Süddeutsche Zeitung - 17.02.2020

(Marcin) #1
interview: matthias drobinski

Kardinal Rainer Maria Woelki, 63, seit
2014 Erzbischof von Köln, gilt als Vertreter
der Konservativen in der Bischofskonfe-
renz; dem nun begonnenen Reformdialog
in der katholischen Kirche in Deutschland,
„Synodaler Weg“ genannt, steht er skep-
tisch gegenüber. Sein Eintreten für Flücht-
linge hat ihn aber auch zum Feind der poli-
tischen Rechten gemacht.

SZ: Herr Kardinal, nach der ersten Ver-
sammlung des Synodalen Weges sagten
Sie, alle Ihre Befürchtungen seien bestä-
tigt worden. Wollen Sie diesen Dialogpro-
zess verlassen?
Rainer Maria Woelki: Selbstverständlich
bin ich weiterhin dabei. Ich finde es als Kon-
sequenz aus dem Missbrauchsskandal not-
wendig, dass wir danach fragen, wie in der
katholischen Kirche Macht ausgeübt wird.
Wir müssen darüber reden, wie unsere
Priester leben, wie wir über Sexualität spre-
chen, wie wir Frauen fördern können. Ich
fürchte aber, dass dies gerade in einer
Weise geschieht, als könne man in der ka-
tholischen Kirche einfach über Dinge ab-
stimmen, die weltweit und lehramtlich
festgelegt sind.

Sie meinen zum Beispiel den Zugang für
Frauen zu Weiheämtern.
Da gibt es ein klares, abschließendes Nein
von Papst Johannes Paul II., das Papst Fran-
ziskus gerade erst wieder bestätigt hat. Da
sind wir nicht frei zu sagen: Wir diskutie-
ren das grundlegend neu und stimmen
dann ab.

Aber verstehen Sie nicht die Frauen, de-
nen dieses Nein nicht mehr genügt, die
fragen: Wieso soll die Kultfähigkeit ans
Mannsein geknüpft sein?
Ich verstehe, dass sich da die Maßstäbe ei-
ner modernen Gesellschaft und die der Kir-
che schmerzhaft stoßen. Es gibt für uns
das von Christus gestiftete apostolische
Amt – und es gibt die vielen verschiedenen
Dienste, Aufgaben und Berufe, die von der
Kirche eingerichtet worden sind. Diese ste-
hen selbstverständlich Frauen und Män-
nern in gleicher Weise offen. Wir müssen
immer wieder klarmachen: Dass Frauen
nicht zum Priester geweiht werden kön-
nen, bedeutet keine Abwertung und nicht,
dass sie einen geringeren Anteil am Pries-
tertum aller Gläubigen haben. Wir brau-
chen mehr Frauen in kirchlichen Leitungs-
positionen, die dann auch Vorgesetzte von
Priestern sind. Der Stifterwille Jesu lässt
uns aber keine Vollmacht und Handhabe,
Frauen zu weihen.

Die evangelische Kirche ordiniert Frau-
en. Sie haben von einer drohenden Protes-
tantisierung der katholischen Kirche
gesprochen. Wäre das schlimm?
Die Gemeinschaften der Reformation ha-
ben ein anderes Kirchenverständnis als wir
Katholiken. Mein Gegenüber in der Evange-
lischen Kirche im Rheinland trägt den Titel
„Präses“, weil er den Vorsitz in der Landes-
synode innehat, dem obersten Leitungsgre-
mium der Landeskirche. Zwar kennt und
praktiziert auch die katholische Kirche syn-
odale Elemente. Die Leitung aber, der ei-
gentliche Hirtendienst, ist den Bischöfen in
Gemeinschaft mit dem Papst übertragen.
Diesen Hinweis hat man mir entgegen mei-
ner tatsächlichen Intention als Abwertung
oder gar Beschimpfung ausgelegt.

Der Synodale Weg soll über alles reden –
ohne das Weiheverbot für Frauen infrage
zu stellen, den Zölibat, das Verbot künstli-
cher Verhütung, die Bewertung homose-
xueller Akte als „ungeordnet“?

