Süddeutsche Zeitung - 17.02.2020

(Marcin) #1

Regensburg– VincentGlanzmann lässt es
nicht einfach krachen. Der aus Tokyo ge-
bürtige und in Zürich lebende Komponist
und Schlagzeuger drischt nicht drauf, fes-
selt nicht als Derwisch an der Schießbude,
sondern konzentriert sich als reflektierter
Akteur hinter den Trommeln. Also steht
das Instrument selbst mit seinen vielfälti-
gen Klang-und Rhythmusmöglichkeiten
im Zentrum von Georg Reischls Tanzstück
„Drum Dancing“ und nicht dessen Spieler.
Das Konzept von Glanzmanns ausgeklügel-
ter Schlagwerkkomposition bestimmt den
Verlauf des nunmehr zweiten Abends nach
den „Juke Box Heroes“ des österreichi-
schen Choreografen und Tänzers als Chef
der Regensburger Tanzkompanie.
In den ersten 30 Minuten des Einein-
halbstünders verfremden Verstärker den
Sound durch coole Halleffekte. Nach der
Pause, im zweiten, vierzigminütigen Teil,
hält Glanzmann ein Mikrofon auf Stöcke
und Becken und lenkt so exemplarisch die
Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Schep-
pern. Will heißen: jeder Klangkörper des
Schlagzeugs ein Individuum. Insgesamt
gibt das Zusammenwirken jedes einzelnen
einen elastischen Klangteppich ohne domi-
nante Rhythmik vor. Glanzmanns Stück
wirkt dergestalt als intellektueller Wider-
part zur wohl berühmtesten Schlagzeug-
komposition der vergangenen fünf Jahr-
zehnte. Denn die suggestive Polyrhythmik
von Steve Reichs „Drumming“ zielt primär
auf Affekte, auf Spannung und Ekstase.


Während Glanzmann mit seinem
Schlagzeug unmerklich auf der Bühne von
rechts über die Mitte nach links wandert
und Reischls Tänzer über eine ansteigende
Rampe aus dem Orchestergraben auf- und
wieder abtauchen, nimmt der Eindruck
überhand, dass hier einer über die struktu-
rellen Voraussetzungen von Ekstase nach-
denkt, ohne sie entfachen zu wollen. Apol-
lon hinter den Trommeln und Dionysos
auf dem Tanzboden? Auch das nicht. Denn
im ersten Teil huldigen die elf Tänzerinnen
und Tänzer in Min Lis charmanten Unisex-
kostümen in lässig hingeschlotzten Zwei-
er-, Dreierarrangements und Reihungen
der synkopierten Neoklassik. Nicht nur ih-
re Arme, rhythmisch pointiert aus den
Schulterblättern zu Flügeln geschwungen,
verraten, dass der Choreograf Georg
Reischl bei William Forsythe getanzt hat.
In Teil I hält er sich noch an stringente For-
men, die er in Teil II auflöst unter dem
Schatten eines bedrohlichen Idols. Denn
„Drum Dancing“ will ja nicht nur von
Menschlichkeit und Humor erzählen, wie
eine Stimme aus dem Off anfangs verkün-
det, sondern von einem heiligen Clown,
Heyoka genannt, der die Indianer Nord-
amerikas mit seinem widersinnigen Ver-
halten verstört und belustigt. So gibt denn
Lucas Roque Machado den pfiffigen Joker
in einem endlich verwirrenden Masken-
spiel. Während Glanzmann, aufrecht über
allen, die Kriegstrommel rührt. Es ist Fa-
sching! eva-elisabeth fischer


Apoll hinter


den Trommeln


„Drum Dancing“ uraufgeführt
im Theater Regensburg

von egbert tholl
und christiane lutz

D

em Augsburger Oberbürgermeis-
ter Kurt Gribl geht bei seiner Begrü-
ßung vielleicht das kleine Riesen-
rad im Kopf herum, jedenfalls sagt er, er
entdecke selbst gerade Orte, an denen er
noch nie war, und außerdem teile er die
These nicht, wonach Brecht vernünftig sei
und ihn deshalb jeder verstehe. Es ist
Brecht-Festival in Augsburg, dieses be-
ginnt mit einem Spektakel, Teil 1, und des-
halb steht im Martini-Park ein Riesenrad,
deshalb gibt es Popcorn und der ganze La-
den brummt. Ist ja auch Staatsaktion,
wenn die Stadt und das Staatstheater zu-
sammen den, wie man stets so schön sagt,
größten Sohn Augsburgs feiern, egal, was
der von Augsburg hielt.

