der amerikanische Fiskus
mehr Steuern von europäischen Exportfir-
men kassieren, die dort viele Kunden, aber
keinen nennenswerten Standort haben.
Die Analyse der EU-Kommission widmet
sich diesem ersten Reformstrang.
Zum anderen wollen sich die Regierun-
gen auf eine Mindeststeuer für Konzerne
einigen: Verschiebt ein Unternehmen Ge-
winne in eine Steueroase und unterschrei-
tet seine Abgabenlast daher ein bestimm-
tes Niveau, soll der geschädigte Staat die
Differenz bei der Firma eintreiben dürfen.
Bei dieser zweiten Säule sind die Verhand-
lungen allerdings weniger weit gediehen.
Die Kalkulationen der EU-Kommission
ergeben, dass fast alle Mitgliedstaaten von
der diskutierten Umverteilung der Steuer-
rechte profitieren würden. In Frankreich,
Portugal, Malta und Slowenien wäre der Ef-

fekt – bezogen auf die Wirtschaftsleistung


  • am größten. Ein Verlierer wäre Irland:
    Auf der Insel haben Facebook, Google und
    Apple ihre Europazentralen, angelockt un-
    ter anderem vom niedrigen Steuersatz auf
    Gewinne. Doch viele Kunden haben die
    Konzerne nicht in der Republik mit ihren
    weniger als fünf Millionen Einwohnern.


Die US-Regierung hat die Verhandlun-
gen jüngst verkompliziert, indem sie for-
derte, dass Firmen die Wahl zwischen al-
ten und neuen Regeln haben sollten: Ein
Unding, klagen Kritiker. Frankreich wollte
das Ergebnis der Gespräche nicht abwar-
ten und hat bereits eine Digitalsteuer ein-
geführt, eine Sonderabgabe, um Gewinne
von Webkonzernen besser abzuschöpfen.
Dies erregte den Zorn von Donald Trump.
Der US-Präsident fürchtete um seine Steu-
ereinnahmen von Onlinefirmen und droh-
te deswegen mit Strafzöllen auf französi-
sche Produkte. Schließlich einigte er sich
aber mit Frankreichs Präsident Emmanu-
el Macron darauf, still zu halten und zu
schauen, ob bei der OECD bis Jahresende
eine Lösung gefunden wird. Wenn ja, wird
Paris die Digitalsteuer wieder abschaffen.
Auch die EU-Kommission beobachtet ge-
spannt die Debatten bei der OECD. Schei-

tert die Reform, wird die Brüsseler Behörde
als Ersatz eine europaweite Digitalsteuer
vorschlagen – allein schon deshalb, weil an-
sonsten Regierungen geneigt sein könnten,
eigene Steuern einzuführen. Dann entstün-
de ein Flickenteppich: „Es ist wichtig, eine
Verbreitung unterschiedlicher Systeme in
den Mitgliedstaaten zu verhindern“, sagt
Kommissions-Vizepräsident Valdis Dom-
brovskis. Seine Behörde regte allerdings be-
reits vor zwei Jahren eine Digitalsteuer an.
Das scheiterte damals am Widerstand von
Irland und den skandinavischen Staaten.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ge-
hörte ebenfalls zu den Bremsern.
Sven Giegold, der finanzpolitische Spre-
cher der Grünen im Europaparlament, for-
dert von der Bundesregierung mehr Ein-
satz für eine faire Besteuerung von Inter-
netkonzernen. Die Analyse der Kommissi-
on zeige doch, dass sich „internationale
Steuerkooperation für fast alle und ganz
besonders für Deutschland“ lohne, sagt er.
„Wer Milliarden an gerechten Steuern in-
ternational ernten will, muss bereit sein, in
Europa voranzugehen.“
Die Reformbemühungen der OECD fin-
den sogar Beifall von unerwarteter Seite:
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz
sagte Facebook-Chef Mark Zuckerberg am
Wochenende, er hoffe auf einen Erfolg, „da-
mit wir in Zukunft ein stabiles und verläss-
liches System haben“. Und er akzeptiere,
„dass dies heißen könnte, dass wir mehr
Steuern zahlen müssen“.  Seite 2

