Süddeutsche Zeitung - 17.02.2020

(Marcin) #1
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zieht sich zurück – und diese drei Männer gelten als die aussichtsreichsten Kandidaten, um das Amt zu übernehmen und womöglich einmal Bundeskanzler zu werden (v. li.): Nordrhein-Westfalens
MinisterpräsidentArmin Laschet, Gesundheitsminister Jens Spahn und der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz. FOTOS: OLIVER DIETZE/DPA, BERND VON JUTRCZENKA/DPA, WOLFGANG KUMM/DPA

von stefan braun
und robert roßmann

Berlin– Das kann heiter werden, für alle
Beteiligten.Von dieser Woche an will Noch-
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbau-
er in Einzelgesprächen mit ihren mögli-
chen Nachfolgern versuchen, Kompromis-
se auszuloten. Was für sie einerseits schön
ist, weil ihr die anstehenden Treffen mit Ar-
min Laschet, Friedrich Merz und Jens
Spahn eine gewisse Macht einräumen. An-
dererseits dürfte es ein mühsames Unter-
fangen werden, weil Kramp-Karrenbauers
Beziehungen zu den dreien kompliziert, de-
ren Beziehungen untereinander aber noch
komplizierter sind. Es könnte also schwer
werden, das Bedürfnis all jener in der CDU
zu befriedigen, die sich eine einvernehmli-
che Lösung wünschen.
Laschet, Merz und Spahn haben sich be-
reits untereinander jeweils unter vier Au-
gen gesprochen. Und es heißt, die Gesprä-
che seien sehr freundlich verlaufen. An
den Konfliktlinien aber konnte das bislang
nichts ändern.
Da ist das Verhältnis zwischen Merz und
Spahn. Aus seiner Sicht hat Spahn schon
lange für jene Änderungen gefochten, die
sich Merz jetzt auf die Fahnen geschrieben
hat. In all den Jahren, in denen der Ex-Uni-
onsfraktionschef die Bundespolitik verlas-
sen und viel Geld in der Privatwirtschaft
verdient hat, bemühte sich Spahn immer


wieder um Kurskorrekturen der CDU. Auf
dem Parteitag 2012 in Hannover gehörte er
zu den Vorkämpfern für eine steuerliche
Gleichstellung homosexueller Lebenspart-
ner. 2014 in Berlin attackierte er die teuren
Rentenbeschlüsse der großen Koalition.
Und 2016 in Essen verhalf er mit einer furi-
osen Rede einem Antrag für Verschärfun-
gen beim Doppelpass zur Mehrheit – ge-
gen den Widerstand der Kanzlerin.
Außerdem, das ist wohl am wichtigsten,
war Spahn der erste relevante CDU-Politi-
ker, der öffentlich Zweifel an Angela Mer-
kels Flüchtlingspolitik äußerte. Er meldete
sich bereits am 13. September 2015 zu
Wort, also gerade acht Tage nach jener
Nacht, in der Merkel entschieden hatte, die
in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge einrei-
sen zu lassen. In derSüddeutschen Zeitung
warnte Spahn damals, die Zustimmung zu
Merkels Willkommenspolitik sinke „stünd-
lich“. Es sei „sehr gefährlich“, dass sich we-
gen „der beinahe euphorischen Darstel-
lung“ in der öffentlichen Debatte große Tei-
le der Bürger mit ihren Sorgen nicht mehr

wiederfänden. Als er das sagte, stand die
CDU in Umfragen bei mehr als 40 Prozent,
die AfD lag unter fünf. Spahn glaubt, dass
ihm die Entwicklung recht gegeben hat.
Mit seinen Vorstößen punktete Spahn
nicht nur beim Wirtschaftsflügel der CDU
und bei der Jungen Union. Er gewann auch
die Gunst von Wolfgang Schäuble. Der da-
malige Bundesfinanzminister holte Spahn
2015 als Staatssekretär in sein Haus. Umso
enttäuschter war Spahn, als sich Schäuble,
der Wirtschaftsflügel und viele JUler nach
der plötzlichen Rückkehr von Merz 2018
für diesen und nicht für ihn aussprachen.

