Süddeutsche Zeitung - 17.02.2020

(Marcin) #1
FOTO: GEPAPICTURES / JASMIN WALTER / IMAGO FOTO: PETER STEFFEN / DPA FOTO: OLIVER ZIMMERMANN / FOTO2PRESS / IMAGO

DREIERPACK– GESCHICHTEN AUS DEN FUßBALLLIGEN


Währendeine halbe Stunde nach Ab-
pfiff noch immer die Gesänge der Fans
des Linzer ASK durch das Salzburger
Stadion hallten, warValérien Ismaëlbe-
müht, die Lage einzuschätzen, in die
sich sein Verein mit dem 3:2-Auswärts-
sieg bei RB Salzburg gebracht hatte: „Es
ist noch ein langer Weg“, sagte der Trai-
ner des LASK über den Titelkampf: „Die
Bedeutung dieses Matches ist, dass wir
jetzt wissen, wir können hier gewin-
nen.“ Dieses Wissen, das Salzburg
selbst in Salzburg schlagbar ist, könnte
den Höhenflug des kleinen Vereins wei-
ter beflügeln. Seit November 2016 hatte
RB zuvor kein Bundesliga-Heimspiel
verloren und war damit die erfolgreichs-
te Heimelf Europas; aktuell scheint es je-
doch so zu sein, als täten sich die Salz-
burger ohne die Stürmer Haaland (Dort-
mund) und Minamino (Liverpool) viel
schwerer als in der Hinrunde. Auch das
spricht dafür, dass Ismaël und der LASK
in dieser Saison eine echte Chance auf
die Meisterschaft haben. fhas

Serienbeender


Handball-Bundesligist Füchse Berlin hat
beim Debüt des Letten Dainis Kristopans
ein Erfolgserlebnis gefeiert. Die Mann-
schaft von Trainer Velimir Petkovic ge-
wann ihr Heimspiel gegen den Tabellen-
nachbarn SC Magdeburg 25:24 (12:13),
rückte bis auf zwei Punkte an das Spitzen-
duo THW Kiel und SG Flensburg-Hande-
witt heran und nährte als Tabellendritter
seine Hoffnungen auf einen Champions-
League-Platz.
Der 2,15-Meter-Riese Kristopans, aktu-
ell der größte Spieler der Handball-Bundes-
liga (HBL), war in der vorigen Woche vom fi-
nanziell kriselnden, mazedonischen Spit-
zenklub Vardar Skopje in die deutsche
Hauptstadt gewechselt, wo er einen bis
zum Saisonende geltenden Vertrag unter-
schrieb. Bei seinem ersten Einsatz für die
Füchse erzielte der Linkshänder (im Bild
links; daneben Magdeburgs 2,03-Meter-
Mann Piotr Chrapkowski) bei vier Würfen
vier Tore. Der entscheidende 25. Treffer ge-
lang Rechtsaußen Hans Lindberg in der
letzten Minute, Magdeburg konnte im fol-
genden Angriff nicht mehr ausgleichen –
weil Kristopans dank seiner Größe den
Wurf von Michael Damgaard abblockte.
„Es war sehr aufregend, ich habe es sehr
genossen. Es ist ein bisschen anderer Hand-
ball, er ist kraftvoller. Das Wichtigste ist,
dass das Team gewinnt“, sagte Kristopans
am Sky-Mikrofon. Der 29-Jährige hatte
bei der Europameisterschaft im Januar für
Furore gesorgt und seine Mannschaft im
Vorrundenspiel gegen Deutschland beina-
he zu einer Überraschung geführt. Trotz
seiner sieben Treffer verlor der EM-Neu-
ling Lettland am Ende knapp 27:28 gegen
Deutschland und schied aus. sid, sz

Der Hamburger SV hat diesmal offen-
bar ein gutes Händchen für Winterzu-
gänge. Der aus Leverkusen ausgeliehe-
neJoel Pohjanpalo, 25, wuchtete in der
sechsten Minute der Nachspielzeit ei-
nen Eckball mit dem Kopf zum 1:1 ins
Tor von Hannover 96 und bewahrte den
Tabellenzweiten der zweiten Liga so vor
der vierten Niederlage. Schon beim 3:1
in Bochum hatte der Finne mit seinem
2:1 knapp drei Minuten nach seiner Ein-
wechslung die Wende gebracht. In Han-
nover hatte Pohjanpalo nur fünf Ball-
kontakte. Insgesamt spielte der Mittel-
stürmer bislang nur 53 Minuten, doch
da zeigte er seine Qualität als Torjäger,
der sich noch für den finnischen EM-Ka-
der qualifizieren will. Es war nicht die
beste Vorstellung des HSV, Pohjanpalo
verhinderte bloß die dritte Pleite gegen
einen Nordklub. Vielleicht können nur
die Nachbarn Hannover, Kiel, Osna-
brück und St. Pauli die Rückkehr des
HSV in die erste Liga noch verhindern.
Am Samstag kommt St. Pauli. jöma

