Berliner Zeitung - 17.02.2020

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14 Berliner Zeitung·Nummer 40·Montag, 17. Februar 2020 ·························································································································································································································································································


Frisch,


feinund


beweglich


DerDirigentDavidReiland
gabseinBerlin-Debüt

VonMartin Wilkening

D


as Programm, mit dem der
junge belgischeDirigent David
ReilandsichzumerstenMalinB er-
lin vorstellte,erscheint auf den ers-
ten Blick derartunspektakulär,dass
es schon wieder originell ist:Eine
Haydn-Ouvertüreundzwei Mozart-
StückehatermitdemKonzerthaus-
Orchester erarbeitet. Darunter ist
zwarmitdemA-Dur-Klavierkonzert
KV 488 ein Publikumsfavorit. Aber
wannhatmanMozartsSerenadeKV
203 im Konzertsaal hören können,
einStück,dasmit45MinutenDauer
alleMozart-Sinfonienschlägt?
Wersoantritt, der zeigt, dass er
weiß,waserwill.TatsächlichhatRei-
land, der auch neue Musik dirigiert,
innerhalbsehrkurzerZeitvorallem
mit Mozart-Aufführungen im fran-
zösischsprachigenEuropa viel Be-
achtunggefunden.In diesem Jahr
wirdererstmals an der Komischen
Operdie„Zauberflöte“dirigieren.
DerEinstiegmitderOuvertürezu
HaydnsOper„L’Isoladisabitata“ge-
lingt geradezu atemberaubend.Das
schroffeUnisono-Motiv,dasdieGe-
fühlederSchiffbrüchigenbeiderAn-
kunft auf der einsamenInsel aus-
malt,besitztebensorhythmischge-
meißeltePrägnanz wie eine vibrie-
rendeKlangspannung,diedasganze
angstvolleStaunenüberdieersteBe-
gegnungmiteinerfremdenWeltein-
fängt. WieHaydn die exotische Er-
scheinungder Insel-Bewohner in
ungarische Motivik hüllt, wie er die
WesteuropäerMenuetttanzendvor-
führt,daswirdvomKonzerthaus-Or-
chestermiteinerherrlichenFrische,
Beweglichkeit und Feinheit reali-
siert.
Merkwürdigerweise geriet dann
ausgerechnet das Zugstück des
Abends,Mozarts Klavierkonzertmit
seinermelancholischunterströmten
Heiterkeit, eher zum Langweiler.
DieslagzumeinenandemPianisten
SebastianKnauer,deroffensichtlich
keinen gutenTaghatte und sich bei
der selbst gewähltenZugabe Mo-
zartsVariationen über das Lied„Ah,
vous dirai-je maman“ heftigver-


spielte.Das passierte zwar zuvor
nicht,abereswarauffällig,mitwelch
quälenderGleichförmigkeit Knauer
durchdasPassagenwerkseinesSolo-
parts rauschte,Skalenraufund run-
ter ohne dasWagnis gestalterischen
Zugriffs ,stets gut pedalisiert.Inten-
sitätentwickeltesichhiernurpunk-
tuell,etwaimThemadeslangsamen
Satzes ,dessen abgründigerVersun-
kenheit Knauer ohne sentimentale
Drückernachspürte.
Leider agierte das Orchester hier
nichtmitdergleichenSubtilitätwie
zuvorundwiesieimgroßenSchluss-
stück wieder gefunden wurde.Viel-
leichthattesichReilandmitderPro-
benzeit verk alkuliert,weilerdenun-
bekanntenStückenmehrZeiteinge-
räumthatte.Mozarts Serenadedann
mit all ihrer entspanntenHeiterkeit
erklangohneDurchhänger,pointiert
gerade auch in den drei so unter-
schiedlichenMenuettenundzusätz-
lich belebt durch die klangschönen,
singendenViolin-Soli desKonzert-
meistersMichaelErxleben.