Mit diesem Jahr sind fürs Festival zu-
ständig Tom Kühnel und Jürgen Kuttner,
und deren Ansatz beschreibt Kuttner bei
der Begrüßung, Helmut Schmidt zitierend,
so: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen,
wir sind nach Augsburg gegangen.“ Die Vi-
sionen sahen dann bezüglich des Spekta-
kels so aus: Wer etwas beizutragen hat, soll
beitragen, ob er vom Staatstheater kommt
oder vom Gymnasium St. Stephan, ob er
rappt, singt, Musik macht, Texte rezitiert,
schauspielt oder Unsinn macht. Dann be-
dankt sich Kuttner noch bei der „werktäti-
gen Bevölkerung“, also den Technikern,
für die im Normalfall des Theaterbetriebs
gelte, dass man die im Dunkel nicht sieht,
eine Erkenntnis, die Kühnel&Kuttner
auch dazu brachte, Girisha Fernando, dem
an sich eigenständig handelnden Kurator
der Langen Brechtnacht, also des zum
Brecht-Festival dazugehörigen Bandmara-
thons, einen Künstler sehr ans Herz zu le-
gen, den Voodoo Jürgens aus Wien. Denn

der Voodoo singt auch über die, über die
sonst keiner singt, über die, die durch die
Nacht treiben, wenn die letzte Kneipe ge-
schlossen ist, die nichts sind, nichts haben,
außer des Voodoos Liebe.
Viel Brecht war in der Brechtnacht tradi-
tionell nicht immer drin, doch diesmal ver-
suchte Fernando eine Brechtsche Klam-
mer zu spannen. Etwa, indem er die Musi-
ker einlud, sich in einem Song mit Brecht
auseinanderzusetzen. Das wurde von eini-
gen gewissenhaft umgesetzt, von anderen
ignoriert, vielleicht will eine Band wieThe
Notwisteinfach auch ihr eigenes Ding ma-
chen, wobei die Gebrüder Acher ja auch bei
der „Dreigroschenoper“ im Münchner
Volkstheater für die Livemusik verantwort-
lich sind. Fatoni jedenfalls, der Rapper, auf
den man in München so stolz ist, der aber
längst in Berlin lebt, hat brav „Das Lied von
der Unzulänglichkeit des menschlichen
Strebens“ einstudiert und zupft es ki-
chernd nach seinen ersten Partynummern
auf der Akustikgitarre, was seine Fans
amüsiert bis irritiert. Er singt zwar deut-
lich schlechter zur Gitarre, als er rappt,
aber hey, wann hat man schon mal die
Chance, einen Rapper Brecht singen zu hö-
ren? Eben.
Der Kongress am Park, wo die Brecht-
nacht diesmal stattfindet, ist ein etwas bie-
derer, aber dafür ausreichend weitläufiger
Ort für eine Musiknacht mit 2200 Besu-
chern, so dass keine Beklemmungsgefühle
beim Umherwandern aufkommen müs-
sen. Wer sich allerdings für den mitter-
nächtlichen Auftritt von Spaßmacher Fato-
ni entscheidet, muss leider Voodoo Jür-
gens verpassen, der nebenan im kleineren
Saal Baramundi zeitgleich neben den lusti-
gen Liedern aus dem dunklen Wien die „Zu-
hälterballade“ spielt – und das in feinstem
Hochdeutsch, wie man sich berichten las-
sen kann, denn Voodoos Auftritt ist flugs
wegen Überfüllung geschlossen, was auch
für das Gespür von Kühnel&Kuttner, aber
gegen die Planung der Auftrittsorte
spricht. Aber das beherzte Verpassen des ei-
nen zugunsten von etwas anderem ist

schließlich auch Teil des Gesamtkonzepts
der beiden, es trifft fürs 20-teilige Spekta-
kel am Freitag genauso zu wie für die
Brechtnacht am Samstag.
Insofern muss man gelassen beim Ver-
passen bleiben, ebenso im Kongress beim
Warten auf das Bier, was so viel Zeit frisst,
dass es als eigener Programmpunkt be-
trachtet werden kann. Wer Bier hat, kann
dem sanften Gisbert zu Knyphausen zuhö-
ren, der ein Lied über Großstadtbewohner
nachreicht, welches er für das vergangene