Köln –Noch geben sich die großen Versi-
cherer und Rückversicherer gelassen,
wenn sie nach den Folgen der Corona-In-
fektion gefragt werden. „Ich erwarte keine
bedeutenden Auswirkungen auf die Han-
nover Rück“, erklärt deren Chef Jean-
Jacques Henchoz. „Wir beobachten noch
keine signifikanten Auswirkungen“, sagt
auch Gunther Kraut, Epidemie-Experte
des weltgrößten Rückversicherers Munich
Re mit Sitz in Singapur.
Aber die Rückversicherer beobachten
ebenso wie die Allianz und alle anderen
weltweit agierenden Versicherungskonzer-
ne den Verlauf der Corona-Infektion ganz
genau. Denn Pandemien sind wie Cyberan-
griffe tatsächlich globale Risiken – das
macht sie gefährlich. Ein schwerer Sturm
trifft die USA, eher unwahrscheinlich, dass
es gleichzeitig in Japan stürmt. Dagegen
können Pandemien und Computerviren
zeitgleich auf allen Kontinenten auftreten.

Eigentlich müsste eine Pandemie dann
zu hohen Schäden bei den Versicherern
führen. Denn sie decken Krankheitskos-
ten, versichern Familien gegen den Tod ei-
nes Angehörigen, zahlen Unternehmen Ge-
winnausfall, wenn die Bänder wegen Teile-
mangel stillstehen, und erstatten bei Insol-
venzen Forderungsausfälle.
Dennoch bleiben die Top-Manager mit
Blick auf mögliche Schäden aus Versiche-

rungsrisiken vergleichsweise ruhig. Mehr
Sorge macht ihnen ein schwerer Einbruch
der Finanzmärkte.
Die Allianz befasst sich seit Langem mit
Epidemien wie der ab 2003 aufgetretenen
Atemwegsinfektion Sars. Das steht für
Schweres Akutes Respiratorisches Syn-
drom. „Wir haben schon 2009 und 2010
Stress-Szenarien für die Allianz gerechnet
und damals die Sars-Epidemie ab 2003
und die spanische Grippe von 1918 zur
Grundlage gemacht“, berichtet Tom Wil-
son, globaler Risikochef der Allianz. „Das
Kernergebnis war, dass die Auswirkungen
auf der Investmentseite um den Faktor
zwei höher waren als auf der Risikoseite.“
Natürlich wird es Schäden geben, sagt
Wilson. „In der Industrieversicherung ist
die Betriebsunterbrechung ein großes Risi-
ko“. Allerdings haben die meisten Unter-
nehmen Policen, die nur dann greifen,
wenn ein Feuer oder ein anderer Sachscha-
den bei einem Lieferanten zum Ausbleiben
von Teilen und damit zum Stillstand der
Bänder führt. Sogenannte Betriebsschlie-
ßungspolicen, die auch bei Stillstand ohne
Sachschaden zahlen, sind bislang teuer
und werden selten gekauft – oft sind Pan-
demien auch ausdrücklich ausgeschlos-
sen. „Die Schäden, die bei einer schweren
globalen Pandemie entstehen würden,
sind zu groß, um von einem einzelnen Ver-
sicherer getragen werden zu können“, er-
läutert Munich Re-Manager Kraut. „Da sto-
ßen Versicherer an ihre Grenzen.“
Doch jetzt bewegt sich die Branche.
Kraut hat mit seinem Team eine Police ent-
wickelt, die auch bei Pandemien greift. Ein