Wir müssen versuchen, die Lehre tiefer zu
durchdringen. Natürlich weiß ich, dass vie-
le sich damit schwertun. Unsere Herausfor-
derung ist zu übersetzen, was wir vom
Glauben her als wahr und richtig erkannt
haben. Wir können nicht einfach sagen:
Weil viele Menschen nicht mehr verste-
hen, was unseren Glauben, unsere Lehre
ausmacht, müssen wir sie so anpassen,
dass es die Leute nicht mehr irritiert.
Das Unverständnis geht bis in den Kern
der katholischen Gemeinden hinein.
Ich finde, wir überschätzen das Gewicht
dieser Themen. Christus hat Apostel in die
Welt gesandt, keine Moralapostel. Das
Christentum ist keine Religion der Moral,
sondern der Gottes- und Nächstenliebe, al-
so der Beziehung der Menschen zu Gott
und untereinander. Wir müssen die Gottes-
frage, die Christusfrage stellen und rele-
vant halten, das ist viel wichtiger, als über
Regeln fürs Schlafzimmer zu diskutieren.

Wer aber überschätzt die Frage nach den
Regeln? Die Konservativen, die auf ihre
Einhaltung pochen? Die Liberalen, die da-
gegen anrennen? Beide gemeinsam, weil
sie immer neu die Aufmerksamkeit auf
sie lenken?
Ich habe in meiner Verkündigung noch nie
einen Schwerpunkt auf diese Fragen ge-
legt. Ich finde, das gehört eher in eine per-
sönliche geistliche Begleitung. Ich halte al-
lerdings die kirchliche Lehre auch nicht für
leibfeindlich. Schon im Zweiten Vatikani-
schen Konzil ist von der Freude an der Se-
xualität die Rede, dass sie Teil der mensch-
lichen Würde ist.

Für die Ehepartner ja. Aber für alle Akte
außerhalb einer Ehe von Frau und Mann
gilt das nicht.
Zu Beginn des ersten Buchs der Bibel lesen
wir, dass Mann und Frau „ein Fleisch“ wer-
den. Diese Vorstellung bleibt nicht beim Ge-

schlechtsakt stehen, sondern führt weiter
hin zur tiefsten denkbaren Lebensgemein-
schaft zweier Menschen: Ein Mann und ei-
ne Frau nehmen sich ganz und gar und end-
gültig gegenseitig an. Wenn das dagegen
gar nicht der Fall ist, mangelt es diesem Zei-
chen an Wahrhaftigkeit. Es geht also dar-
um, wie hier Christen ihre Sexualität und
Geschlechtlichkeit deuten und gestalten,
so gut sie es können. Dass es auch andere
menschlich gelingende Beziehungen gibt,
das weiß ich. Noch einmal: Wir sollen keine
Moralagentur sein, sondern Zeugen des le-
bendigen Gottes, der selber Liebe ist.

Aber wird dieses Zeugnis nicht schwierig,
wenn in der Kirche Anspruch und Realität
so sehr auseinanderklaffen? Hören Sie
nicht oft, wenn Sie sich für Flüchtlinge ein-
setzen: Von diesem weltfremden Laden
lassen wir uns nichts sagen?
Träfe mein Eintreten für Flüchtlinge auf
weniger Widerspruch, wenn ich für das
Frauenpriestertum wäre? Wir haben einen
klaren Auftrag: den Gottesglauben und
das Evangelium in unsere Zeit hineinzu-
bringen. Dieses Evangelium ist eine men-
schenfreundliche Botschaft. Deshalb müs-
sen wir uns einsetzen für Gerechtigkeit,
für den Schutz des Lebens in allen Phasen,
müssen an der Seite der Benachteiligten
und der Migranten stehen. Je überzeugen-
der wir das mit der Bezeugung des Evange-
liums verbinden, desto mehr strahlen wir
aus. Es führt ja nicht alles, was eine säkula-
re Gesellschaft vorgibt, zum sinnerfüllten
Leben. Die absolute Freiheit, der Zwang,
alles ausleben zu müssen, kann zerstöre-
risch werden. Da hat der christliche Glaube
menschenfreundliche Antworten – auch
wenn sie bisweilen quer zu dem stehen,
was man so tut und denkt, wie man so lebt.

