Süddeutsche Zeitung - 17.02.2020

(Marcin) #1
S

ieben Jahre sind politisch eine Ewig-
keit. Vor sieben Jahren war Philipp
Rösler Vizekanzler und die SPD ver-
suchte, sich in der Opposition zu erneuern.
Damals, im Frühjahr 2013, einigten sich
die Mitgliedstaaten auf den noch bis Ende
dieses Jahres gültigen Finanzrahmen der
Europäischen Union. Im Fokus stand vor al-
lem die Bewältigung der Wirtschaftskrise.
Die folgenden sieben Jahre haben die
Lage Europas dramatisch verändert: Die
Wahl eines offen EU-feindlichen amerika-
nischen Präsidenten traf die Union ähn-
lich unvorbereitet wie der Austritt Groß-
britanniens und die Fluchtbewegungen
des Jahres 2015. Gleichzeitig drängte die
Klimakrise mit Macht auf die politische
Agenda. Und zunehmend erschließt sich
uns allen, wie tief greifend die Digitalisie-
rung unsere Gesellschaften verändern
wird. Die EU kam unter massiven Hand-
lungsdruck, und sie war darauf finanziell
nicht vorbereitet.
Wenn sich die Staats- und Regierungs-
chefs der EU am Donnerstag in Brüssel
zum Sondergipfel treffen, um sich auf ei-
nen neuen Finanzrahmen bis 2027 zu ver-
ständigen, sollten sie aus den vergangenen
sieben Jahren zwei wichtige Lehren zie-
hen:
Sie müssen erstens sicherstellen, dass
die EU vor dem Hintergrund der völlig ver-
änderten Weltlage finanziell handlungsfä-
hig wird. Das gilt besonders beim Klima-
schutz. Die EU möchte hier Weltmeisterin


werden, doch das bleibt ein hohles Verspre-
chen, wenn die Mittel fehlen. Gleiches gilt
für die Digitalisierung. Wer will, dass die
EU hier mit den USA und China in einer Li-
ga spielt, darf nicht kleckern, sondern
muss klotzen. Schließlich muss die Union
auch nach außen endlich mit einer Stimme
und einer Politik auftreten. Aber eine echte
europäische Sicherheits- und Verteidi-
gungspolitik oder ein gemeinsamer huma-
ner Umgang mit Migration und Flucht kos-
ten Geld, das der EU bisher nicht zur Verfü-
gung steht.
Zweitens müssen die Chefs dafür Sorge
tragen, dass die EU in den nächsten sieben
Jahren in der Lage sein wird, schnell auf
Veränderungen zu reagieren und ihre Prio-
ritäten anzupassen. Die EU wird auch in Zu-
kunft vor Herausforderungen stehen, von
denen wir heute noch nichts ahnen. Bis
jetzt war der Finanzrahmen für eine schnel-
le Prioritätenänderung stets viel zu starr
und damit unbrauchbar. Ein ums andere
Mal musste die Union deshalb auf windige
Hilfskonstruktionen zurückgreifen, um an
Geld zu kommen. Das war in der Eurokrise

genauso der Fall wie beim umstrittenen
Türkei-Deal – und darf sich nicht wieder-
holen.
An diesen beiden Anforderungen –
Handlungsfähigkeit und Flexibilität –
muss sich jeder Kompromiss beim Gipfel
messen lassen. Doch leider dominiert in
Deutschland ein anderer Maßstab die Dis-
kussion: Erfolg ist angeblich, wenn wir
möglichst wenig zahlen und möglichst viel
herausbekommen. Die Bundesregierung

hat diese Diskussion in den vergangenen
Monaten kräftig befeuert: Sie besteht auf
einer Obergrenze von einem Prozent der
Wirtschaftsleistung für die EU-Ausgaben.
Damit fällt die Koalition weit hinter ihre
eigenen Ansprüche zurück: Im Koalitions-
vertrag versprachen Union und SPD, die
EU finanziell zu stärken. Doch die deut-
sche Position läuft auf das Gegenteil hin-