Teil des Risikos wird an Anleger weiterge-
geben. Seit Ausbruch des Coronavirus häu-
fen sich die Anfragen von Kunden.
Aber die jetzt gültigen Betriebsunterbre-
chungs-Policen werden kaum zu Zahlun-
gen wegen Stillstand durch Corona führen,
argumentiert Allianz-Mann Wilson. Höhe-
re Schäden kann er sich dagegen beim kon-
zerneigenen Kreditversicherer Euler-Her-
mes vorstellen. Er sichert Unternehmen ge-
gen Forderungsausfälle ab.
Die Krankenversicherer des Konzerns
werden zwar für Schäden aufkommen

müssen, zum Beispiel aus Krankenzusatz-
policen. Doch die Regierung in Peking hat
angekündigt, für alle Kosten im Zusam-
menhang mit Diagnosen und Behandlun-
gen in China aufzukommen. Auch wenn es
zu einer Pandemie in Europa käme, wür-
den die Staaten den größten Teil zahlen.
Selbst in der Lebensversicherung bleibt
die Schadenbelastung durch Zahlungen an
die Familien von Verstorbenen überschau-
bar. „Wenn wir die Corona-Pandemie be-
trachten, sind rund 80 Prozent der Todes-
opfer in China über 60 Jahre alt, und 75 Pro-
zent hatten bereits Krankheiten wie Diabe-
tes“, sagt Wilson. Ältere Menschen haben
aber seltener einen Todesfallschutz als jün-
gere, sie haben eher Privatrenten. Wenn
ein Versicherter mit einer solchen Privat-
rente stirbt, belastet das Versicherer nicht.
Wilsons Sorge gilt vor allem den mehr
als 550 Milliarden Euro, die der Allianz-
Konzern für seine Versicherungskunden
verwaltet. Eine globale Pandemie könnte
die Kapitalmärkte erschüttern. „Verschie-
dene Branchen werden direkt betroffen“,
sagt Wilson. Dazu gehören die Tourismus-
branche, Hotels und Fluggesellschaften.
Außerdem würde der Welthandel lei-
den, es gäbe viele Betriebsunterbrechun-
gen. „Das wirkt sich auf die Aktienkurse
aus, aber auch auf Unternehmensanlei-
hen.“ Dann droht eine globale Rezession.
Die Allianz sei vorbereitet, betont Wilson.
„Wir haben Absicherungen, und meistens
erholen sich die Märkte von solchen Ereig-
nissen vergleichsweise schnell.“ Dennoch:
„Natürlich tut das weh.“
herbert fromme, friederike krieger

Eigentlich will Georges Hess loslassen. Er
hat seineSisal-Produktion an der Küste
Tansanias vor einigen Jahren an eine kenia-
nische Firma verkauft. Aber die Faser fes-
selt den 73 Jahre alten Schweizer immer
noch so sehr, dass er spontan Touristen in
seine frühere Firma in Kigombe führt, um
ihnen zu zeigen, wie aus den Blättern der
Agave weißer Sisal wird. Der Unternehmer
erzählt gern von den alten Zeiten. Zum Bei-
spiel wie das war, als er an der Fernuni im
südafrikanischen Pretoria sein Betriebs-
wirtschaftsstudium absolvierte. Ohne In-
ternet, die Post dauerte drei Wochen. Er ar-
beitete damals in Simbabwe, Sambia und
Kenia. Hess schmunzelt und sagt, dass er
das Sisal-Geschäft – der Jahresumsatz sei-
ner Firma lag bei gut zwei Millionen Dollar



  • „einer deutschen Erfindung“ verdanke.
    1893, als Tansania noch eine deutsche Kolo-
    nie war, brachte der Agronom Richard Hin-
    dorf die Pflanze von Mexiko nach Afrika.
    Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft
    produzierte daraus Seile für die Seefahrt
    und die Landwirtschaft.
    Hess steht im Lager der Sisal-Firma und
    fragt den Manager, weshalb dort nur min-
    derwertige Ware liege. Der beeilt sich zu
    versichern, dass die gute Qualität schon
    verkauft sei. Als er noch Herr im Hause
    war, sagt Hess, sei mehr als die Hälfte der
    Produktion beste Qualität gewesen. Aber
    egal, er will sich nicht einmischen. Aus al-
    ter Gewohnheit zählt er die Blätter in ei-
    nem Bündel, das auf dem Anhänger liegt.
    Die Arbeiter müssen 27 Blätter zusammen
    binden und 100 Bündel am Tag ernten.
    „Manchmal schummeln sie“, erinnert sich
    Hess. Er wollte seinen Arbeitern mehr als
    die 80 bis 100 Dollar Lohn im Monat bezah-
    len. Aber die Konkurrenten protestierten.
    Da ließ er es. In der Sisal-Firma schuften
    vor allem Gastarbeiter aus Mosambik und
    dem Kongo. Die Leute im Dorf ziehen es
    vor zu fischen. Viele halten den Lohn, den
    die Sisal-Firma bezahlt, für mickrig.


