Berliner Zeitung - 17.02.2020

(coco) #1
Berliner Zeitung·Nummer 40·Montag, 17. Februar 2020–Seite 19
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S p ort


Manchmalmusseswehtun


Der1.FCUnionzeigtgegenLeverkusenseinebesteSaisonleistung,verliertabernichtsdestotrotz.KritikäußertTrainerUrsFischernurineinemPunkt


VonMax Ohlert

E


swar ein Bonmot vonMi-
chael Jordan, dasUrsFi-
scher amTagnach der bit-
teren2:3-Niederlageseines
1.FC UniongegenBayer04L everku-
sen bemühte,umebendieseeinzu-
ordnen.„Ich bin immer und immer
wiederinmeinemLebengescheitert
unddasistderGrund,warumichge-
winne“,zitierte der Trainer der Kö-
penickerdie Basketballlegende,um
auchgleichnochseineeigeneInter-
pretationdieser Wortevorzubrin-
gen.„WernichtmitNiederlagenum-
zugehenweiß, wirdnie ein Sieger
sein“, erklärte der Schweizer,er-
gänzte aber noch: „Auch, wenn die
gegen Leverkusen wirklich bitter
war.“
Doch Fischer war himmelweit
davonentfernt,umfangreicheKritik
an der Leistungseines Teams zu
üben. Warsie doch ein legitimer
GrundfürsomanchenZuschauerim
wieimmerausverkauftenStadionAn
derAltenFörsterei,sichmehralsnur
einmal ungläubigzu kneifen.War
das wirklich ein Aufsteiger,der hier
das Champions-League-Team do-
minierte? Dievermeintlichen„Anti-
Fußballer“,die Starspielerwie Kai
Havertzoderdiebundesligaerfahre-
nenBender-ZwillingeLarsundSven
nicht nur körperlich,sondernauch
spielerischüberflügelten?


MitungebremstemSiegeswillen

DieMannschaftdes1.FC Union
zeigte am Sonnabendnachmittag
ihrebesteSaisonleistung,dieSiege
gegenBorussiaDortmundundBo-
russia Mönchengladbach einge-
schlossen. Angetrieben vonden
FansentwickeltedasTeameinenun-
glaublichen,vonjederMengeMut
getragenen Schwunggegeneinen
Gegner,derdieKöpenickerbeim0:
imHinspielnochandieWandge-
spielthatte.DieEisernendemons-
triertendieMachteinerverschwore-
nenEinheitundentfesseltendamit
eineKraft,anderausnahmslosjeder
Bundesligist an jedemSpieltag zer-
schellen kann. Schier erschrocken
vondem massivenDruck, den die
unbändigeElfvon Fischer allein in
den ersten 45Minuten aufgebaut


hatte,mutmaßte GästetrainerPeter
Bosz zur Halbzeitpause in derKa-
bine:„DiesesTempokönnendienie-
malsbiszumEndedes Spielsdurch-
halten.“ Doch dieUnioner konnten
−undgingenamEndedennochmit
leerenHändenauseinemSpiel,das
sieniemalshättenverlierendürfen.
DerungebremsteWille,diesePar-
tiezugewinnen,erwurdedenKöpe-
nickernwomöglichzumVerhängnis.
Denn das Siegtor für die Leverkuse-
nergingzwarletztlichausderTatsa-
cheher vor,dassTorwartRafalGikie-

wicz gegenTorschützeKarim Bella-
rabi die kurze Ec ke seinesToresöff-
nete.Zuvor allerdings waren die
Eisernen, angetrieben vomtosen-
den Stadion, so aufs Angreifen und
Dochnochgewinnenfokussiert,dass
sie nach demBallverlust dasUm-
schaltenvonAttacke aufVerteidi-
gung vernachlässigten. „DieStaffe-
lungvordem2:3stimmteeigentlich,
unsereAbwehrwarorganisiert,aber
wir haben uns nicht fallen lassen“,
erklärte Fischer den Vorlauf des
spielentscheidenden Gegentores