aus: Auf die 27 verbliebenen Mitgliedstaa-
ten umgerechnet, darf die EU im derzeiti-
gen Finanzrahmen 1,16 Prozent ihrer Wirt-
schaftsleistung ausgeben. Eine Reduzie-
rung auf ein Prozent – wie von der Bundes-
regierung gefordert – käme einer Kürzung
der Ausgaben um fast 14 Prozent gleich.
Zum Vergleich: Das entspräche im Bundes-
haushalt der Streichung des Verteidigungs-
etats.
Die Bundesregierung zieht sich darauf
zurück, dass Deutschland selbst bei einem
Finanzrahmen von einem Prozent bis 2027
höhere Zahlungen als heute leisten wird.
Das ist richtig, aber auch trivial: Allein um
ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung sta-
bil zu halten, also um Inflations- und
Wachstumseffekte auszugleichen, müs-
sen die Beiträge in absoluten Zahlen stei-
gen. Das gilt allerdings für alle Mitglied-
staaten, und die Steuereinnahmen hierzu-
lande wachsen ja in gleichem Maße mit. Da-
zu muss man auch wissen, dass Deutsch-
land heute aufgrund eines saftigen Rabat-
tes gemessen an seiner Wirtschaftsleis-
tung deutlich weniger an die EU zahlt als et-

wa Frankreich oder Italien. Nun argumen-
tieren einige, dass eine handlungsfähige
EU auch mit geringeren Ausgaben zu ha-
ben ist. Man solle doch einfach alte Zöpfe
abschneiden und die Gelder in Zukunfts-
aufgaben umleiten. Doch in der Vergangen-
heit haben die Mitgliedstaaten gerade die
„alten“ Töpfe, die Agrarausgaben und die
Strukturfonds, stets besonders geschützt.
In diesen Bereichen wissen sie auf sieben
Jahre im Voraus, wie viel Geld sie zur Verfü-
gung haben werden. Diese Sicherheit ha-
ben sie bei gesamteuropäischen Ausgaben
wie der Forschungsförderung nicht.
Dieses Spiel wiederholt sich auch dies-
mal. Es sind dabei nicht nur die üblichen
Verdächtigen wie Frankreich bei der Agrar-
politik oder Polen bei den Strukturfonds
am Werk, sondern auch Deutschland: Der
Koalitionsvertrag legt fest, dass die Agrar-
ausgaben auf dem derzeitigen Niveau er-
halten werden sollen, und die Bundeslän-
der kämpfen mit Klauen und Zähnen für
weitere Strukturmittelflüsse.
In der Zielsetzung, Geld lieber zuverläs-
sig in die eigene Tasche zu leiten, als es für
Projekte mit potenziellem Nutzen für alle
auszugeben, erschließt sich die ganze Tra-
gik dieser Verhandlungen. Und genau die-
se Haltung ist es auch, die den Finanzrah-
men so starr werden lässt. Wer eine flexib-
le und handlungsfähige EU will, muss des-
halb zusätzliche Mittel aufbringen.
Der Europäische Rat hat diese Woche
die Chance zu zeigen, dass er die enormen

Herausforderungen erkannt hat, vor de-
nen Europa steht. Gerade von Deutschland
kann man hier erwarten, dass es Verant-
wortung übernimmt.
Dafür brauchen wir zuvorderst eine an-
dere politische Haltung: Wer will, dass
Europa der erste klimaneutrale Kontinent
wird, in der Digitalisierung vorne mitspielt
und nach außen ein selbstbewusstes und
gleichzeitig humanes Gesicht zeigt, der
muss den Mut haben, die EU nicht auf
einen Nettobeitrag in Euro und Cent zu re-
duzieren. Ein deutscher Erfolg bei diesen
Verhandlungen wäre ein starkes Europa,
nicht eine möglichst kleine Rechnung.
Ein solcher Erfolg erfordert, dass die
Kanzlerin am Donnerstag die Bremse löst.
Denn auch in Brüssel gelten die Grundre-
chenarten: Eine handlungsfähige EU ist
nicht ohne deutlich höhere deutsche Bei-
träge zu haben. Doch gerade uns Deut-
schen sollte es das wert sein. Leisten kön-
nen wir es uns jedenfalls.

interview: meike schreiber
und markus zydra

A

ndrea Enria, 58, führt seit einem
Jahr die Bankenaufsicht der EZB. Er
kommt um 7.30 Uhr ins Büro und
geht gegen 20 Uhr nach Hause. Der Italie-
ner wohnt im Frankfurter Stadtteil Sach-
senhausen, wo es viele Apfelweinwirtschaf-
ten gibt. Enria mag Frankfurt und Deutsch-
land, obwohl er sich immer wieder das eine
Vorurteil anhören muss: Italiener könnten
nicht gut mit Geld umgehen. Ein Gespräch
über Stereotypen und die faszinierende
Aufgabe, Banken zu überwachen.