Die deutschen und die britischen Koloni-
alherren haben die Sisal-Produktion in
Tansania gefördert. Zur Unabhängigkeit
1961 war das Land der weltgrößte Expor-
teur der Pflanzenfaser. Doch bald ersetzte
Kunststoff den Sisal, die Produktion brach
ein. Heute will die Welt das Plastik zum
Schutz von Mensch und Natur wieder los-
werden. Die Ernährungs- und Landwirt-
schaftsorganisation der Vereinten Natio-
nen nennt Sisal deshalb schon „Faser der
Zukunft“. Auch Hess glaubt weiter an Sisal.
Vom Hafen in Tanga bringen Schiffe die
Ballen in alle Welt. Tansania ist mit einer
jährlichen Produktion von 30 000 Tonnen
nach Brasilien (120 000 Tonnen) wieder
zum zweitgrößten Produzenten aufgestie-
gen. Die Sisalfasern stecken in zahlreichen
Produkten: in Teppichen und Taschen, in
der Innenauskleidung von Autos, in Stuck-
decken, in Poliertüchern. Auch gegen Erosi-
on an Hängen werden Sisal-Netze genutzt,
in die Samen eingewoben sind. Besonders
viel Sisal importiert Spanien, um die Soh-
len für die Espadrilles herzustellen.
Georges Hess ging 1968 „einfach so“ zu-
nächst nach Mosambik. Nach weiteren Sta-
tionen in Afrika ließ er sich schließlich in
Kenia und Tansania nieder. Er war im Ver-
trieb von Bosch-Vertretungen tätig und
Ostafrika-Chef des Novartis-Vorgängers
Sandoz. Danach machte er sich mit einer
Handelsfirma in Nairobi selbständig.
Doch Tansania ist seine Leidenschaft.
Hess ließ ein ehemaliges deutsches Koloni-
alhaus zum Hotel umbauen, produzierte
Saft und Salbe aus Aloe Vera und plante
einen Golf- und einen Flugplatz für Touris-
ten. Das Projekt ruht, weil Staatspräsident
John Magufuli, der wegen seines diktatori-
schen Führungsstils stark an Ansehen ver-
loren hat, ausländischen Investoren die Ge-
schäfte vergällt. Hess wartet auf bessere
Zeiten. Bis es soweit ist, schreibt er ein
Buch über sich und seine Lieblingsfaser.
Der Titel: Der Sisalbaron. judith raupp

Die USA haben die Gespräche
verkompliziert. Die EU
droht mit einem Alleingang

„Sisal ist die Faser
der Zukunft.“
Georges Hess
FOTO: J. RAUPP

Ungedecktes Risiko


Gegen Pandemien können sich Konzerne bislang nicht versichern. Das könnte sich bald ändern


Am Donnerstagabend heulten die Sägen auf, von Sams-
tagabend an mussten sie schweigen: In dem Waldstück,
auf dem die neue Tesla-Fabrik stehen soll, dürfen
vorerst keine weiteren Bäume gefällt werden(FOTO: PA/DPA).
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte
am Samstagabend einem Antrag des Umweltverbands
Grüne Liga stattgegeben (Az.: OVG 11 S 8.20) – nachdem
zuvor noch ein Verwaltungsgericht grünes Licht für die
Fällung gegeben hatte. Bis Dienstag nun sollen die Arbei-
ten im Wald mindestens ruhen.