Der Pianist Sebastian Knauer hattekei-
nen so gutenTagerwischt. BERLIN CLASSICS


DieMühenderLiebe


NurkanErpulatholtSimonStephens’„Maria“imGorkiherunteraufdieTheaterbretter


VonUlrich Seidler

S


ie redet ger nund viel, diese
Maria, Titelfigur ausSimon
Stephens’Stück. Aber
manchmalverschlägt es der
18-Jährigen für einen Augenblick
dochdieSprache.EtwaalsderFrau-
enarzt sie fragt, ob sie jemanden zur
Entbindung mitbringen möchte.Sie
muss überlegen. DerKindesvater,
wergenauesauchseinmag,istnicht
verfügbar.Die Mutter wurde vom
Lkwüberfahren.IhrBruderistabge-
hauen.MitderFreundinkönntesiees
versuchen, aber derenFreund wird
nicht einverstanden sein.IhrVater
kann sich einen unbezahlten freien
Tagnicht leisten, und ihreOma ver-
abschiedetsichgeradevomLeben.
AlledreischlagenihrdenWunsch
ab.Wasdrei weiterekurzeSprechpau-
sen verursacht. Sprechpausen, die
auchdeshalbsoauffallen,weilMaria
indiesenDialogenmitihrenGegen-
übernkeinenwirklichenKontaktauf-
bauen kann, kein Interesse findet
oderkeineFähigkeit,diesesInteresse
zuzeigen.So,alshättenalleBeteilig-
tenverg essen,wieMiteinander-Spre-
chen funktioniert, wie manBegeg-
nungenaußerhalbvonFunktionszu-
sammenhängenabsolviert.
WastunMenschen,wennsiemit-
einandersprechen?WozudieMühe?
Mitwem? Undvor allem worüber?
DassinddieeigentlichenFragen,die

Stephens’Stück durcharbeitet und
religiöseinbisschenaufpustet.
Am längsten denktMarianach,
alsein Hafenarbeitersiefragt,obsie
nicht jemanden haben möchte,
nämlichzumBeispielihn,derfürsie
und dasKind, das sie im Leib trägt,
sorgt: „Ich glaub,die Leute sagen,
was ihnen fehlt, ist, jemand zu ha-

ben, mit dem sie die schönenMo-
mente teilen.Die, wenn sie lächeln
oderkichernoderindenverrücktes-
ten Farben kacken.Daskönnte ich
übernehmen.Glaubich.“
VidinaPopov, dieinderInszenie-
rung vonNurkan Erpulat dieMaria
spielt, muss über diesenVorschlag
lächeln wie über eine sehr absurde
Idee.Nein,istdieAntwort.Sieschafft
das schon allein.Undwie sie da so
steht,arm,abernacheigenenAnga-
ben glücklich, mit Licht in denAu-
gen−trautmanihrdasauchzu.Dass
sie ihr ekommunikativenTalente
dann im zweiten Akt für ein profes-

sionelles,wennauchnichtsexuelles
Chatportalvergeudet, auf der ein-
same Kunden fürSkypegespräche
zahlen müssen, mag ein Jammer
sein. Aber,abgesehenvonein paar
Spielverderbern,dieesinderrealen
genauso wie in der virtuellenWelt
gibt,läuftesganzgut,nichtnurweil
siedavonlebenkann.

Wird das Publikum am Anfang ziemlich


vorden Kopf gestoßen, sieht es im Laufe des


Abends Pathos undMelodram Funken


schlagen−wie konnte das passieren?


WasistdennderUnterschiedzwi-
schendiesendigitalundkommerzi-
ell vermittelten Begegnungen zur
herkömmlichen Kommunikation?
FürdieseistMariadannironischer-
weise zu müde.Sie wünscht sich
selbst für ihrPrivatleben eineApp,
die einem dierichtigen Kandidaten
fürdie richtigenZweckezuführt−ei-
nen Freund oder Sexpartner ,je
nachdem.„Dumusstniemehrpein-
lich berührtsein oder Angst haben
oder irgendeineEnttäuschung spü-
renoder spüren, was es heißt, ein
Mensch zu sein.Weil, wir sind ent-
täuschend.“