SZ: Herr Enria, Sie wohnen jetzt ein Jahr
in Frankfurt, vorher waren Sie in London.
Ist es langweilig hier?
Andrea Enria: Das kann man nicht verglei-
chen. London gehört wahrscheinlich zu
den dynamischsten Städten der Welt.
Frankfurt bietet eine sehr gute Lebensqua-
lität, und alles ist schnell erreichbar. Wir
fühlen uns sehr wohl.
Gehen Sie abends mit Ihrer Frau aus?
Manchmal in die Brasserie um die Ecke in
Sachsenhausen, manchmal in ein japani-
sches Restaurant, vor dem mich die Kolle-
gen allerdings warnen.
Warum?
Das Restaurant liegt ausgerechnet im Erd-
geschoss der Deutschen Bank (lacht), und
Bankenaufseher sollten ja Abstand halten
zu den Instituten. Aber ich esse dort trotz-
dem, mich erkennt hier sowieso kaum je-
mand.
Sie haben ab 1999 für einige Jahre als EZB-
Mitarbeiter schon einmal in Frankfurt ge-
lebt. Haben Sie ein Beispiel für etwas, das
typisch deutsch ist?
Es ist beeindruckend, wie stark die Deut-
schen Regeln verinnerlichen. Meine Nach-
barn haben damals geschaut, ob ich den
Müll richtig getrennt hatte. Das kannte ich
vorher nicht. Die Stadtteilverwaltung er-
munterte uns, Missstände zu melden, et-
wa wenn eine Straßenlampe nicht mehr
funktionierte. Ich finde das gut, denn
wenn man die Regeln befolgt, wird das Zu-
sammenleben leichter. In Italien nehmen
die Menschen oft nicht wahr, dass Regeln
in ihrem eigenen Interesse sind.
Wie kommt das?
Da Italien in seiner Geschichte oft unter
fremder Herrschaft stand, gibt es in der Be-
völkerung eine skeptische Grundhaltung
gegenüber den Regierenden. Dies kann
auch von Vorteil sein, da es dem Schutz der
persönlichen Freiheit dient. Italien und
Deutschland haben aber auch viel gemein-
sam. Ihre Liebe zur Kultur beispielsweise.
Auch die Bankensektoren sind sich ähnli-
cher, als allgemein angenommen wird.
Das müssen Sie erklären.
In beiden Ländern gibt es sehr viele Ban-
ken, Sparkassen und Genossenschaften ha-
ben eine lange Tradition. Für lange Zeit
war beiden Ländern auch gemeinsam,
dass Banken in kommunaler oder regiona-
ler Hand waren. Das ist einfach so, auch
wenn die Deutschen dazu neigen, den itali-
enischen Bankensektor zu stigmatisieren.
Die Italiener haben übrigens auch Vorbe-
halte gegenüber deutschen Banken.


Ihre Berufung zum obersten Bankenaufse-
her Europas war in Deutschland sehr um-
stritten, weil Sie Italiener sind. HatSie die-
se Kritik verletzt?
Ich werde oft kritisiert, auch in Italien, weil
ich bestimmte Entscheidungen getroffen
habe. Mich verletzt das nicht. Es stimmt
mich aber traurig, dass Menschen andere
auf der Grundlage ihrer Nationalität beur-
teilen. Ich fühle mich als unabhängiger
Staatsdiener, der für das europäische Pro-
jekt arbeitet.
Woher kommen diese Vorurteile?
Die Bankenunion steht für einen großen
Veränderungsprozess, da sind unterschied-
liche nationale Sichtweisen nicht unge-
wöhnlich. Die Wahrheit ist: Der italieni-
sche und deutsche Bankensektor sind bei-
de sehr heterogen. Es gibt schwache und
starke Banken, und wir bei der EZB schau-
en bei unserer Beurteilung nicht darauf, in
welchem Land die Bank ihren Sitz hat.
Macht Ihnen die Arbeit Spaß?
Die Bankenaufsicht ist ein seltsames Ge-
schäft. Die Öffentlichkeit interessiert sich
erst für uns, wenn etwas schiefläuft. Dann