Brechtfestival komponiert hatte, damals
aber kurzfristig absagen musste. Oder
man geht zuShari Vari, einem exzeptionel-
len Elektrofrauenduo, dem Brecht zwar
wurscht ist, aber eben auf großartige,
schroffe, zeitgemäße Art und Weise. Im
Foyer spielt parallel dazu die Augsburger
FormationThe Cold War,die Songs aus der
Wendezeit charmant neu interpretieren, et-
wa „99 Luftballons“, oder Bowies „Heroes“
in einer wunderbar jazzigen Version der
Sängerin Hanna Sikasa, aber auch die „In-
ternationale“ in instrumentaler Schunkel-
schmiere.The Notwistdann, nominell die
Headliner, zaubern ein gewohnt großarti-
ges, mehr als einstündiges Set, bestehend
aus neuen wie alten Songs und der Samm-
lung „Messier Objects“, Kompositionen
für Film, Theater und Hörspiele.
Und doch liegt der Kern des musikali-
schen Abarbeitens an Brecht, dem Denker,
woanders, bei derBanda Internationale
aus Dresden und Bernadette La Hengst.
Auch im kleinen Saal, wo es einfach span-
nender zugeht. Die tatsächlich internatio-
nale Blaskapelle, bei der auch syrische
Flüchtlinge und überhaupt Menschen, die
wie Brecht ihre Heimat wegen einer men-
schenverachtenden Diktatur verlassen
mussten, mitspielen, schart sich um die ei-
ne Frau, Bernadette im roten Kleid. Sie er-

zählen von Brecht, rezitieren Gedichte und
überwölben alles Denken und jede politi-
sche Entrüstung mit polternden Klang-
opern und grandiosen Hymnen, La Hengst
mit der überlegenen Grandezza zorniger
Verzweiflung. Alle miteinander sind sie üb-
rigens bei Trikont verlegt, dem weltbesten
Musiklabel Münchens und überhaupt.
Schon klar, angesichts der Bands
kommt hier das Spektakel zu kurz, aber da
es von diesem noch einen zweiten Teil, am
kommenden Samstag, gibt, muss die wei-
tergehende Beschäftigung damit verscho-
ben werden. Erst einmal lässt man sich
durch Probenräume und die Eingeweide
der Spielstätte Martinipark treiben, begeg-
net dabei zum Beispiel den Rappern von
Zugezogen Maskulinund deren scharf ge-
schnittener Persiflage rechter, dummer,
machohafter Attitüden. Man kann den
Schülerinnen und Schülern des Gymnasi-
um St. Stephan zusehen, wie sie sich mit
hervorragender Ernsthaftigkeit an
Brechts Lehrstück „Der Jasager“ abarbei-
ten; nach ihnen müssen ihre Eltern mit
„Der Neinsager“ ran – was für eine fabel-
hafte Idee. Aber halt auch spröde.
Kern des Spektakels ist Kühnel&Kutt-
ners Inszenierung von Heiner Müllers
„Der Auftrag“, eine Koproduktion der
Ruhrfestspiele und des Schauspiels Hanno-
ver aus dem Jahr 2015. Die Augsburger Auf-
führung ist die Derniere der weit gereisten
Inszenierung, in der mit einem überbor-
denden Zirkus an eine Revolution, die in Ja-
maika nie stattfand, erinnert wird. Der
Text kommt weitgehend vom Band, Hei-
ner Müller hat ihn selbst 1980 eingespro-
chen, die Darstellenden sind mimische
Stellvertreter, die Musik derTentakel von
Delphitreibt sie an. In der Vielgestalt der
Mittel ist „Der Auftrag“ Festival im Festi-
val, durch Müllers Stimme auch ein Bei-
trag zur Frage nach der Historizität im Um-
gang mit Brecht und dessen scharfem
Echo Heiner Müller. Corinna Harfouch bril-
liert, wie später um Mitternacht zusam-
men mit den Tentakeln und einer zornigen
Musikshow zu Brechts Exil-Stationen.