Debütant Kristopans


sichert Berlins Sieg


Finnischer Erlöser
Düsseldorf– DasTrikot des Matchwinners
hatte Marcus Thuram längst stilecht über
die Eckfahne gestülpt, als der gefeierte
Lars Stindl mit seinen Mitspielern vor dem
Gästefanblock umhersprang und genüss-
lich den Gesängen der gut 5000 mitgereis-
ten Anhänger lauschte: „Die Nummer eins
am Rhein sind wir“, schallte es aus der Gäs-
tekurve. Doch nicht nur die derzeitige Vor-
machtstellung im Rheinland untermauer-
te Borussia Mönchengladbach mit dem 4:1
(1:1)-Derbyerfolg bei Fortuna Düsseldorf,
auch die Ansprüche im Titelrennen wur-
den dank einer auffälligen Leistungssteige-
rung in der zweiten Halbzeit nachhaltig ze-
mentiert. „Es waren viele Sachen, die dann
einfach aufgegangen sind“, sagte Trainer
Marco Rose über die Umstellung in der
zweiten Halbzeit. „Wir haben vor der Halb-
zeit nicht so wirklich Zugriff bekommen“,
sagte Stindl, dem sein erster Doppelpack
seit mehr als drei Jahren gelang: „Wir ha-
ben das System in der Halbzeit ein biss-
chen verändert. Über die Dauer des Spiels
haben wir dadurch unsere Qualitäten im-
mer besser auf den Platz gebracht und am
Ende verdient gewonnen.“ Nach dem ers-


ten Bundesligasieg seit fast 30 Jahren in
der Landeshauptstadt reifen die Meister-
träume, zumal das oben angedockte Team
ja noch ein Heimspiel gegen Köln in der
Hinterhand hat: „Möglich ist diese Saison
einiges, weil wir vieles richtig machen“, sag-
te Jonas Hofmann: „Es macht Spaß, in der
Spitzengruppe dabei zu sein. Darauf wol-
len wir uns jetzt aber nicht ausruhen.“
Was soll da erst die Fortuna sagen? Auch
im dritten Ligaspiel unter Trainer Uwe Rös-
ler blieb sie ohne Sieg: „Wir haben es gera-
de in der ersten Halbzeit eigentlich ganz
gut gemacht“, fans Rouwen Hennings:
„Nachher waren wir nicht mehr nah genug
am Mann“. Aber das Spiel „ging etwas zu
deutlich aus“. Torschütze Thommy (29.) be-
kräftigte: „Es war nicht alles schlecht.“ Die
Fortuna mischte gegen den Favoriten mun-
ter mit. Kurz nach dem 1:1 verpasste Düs-
seldorfs Topstürmer Hennings aus zentra-
ler Position nur knapp eine mögliche Füh-
rung (34.). Doch nach der sehenswert er-
spielten erneuten Führung wurden die
Kombinationen der Gäste immer flüssiger,
während die Fortuna kaum noch in die Nä-
he von Gladbachs Tor kam. sid, dpa

Hoffenheim gegen Wolfsburg, das mag
erstmal nicht nach einem Topspiel klin-
gen. Aber es kommt ja immer darauf an,
in welcher Liga, und in der Frauenfuß-
ball-Bundesliga spielen diese Teams in
dieser Saison bisher am erfolgreichs-
ten. Dass zwischen den zwei Besten Wel-
ten liegen können, wurde am Freitag
aber auch deutlich: Doublesieger und
Tabellenführer Wolfsburg gewann 5:2.
„Es ging dann doch etwas schnell“, sag-
te Bundestrainerin Martina Voss-Teck-
lenburg zur Pause, als es schon 3:0
stand. Erst traf Fridolina Rolfö (7. Minu-
te), dannPernille Harderfrech durch
die Beine der Torhüterin (16.), Alexan-
dra Popp mit einem sehenswerten Frei-
stoß (24.), Svenja Huth (70.) und wieder
Harder (80.) mit ihrem 20. Saisontor.
Dass Wolfsburg punktete, davon profi-
tiert auch der FC Bayern. Dank eines 3:0
in Leverkusen haben die Münchnerin-
nen nun wie Hoffenheim 34 Zähler und
wahren sich so die Chance auf die Cham-
pions-League-Qualifikation. and