Solange hat die Grüne Liga Zeit, Argumente gegen die
Fällung vorzubringen. Die Umweltschützer stören sich
vor allem daran, dass der Wald weichen soll, obwohl es
noch keine Baugenehmigung für das Batterie-Autowerk
gibt. „Das hat nichts damit zu tun, dass Tesla da baut“,
sagt Heinz-Herwig Mascher, Vorsitzender der Grünen
Liga Brandenburg. Für das US-Unternehmen müssten

aber die gleichen Regeln gelten wie für andere Investo-
ren. „Uns geht es um Rechtssicherheit“, sagt Mascher.
Binnen zwei Wochen sollte der 91 Hektar große Wald
gefällt werden. Das eigentliche Genehmigungsverfah-
ren sollte parallel weiterlaufen. Bis zum 5. März können
Bürger und Betroffene noch Einwendungen gegen das
Projekt einreichen. Ob vorher weiter gefällt werden darf,
soll sich nun rasch klären. Man warte „unaufgeregt“ die
Entscheidung des Gerichts ab, hieß es am Sonntag aus
der Landesregierung in Potsdam. miba  Seite 4

Der Sisalbaron


Der Schweizer Georges Hess kann von der Faser nicht lassen


Die möglichen Folgen für
Konjunktur und Kapitalmärkte
bereiten Sorgen

DEFGH Nr. 39, Montag, 17. Februar 2020 15


Deutschland gewinnt, Irland verliert


137 Staaten wollen sich bis Jahresende auf ein faireres System für Konzernsteuern einigen. Das zielt vor allem auf
US-Digitalfirmen ab. Eine EU-Studie benennt die Profiteure – und Applaus kommt von ungewohnter Seite

von michael kläsgen

B

ei Real ist so ziemlich alles schief ge-
laufen, was schief laufen konnte,
und zwar von Anfang an. Nicht erst
vor ein, zwei Jahren fing das Drama an, als
der Verkaufsprozess eingeleitet wurde.
Viel früher hätte die Supermarktkette
Stück für Stück veräußert werden müs-
sen. Für alle Beteiligten wäre das das Bes-
te gewesen. Jetzt endet der Verkauf in ei-
nem Fiasko, dessen Leidtragende in ers-
ter Linie die 34 000 Beschäftigten sind.
Viele von ihnen werden noch in diesem
Jahr ihren Job verlieren, einige in zwei,
drei Jahren. Das wäre vermeidbar gewe-
sen, ebenso wie die Zerschlagung der Ket-
te, die nun ansteht. Ja, auch die Arbeitneh-
mervertreter haben Fehler gemacht. Sie
waren in den jahrelangen Verhandlungen
unnachgiebig, vielleicht in manchen
Punkten zu starr. Aber es wäre falsch, ih-
nen an dem Desaster eine Mitschuld zu ge-
ben. Das Angebot, das die Geschäftsfüh-
rung ihnen machte, war schlicht inakzep-
tabel. Sie sollten, wohlgemerkt in wirt-
schaftlichen Boomzeiten, auf einen Groß-
teil ihres ohnehin geringen Lohns verzich-
ten. Die Gewerkschaft Verdi hat sich dage-
gen gesträubt, aber nicht lautstark genug
dagegen angekämpft. Sie hätte Real zum
Exempel für den Kampf gegen Tarifflucht
statuieren können. Gegen Amazon poltert
sie, doch bei Real blieb sie merkwürdig
still. Dabei dürfen Dumpinglöhne kein
Mittel dazu sein, Wettbewerber vom
Markt zu drängen. Aber genau das ge-
schieht im Einzelhandel seit Jahren.