sind wir schuld. Wenn alles gut läuft und
der Bankensektor stabil ist, gelten wir als
Störer, die mit ihrer Bürokratie alles verhin-
dern. Aber der Job ist einfach großartig. Es
gibt nur wenige Bankenaufseher, die auf-
hören, um woanders zu arbeiten. Wir sind
alle sehr passioniert. Wer einmal dabei ist,
wird süchtig.
Süchtig? Wenn wir uns allein die seitenlan-
gen Excel-Tabellen anschauen, in welche
die Bankenihre Daten eintragen, zum Bei-
spiel beim jährlichen Stresstest, dann
wirkt das hochgradig abschreckend.
Das stimmt natürlich. Richtig spannend
sind aber die vielen unterschiedlichen Ge-
schäftsmethoden und Themen im Finanz-
sektor. Da gibt es Banken, die expandieren
in die Welt, und Institute, die geschäftlich
ums Überleben kämpfen. Und man trifft
auf Geldhäuser, die von Kunden als Vehi-

kel für kriminelle Aktivitäten benutzt wer-
den. In dem Job als Aufseher geht es um
mehr als nur technische Dinge. Es geht um
die Menschen, warum sie bestimmte Din-
ge tun, welche Anreize sie dazu gebracht
haben.
Und was sehen Sie da? Was läuft heute,
zwölf Jahre nach Ausbruch der Finanzkri-
se, falsch im europäischen Bankensek-
tor?
Der Bankensektor ist inzwischen viel
stärker, auch aufgrund der Reformen im
Aufsichtsbereich. Die Bankmanager den-
ken bei ihren Geschäften aber immer noch
zu sehr an kurzfristige Profite. Dieses
Verhalten hat auch zum Ausbruch der
Finanzkrise beigetragen. Die Finanzinsti-
tute sollten sich stärker um ihre langfristi-
gen Risiken kümmern und sich zum Bei-
spiel fragen, ob sie den Klimawandel bei

ihren Geschäftsentscheidungen und beim
Risikomanagement ausreichend berück-
sichtigen.
Gibt es noch andere Schwachstellen?
Schwache Unternehmensführung ist ein
Problembereich. Bei vielen Banken stellt
auch die schlechte Datenqualität ein Pro-
blem dar. Einige Banken sind nicht einmal
in der Lage, ein Gesamtbild ihrer Risikola-
ge einschließlich aller Tochterunterneh-
men und Zweigstellen zu liefern. Und ohne
gute Daten können Banker keine guten Ent-
scheidungen treffen. Die Aufsichtsräte der
Banken müssten dem Management häufig
genauer auf die Finger schauen. Darauf
werden wir als Aufseher künftig stärker
achten.

Die Deutsche Bank vergab für 2019 Millio-
nen-Boni an den Vorstand, obwohl die

Bank einen hohen Verlust machte. Warum
haben Sie das zugelassen?
Zu einzelnen Banken kann ich nichts sa-
gen. Allgemein betrachtet handelt es sich
hier um ein etwas komplexeres Thema.
Wenn eine Bank durch eine extrem riskan-
te Geschäftsstrategie einen hohen Gewinn
macht – ist der Bonus dann gerechtfertigt?
Nicht unbedingt. Wir greifen ein, wenn das
Bonussystem den Bankern Anreize bietet,
übermäßige Risiken einzugehen. Wenn
eine Bank sich umstrukturiert, weniger Ri-
siko eingeht und dabei ein Verlust anfällt
und die Bank trotzdem einen angemesse-
nen Bonus zahlt, um talentierte Manager
halten zu können, dann ist mir das lieber.
Als Aufseher können wir nicht darüber ur-
teilen, wie eine Bank ihre Leute und Vor-
stände bezahlt. Was wir prüfen können ist,
ob das Bonussystem die falschen Anreize
setzt.
Aber hohe Boni schwächen doch die Ban-
ken finanziell noch zusätzlich in einem
Umfeld niedriger Zinsen?
Ja, natürlich gibt es Situationen, in denen
wir handeln müssen. Wenn sie zu viel Boni
zahlen und dadurch die Bank schwächen.
Aber wir haben heute strengere Regeln als
in den meisten anderen Ländern der Welt,
seit das europäische Parlament Obergren-
zen für Boni in Relation zum Fixgehalt
durchgesetzt hat.
Als Antwort auf die neue Richtlinie haben
die Banker sofort ihre Fixgehälter erhöht.
Die Regel ist doch kontraproduktiv?
Das würde ich nicht sagen. Die Banken kön-
nen das Fixgehalt nicht unbegrenzt erhö-
hen. Auch die Zahl der Einkommensmillio-
näre bei europäischen Banken ist gesunken.

