Berliner Zeitung - 17.02.2020

(coco) #1

St a dtgeschichte


8 Berliner Zeitung·Nummer 40·Montag, 17. Februar 2020 ·························································································································································································································································································


Lagerdatenbank


DasDokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit hat eine
Lagerdatenbank fürBerlin undUmgebung auf seiner
Websiteonlinegestellt.Sieenthältderzeitetwa 1400veri-
fizierte Standorte vonehemalsetwa3000Sammelunter-
künften für dierund 500000 NS-Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter imBerliner Stadtraum.DieDaten-
bankwirdkontinuierlicherweitert. EineVolltextsucheer-
möglichtdieRecherchenachStraßen,Firmen,Nationali-
tätenundBezirkenodernachArtderZwangsarbeitwiezi-
vileZwangsarbeitoderKriegsgefangenschaft.


Die Lagerdatenbank für Berlin und Umgebungist auffindbar unter
https://www.ns-zwangsarbeit.de/recherche/lagerdatenbank/


DAS IST


Schloss&drumherum


Ab Herbst 2020 ist dasHumboldt-Forum imBerliner
Schloss für dasPublikum geöffnet. Doch wie wirddas
Umfeldgestaltet?WelcheAufenthaltsqualitätbietetseine
Umgebung?Wiereagiertman auf die benachbarten
denkmalgeschütztenBauten? Kommt der Schlossbrun-
nenzurück?Wiegrünwir des?In einerPodiumsdiskus-
siondesVereinsDenkmalanBerline.V. erörter nExper-
ten dieseFragen. Unter ihnenSenatsbaudirektorinRe-
gulaLüscher,derArchitektTimoHerrmannundJohan-
nesWien(VorstandHumboldt-Forum).

Das Humboldt-Forum und sein Umfeld,Podiumsdiskussion, 19. Februar,
20 Uhr,Urania Berlin, Kleistsaal, An der Urania 17

DAS KOMMT


Glockenspeise


„KochtdesKupfersBrey,/SchnelldasZinnherbey,/Daß
diezäheGlockenspeise/FließenachderrechtenWeise./
Wasind esDammestieferGrube/DieHandmit Feuers
Hilfe baut, /Hoch auf des ThurmesGlockenstube /Da
wirdesv onuns zeugenlaut.“DafindenwirinSchillers
Gedicht „DieGlocke“ in aller Kürze das Rezept für die
Glockenspeise.Schon seit mittelhochdeutscher Zeit
trägt dasfürklangvolleGlockenverwendeteGussmate-
rialdiesenNamen–alsoinderSpannezwischendenJah-
ren1050 und 1350.Gemeint ist meist einZinn-Bronze-
Gemischaus76bis80Proz entKupferund20bis24Pro-
zentZinn.DieseMixturer zeugteinevorzüglicheKlang-
qualität und hält denTonlange.Der Zinngehalt hat

DAS WAR


großen Einfluss auf denTon: Je mehr Zinn, desto heller
und feiner wirdderTon. DerAnteil sollte nicht über 25
Proz entsteigen,dannwirddasMaterialhartundspröde,
die Glocke kannzerspringen.Sinkt der Anteil unter 16
Proz ent,wir ddasMaterialso weich,dassderKlöppelin
dieWand eindringt.Dass sich der Klang durch denZu-
satz vonSilber verbessernließe,ist falsch wie moderne
Testreihen bewiesen.Im Mittelalter bewegtenGlocken-
gießergernfrommeMenschenzuSilberspenden.Inden
Ofen geworfen schmolz es imBrennmaterial, gelangte
aber nicht in dieGlockenspeise.Der Gießer sammelte
das Edelmetall dann ein.Zu Be rühmtheit brachte es in
BerlindasgroßeGeläutdesDomes. (mtk.)

S


ensationelleNeuheit! Amü-
santeste und interessan-
testeErfindungdes19.Jahr-
hunderts!“ –Sol uden die
Berliner Brüder Maxund Emil Skla-
danowskyam31.Dezember1895auf
einem Plakat das inUnterhaltungs-
dingenanspruchsvollePariserPubli-
kum:Sieboten„derstaunendenWelt
das sensationelle Schauspiel der
WiedergabedesLebensinvollerNa-
türlichkeit durch eigens zu diesem
ZweckerfundeneMaschinerienund
komplizierteApparate durch blitz-
schnelleProjektion zahlreicherMo-
ment-Photographien“. DasGanze
„vermittelsEletricität“.
Mitanderen Worten: Kino.Auf
dem Varieté-Programm standen
Filmchen wie „Das boxende Kän-
guru“,„DerRingkampf“oder„Komi-
schesReck“.ZweifellosPioniertaten
der Filmgeschichte.Aber hatMax
Skladanowsky das Kino erfunden
oderwarenesdiefranzösischenBrü-
der und Filmfabrikanten Auguste
undLouisLumière?