Nurkan Erpulat findet für diese
Grundsatzfragen der Kommunika-
tion, die man im Theater sehr gut
stellen kann, eine kraftvolle,sogar
recht rabiate Entsprechung. Die
Schauspieler arbeiten sichvonfor-
mal aufgesetzten Spielweisen mit
choreografischen Elementen, Kli-
scheeticks undVerfremdungseffek-
ten immer weiter insRealistische
vor.SoalswürdensiedieSchalender
Ironie ablegen und sich alsFiguren
einanderimmerweiteröffnen.Wird
das Publikum am Anfang ziemlich
vorden Kopf gestoßen, sieht es im
LaufedesAbendsPathosundMelo-
dram Funkenschlagen−wiekonnte
daspassieren?
Markiertwerden die drei Akte
durch die Bühnenbildidee von
MagdaWilli.ZuBe ginnwir dnochim
leeren Raum voreiner schwarzen
Wandgespielt.Dieklapptnachvorn,
entpupptsichalsBodeneineseinge-
richtetenZimmers,dasam Endeauf
das Publikum zukippt. Dann erst
scheinteineersteunvermitteltesee-
lischeVerbindungaufgenommenzu
werden −nämlich zwischenMaria
undihrerOma(CigdemTeke).Nicht
schwer zu erraten, dass letzterein
diesemschönenMomentstirbtund
Stückund Inszenierung,diemange-
radeliebgewonnenhat,hierenden.

Maria20.,21. 2. ,20.,26. 3., 19.30Uhr,Gorki,
Karten unterT.: 20221115 oder:gorki.de

DeutscheOffensive


DieARD-Dokumentation„GeheimmissionTelAviv“erinnertaneindenkwürdigesFußballspielvon


VonTorstenWahl

F


ürdiesenSieggabeskeinenPo-
kal,diesechsToretaucheninkei-
ner Statistik auf und wurden nicht
malim Fernsehenübertragen.Den-
nochwardasAuswärtsspielvonBo-
russiaMönchengladbachbeideris-
raelischenNationalmannschaft ei-
ner ihrer wichtigstenAuftritte .Die
ARD-Doku „Geheimmission Tel
Aviv“nenntessogareinen„Wende-
punkt in den deutsch-israelischen
Beziehungen“ und führt50J ahre
später guteGründe für dieseEin-
schätzungan.
DabeikamdieInitiativegarnicht
„vonoben“,sondernvondenbeiden
befreundetenTrainern,dieEndeder
60er-JahreimF ußball einMittel sa-
hen,etwasNormalitätindieschwie-
rigen Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und
Israelzubringen.HennesWeisweiler
hattealsJugendlichermiterlebt,wie
eine befreundete jüdischeFamilie
vertri eben wurde und fragte sich
späterimmerwieder,oberf eigege-
wesensei. DernachIsraelgeflohene
Eddy Shaffer hatte sich in den 50er-

Jahren an der Kölner Sporthoch-
schule vonWeisweiler zumTrainer
ausbildenlassen–obwohlseineFa-
milie 1941vonden Deutschen er-
mordetwordenwar.
DochdieUmsetzungdesverabre-
deten Freundschaftsspiels stand im
Februar1970aufderKippe.EineSe-
rievonAttentatenpalästinensischer
Extremisten gegenFlugzeuge und
jüdischeEinrichtungen inDeutsch-
landerschüttertedasLand.Hans-Jo-
chenVogelundCharlotteKnobloch,

genvorderKamera. Erführtdiebei-
denTrainer-Witwenzusammenund
sprichtmitdemisraelischenKapitän
MordechaiSpieglersowiedemGlad-
bacherOffensiv-HeldenGünterNet-
zer, UlrikdeF evreundHerbertLau-
men.Letztererschossnichtnurzwei
Tore, sonderndrehte mit seinerSu-
per-8-Kameradie einzigenFilmauf-
nahmen. Alle vierSpieler erzählen
mit leuchtenden Augen nicht nur
vom6:0derdamaligen„Fohlen“-Elf,
sonderndavon, wie die über 20000
Israelis den modernen Angriffsfuß-
ballderjungenDeutschenfeierten.
Noch 25 Jahrezuvor hättenBe-
griffe wie „deutsche Offensive“ hier
ganz anders geklungen.EinSports-
mann wie Hennes Weisweiler war
nichtnurfußballtaktischseinerZeit
voraus.Von der Courage und dem
politischenBewusstsein, die er da-
malsbewies,warendeutscheNatio-
nalmannschaftstrainer weit ent-
fernt. Willy Brandt aber nutzte den
Steilpass:Er reiste 1973 als erster
deutscherKanzlernachIsrael.