Die öffentliche Meinung sieht das Thema
dennoch weiter kritisch. Müssen Sie Ihre
Arbeit besser erklären?EZB-Chefin Chris-
tine Lagarde will das ja nun in der Geldpo-
litik tun.Wäre das auch in der Aufsicht an-
gebracht?
Schon jetzt bemühen wir uns ernsthaft dar-
um, transparent zu sein, und unsere Maß-
nahmen der Öffentlichkeit zu erklären.
Das ist nicht immer einfach. Wichtig ist,
mal eines zu sagen: Wir sind eine Behörde,
wir sind kein allmächtiger Leviathan, der
alles vorschreiben kann, die Höhe der Ein-
lagenzinsen, die Gehälter. Genau das ist
nicht unsere Rolle. Daher müssen wir un-
ser Mandat besser erklären, und das lau-
tet, darauf zu achten, dass die Banken kei-
ne zu hohen Risiken eingehen, damit sie ih-
re Stabilität nicht gefährden.

Vor Kurzem haben Sie explizit die Deut-
sche Bank erwähnt und gesagt, dass die
Aufsicht einen Teil dazu beigetragen hat,
dass das Institut sein Geschäftsmodell
überarbeitet. Wird es künftig eine Art
„Bankenpranger“ geben?
Also, einen Bankenpranger will ich defini-
tiv nicht...
...ja, aber vielleicht wäre das auch mal nö-
tig?
Eigentlich ist es immer besser, keine Na-
men zu nennen. Die Worte eines Aufsehers
werden schnell interpretiert und aus dem
Zusammenhang gerissen. Unsere Aufgabe
als Aufseher ist heikel.
Fühlen Sie sich manchmal wie ein Pries-
ter, der immer die gleiche Predigt hält?
Müssen die Banken nicht selbst darauf
kommen, Kosten und Risiken in den Griff
zu bekommen?
Ja, die Banken und deren Aktionäre müs-
sen sich selbst für ihr Geschäftsmodell ent-
scheiden. Aber klar, wenn Banken nicht
auf schwierige Marktbedingungen reagie-
ren, können sie eine Krise auslösen, was
für alle ein Problem ist: für den Markt, für
die Sparer, die Einleger. Daher haben wir
nicht nur das Recht, sondern auch die
Pflicht, es deutlich zu sagen, wenn eine
Bank kein funktionierendes Geschäftsmo-
dell hat. Es kommt vor, dass Banken unse-
re Empfehlungen, beispielsweise zur Kos-
teneffizienz, wieder und wieder nicht ein-
halten und weiter Kapital verbrennen. Als
Aufseher müssen wir dann etwas sagen
dürfen.

Andrea Enria,58, steht seit einem Jahr an der Spit-
ze der Bankenaufsicht der EZB in Frankfurt. Von
2011 bis2018 war er Chef der Europäischen Banken-
aufsichtsbehörde EBA in London. Enria ist verheira-
tet und hat zwei erwachsene Töchter.

Sylvia De La Cruz, 41,und ihr Team
haben die Vorstandswahl bei der Flugbe-
gleitergewerkschaft Ufo deutlich gewon-
nen mit 69,5 Prozent der Stimmen. Zu
ihrer Liste gehören auch ihr Stellvertre-
ter Daniel Flohr, 32, sowie der ehemalige
Ufo-Chef Nicoley Baublies, 47. Baublies
gilt als der eigentlich starke Mann in der
Gewerkschaft, wenn er auch dieses Mal
nur für die sogenannte Grundsatzkom-
mission angetreten und in diese auch
gewählt worden war. Unklar ist nun
noch, ob De La Cruz(FOTO: OH)Ufo-Chefin
bleibt oder ihre Liste einen anderen
Vertreter an die Spitze schickt. Die ehe-
malige Condor-Flugbegleiterin tritt
öffentlich praktisch nie in Erscheinung
und lässt in der Regel Flohr und Bau-
blies, der bislang ein Mandat als Vor-
standsbeauftragter hat, den Vortritt. Für
Lufthansa ist die
Wahl in jedem Fall
unangenehm, denn
es bleiben bei der
Ufo die Kräfte an der
Macht, mit denen
die größte deutsche
Fluggesellschaft seit
Jahren im Clinch
liegt. jfl