Genau da trifft der Missbrauchsskandal
die katholische Kirche am härtesten: Eini-

ge derer, die diese Menschlichkeit predig-
ten, haben Kindern Gewalt angetan – und
die Institution hat es nicht gemerkt, ver-
harmlost, gar vertuscht.
Ja, da können die Fragen an uns selber
nicht scharf und kritisch genug sein. Der
Missbrauch der Macht ist eine der großen
menschlichen Versuchungen. Nicht ein-
mal Jesus wurde davon verschont. Der Teu-
fel führt ihn in der Wüste auf einen hohen
Berg und sagt: Ich gebe dir alle Reiche der
Welt, wenn du mich anbetest. Wir müssen
alles dafür tun, dass dieser Skandal aufge-
arbeitet wird – und auch das institutionel-
le Versagen benennen.

Wenn es um die verbesserte Prävention
geht, wird die katholische Kirche gelobt –
wenn es ums institutionelle Versagen
geht, gibt es immer noch viel Kritik.
Wir lassen jetzt unabhängig durch eine
Münchner Anwaltskanzlei alle Akten aufar-
beiten, die uns zur Verfügung stehen.
Diese Anwaltskanzlei wird am 12. März in
einer Pressekonferenz ihre Ergebnisse vor-
stellen. Auch ich werde diese Ergebnisse
erst dort erfahren. Sollten dort neue Be-
schuldigungen auftauchen, gehen die
Akten an die Staatsanwaltschaft, und auch
ein kirchliches Verfahren wird eröffnet.
Die Anwaltskanzlei wird zudem Verantwor-
tungsträger benennen, die aufgrund ihrer
Entscheidungen und ihres Verhaltens
dazu beigetragen haben könnten, dass
Missbrauch strukturell, institutionell oder
auch ganz konkret möglich wurde.

Das werden vielleicht Verantwortliche
sein, mit denen Sie als Weihbischof eng zu-
sammengearbeitet haben.
Das muss ich aushalten. Vielleicht stehe
auch ich in der Kritik. Ich habe sozusagen
meine eigene Anklageschrift in Auftrag ge-
geben. Was herauskommt, weiß ich nicht.

Viele Betroffene wünschen, an dieser Auf-
arbeitung stärker beteiligt zu sein.
In Köln passiert das bereits, wir waren das
erste Bistum, das einen Betroffenenbeirat
eingerichtet hat. Wir fragen ausdrücklich,
wie er die Dinge beurteilt. Ich spreche regel-
mäßig mit Betroffenen, zuletzt vor zwei
Wochen.

Eine Arbeitsgruppe der Bischofskonfe-
renz hat im vergangenen September vor-
geschlagen, eine neue Entschädigungsre-
gelung zu treffen – und hat, je nach Mo-
dell, Zahlungen von bis zu 400 000 Euro
ins Spiel gebracht. Doch die Bischöfe
können sich da offenbar nicht einigen.
Warum nicht?
Eine Gruppe von Fachleuten arbeitet jetzt
daran, welche Lösungen in Betracht kom-
men. Aber da sind wir leider tatsächlich
noch nicht sprechfähig.

Was ist da Ihre Haltung?
Wir müssen zu einer neuen Regelung kom-
men. Aber wir müssen noch eine Lösung
finden, die wir einheitlich vertreten kön-
nen. Da geht es um gemeinsame Standards
und Kriterien. Es kann nicht sein, dass
Menschen, denen Vergleichbares widerfah-
ren ist, in verschiedenen Diözesen unter-
schiedliche Leistungen erhalten.