von sebastian winter

Mannheim/München– Sergej Grankin
ruht in sich, auch an diesem Sonntag in
Mannheim beim DVV-Pokalfinale. Der
35-Jährige ist bei den Berlin Volleys der
Mann, bei dem alles zusammenläuft, er ist
der Ballverteiler, der Herr des Spiels. Auf
Grankins Position waren im Volleyball
schon immer die Strategen am Werk. Jene
Sportler, die mehrere Züge vorausdenken
können und ahnen, wohin sich der gegneri-
sche Block bewegt; die wissen, wann sie
welchen ihrer Angreifer am besten einset-
zen, und welcher ihrer Kollegen gerade viel-
leicht in einem mentalen Loch steckt; Spie-
ler, die vor allem die Ruhe bewahren. Es
gibt bessere und schlechtere Strategen –
Grankin ist der weitaus beste, den die Vol-
leyball-Bundesliga je gesehen hat.
Auch Düren hat das zu spüren bekom-
men im Endspiel vor 10 689 Zuschauern.
Mit 3:0 Sätzen (25:12, 25:18, 25:22) fegte
Berlin in 68 Minuten über den Außenseiter
hinweg, der in der Liga nur Tabellensiebter
ist, im Pokal aber bislang überzeugte. Es
war eines der kürzesten Pokalfinals der Ge-
schichte. Das Frauenfinale im Anschluss
war dagegen höchst dramatisch: Der Au-
ßenseiter Dresdner SC besiegte den deut-

schen Meister MTV Stuttgart nach Abwehr
von fünf Matchbällen 3:2 (25:19, 20:25,
21:25, 28:26, 17:15).
Vor dem Männerfinale hatte Grankin
schon beim Einlaufen in die Halle kurz vor
dem Anpfiff gelächelt, links und rechts
schoss künstlicher Nebel empor, es war ein
würdiger Rahmen für ihn – und für seinen
ersten Pokalgewinn in Deutschland. Vor
der 22:11-Führung im ersten Satz spielte

der Russe, Olympiasieger von 2012, eine et-
was zu dicht ans Netz fliegende Annahme
mit einer Hand über Kopf zu seinem Haupt-
angreifer Benjamin Patch. Es war eine
Weltklasse-Aktion, die zeigte, welch Fertig-
keiten ihm in die Finger gelegt wurden,
seit er als Sechsjähriger in Moskaus Kader-
schmieden seine Karriere begann.
Seinen Klub Dynamo Moskau hat Gran-
kin zwischen 2006 und 2019 nie verlassen,
die russische Liga gilt als stärkste der Welt.
Gerade in Berlin wissen sie das, denn am
Mittwoch sind sie aus dem Rennen um die
Champions-League-Playoffs ausgeschie-

den. Die westsibirischen Klubs Kemerovo
und Novy Urengoy waren einfach besser.
Grankin wollte im Januar 2019 aller-
dings selbst nicht mehr in Russland spie-
len. Er hatte sich mit Dynamo Moskau
überworfen, wohl auch, weil der neue Trai-
ner ihn auf die Bank gesetzt hatte. Berlins
Manager Kaweh Niroomand nutzte sein
großes Netzwerk und griff zu, weil Berlin
zu jener Zeit große Probleme auch im Zu-
spiel hatte. Grankin, dessen Frau und Toch-
ter in Russland blieben, führte den Klub im
Mai gleich zur deutschen Meisterschaft –
im entscheidenden fünften Finalspiel ge-
gen Friedrichshafen wurde er natürlich
MVP, unter anderem mit vier Blocks. Auch
der Aufschlag ist seine Waffe, statistisch
liegt er dort auf Platz zwei der Liga. Nach
der Gewinn des Meistertitels verlängerte
Grankin seinen Vertrag, in der aktuellen
Saison hat Berlin kein einziges Spiel auf na-
tionaler Ebene verloren, der Pokalsieg ge-
gen Düren war der 23. Erfolg in Serie.
Grankin ist mitverantwortlich für die
Dominanz Berlins in dieser Saison, zwölf
Punkte Vorsprung hat der Klub, und man
fragt sich, wer ihn und seinen Strategen
nach dem ersten Pokalsieg seit 2016 noch
stoppen soll auf dem Weg zur fünften Meis-
terschaft in Serie. Friedrichshafen hat seit