Lucas Guttenbergist
stellvertretender Direktor
des Jacques Delors Cen-
tre an der Berliner Hertie
School. Er arbeitet dort
vor allem zu Fragen der
europäischen Wirtschafts-
politik und der deutsch-
französischen Beziehun-
gen.FOTO: OH

Christina Käßhöfer, 47, Unternehmens-
beraterin in München, ist ab sofort Mit-
glied des Aufsichtsrats des Modeunter-
nehmens Gerry Weber International AG.
Käßhöfer(FOTO: OH)betreibt seit 2017 eine
Agentur und berät mittelständige und
große Textilunternehmen in der Digitali-
sierung und bei der Aktivierung von
Zielgruppen über Vertriebs- und Kom-
munikationskanäle hinweg. Gerry We-
ber hatte 2019 in Bielefeld Insolvenzan-
trag gestellt. Das Modeunternehmen
war zu schnell gewachsen, hatte die
Marke Hallhuber übernommen und zu
viele neue Filialen eröffnet. Im Januar
war das Insolvenzverfahren aufgehoben
worden. Die Gründerfamilie Weber und
die Aktionäre sind jetzt raus, stattdessen
haben jetzt die Finanzinvestoren Robus,
Whitebox und die
Bank J.P. Morgan
das Sagen. Käßhöfer
ersetzt Christie Gro-
ves, vom Investor
Whitebox. Käßhofer
war bis 2016 bei der
Schweizer Dessous-
Marke Triumph
gewesen. cbu

Sophia Thomalla, 30, will erst mal nicht
wieder in ein Start-up investieren. Jeden-
falls nicht in diesem und im nächstem
Jahr. Seit vergangenem Jahr ist die
Schauspielerin am Start-up Schüttflix
beteiligt. Die 2018 von Christian Hülse-
wig gegründete Firma will den Markt
für Schüttgut digitalisieren und vermit-
telt zwischen Spediteuren, Produzenten,
Bauunternehmen und Landschaftsgärt-
nern. Thomalla ist nicht nur Investorin,
sie ist auch die Markenbotschafterin
und findet offenbar großen Gefallen an
Kies, Sand und Schotter. „Harte Kerle,
ehrliche Arbeit“, das passe zu ihr, sagte
Thomalla(FOTO: IMAGO)auf der Start-up-
Konferenz Hinterland of Things in Biele-
feld. „Für einen veganen Köfte-Laden in
Prenzlauer Berg kriegst du mich jeden-
falls nicht.“ Jetzt posiert sie auf großen
Lkw, zeigt sich für
den Kalender mehr
oder weniger angezo-
gen in der Sandgru-
be. Bei den „harten
Kerlen“ kommt der
Kalender offenbar
gut an. Für nächstes
Jahr soll es wieder
einen geben. etd

Flugbegleiterin


(^16) WIRTSCHAFT Montag, 17. Februar 2020, Nr. 39 DEFGH
FOTO: JEROME FAVRE/BLOOMBERG
FORUM
Ein starkes Europa kostet Geld
Deutschland solltebeim EU-Finanzrahmen größer denken
und Verantwortung übernehmen.Von Lucas Guttenberg
Das Ziel darf nicht sein,
so viel Geld wie möglich in
die eigene Tasche zu leiten
„Bankenaufsicht ist ein
seltsames Geschäft“
Andrea Enria schlug nach seiner Berufung zum EZB-Bankenaufsichtschef
in Deutschland viel Skepsis entgegen – weil er Italiener ist.
Ein Gespräch über Vorurteile und Gemeinsamkeiten beider Länder
Modekontrolleurin
Bauarbeiterin
PERSONALIEN
MONTAGSINTERVIEWMIT ANDREA ENRIA

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