Wenn die Diözesen tatsächlich bis zu einer
Milliarde Euro zahlen, wie das die Betrof-
fenenvereinigungen fordern – wäre das
nicht ein starkes Signal? Könnte das Frie-
den mit den Betroffenen bringen?
Ein Signal wollen wir setzen, aber um Ver-
söhnung können wir nur bitten. Egal, wie
viel Geld wir zahlen.

Sie werden als konservativer Kardinal
wahrgenommen – staunen Sie über die
Einordnung oder sind Sie stolz auf sie?
Ich kann mit solchen Einordnungen wenig
anfangen. Ich versuche, mich mit meiner
Gebrochenheit und meinen Widersprü-
chen am Evangelium auszurichten und
das jeden Tag einigermaßen zu leben. Da
wirke ich manchmal konservativ – und am
nächsten Tag sind die Rechten empört,
weil ich mich für Migranten einsetze, und
sprechen mir das Katholischsein ab. Das
ist aber die Spannung, die entsteht, wenn
ich mich an Christus zu orientieren ver-
suche.

Im September soll die zweite Versamm-
lung des Synodalen Wegs stattfinden.
Haben Sie sich das Wochenende frei-
gehalten?
Aber sicher, ja.

Die Beratungen werden nach dem ange-
kündigten Rückzug von Kardinal Rein-
hard Marx vom Vorsitz der Bischofskonfe-
renz nicht einfacher werden.
Es wäre auch unter anderen Umständen
ein schwieriger Weg, denn wir alle in die-
sem Prozess ringen mit Leidenschaft um
die richtigen Antworten. „Zeugnis trifft
auf Zeugnis“: Dieser Buchtitel aus dem
interreligiösen Dialog trifft auch die Situa-
tion des Synodalen Wegs recht genau.
Wirklich alle sprechen aus ihren Überzeu-
gungen und ihrem Gewissen heraus. Ein-
fach kann ein solcher Dialog nicht sein.

Würde Sie die Aufgabe reizen: Vorsitzen-
der der Bischofskonferenz?
Ich habe den größten Respekt vor jedem Bi-
schof, der diese zusätzliche Aufgabe auf
sich nehmen will. Es ist eine große Aufgabe
und ein wahrer Dienst an der Gemein-
schaft der Bischöfe. Ich persönlich möchte
mich auf die Herausforderungen konzen-
trieren, die sich mir als Erzbischof von
Köln und als Kardinal der katholischen
Weltkirche stellen.

„Wir sollen keine Moralagentur sein“


Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki verteidigt die Entscheidung des Vatikans, Frauen auch weiterhin nicht zu Priestern zu weihen. Er erklärt,
warum sich Versöhnung nach dem Missbrauchsskandal nicht kaufen lässt – und ob er seine Zukunft an der Spitze der Bischofskonferenz sieht

„Ich habe sozusagen meine
eigeneAnklageschrift
in Auftrag gegeben. Was
herauskommt, weiß ich nicht.“

„Die absolute Freiheit,
der Zwang,
alles ausleben zu müssen,
kann zerstörerisch werden.“

Karlsruhe– Nach bundesweiten Razzien
gegen eine mutmaßlich rechte Terrorzelle
haben Ermittlungsrichter am Bundesge-
richtshof Haftbefehle gegen zwölf Männer
erlassen. Vier mutmaßliche Mitglieder
und acht mutmaßliche Unterstützer befin-
den sich in Untersuchungshaft. Das erklär-
te ein Sprecher des Generalbundesanwalts
in Karlsruhe am Samstag.