und bestätigte: „Ich hatte auch den
Eindruck,dassdieJungsnachdem
Ausgleichzum2:2nochdas3:2er-
zielenwollten.“
WaseigentlicheinlöblicherAn-
satzist,weshalbderSchweizerauch
nur leise,ganz grundsätzliche Kritik
äußernwollte.„WirhatteninDüssel-
dorfundaufSchalkeähnlicheSpiele.
DawarenwirdasbessereTeam,hät-
ten mit dem Remis aber gut leben
können.Wirwollten aber denSieg
und standen amEnde in beiden
Spielen wie auch jetzt gegen Lever-
kusen mit leeren Händen da.“Fi-
scher befand zudem: „Das müssen
wir lernen, eine solcheSituation zu
erkennen, zu akzeptieren und den
Willen zum Sieg ausnahmsweise
hintanzustellen. Für uns kann jeder
Punktam Endeentscheidendsein.“
ChristianGentner indes übte im
Namen der Mannschaft scharfe
Selbstkritik, sagte: „DerTrainer hat
vordem Spiel gesagt, wir dürfen
nicht dumm und naiv sein, das wa-
renwirleiderinein,zweiSituationen
zumSchluss.UnddasistBundesliga
–daswir ddannbrutalbestraft.“
Dass die Ergebnisse derKonkur-
renz an diesemSpieltag mithalfen,
dass Union weiterhin neunPunkte
VorsprungaufdieAbstiegszonehat,
war für den Übungsleiter kein
Thema: „Ich habe es immer gesagt
und bleibe dabei:Wenn du erst mal
anfängst, auf die gegnerischen
Teams zu hoffen, wirdesamEnde
der Saison nicht reichen. Wir
schauennuraufuns.Wenndieande-
renfür un smitspielen, ist es schön,
aber es interessiertmich nicht.Wir
habenalleinunsereAufgabenzue r-
ledigen.“
Es ist jedenfalls davon auszuge-
hen,dassdieUnionerauchausdie-
serNiederlagedierichti genSchlüsse
für die kommendenAufgaben zie-
henwerden.Oder,umesmitUrsFi-
schersWortenzusagen:„Manchmal
musseserstmalwehtun ,damitman
wiedereinenSchrittnachvornema-
chenkann.“

PYROTECHNIK IM GÄSTEBLOCK

Unterbrechung:Viermal
musste Schiedsrichter Harm
Osmers die ohnehin schon
aufregendePartie in der
zweiten Hälftewege nmassi-
venPyro-Einsatzes im Gäste-
block unterbrechen.

Unterschied:Der Spielfluss
habe darunter aber nichtge-
litten, erklärte UnionsTrainer
Urs Fischer am Sonntag.
„Doch solchePausen helfen
natürlich auch nicht unbe-
dingt.“

Unter Gleichgesinnten:Da-
mit bleiben RB Leipzig und
Werder Bremen bis dato die
einzigenTeams, derenFans
in dieser Saison nicht in der
Alten Förstereigezündelt ha-
ben. Max Ohlert
ist beeindrucktvonUnions
jüngster Entwicklung.

Die Entscheidung: Karim Bellarabi trifft für Leverkusen zum Sieg gegen den 1. FC Union. IMAGO-IMAGES/EIBNER

DasNetzwerklebt


DerBrasilianerMatheusCunhafeierteinenTraumeinstandbeiHerthaBSC,offenbartaberauchseinschwerzuzügelndesTemperament


VonMichaelJahn

I


rgendwannversagten die Beine
ihren Dienst. Noch knappzehn
MinutenwarenzuspielenfürHertha
BSC im kleinenStadion des SCPa-
derborn, als sichMatheus Cunha,
der Mann mit der Rückennummer
26, zu Boden fallen ließ.Waden-
krämpfe plagten den 20-jährigen
Brasilianer,für den in den hekti-
schen SchlussminutenVedad Ibise-
vic ins Spiel kam.Cunha war da
schon längst zum Matchwinner
beimharterkämpften2:1-Erfolgder
Berlineraufgestiegen.
DasSpieleinsnachJürgenKlins-
manns Flucht nachKalifornien war
auchdasSpieleinsfürCunhaim Tri-
kotder Berliner.Anv ielenentschei-
denden Szenen war der unbeküm-
mertaufspielende Offensivgeist be-
teiligt. Auffällig aber auch sein ab
und an aufbrausendes Tempera-
ment,dasihmeineGelbeKarteein-
brachte ,wonach einem heftigen
Foulauch RoteineAlternativegewe-
sen wär e. SchiedsrichterinBibiana
SteinhausließMildewalten.
Nachdem0:1durchHerthasstets
präsenten Abwehrchef Dedryck


Boyata (10.) konnte Cunha schon
nach 18Minuten jubeln, als er eine
Ablage seines neuenSturmpartners
Krzysztof Piatek entschlossen ein-
schoss.Dochder Trefferzähltenicht,
da der Pole zuvor denBall mit der
Hand gespielt hatte.Nachdem sich
HerthasKeeperRuneJarsteinbeiei-
nem Schuss desPaderbornersDen-
nisSrbeny(51.)ausäußerstspitzem
Winkel schwerverschätzt hatte und
es 1:1 hieß(Jarstein:„Ichweiß auch
nicht,wiedaspassiertist.Dastutmir
sehrleid!“),wareswiederCunha,der
bei einemLupfer alleinvorPader-
borns TorhüterLeopoldZingerleviel
zu lässig und überheblich agiert
hatte und gescheitertwar.Erwollte
wohlsein„TordesMonatsApril“aus
demVorjahr kopieren, als er für RB
LeipziggegenLeverkusenspektaku-
lärgetroffenhatte.DocheinpaarMi-
nuten späterreagierte Cunha glän-
zend und bugsierte einen zweimal
abgepralltenBall mit dem Rücken
zumTorstehendperHackeins Netz
derPaderborner(67.).„Daswarbra-
silianisch,solcheTore erwartetman
doch vonmir“, sagteCunha später.
EinHauch vonCopacabanawehte
schondurchdieArena.