Belastet ist auch das Verhältnis von
Spahn zum dritten im Bunde, zu Armin La-
schet. Der wollte 2014 verhindern, dass
Spahn ins CDU-Präsidium – das höchste
Parteigremium – aufsteigt. Laschet hielt

Spahns unabgesprochene Kandidatur für
ein egoistisches Vorpreschen und setzte
als nordrhein-westfälischer CDU-Landes-
vorsitzender durch, dass sich die NRW-
CDU für den damaligen Bundesgesund-
heitsminister Hermann Gröhe aussprach.
In einer Kampfabstimmung auf dem Bun-
desparteitag gewann Spahn trotzdem. Und
Laschet war verärgert, weil Spahn seine Au-
torität untergraben hatte.
Noch größer war Laschets Ärger im Jahr


  1. Damals befürchtete Laschet, dass
    Spahn ihm mit seiner Forderung nach ei-
    nem Islamgesetz zur besseren Kontrolle
    der Moscheen und der Imame den Land-
    tagswahlkampf vermasseln könnte. Als
    früherer Integrationsminister hält Laschet
    sich auf diesem Gebiet fürdenCDU-Exper-
    ten und vertritt im Umgang mit dem Islam,
    mit Migranten und mit Flüchtlingen deut-
    lich moderatere Positionen als Spahn.
    Im damaligen Landtagswahlkampf sah
    es lange nicht so aus, als ob Laschet es tat-
    sächlich zum Ministerpräsidenten brin-
    gen würde. Und manche hatten den Ein-


druck, dass Spahn eine Niederlage gar
nicht so schlimm fände, weil er dann selbst
nach dem wichtigen Landesvorsitz hätte
greifen können.
Das Verhältnis zwischen Laschet und
Merz ist nicht ganz so verkrampft. Das
liegt daran, dass Laschet schon vor Jahren
erkannt hat, dass er sein Image als schwarz-
grüner „Türken-Armin“ korrigieren muss,
um in der Partei breitere Anerkennung zu
finden. Er hat deshalb nach der Wahl zum
Ministerpräsidenten nicht nur einen be-
sonderen Fokus auf die Wirtschaftspolitik
und die Innere Sicherheit gelegt, sondern
auch Merz eingebunden. Laschet berief
ihn zum „Beauftragten für die Folgen des
Brexit und die transatlantischen Beziehun-
gen“. Und er machte ihn zum Aufsichtsrats-
chef des Flughafens Köln-Bonn.
Das geschah wohl auch in der Überzeu-
gung, dass Merz keinen größeren Ehrgeiz
mehr entwickeln würde. Dass sich das än-
dern könnte, erfuhr Laschet freilich als ei-
ner der ersten. So sprach Merz schon im
Sommer 2018 mit ihm über Möglichkei-

ten, auf eine größere Bühne zurückzukeh-
ren. Als es dann konkret wurde an jenem
Montag im Oktober 2018, an dem Merkel
ihren Verzicht auf den CDU-Vorsitz erklär-
te, fühlte sich Laschet gleichwohl überrum-
pelt. Statt sich noch mal mit Laschet zu be-
ratschlagen, lancierte Merz nur Minuten
nach den ersten Meldungen über Merkels
Verzicht sein Interesse. Von diesem Mo-
ment an steckte Laschet in einer Klemme.
Alle Welt fragte ihn damals, was er jetzt
machen werde. Und das in einer Situation,
in der sich Laschet gerade erst in Düssel-
dorf eingerichtet hatte. Der Chef des mäch-
tigsten, weil mitgliederstärksten Landes-
verbandes war nicht vorbereitet und muss-
te vom ersten Tag an gegen Spaltungen im
eigenen Verband ankämpfen, denn nur
Stunden nach Merz hatte auch Spahn sei-
nen Hut in den Ring geworfen. Laschet
steckte zwischen den Fronten und verzich-
tete auf eine Kandidatur. Damals ging es ja
auch „nur“ um den CDU-Vorsitz und noch
nicht um die Kanzlerkandidatur.
Und nun? Jetzt ist das Verhältnis noch
angespannter. Und die Töne werden schär-
fer. Ein Teil des CDU-Establishments will
Merz verhindern. Das aber dürfte nur gelin-
gen, wenn Laschet antritt. Gleichzeitig hat
Laschet als Ministerpräsident viel zu verlie-
ren, sollte für ihn etwas schief gehen. Merz
dagegen kann volles Risiko gehen. Er hat
kein Amt zu verlieren. Wenn es nicht
klappt, kann er einfach Adieu rufen.