Nach Informationen des MagazinsDer
Spiegelwurde der mutmaßliche Anführer
der Gruppe von den Sicherheitsbehörden
als rechtsextremer Gefährder geführt. Wie
das Magazin berichtet, hatten Staatsschüt-
zer den 53-jährigen Werner S. aus dem
Landkreis Augsburg bereits vor mehreren
Monaten entsprechend eingestuft. Die
mutmaßlichen Rechtsterroristen sollen
laut Bundesanwaltschaft Anschläge auf Po-
litiker, Asylbewerber und Muslime ins Au-
ge gefasst haben, um Chaos auszulösen
und so die Gesellschaftsordnung der Bun-
desrepublik ins Wanken zu bringen. Er-
kenntnissen des Senders SWR zufolge hat
die Polizei bei den Durchsuchungen am
Freitag zahlreiche Waffen sichergestellt,

darunter selbstgebaute Handgranaten.
Die Festgenommenen, alle Deutsche, sind
dem Vernehmen nach zwischen 31 und 60
Jahre alt. Vier von ihnen sollen sich zu der
eigentlichen Terrorzelle zusammenge-
schlossen haben. Die acht Anderen sollen
sich bereit erklärt haben, Geld zu geben,
Waffen zu beschaffen oder an künftigen
Anschlägen mitzuwirken. Zum Kern der
Gruppe rechnet die Bundesanwaltschaft
noch einen fünften Mann. Er wurde aber
als Einziger nicht festgenommen.
Laut Bundesanwaltschaft hatte sich die
Gruppe in Chats und telefonisch ausge-
tauscht und sich mehrmals getroffen. Die-
se Treffen soll Werner S. koordiniert ha-
ben, zum Teil unterstützt von Tony E., 39,
aus Niedersachsen. WieDer Spiegelberich-
tete, sollen mehr als zehn Leute am Sams-
tag der Vorwoche im westfälischen Min-
den zusammengekommen sein. Dieses
Treffen hätten die Sicherheitsbehörden
mit großem Aufwand observiert. WieWelt
am Sonntagunter Berufung auf Ermittler-
kreise berichtete, agierte die Gruppe unter
dem Namen „Der harte Kern“. Die Männer
hätten Bezüge zur rechtsextremen Grup-
pierung „Soldiers of Odin“ gehabt. Deren
Mitglieder organisierten nach dem Vorbild
rechtsradikaler Gruppen in Skandinavien
Straßenpatrouillen, zuletzt auch als „Wo-
dans Erben Germanien“. dpa, sz

Extrem harter Kern


Razzien wegen Terrorverdachts: Inhaftierter galt als „Gefährder“


Berlin– Jeder vierte Armutsgefährdete
in Deutschland ist erwerbstätig. Das
geht aus aktuellen Daten des Statisti-
schen Bundesamtes auf Anfrage der
Linken hervor. Ein weiteres knappes
Viertel der Menschen, die mit ihrem
Geld kaum über die Runden kommen,
sind Rentner ab 65 Jahren. Als armuts-
gefährdet gilt nach EU-Definition, wer
mit weniger als 60 Prozent des mittle-
ren Nettoeinkommens der Gesamtbevöl-
kerung auskommen muss. Für Ein-Per-
sonen-Haushalte in Deutschland lag
diese Schwelle 2018 bei 1035 Euro im
Monat. Laut dem Statistischen Bundes-
amt gingen 2018 von den Armutsgefähr-
deten 25,4 Prozent einer Beschäftigung
nach. Knapp 23 Prozent waren Rentner,
fast 21 Prozent Kinder und Jugendliche.
24,2 Prozent stellten weitere Nichter-
werbspersonen, also Auszubildende,
Studierende, Hausfrauen und Men-
schen, die arbeitsunfähig oder in einer
Fort- und Weiterbildung sind. Erwerbs-
los gemeldete Menschen bildeten mit
nur 6,7 Prozent die fünfte Gruppe.epd