Monaten große Probleme, die Alpenvol-
leys sind gut in Form, aber der Titel ist
auch für sie sehr weit entfernt.
Grankin, der Zocker, der auf Reisen
auch mal Black Jack mit seinen Kollegen
spielt und sich auf Instagram mit Hund,
beim Forellenfischen am Fluss, oder am
Grill inszeniert, ist im Grunde zu gut für
diese Liga. International können er und
Berlin mit den Topvereinen aber nicht mit-
halten. Das ist das Dilemma, in dem beide
stecken, Klub und Spieler. Dafür lernen
auch seine jüngeren Mitspieler von ihm,
als deren Mentor er sich sieht.
In dieser Form sind für Grankin womög-
lich auch die Olympischen Spiele in Tokio
wieder ein Ziel. „Er ist ein überragender Zu-
spieler und hat fast alles gewonnen, was
man gewinnen kann. Er atmet Volleyball“,
sagt Berlins Manager Niroomand, der
auch Grankins Persönlichkeit schätzt:
„Man kann eine gewisse Ironie mit ihm
durchleben. Außerdem ist er nicht der Brül-
ler, er beruhigt eher.“ Und nach Tokio? Ni-
roomand hat sich neulich mit Grankin zum
Mittagessen getroffen, bei so einer Gele-
genheit kann es natürlich nur um die Zu-
kunft gehen. „Die Chancen stehen nicht
schlecht“, sagt Niroomand. Für den Rest
der Liga ist das keine gute Nachricht.

Sinsheim– „Wurde ja mal Zeit“, brummte
Jörg Schmadtke, als er auf die drei Tore von
Stürmer Wout Weghorst angesprochen
wurde. Viel mehr wollte der verschmitzt
lächelnde Vorstand gar nicht sagen zu dem
Niederländer, der dem VfL Wolfsburg so-
eben einen 3:2-Auswärtssieg in Hoffen-
heim beschert hatte. Naja, eins noch: „Den
einen Kopfball in der ersten Halbzeit hätte
man ruhig auch direkt machen können.“
Nach dem Stotterstart in die Rückrunde
bremste Schmadtke lieber als groß zu lo-
ben. Die guten Ansätze, die Wolfsburg in
Hoffenheim erneut unter Beweis stellte,
dürften jedoch auch Schmadtke nicht ver-
borgen geblieben sein. Trainer Oliver Glas-
ner hatte eine bewusst defensivere Ausrich-
tung gewählt, um das Hoffenheimer Tem-
po in der Offensive nicht zur Geltung kom-
men zu lassen. In der ersten Halbzeit ging
diese Taktik voll auf, was zu einem chan-
cenarmen und eher flauen Bundesliga-
spiel führte. Während Hoffenheim nach
der Pause zweimal wechselte und die Tak-
tik umstellte (von Dreier- auf Viererkette),
blieben die Wolfsburger bei ihrer abwar-
tenden Haltung – die vor allem Weghorst


entgegenkam. „Ich habe mich sehr wohlge-
fühlt mit der kompakten Taktik“, sagte der
Dreifachtorschütze nach dem Spiel: „Ich
konnte mich darauf fokussieren, im Straf-
raum auf die Chancen zu warten, das liegt
mir.“ Dass Weghorst sich auf sein Dasein
im gegnerischen Strafraum beschränkt
hätte, stimmt allerdings nicht, er verschul-
dete sogar ein Gegentor: Denn als er weni-
ge Minuten nach dem zweiten Führungs-
tor per Hand einen Freistoß blockte, nutz-
te Kramaric den Elfmeter zum 2:2 (60.).
Das Spiel wurde nun wesentlich offensi-
ver, Hoffenheim hätte zweimal in Führung
gehen können.
Den Siegtreffer organisierte sich Weg-
horst dann in eher untypischer Manier
selbst: Er klärte im eigenen Strafraum,
sprintete über das ganze Feld, um ein Zu-
spiel formvollendet per Lupfer zu verwan-
deln (71.). „Es waren lange Wochen ohne To-
re, das hat genervt“, sagte Weghorst. Die fi-
nale Bilanz bei der Abfahrt aus Sinsheim
aus seiner Sicht: Drei Tore, drei Punkte –
und ein Ball: „Nach einem Hattrick nehme
ich den immer mit, mein Sohn spielt dann
damit im Garten.“ felix haselsteiner