München– Istes überhaupt ein Requiem?
Die in ihrem diesseitigen Pathos überwälti-
gende Klangmasse gründet nicht auf Kon-
templation. Mit dem „Hrvatski glagoljaški
rekvijem“, dem kroatischen glagolitischen
Requiem von Igor Kuljerić, präsentieren
der Chor des Bayerischen Rundfunks und
das Münchner Rundfunkorchester die an-
dere Seite der Totenmesse: Das Requiem,
1996, im Folgejahr des Abkommens von
Dayton, uraufgeführt, ist für die Toten ge-
nauso geschrieben wie für die Lebenden.
Der engagiert singende Chor, das unter
Ivan Repušić brillierende Orchester und
vier exzellente Solisten inszenieren die
Klammer mit Lust. Der Trost, den das
Werk spenden soll, manifestiert sich im Ja
zum Leben, im Gesang. Rasend sind die Af-
fektwechsel, die das Ensemble in immer
neuen Klangschichtungen umsetzt. Mo-
mente der Innigkeit wie das Klarinettenso-
lo aus Olivier Messiaens „Quatuor pour la
fin du temps“, mit dem Eberhard Knobloch
den Abend in konzentrierter Schönheit ein-
leitet, wechseln mit Passagen, die zum

Tanz taugen. Das herzzerreißende Duett
von Sopran und Alt, in dem sich Kristina
Kolars und Annika Schlichts Stimmen aufs
Beste mischen, wird unterbrochen von Lju-
bomir Puškarićs Bass, der den Tag des
Zorns prophezeit. Auf das schmeichelnde
Chor-Unisono der Gerichtsposaunen folgt
der Eingangsmarsch des schrecklichen Kö-
nigs. Ein strahlendes Tenor-Solo (Eric La-
porte) mischt sich ein, Panik setzt sich im
Chor-Flüstern um. Hier rascheln die Kon-
sonantencluster. Kuljerić hat einen Raum
geschaffen für die Erinnerung an katholi-
sche Messriten, aufgeschrieben in glagoliti-
scher Schrift, gesungen auf Kroatisch.
Einen Eindruck von der Sprachmelodie
vermittelt Schauspieler Miroslav Nemec
durch die dringliche Rezitation eines Ge-
bets. Liturgische Sprache und Musik wer-
den zum Träger der komplexen Ausdrucks-
welt Kuljerićs. Repušić erweist sich als Cho-
reograf des Chaos’. Mit präzisem Dirigat ze-
lebriert er diese Messe, auf die das Publi-
kum der Herz-Jesu-Kirche mit brausen-
dem Beifall reagiert. paul schäufele

München– ImKonzert des Sinfonieor-
chesters Basel im Prinzregententheater be-
schert die zweite Programmhälfte dem Zu-
hörer eine ballettlose Fassung von Beetho-
vens Ballettmusik „Die Geschöpfe des Pro-
metheus“. Dazu gibt es eigens verfasste
Texte des Autors Alain Claude Sulzer. Wie
in diesen Texten, die der Schauspieler Pe-
ter Simonischek wunderbar vorträgt, der
Prometheus-Mythos umrissen wird, ist
phasenweise verblüffend komisch.
Aber das hilft nur zu einem gewissen
Grad darüber hinweg, dass diese Musik
eben nicht als rein akustisches Ereignis
komponiert wurde und ohne Bühnenge-
schehen nicht ihre volle Wirkung entfaltet.
Trotzdem lohnt es, dem Orchester unter
der Leitung von Ivor Bolton aufmerksam
zu lauschen. Denn anders als bei Beetho-
vens fünftem Klavierkonzert mit dem Pia-
nisten Alexander Melnikov vor der Pause
musiziert das Orchester erstklassig. Sein
direkter, vibratoarmer Streicherklang
passt hervorragend, auch die Bläser spie-
len vorzüglich. Bolton gibt in rastloser Be-

wegung ein prägnantes Metrum vor, das
seinen Beitrag zu der präzisen, historisch
informiert wirkenden Darbietung leistet.
Derart ausgereift war das Klavierkon-
zert zuvor nicht: Sicherlich kann es span-
nend und befruchtend sein, wenn Solist
und Orchester zwei unterschiedliche Inter-
pretationsauffassungen einander gegen-
überstellen. In diesem Fall aber hätten ein
paar Berührungspunkte mehr nicht ge-
schadet. Das Orchester spielt auch das Kla-
vierkonzert mit kernig-kompaktem Klang


  • wenngleich nicht so exakt wie später die
    Ballettmusik. Melnikov hingegen wählt ei-
    ne romantischere Herangehensweise, ver-
    größert die Klangwirkung im ersten Satz
    durch üppigen Pedaleinsatz, ertastet in
    den leisen Passagen zarte Melodielinien.
    Die sind für sich gesehen zauberhaft, da sie
    nur selten zu fragil geraten. Das Orchester
    vermag Melnikov in diese ätherischen
    Sphären nicht zu folgen. Erst im Rondo,
    dessen rhythmisch markantes Thema Mel-
    nikov interessant betont, herrscht größe-
    rer Konsens. andreas pernpeintner