Stuttgart– Der Oberbürgermeister von
Backnang, Frank Nopper, soll im Herbst
für die CDU in den Stuttgarter OB-Wahl-
kampf ziehen. Das gab der Vorsitzende
der Findungskommission der CDU
Stuttgart, Roland Schmid, bekannt.
Nopper stehe für einen Neuanfang in
der Landeshauptstadt, sagte Schmid
am Samstag. Der 58-jährige gebürtige
Stuttgarter ist seit 2002 OB von Back-
nang. Zuvor hatte sich der CDU-Ober-
bürgermeister von Schwäbisch Gmünd,
Richard Arnold, gegen eine Kandidatur
entschieden. „Frank Nopper ist ein
hervorragender, ja geradezu exzellenter
Kandidat“, lobte der CDU-Landesvorsit-
zende Thomas Strobl. Stuttgarts Stadt-
oberhaupt Fritz Kuhn (Grüne) hatte
erklärt, nicht für eine zweite Amtszeit
antreten zu wollen. Auch die Grünen
suchen per Findungskommission einen
Kandidaten. LautStuttgarter Zeitung
undStuttgarter Nachrichtensoll die
Bezirksvorsteherin in Stuttgart-Mitte,
Veronika Kienzle, für die Grünen in den
OB-Wahlkampf ziehen. dpa


Erfurt– Ex-Ministerpräsident Bodo
Ramelow (Linke) geht auf der Suche
nach einem Ausweg aus der Thüringer
Regierungskrise weiter auf die CDU zu.
Er sei bereit, sich mit der CDU auf Auf-
gaben wie den Landesetat für 2021 oder
ein Investitionsprogramm für die Kom-
munen zu verständigen, sagte Ramelow
der Deutschen Presse-Agentur. Erst-
mals seit der Wahl von Thomas Kemme-
rich (FDP) mit AfD-Stimmen zum Minis-
terpräsidenten wollen sich an diesem
Montag in Erfurt Vertreter von Linke,


SPD und Grünen mit einer Arbeitsgrup-
pe der CDU-Fraktion treffen. CDU-Ge-
neralsekretär Raymond Walk bestätig-
te, es bleibe bei dem Termin ungeachtet
der personellen Turbulenzen in seiner
Partei. Am Freitag hatte CDU-Landes-
chef Mike Mohring angekündigt, nicht
erneut als Landesparteichef zu kandi-
dieren. Am Samstag protestierten in
Erfurt Tausende Menschen gegen die
Wahl des Regierungschefs mithilfe der
AfD. Zu einer Kundgebung auf dem
Domplatz kamen laut Polizei 6000 Men-
schen, an einem Demonstrationszug
durch die Innenstadt beteiligten sich
bis zu 9000 Menschen (FOTO: AFP). dpa


Böblingen– Die AfD betont selbst immer
wieder gerne, dass sie anders sei als andere
Parteien. Beim Sonderparteitag in Baden-
Württemberg bestätigt sich diese These
schnell. Denn die Partei hat offensichtlich
Angst vor ihren eigenen Mitgliedern und
begleitet ihren Parteitag deshalb mit Si-
cherheitsvorkehrungen, die man von ande-
ren Parteien nicht kennt. Wer am Wochen-
ende rein will in die Böblinger Kongresshal-
le, der muss am Eingang einen Mitglieds-
ausweis vorzeigen und außerdem private
Sicherheitskräfte passieren, Abtasten und
Taschenkontrolle inklusive. Es dauert, bis
es die gut tausend Mitglieder, minus mitge-
führte Getränke, schließlich in die Halle ge-
schafft haben. Die Veranstaltung, auf der
die zerstrittene Landespartei einen neuen
Vorstand wählen will, beginnt am Samstag
mit einer Stunde Verspätung.
Noch viel länger dauert es, bis die Perso-
nalfragen tatsächlich geklärt werden kön-
nen, denn das Misstrauen ist allgegenwär-
tig. Erst einmal muss ein Sachverständi-
ger, der die elektronischen Abstimmgeräte
begutachtet hat, auf die Bühne, um dar-
über zu berichten, warum die kleinen Käs-
ten nicht von außen manipuliert werden
können. Dann muss auch noch geklärt wer-
den, welche Pflichtfragen die potenziellen
Kandidaten für den neuen Vorstand zu be-
antworten haben. Schließlich wird zwar