Leipzig –Als dasLicht am Ende des Tun-
nels für die Bremer längst kleiner gewor-
den war, als RB Leipzig also gegen den SV
Werder zur Halbzeit schon 2:0 führte, jagte
der Stadion-DJ eine neueres Lied von
Heinz-Rudolf Kunze durch die Boxen. „Die
Zeit ist reif“, heißt es, und unter anderem
beinhaltet es ein paar Zeilen, die auf den
Werder-Jahrgang 2019/20 passen: „Keine
Medizin, kein Patentrezept helfen/wo die
Angst regiert...“
Seit Wochen versuchen die Werder-Ver-
antwortlichen zwar, diese Angst klein zu re-
den. Doch das verhindert nicht, dass sie
dann doch auf dem Platz mit Händen zu
greifen zu sein scheint. Am Samstag war
Werder bestenfalls der Inbegriff einer gro-
ßen Paradoxie. Bei eigenem Ballbesitz
wirkten die Bremer wie eine Mannschaft,
die gewillt war, positiv zu denken, nach vor-
ne zu spielen, den Ball ins Zentrum des ei-
genen Tuns zu stellen. Aber nur am An-
fang. Denn sobald die Leipziger die bloße
Drohung ausstießen, anzugreifen, war
Werder als ein Team entlarvt, das völlig zu
Recht am Tabellenende steht. Als eine
Mannschaft ohne jede defensive Stabilität.
Leipzig fackelte „kein extremes Feuer-
werk“ ab und zog auch kein Spiel auf, dass
„man sich im Nachgang noch dreimal an-
schauen will“, sagte Trainer Julian Nagels-
man. Im Gegenteil. Sie bliesen mit Schall-
dämpfer zum Angriff, und doch wirkte
Werder dann jedes Mal ängstlicher als Pi-
nocchio beim Osterfeuer. Und weil das 3:0
schon in der 46. Minute feststand, konnte
es sich Leipzig erlauben, mit Blick auf die
Champions-League-Visite bei Tottenham
Hotspur ein paar Sachen auszuprobieren,
wie Nagelsmann sagte. Trotz des bedrü-
ckenden Auftritts seines Teams plädierte
Werder-Manager Frank Baumann dafür,
„die Kirche im Dorf zu lassen“. Denn man
habe bei einem Champions-League-Aspi-


ranten und Titelkandidaten verloren, der
in der Vorwoche den FC Bayern vor Proble-
me gestellt hatte.
Das stimmte faktisch, trug aber auch Zü-
ge der Schönrednerei. Und wer weiß, ob Na-
gelsmann seinem Freund und Kollegen Flo-
rian Kohfeldt einen Gefallen tat, als er Wer-
der attestierte, bis zum Schluss der Partie
einen Anschlusstreffer gesucht zu haben.
Näher an der Wahrheit war Leipzigs Stür-
mer Patrick Schick, der sich nach der Par-
tie an keine Werder-Chance erinnern woll-
te. Es gab sie auch nicht. Stattdessen gab es
nur Gegentore nach bewährtem Muster.
Denn die beiden Treffer, mit denen Leipzig
in Führung ging, waren die Standard-Ge-
gentore Nummer 16 und 17 der Saison. Das
1:0 durch Lukas Klostermann (18.) fiel
nach einem Freistoß, den Schick per Kopf
auflegte; Schick selbst traf dann nach ei-
nem Eckball von Dani Olmo. Das 3:0 der
Leipziger durch Nordi Mukiele folgte keine
30 Sekunden, nachdem sich die Bremer in
der Halbzeitpause vorgenommen hatten,
jetzt aber mal so richtig aufzupassen.