München– Esgehört eine gewisse Portion
Mut dazu, den Münchner Philharmoni-
kern vorzuschlagen, Filmmusik zu spie-
len, zumal die Stadt mit dem Rundfunkor-
chester oder den Symphonikern Alternati-
ven anzubieten hat, die über die größere Er-
fahrung auf diesem Gebiet verfügen.
Wenn Krzysztof Urbański allerdings die
Philharmonie mit der „Cantina Band“, ei-
nem der bekanntesten Stücke aus John Wil-
liams’ Soundtrack zu „Star Wars“, für knap-
pe drei Minuten in eine verruchte Jazzknei-
pe mit swingenden Saxofonen, kreischen-
den Klarinetten und schnipsenden Strei-
chern verwandelt, hat sich das Experiment
gelohnt.
Außerdem geht der polnische Dirigent
insofern auf Nummer sicher, da er die
Suite „Star Wars“ in den Kontext ihres spät-
romantischen Vorbilds stellt. Dass John
Williams freimütig zugibt, Gustav Holsts
„Planeten“ hätten ihn inspiriert, ist kaum
zu überhören. Für Urbański ist diese viel-
farbige, differenzierte Programmmusik ge-
nau das richtige Metier. Solch klangliche


Nuancierungen aus den Philharmonikern
herauszuholen, wie es ihm gelingt, können
momentan nur wenige Dirigenten.
Das tröpfchenweise perlende Scherzo,
das den Planeten Merkur mit dem immer
gleichen Thema beschreibt, geht er wun-
derbar quirlig und schillernd an; Saturn da-
gegen geriert sich als ausgreifende Balla-
de, die mit noblem Continuo durch und
durch britisch klingt. Sphärisch ist schließ-
lich, wie die Damen des Philharmonischen
Chores, nicht sichtbar im Foyer platziert,
Neptun mystisch ins Nichts verwehen las-
sen. Fein balancierte Klangfarben haben
hier Vorrang vor plakativer Effektmusik.
Ähnlich verhält es sich mit der Filmmu-
sik zu „Star Wars“, die stark am symphoni-
schen Gestus orientiert ist. Präzise arbeitet
Urbański die bekannten Melodien heraus,
lässt die Philharmoniker satt klingen und
wiederholt zum Abschluss einen Teil des
letzten Suitensatzes als Ad-Hoc-Zugabe,
auch das eine Seltenheit bei einem Abo-
Konzert. Das Experiment ist tatsächlich
rundum gelungen. david renke

Kraftvolle Bilder


Kroatischesglagolitisches Requiem von Igor Kuljerić


Kern des Spektakels ist
Kühnel&Kuttners Inszenierung
von Heiner Müllers „Der Auftrag“

Divergente Interpretation


Solist undSinfonieorchester Basel sind sich uneins


„Alle rennen nach dem Glück, das Glück rennt hinterher“, heißt es in Brechts Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens, das der Münchner Rapper
Fatoni fürs Festival einstudierte und performte. Seine Fans schienen zumindest über seinen Auftritt sehr beglückt. FOTO: CHRISTIAN MENKEL