verworfen, dass die Kandidaten darüber
berichten müssen, ob sie ihren Namen
nach dem 18. Lebensjahr geändert haben
und ob Ermittlungsverfahren gegen sie lau-
fen. Akzeptiert wird aber die Frage, ob es
Eintragungen im Führungszeugnis gibt.
Nachdem auch noch diskutiert wird, ob
der Standort der Saalmikrofone eventuell
jemanden bevorteilen könnte, geht es los –
und das relativ diszipliniert mit festgeleg-
ten Redezeiten und ausgelosten Fragen.
Es ist der einzige Moment des Partei-
tags, an dem alle 1016 akkreditierten Mit-
glieder im Saal sind und ihre Stimme abge-
ben: Die Versammlung macht Alice Weidel
mit 54 Prozent der Stimmen zur alleinigen
Vorsitzenden. Die Fraktionsvorsitzende
im Bundestag mit Wahlkreis am Bodensee,
die mit dem Anspruch angetreten ist, den
zerstrittenen Landesvorstand zu befrie-
den, setzt sich gegen den Bundestagsabge-
ordneten Dirk Spaniel durch. Spaniel ge-
hört im Südwesten dem Lager an, das mit
dem völkischen „Flügel“ sympathisiert.
Für Weidel wird auch die folgende Stell-
vertreterwahl zum Erfolg auf ganzer Linie:
Auf allen drei Posten setzen sich mit ähnli-
chen Mehrheitsverhältnissen die Kandida-
ten aus ihrem Lager durch. Es sind die Bun-
destagsabgeordneten Martin Hess, Marc
Jongen und Markus Frohnmaier. Sämtli-
che Gegenkandidaten, die mit dem „Flü-

gel“ in Verbindung gebracht werden, unter-
liegen. Dass im Vorstand kein Landespoliti-
ker ist, sorgt bei einigen Parteimitgliedern
für Unmut, ebenso wie die Tatsache, dass
das „Flügel“-nahe Lager nicht vertreten
sei. Die befürchtete Schlammschlacht
bleibt aber aus. Handlungsfähig, weil ei-
nig, dürfte der neue Vorstand sein. Ob er es
auch schafft, die kleine Partei mit ihren
knapp 5000 Mitgliedern zu befrieden,
wird sich spätestens im Sommer zeigen,
wenn ein Spitzenkandidat für die Land-
tagswahl 2021 nominiert werden muss.
In Böblingen ist allerdings nicht erkenn-
bar, ob sich die Lager tatsächlich politisch
unterscheiden. Gemäßigt klingt auch das
Weidel-Lager nicht. Jongen unterstellt den
Deutschen eine „Wiedergutmachungsneu-
rose“, Weidel zieht verbal den Hut vor dem
Rechtsextremisten und „Flügel“-Mann
Björn Höcke: „Ich muss sagen, dass der
Herr Höcke einen sehr guten Job in Thürin-
gen gemacht hat. Und das, was er letzte Wo-
che geschafft hat“ – gemeint ist die Minis-
terpräsidentenwahl in Thüringen –, „das
hat noch keiner vor ihm geschafft. Und da-
für gebührt ihm der höchste Respekt.“ Das
passt zur Losung, die Weidel in ihrer Bewer-
bungsrede ausgegeben hat: „Einigkeit und
Zusammenhalt über die politischen Strö-
mungen hinweg. Was zählt, ist der politi-
sche Erfolg.“ claudia henzler

DEFGH Nr. 39, Montag, 17. Februar 2020 (^) POLITIK HMG 5
Kardinal Rainer Maria Woelki, 63, ist seit 2014 Erzbischof von Köln. FOTO: ROLFVENNENBERND / DPA
Mit 54 Prozent wurde Alice Weidel an die
Spitze des AfD-Landesverbandes Baden-
Württemberg gewählt. FOTO: A. HETTRICH/IMAGO
Die Festgenommenen sollen
Anschläge auf Politiker, Muslime
und Asylbewerber geplant haben
In Arbeit und arm
Von Backnang nach Stuttgart
Ramelows Angebot an CDU
INLAND
Das Misstrauen ist allgegenwärtig
AliceWeidel setzt sich beim Sonderparteitag der Südwest-AfD durch und soll den zerstrittenen Landesverband befrieden

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