München – Giuseppe Contemuss ein
Mann von großer Elastizität sein und von
großem Pflichtgefühl: Schon wieder muss
Italiens Premier ziehen, zerren, drohen
und schmeicheln, damit sich die fragile Re-
gierungskoalition noch etwas weiter
schleppt. Ihre parlamentarische Mehrheit
ist akut in Gefahr, weil eine Kleinpartei al-
les durcheinanderwirbelt, und zwar wegen
einer angesichts der Probleme des Landes
ziemlich sekundären Frage. Aber der Chef
der Kleinpartei heißt Matteo Renzi, und
dem Ex-Premier ist Zurückhaltung nicht
gegeben. Er legt sich mit seiner Kleinpartei
Italia Viva (IV) quer bei Teilen einer Justiz-
reform, die seit Monaten die Energie der
Regierungsparteien absorbiert. Knack-
punkt sind neue Regeln für Verjährungs-
fristen in Strafverfahren. Sie lassen die im
September gezimmerte Regierung Con-
te II wackeln, die vor allem von der Angst
vor Neuwahlen zusammengehalten wird.
Die großen Koalitionspartner Fünf Ster-
ne (M5S) und der sozialdemokratische PD
einigten sich im Kabinett vergangene Wo-
che mit einigen Abänderungen auf den Ent-
wurf der nach dem Justizminister Alfonso
Bonafede genannten Gesetze, auch der
kleine Koalitionär Liberi e Uguali (LEU) ist
mit im Boot. Aber beide Ministerinnen von
Renzis IV schwänzten diese Kabinettssit-
zung, und am Freitag drohte Renzi gar, er
erwäge, einen Misstrauensantrag gegen
den Justizminister zu stellen. Selbst dem
elastischen Premier Conte reicht es da. Er
sei die „Spielchen“ leid, sagte der parteilo-
se Conte, und bekam von Renzi per Twitter
patzig zurück: „Wenn der Premier uns raus-
jagen will, soll er nur.“ Dann müsse der al-
lerdings sehen, woher er eine Mehrheit
nehme.
Am Sonntag war Renzi schon wieder et-
was abwartender, denn Conte ist offenbar
dabei, Italia Viva in der Koalition überflüs-
sig zu machen. Ihm ist der nach Profilie-
rung suchende Renzi zu unzuverlässig ge-
worden, der ihm doch vor einem halben
Jahr versprochen hatte, zur Regierung zu
stehen. Das war, nachdem der rechtspopu-
listische Vize-Premier Matteo Salvini un-
ter Getöse mit seiner Lega das Regierungs-
bündnis mit den Fünf Sternen verlassen
hatte und Anfang September gerade die Re-
gierung Conte II aus Fünf Sternen und PD
entstanden war. Da trat Renzi aus dem –
vor allem über ihn – zerstrittenen PD aus
und gründete seine Partei IV. Die steht in
Umfragen jetzt zwar bei um die vier Pro-
zent, verfügt aber über zwei Ministerin-
nen, 31 Abgeordnete und 17 Senatoren, die
Renzi in die neue Partei gefolgt sind.
Um die Mehrheit im Abgeordnetenhaus
muss sich Conte nicht sorgen. Aber im Se-
nat, den neue Gesetze ebenfalls passieren
müssen, reicht es für die nötige Mehrheit
von 157 Stimmen nicht ohne Renzis IV-Se-
natoren. Conte eilte am Samstag auf den
Quirinalshügel, um mit Staatspräsident
Sergio Mattarella die Lage zu beraten, ein
Indiz, dass es ernstlich kriselt. Conte versi-

cherte danach seine Zuversicht, eine Mehr-
heit zu behalten. Seither arbeitet er daran,
sie zusammenzukratzen.
Die Telefone einiger Senatoren und Se-
natorinnen liefen italienischen Medien zu-
folge am Wochenende heiß. Contes Kalkül
ist einerseits, die Unterstützung von Sena-
toren der gemischten Fraktion zu erhalten,
die im Wesentlichen aus Leuten besteht,
die ihrer ursprünglichen Partei den Rü-
cken gekehrt haben während der Legisla-
turperiode. Und dann sollen per Überre-
dungskunst einige zurückgewonnen wer-
den, die zu Renzis Partei übergelaufen wa-
ren. Am Sonntag kursierten schon Namen
solcher angeblich Reumütigen, aber auch
Dementis folgten prompt. Ungewöhnlich
wäre es in Italien jedenfalls nicht, dass Par-
lamentarier Fraktionen und Parteien auch
mehrmals wechseln.