AchtBilderpr oSekunde

TatsächlichhatteMaxSkladanowsky
(1863–1939), inPankowgeborener
Fotograf, Glasmaler,beharrlicher
Tüftler und begeisterterBildvorfüh-
rer, als Einzelner ohne finanzielle
UnterstützungundtechnischenBei-
standzweiApparatekonstruiert,die
Bilder zum Laufen brachten.Zuerst
entwickelteerdensogenanntenKur-
belkasten,eineVorformderFilmka-
mera. Stattmit Glasplattenarbeitete
er mit einem marktfrischenKodak-
Rollfilm und bewegte diesen per
Kurbel über ein Schneckenradge-
triebe .Ruckweise,also Bild für Bild
wurde derFilm durch dieKamera
transportiert,sodassmöglichstviele
Einzelfotografien einer fließenden
Bewe gung belichtetwerden konn-
ten. Immerhin brachte esSklada-
nowskydamitaufachtBilderpr oSe-
kunde.


Derzweite Schritt, also einen
Filmprojektorzubauen,warwesent-
lich komplizierter und teurer.Der
Versuch,beiderDeutschenBankei-
nenKreditzubekommen,gewisser-
maßenRisikokapitalfüreinStart-up,
scheiterte.Direktor Mankiewicz be-
merkte ,für solcheHirngespinste
habe er kein Geld. Unverdrossen
bastelteSkladanowskyinseinerPan-
kowerWohnung,Berliner Straße 2,
bis der Projektor lief.Er nannte ihn
Bioskop.
Vorallem zwei technischePro-
bleme hatte er zu lösen.Zumeinen
dasFlimmern,dasentstand,weilzu
wenige Aufnahmen proSekunde
durchliefen,sodasssienochalsEin-
zelaufnahmen erkennbar waren.
Zumanderen liefen dieFilme un-
gleichmäßig, weil sie unperforiert
waren. DiesesProblembehober,in-
dem er dieFilme lochte und mit
Buchbinderösen auch für denDau-
ergebrauchreißfest machte–eine
echteHeimwerkerlösung.
InderanderenFragehalfihmein
Geistesblitz:WennnurachtBilderpro
Sekunde durch einenProjektor lau-
fenkonnten–warumdannnichtzwei
nebeneinanderstellenundsopräpa-
rieren, dass sie mechanisch mitein-
ander verbunden jeweilszeitversetzt
16 Bilder pr oSekunde auf die Lein-
wandbringenkonnten?Erzerschnitt
also einen durchgehendenFilm und
machtedarauszwei;aufeinemFilm-
bandordneteerdieungeradenBilder
an,also1,3,5,7etc.,aufdemzweiten
die geraden, also 2,4,6, usf..Dabei
glich er die unregelmäßigenBildab-
stände aus.Erk lebte mehrere, mit
Ösen verseheneFilmstreifen anein-
ander undverband sie jeweils zu ei-
ner Schleife: „Fertig war der erste
Bildfilm“,schrieberselbst.DerDop-
pelprojektor brachte die erwünsch-
ten flimmer-und bruchfreienAuf-
nahmen. Skladanowsky hatte mit
einfachstenMittelneinenaufführba-
renFilmgeschaffen.

Weit weniger schwierig als die
technische Konstruktion war das
Aufnehmen derReihenbilder.Max
Skladanowsky berichtete bei jeder
Gelegenheit, er sei am 20.August
1892 mit seinemBruder Emil und
demKurbelkastenaufdasDachdes
FotoateliersWilhelm Fenz in der
Schönhauser Allee 146,Ecke Kasta-
nienallee,gestiegen.Maxkurbelte,
Emil trat im Anzugvonder Seite
kommendauf,nahmseinenHutab,
grüßteindieKameraundvollführte
Turnübungen,indemerseineBeine
indieHöhestreckte.Solltedie Datie-
rung stimmen, wären an diesem
Spätsommertag inBerlin die ersten
seriellenAufnahmeninDeutschland
entstanden, mit denen eineBewe-
gungkontinuierlichaufeinemFilm-
streifenfestgehaltenwurde.
Allerdings gibt es auch Äußerun-
gen, die an dem frühenZeitpunkt
zweifeln lassen.Dasist nicht uner-
heblich, denn zu jenerZeit arbeite-

ten verschiedene Männer anFilm-
techniken, und 1893 konnten die
Leute schon in vielen europäischen
Städten inThomas AlvaEdisons Ki-
netoskope schauen und über be-
wegte Bilder staunen.Aber durch
das Guckloch desApparates konnte
jeweils nur einePerson schauen, es
gabkeineProjektionaufeineFläche.
Nicht ausgeschlossen, dass Max
Skladanowsky sich einenzeitlichen
Vorsprung zuschreiben wollte und
die ersten Probeaufnahmen erst
1893oder1994entstanden.
Fest steht, dass die erstenFilm-
szenen für dieAufführung mit dem
Bioskop-Doppelprojektor vonAn-
fangMaibisindenSommer1895im
Biergarten des LokalsFeldschlöss-
chenbeimGastwirtSelloin Pankow,
Berliner Straße 27, stattfanden–an
derStelle,wob alddaraufBerlinsers-
tesKinoentstehensollte,dasinzwi-
schenabgerissene„Tivoli“.WieMax’
SohnErichberichtet,warenDarstel-