GeheimmissionTelAviv:WieFußball dieGe-
schichte veränderte,17. 2. ,23.30 Uhr,ARD

beide damals in München aktiv,er-
innernsichlebhaftandenBrandan-
schlagaufdasAltenheimderIsraeli-
tischen Kultusgemeinde,bei dem
siebenMenschenstarben.DieSpie-
ler um GünterNetzer hatten große
Bedenken,einFlugzeuggenIsraelzu
besteigen. Bundeskanzler Willy
Brandt setzte durch, dass dasTeam
mit einerBundeswehrmaschine auf
einergeheimenRouteflog.
DerAutor Dietrich Duppel ver-
sammelt viele wichtigeAugenzeu-

Israels Fußball-Legende Mordechai Spiegler (l.) auf einem Markt inTelAviv. WDR

Perfekte


museale


Verschmelzung


EllyJacksonaliasLaRoux
tratimMetropolauf

VonJohannes vonWeizsäcker

B


egeisterung imvoreinem hal-
ben Jahr wiedereröffneten,
einstmals legendärenMetropol am
Nollendorfplatz, als hier amSonn-
abend die Londoner Elektropop-
KünstlerinEllyJacksonaliasLaRoux
auftrat,umihrkürzlicherschienenes
drittes Album „Supervision“ zu be-
werben.
WieauchschonbeimzweitenAl-
bum „Trouble in Paradise“ hat sich
Jackson mit ihrem neuen Werk viel
Zeit gelassen–interessant daher,
dass Alben Nummer zwei und drei
trotz der langen Produktionsphase
nicht gerade Aufbrüche in neue
künstlerische Selbstfindungsräume
darstellen,sondernbeinahe exakt
denselbenAchtziger-Gedenk-Funk-
Popzutage förderten, den La Roux,
damals noch ein Duoaus Jackson
und Produzent BenLangmaid,
schon auf dem 2009 erschienenen
Debüt „La Roux“ und dessen zwei
Hitsingles „Bulletproof“ und „Infor
thekill“exponierten.
Auch Jacksons rote Post-Gender-
Frisur sowie ihreSchulterpolster-
Movessindnochintakt,unddie
geborene Jackson schien auf der
BühneSpaßzuhaben:EineKünstle-
rin, die sich in ihrer öffentlichen
Identität wohlfühlt–und wenn das
eben eine ewige Achtziger-Huldi-
gungsidentitätist, was macht das
schon, solange auch die Fans Spaß
haben.
Hatten sie.Natürlich wurden die
bereits genanntenzwei frühen Hits
auch gespielt–„Bulletproof“ in ei-
ner,wie Jackson ankündigte,neuen
Version, da sie einerseitswisse,alle
seienhier,umdasStückzuhören,sie
selbst es aber andererseits nicht
mehr hören könne und es in seiner
alten Fassung überhaupt nicht zum
neuenMaterialpasse!
Soerklangesdenninetwasweni-
gerhysterischemAchtziger-Gedenk-
Sound,undichmagmichtäuschen,
aber eventuell wäreden Fans die
ehrlich gesagt eher moderate An-
dersartigkeit ohne Ansage gar nicht
mal aufgefallen, so sehr freuten sie

Mit Schulterpolster undPost-Gender-Fri-
sur:LaRoux im Metropol. ROLAND OWSNITZKI

sich, das Lied geboten zu bekom-
men.Zuwe iteren Highlightszählte–
neben dem fast kompletten neuen
Album–„CruelSexuality“von„Trou-
ble in Paradise“; hier transzendierte
Jackson die Übermacht des Play-
backs,zud emihr edreiBegleitmusi-
ker ein wenig mitdengelten, durch
besonders hohes und emotivesSin-
gen. Aber auch neuesMaterial kam
gutan,nirgendsmehralsimletzten
Stück vorder Zugabe„International
WomanofLeisure“.
So verließ man das einst wilde
Metropol eigentlich ganz zufrieden:
Manchmalkanneinesokonsequent
das Alte konservierendeDarbietung
aucheineberuhigendeWirkungha-
ben,zumalwennsieineinemderart
mit Achtziger-Westberlin-Gedenken
aufgeladenenOrtzurperfektenmu-
sealen Verschmelzung gelangt. Also
mehreineimmersiveAusstellungals
einKonzert.

Wie kriegt man das nur hin, das Miteinander-Sprechen?VidinaPopov, Ibadet Ramadani Gallop und Elena Schmidt in „Maria“. XUTE LANGKAFEL
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