Eine bittere Erkenntnis des Real-Dra-
mas ist daher: Teilzeit-Verkäuferinnen ha-
ben in diesem Land keine Lobby. Bei Schle-
cker und Kaufhof war das nicht anders.
Wenn sie ihre Arbeit verlieren, interes-
siert das kaum jemanden. Krokodilsträ-
nen werden zwar vergossen, niemand will
herzlos erscheinen, aber das war es auch
schon.
Auch die Politik hält sich auffällig zu-
rück. Dabei geht es hier um mindestens
10 000 Arbeitsplätze, die voraussichtlich
ersatzlos gestrichen werden. Sicher, es
handelt sich weder um eine Schlüssel-
noch um eine sicherheitsrelevante Indus-
trie. Trotzdem ist frappierend, mit welch
unterschiedlichem Maß die Politik misst.
Vor Fotografen scheint die Regierung grö-


ßeren Respekt zu haben. Als es neulich
hieß, nur noch Ämter sollen Passbilder
machen dürfen, räumte Innenminister
Seehofer den Gesetzentwurf schneller wie-
der ab, als er ihn vorgestellt hatte. Bei Real
macht das zuständige Wirtschaftsministe-
rium keinen Mucks. Warum? Weil es ein
Psychodrama wie beim Hickhack um die
Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann
tunlichst vermeiden will. So weit, so nach-
vollziehbar. Aber so zu tun, als wolle man
hier den Marktkräften freien Lauf lassen,
ist heuchlerisch. Den deutschen Lebens-
mitteleinzelhandel dominieren zu 85 oder
gar 90 Prozent vier Konzerne: Aldi, Lidl,
Edeka und Rewe. Das Gros der Real-Märk-
te wird wieder an diese Konzerne gehen.
Die Konzentration wird also weiter zuneh-
men. Mit Wettbewerb hat das nichts zu
tun. Im Gegenteil: Er ist nach den Beschäf-
tigten das zweite Opfer des Verkaufs.
Noch hat die enorme Marktmacht in
den Händen weniger Konzerne nicht zu
überhöhten Verbraucherpreisen geführt.
Das hat seinen Grund: Unter den großen
Vier sind mit Aldi und Lidl zwei Discoun-
ter, die für Preisdruck sorgen. Aber wer
sagt, dass das ewig so bleibt? Zuletzt sind
die Lebensmittelpreise schon um acht Pro-
zent im Durchschnitt gestiegen, ohne
dass sich die höheren Preise in nennens-
wertem Maße dort positiv bemerkbar ge-
macht hätten, wo es sinnvoll gewesen wä-
re: bei Tierhaltung und Öko-Landwirten.
Der zunehmenden Konzentration im
Lebensmittelhandel hätte Real entgegen-
wirken können – zuletzt vor anderthalb
Jahren, als der Verkaufsprozess begann.
Dem Management lag ein finanziell at-
traktives Angebot vor, das auch die Arbeit-
nehmervertreter favorisierten. Doch Me-
tro-Chef Olaf Koch, der über das Schicksal
von Real entscheidet, bevorzugte die Zer-
schlagung, weil sie kartellrechtlich am we-
nigsten problematisch ist. Das ist zynisch.
Zynisch ist auch, die Supermarktkette
erst herunterzuwirtschaften und sie dann
einem russischen Oligarchensohn zu über-
lassen, der anonym bleibt, dessen Geld-
quellen Fragen aufwerfen, der ersichtlich
nur an den Immobilien verdienen will und
jetzt auch noch Metro zappeln lässt, in-
dem er seine finale Zusage hinauszögert.
Das macht das Fiasko komplett. Gewiss,
der Deal mag irgendwie clever eingefädelt
sein, weil die Akteure so das Kartellamt
umgehen, aber klug ist das nicht. Es ent-
steht ein Makel für den Standort Deutsch-
land. Es sieht jetzt so aus, als würden
Deutschlands milliardenschwere Handels-
konzerne vor nichts zurückschrecken. Bla-
mabel für das Land.

Sägepause im Tesla-Wald


WIRTSCHAFT


NAHAUFNAHME


Die Angst fährt mit: Radlerin mit Atem-
schutzmaske in Shanghai. FOTO: BLOOMBERG

REAL-VERKAUF

Pfusch, von Anfang an


Teilzeit-Verkäuferinnen


haben indiesem Land


keine Lobby

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