Ansonsten wirkte Werder komplett frei
von roten Blutkörperchen, in einem Zu-
stand der Anämie, der Blutarmut, der
nicht so einfach zu beheben sein wird.
Auch Trainer Kohfeldt wirkte blass, als er
nach der Partie berichtete, die Mannschaft
sei „natürlich enttäuscht“, aber „nicht rat-
los und schon mal gar nicht aufgebend“. Er
selbst erhielt auch am Samstag wieder die
Versicherung durch Baumann, dass sein
Posten nicht gefährdet sei. Kohfeldt zeige
der Mannschaft weiter Handlungsoptio-
nen auf, „deswegen haben wir nach wie vor
die Überzeugung, dass Florian der Richti-
ge ist“. Auch aus der Mannschaft erhält er
aufrichtige Rückendeckung, man wider-
sprach dort der Einschätzung, das dreitägi-
ge Kurztrainingslager in Leipzig sei nutz-
los gewesen. „Wenn man sich das Spiel an-
schaut, denkt man, das hat nichts ge-
bracht“, sagte Abwehrspieler Milos Veljko-
vic, „aber das hat es. Wir haben uns vorge-
nommen, stark zu bleiben und Charakter
zu zeigen.“ Selbst wenn man in die Diskus-
sion eintreten wollte, ob an das am Sams-
tag wirklich erkennbar war – es nützt ja
nichts, Werder braucht schlicht und ergrei-
fend Punkte. Werder hat acht der letzten
neun Spiele verloren, in diesem Kalender-
jahr wartet die Mannschaft noch auf einen
eigenen Treffer: Zum Sieg gegen Fortuna
Düsseldorf kam sie ja nur durch ein Eigen-
tor des Gegners. „Wir müssen dafür sor-
gen, dass wir Ergebnisse liefern, und wir
sind überzeugt, dass wir das mit Florian er-
reichen“, sagte Manager Baumann, „jedes
Spiel ist eine neue Hoffnung.“
Ach ja: Falls sich ein Bremer fragen soll-
te, wofür die Zeit nun reif ist, laut Heinz-Ru-
dolf Kunze, dem sei auch dies gesagt: „Für
ein riesiges Erwachen.“ javier cáceres

Oben angedockt
Gladbach bleibtdurch das 4:1 in Düsseldorf in Lauerstellung

Der britischeTelegraphenthüllte, dass Fa-
milien, die ihren Nachwuchs als Einlaufkin-
der auf die Spielfelder der Premier League
schicken, dafür oft viel bezahlen müssen.
830 Euro etwa bei West Ham. Bevor Kriti-
ker kommen: Die Klubs sind nicht gierig,
sie sind visionär. Es geht um die Einlaufkin-
dermärkte, die global erschlossen werden
sollen. Klingt vernünftig. Überhaupt soll-
ten Fans glaubhafter zeigen, dass sie echte
Fans sind. Nur 10 TV-Sender zu abonnie-
ren, die nun Fußball zeigen, reicht nicht.
Wer im Stadion jubelt, zahlt 100 Euro. Wer
buht, 200. Das könnte die Stimmung ver-
bessern, weil bessere Stimmung weniger
kostet. So könnte der Fan nebenbei sparen.
Win-Win für alle. Innovativ auch Leipzig:
Dort lief der Bub Timo Werner neben Profi
Timo Werner ein. Bleibt zu hoffen, dass der
Bub für dieses Matching Aufschlag zahlte.
Die Presse? Muss auch endlich ihrer Verant-
wortung nachkommen und kostenfreie Ak-
kreditierungen ablehnen. Alle müssen Op-
fer bringen. Wer jetzt nicht seinen Dispo er-
weitert, hat den Fußball nie geliebt. klef

Top im Topspiel


Zocker und Stratege


Der russische Zuspieler Sergej Grankin feiert mit den Berlin Volleys seinen ersten Pokalgewinn. Beim 3:0 über Düren
demonstriert der Olympiasieger ein weiteres Mal, dass er im Grunde zu gut für die deutsche Liga ist

National überlegen, international
unterlegen – in diesem Dilemma
stecken Grankin und die Volleys
Dreist durch die Mitte
Nach einer Torflaute beschert Wout Weghorst Wolfsburg einen 3:2-Sieg

In einem Zustand


der Blutarmut


Selbstzurückhaltende Leipziger sind noch zu stark für Bremen


„Jedes Spiel ist neue Hoffnung“,
sagt Werder-Manager Baumann

DEFGH Nr. 39, Montag, 17. Februar 2020 (^) SPORT HF3 27
FOTO: JAN HUEBNER / IMAGO
Ran an den Dispo!
HÄNGENDE SPITZE
Auch das noch: Werder-Zugang Kevin Vogt
muss wegeneiner Knieverletzung ausge-
wechselt werden. FOTO: ODD ANDERSEN / AFP

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