Aber dass Contes Strategie aufgeht, ist
keineswegs sicher. Ausgeschlossen auch
nicht, dass er die Vertrauensfrage stellen
wird, um Renzi zu zwingen, eine klare Hal-
tung einzunehmen. Der hat zumindest er-
kennen lassen, dass er bei einigen anste-
henden Abstimmungen im Parlament mit
den übrigen Koalitionären votieren wolle.
Dafür sind andere Konfliktpunkte schon
absehbar.
Bekommt Conte nicht die nötigen Stim-
men zusammen, wird es schwierig, Neu-
wahlen zu vermeiden. Denn eine dritte Re-
gierungsbildung mit dem Premier ist un-
wahrscheinlich. PD-Chef Nicola Zingaretti
hat schon zu verstehen gegeben, dass dies
nicht im Sinn der Sozialdemokraten wäre.

Und es heißt auch, dass der Staatspräsi-
dent „Conte III“ eher nicht wolle. Die jetzi-
ge Regierung und Parlamentszusammen-
setzung steht ständig unter Rechtferti-
gungsstress, weil sie die Mehrheitsverhält-
nisse nicht mehr widerspiegelt, wie sie Re-
gionalwahlen und Umfragen abbilden. Die
Fünf Sterne sind überall drastisch dezi-
miert, und würde demnächst das nationa-
le Parlament gewählt, hätten Lega und die
rechtsradikalen Fratelli d’Italia beste Aus-
sichten, an die Regierung zu kommen.
Wenn die Regierung Conte II jetzt die
nächsten Wochen übersteht, sind Neuwah-
len aber vor dem Sommer unwahrschein-
lich. Denn am 29. März findet ein Referen-
dum über die Reduzierung der Sitze beider
Parlamentskammern statt. Wird diese be-
schlossen, müssten sämtliche Wahlkreise
neu konstruiert werden, und das dauert.
Der Anlass der jetzigen Wackelpartie,
die Reform des Prozessrechts und der Ver-
jährungen ist nicht nur unter den Parteien
umstritten, sondern auch bei Richtern und
Anwälten. Ziel ist es, die teils enorme Dau-
er von Ermittlungsverfahren und Prozes-
sen in Italien zu verkürzen. Es ist die Regel,
dass Prozesse bis in die dritte Instanz ge-
hen. So kommen immer wieder Angeklag-
te davon, weil die Verjährung eintritt, die
bisher während der Verfahren weiterläuft.
Die Reform sieht nun vor, das die Verjäh-
rung bei Strafverfahren nach Verurteilung
in erster Instanz unterbrochen und nach ei-
nem Urteil in zweiter gestoppt wird. Die
Kritiker, darunter Renzi, sagen, das Stop-
pen der Verjährung könne zu unendlichen
Prozessen führen. Derzeit dauern Strafpro-
zesse in Italien im Schnitt drei Jahre und
neun Monate, in einigen Gerichtsbezirken
sogar mehr als sechs Jahre, während es in
der EU durchschnittlich etwas mehr als ein
Jahr ist. andrea bachstein

Italiens fragile Koalition als Graffito: Matteo Renzi, PD-Vorsitzender Nicola Zinga-
retti,PremierGiuseppe Conte und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio (von links). AP

6 HMG (^) POLITIK Montag,17. Februar 2020, Nr. 39 DEFGH
Die Eins-plus-drei-Gespräche
AnnegretKramp-Karrenbauers Beziehungen zu ihren möglichen Nachfolgern sind kompliziert, aber nicht so
kompliziert wie die Beziehungen von Laschet, Spahn und Merz untereinander. Eine CDU-Familienaufstellung
Der Streit dreht sich um eine
Justizreform, welche die Dauer
von Prozessen verkürzen soll
Besonders Spahn und Laschet
sind schon des Öfteren
politisch aneinandergeraten
Mehrheit akut in Gefahr
Italiens Ex-Premier Renzi setzt mit seiner Splitterpartei der Regierung Conte arg zu
Menschen im


So bleibt Ihr Herz gesund.

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