KURZKRITIK


In fremden Galaxien


Philharmoniker überzeugen mit „Star Wars“-Suite


München– Ein DJ, der hinter seinem Pult
mit Effekten und Samples arbeitet, zwei
Sänger, die vorne auf der Bühne alles ge-
ben. Elektronische Musik, Hip-Hop-Beats,
abwechslungsreicher Rap. Vor der Bühne:
Kinder, die begeistert zu den Liedern mit-
wippen. Die Hamburger BandDeine Freun-
demacht Hip-Hop für Kinder. Aber im Kon-
zert am vergangenen Freitag ist nicht si-
cher zu klären, wer begeisterter ist: die Kin-
der oder deren Eltern.
Alle grölen kräftig mit, wenn die Band
sie dazu auffordert. Lukas Nimschek, ehe-
maliger Moderator der Sendung „Tigeren-
ten-Club“, Marcus Pauli, Live-DJ der Band
Fettes Brotund Florian Sump, Kindergärt-
ner und ehemaliger Drummer der Band
Echt, haben es geschafft, mit ihrer Musik
sowohl Eltern als auch Kinder zu begeis-
tern. Nicht nur musikalisch unterscheiden
sich ihre Songs von üblichen deutschen
Kinderliedern, auch textlich sprechen sie
eine andere Sprache. Sie nehmen ihre Zu-
hörer ernst, sich selbst aber nicht zu sehr
und schaffen es so, mehrere Perspektiven
in ihren Songtexten zu vereinen. Mit dem
Stück „Du bist aber groß geworden“ kön-
nen Kinder über den nervigen Dauer-
spruch lachen, Erwachsene bekommen
vorgeführt, wie es dazu kommt, dass sie
diesen Satz selbst sagen.
Die Band kommuniziert viel mit dem Pu-
blikum, ist dabei mal mehr, mal weniger
amüsant, aber immer zielgruppengerecht.
Kinder dürfen sich über den grummeligen
Hausmeister aufregen, Eltern werden erin-
nert, wie albern es ist, alles zu fotografie-
ren, was die Kinder machen. Angelehnt an
den Begriff „Helikoptereltern“ ist sicher-
lich auch der Titel des aktuellen, fünften Al-
bums „Helikopter“. Aber egal, ob neue
oder alte Stücke, das Publikum erweist
sich als textsicher. Die Atmosphäre ähnelt
einem Kinderfest auf einem Hip-Hop-Kon-
zert. Eltern rappen mit und schwingen die
Arme, Kinder sitzen auf ihren Schultern
und genießen die ausgelassene Stimmung
und die Musik.
Wegen des großen Andrangs spielte die
Band am Freitag, Samstag und Sonntag. Al-
le drei Konzerte waren ausverkauft, man-
che Familien mehrmals dort. Echte Heli-
kopterfans eben. anna weiß

Ingolstadt–Überraschung in Ingolstadt:
Ariel Zuckermann leitet von 2021 an er-
neut das Georgische Kammerorchester
(GKO). Der Grund: Der derzeitige künstle-
rische Leiter Ruben Gazarian lässt auf ei-
genen Wunsch nach sechs Jahren seinen
Vertrag zum Saisonende auslaufen.
Der armenische Chefdirigent, der von
2002 und 2018 auch künstlerischer Leiter
des Württembergischen Kammerorches-
ters Heilbronn war, hatte sich seit 2015
darauf konzentriert, aus dem GKO einen
modernen Klangkörper zu formen und
viele neue Werke und unbekanntere Kom-
ponisten aufgeführt. Dies gefiel vermut-
lich nicht allen.
Zuckermann kehrt laut Pressemittei-
lung für die Saison 2021/22 an seine alte
Wirkungsstätte zurück. Der israelische Di-
rigent kennt das Orchester gut, war er
doch zwischen 2007 und 2013 dessen
Chef. Er freut sich. „Es ist inzwischen so
viel Zeit vergangen, dass es sich wie ein
Heimkommen und Neuanfang zugleich
anfühlt“, wird er zitiert. Die erneute Zu-
sammenarbeit erfolgt auch auf Wunsch
des Orchesters. „Wir hoffen, an vergange-
ne Erfolge anzuknüpfen und möchten
uns auch mit dem neuen künstlerischen
Leiter gemeinsam weiterentwickeln“,
teilt der Orchestervorstand mit.
Erfolge könnten das chronisch unterfi-
nanzierte Orchester gut brauchen. Es
fehlt nicht nur an Geld, sondern auch an
Publikum. DerDonaukuriermeldete An-
fang Februar stark rückläufige Abonne-
mentzahlen und ein Abrücken des Haupt-
sponsors Audi. Keine gute Botschaft aus-
gerechnet in dem Jahr, in dem das GKO
sein 30-jährigen Bestehen feiert. srh

Der Joker im Schatten eines


dominanten Idols


Warten auf die Revolution

DasAugsburger Brecht-Festival eröffnet mit dem ersten Teil eines groß angelegten Spektakels und


einem ausgedehnten Band-Marathon, beides Kaleidoskope, denen man nur mit Verzicht Herr wird


Hip-Hop


für Kinder


Aber auch die Eltern haben Spaß
mit der BandDeine Freunde

Ariel Zuckermann


kehrt zurück


Am Ende gibt Vincent Glanzmann trom-
melnd den Rhythmus vor. FOTO: BETTINA STÖSS


Traditionell ist
in derBrecht-Nacht nicht
viel Brecht drin

R16 (^) KULTUR Montag, 17. Februar 2020, Nr. 39 DEFGH

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