gegen Hoffenheim. PerSkjelbred
ackerteanstelledesformschwachen
MarkoGrujic.Auch Cunhas Einsatz
vonBeginn an überraschte.Der 18-
Millionen-Euro-Zugang vonRB
Leipzig war am Mittwoch voriger
Woche nach derFlugrouteBogota-
Rio de Janeiro-F rankfurt/Main in
Berlin gelandet.Zuvo rhatte er die
U23BrasiliensmitfünfTreffernzum
Olympischen Fußballturnier nach
Tokiogeschossen.

AlexanderNouri,der Herthanun
bis Saisonende alsTrainer führen
soll, hatte dasTeam gegenüber der
1:3-Niederlage gegenMainz verän-
dert. KarimRekikrückteindieDrei-
erab wehrketteunddavorkamüber-
raschend Peter Pekarik zu seinem
ersten Saisoneinsatz.DerSlowake,
33, hatte eine lange Leidenszeit mit
vielenVerletzungen hinter sich und
war in derVersenkungverschwun-
den. Zuletzt spielte er imApril

Perfekter Einstand für Hertha BSC: Matheus Cunha trifft per Hacke. DPA/FRISO GENTSCH

Fakt ist, dassCunhas Auftritt die
Liebe derHertha-Verantwortlichen
undnatürlichderFanszubrasiliani-
schen Kickernneu entfacht haben
dürfte .Erist der 16.Brasilianer,der
seitdemJahr2000,alsdasEnfantter-
ribleAlexAlvesnachBerlinkam,für
Hertha in derErsten Liga aufgelau-
fen ist. 2002/03 titulierte man den
HauptstadtklubzumerstenMalmit
„Hertha do Brasil“. Unter Trainer
HuubStevenskamenvierBrasilianer
zum Einsatz: Alves,Marcelinho,der
WeltmeisterLuizão undVerteidiger
Nene.Der langjährige Chefscout
Rudi Wojtowicz hatte ein starkes
Netzwer kinB rasilien aufgebaut,
kannte sämtliche Klubchefs,Mana-
gerund Spieler-Agenten.Sogareine
Kooperation mit Gremio Porto
Alegrewarangedacht,dieabernicht
richtig zustande kam. Höhepunkt
der Brasilien-Festspiele beiHertha
aber war dieZeit unter Trainer Lu-
cien Favre. 2007/08 und 2008/
tummeltensichjeweilsfünfSamba-
Kicker im Aufgebot: zuerstMineiro,
Andrè Lima,Gilberto ,Raffael und
Lucioundein JahrspäterRaffael,Ci-
cero, Kaka, Rodnei undLucio. Kein
Wunder,für den Schweizer Favre

stellte Brasiliens Weltmeisterelfvon
1970langedasNonplusultradesmo-
dernen Fußballsdar.
DerhochtalentierteCunha war
schonals18-Jährigeraufseinerers-
tenStationin Europa,beimSchwei-
zerErstligistenFCSion.Eine„Attrak-
tion“ nannte man ihn dort.Damals
kamer vonderU20desFCCoritiba
undsolltezuerstimNachwuchsvon
Sionsp ielen.„Docherschaffteesso-
fortind ie Profi-Truppe und hat in
Sion alles richti ggemacht“, sagt
Journalist Stéphane Fournier,der
denKlubseitvielenJahren begleitet.
„Damals waren sein Berater und
auchseineMutteroftinderSchweiz,
halfenbeiderIntegration“,soFour-
nier,„Matheus hat zudem sehr
schnellFranzösischgelernt.“Mitei-
ner Ablöse vonrund20Millionen
Euro,dieRBLeipzig2018fürCunha
zahlte,ist der Brasilianer noch im-
merder RekordtransferdesFCSion.
Sein wunderschönerTreffer per
HackeinP aderb ornzeigteseineex-
zellente Technik, die er sich einst
beimFutsalaneignete.Herthas Trai-
ner AlexanderNourisagte anschlie-
ßend zu diesemKabine ttstüc k: „Da
applaudiereich.“
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