lerwie Gastwirtbegeistertbeider Sa-
che,der alte Sello verzichtete auf
Miete.Man filmte auf Kodak, zur
Kontraststeigerungvoreinem wei-
ßen Vorhang und nur bei grellem
Sonnenlicht. Es entstanden acht
kurze Filme (sieheInfobox). Damit
war MaxSkladanowsky der erste in
Deutschland, derBewe gungsbilder
auf einenFilmstreifen bannte und
dieseauchwiedergebenkonnte.
Im Sa al desFeldschlösschens
startete imJuli 1895 die erste ge-
heime Probevorführung im kleinen
Kreis .Dortsahen auch dieDirekto-
rendes Varietés Wintergarten die
Filme –immer auf derSuche nach
neuen Attraktionen für ihr zahlrei-
ches Publikum. Am 20.September
unterschrieb man einen Vertrag:
2500 Mark sollten dieSkladanows-
kys für die Bioskop-Vorführungen
erhalten. Richtig vielGeld für jene
Zeit. Bruder Emil hatte erfolgreich
dasMarketingbetrieben.
DieWirkung der bewegtenBilder
auf großer Leinwand darfman sich
als spektakulärvorstellen.Jedenfalls
war das Publikum begeistert, als die
dieFilmshowerstmalsam1.Novem-
ber 1895 imWintergarten lief:Das
DatumwurdezumPremierentagder
deutschenFilmgeschichte.Und das
an der erstenAdresse der Unterhal-
tungfürdiebesserenKreise–fürSkla-
danowskyeinRitterschlag.Dengan-
zenNovemberüberliefdas15-Minu-
ten-Programm exklusiv imWinter-
garten. „Das boxende Känguru“
avanciertezumLieblingderBerliner.


  1. November 1895–das stand dann
    auch auf derPatentschrift Nr.
    desReichspatentamtes.
    ZurgleichenZeittrateninFrank-
    reich die Brüder Lumièremit ihrem
    technisch anders funktionierenden
    Cinématographe in die Öffentlich-
    keit.Am28.Dezember1895führten
    sieim GrandCaféam Boulevar ddes
    Capucines inPariserstmals öffent-
    lich vorzahlendemPublikum zehn


Filme auf.Acht Wochen nach dem
TriumphdesBioskopsinBerlin.Also
warMaxSkladanowskydochderSie-
ger des Rennens um dieErfindung
des Kinos? In den 1920er-und
1930er-Jahren versuchte Sklada-
nowsky ,auch mithilfe der national-
sozialistischenPropaganda, denEr-
findertitelfürDeutschlandzuerlan-
gen. Vergebens,denn dieLumières
konnten beweisen, dass es bereits
am 25. Märzund am 10.Juni 1895
Vorführungen gegeben hatte,wenn
auch in geschlossenerGesellschaft.
ZuderZeithattendieBerlinernoch
anihrenFilmengearbeitet.Aufdem
Plakat für ihrePariser Auftritte be-
zichtigen dieSkladanowskys in ei-
nem„Notabene“ dieLumières ,ihre
Erfindungnachgeahmtzuhaben.So
waresabernicht.

StarobjektderExpo
Technisch erwies sich dieLumière-
Erfindung als überlegen.Siebedeu-
tetedie ZukunftdesKinos.MaxSkla-
danowskysBioskop blieb ein „toter
Zweig“ der Filmgeschichte.Der
FilmhistorikerJoachimCastanweist
dem gewitztenBastler seinen ange-
messenenPlatzzu:„MitMaxSklada-
nowsky beginnt die deutscheFilm-
geschichte.Eri st unbestritten der
erste deutsche Filmpionier.Seine
Leistungen sind subjektiv bewun-
dernswert, objektiv besaß er jedoch
weder national noch international
einen Einfluss auf dieEntwicklung
des Kinos,das eine Technik unaus-
gereift war.Filmhistoriografisch
bleiben sein Leben undWerk von
größtemInteresse.“
DasBioskop fand alszentrales
AusstellungsobjektdesLandesBran-
denburgaufder Expo2000zugebüh-
renderEhre.Wo einstdasKinoTivoli
stand,erinnertheuteein Mosaikstrei-
fen mit derInschrift „1885Bioskop
1995“ imBoden daran, dass hier im
Jahr 1885MaxSkladanowsky zum
erstenMaldieBilderlaufenließ.

Max
Skladanowsky
(1863–1939) mit
seiner Erfindung,
demFilmprojek-
tor Bioskop.
AKG-IMAGES

VonMarittaTkalec

Ein

Kinoheld

MaxSkladanowsky


produziertealsersterin


DeutschlandbewegteBilder


HIER GEHT’S ZUR VORSTELLUNG

OriginaleFilme:Fünf der ersten Sklada-
nowsky-Streifen sind zum Anschauen unter
folgendem Link zu finden https://en.wikipe-
dia.org/wiki/Max_Skladanowsky.Die Kän-
guru-Sequenz ist zu finden u.a. unter
https://de.wikipedia.org/wiki/Das_bo-
xende_Känguruh

OriginalerApparat:Der vonSkladanowsky
gebaute Projektor Bioskop, der 54-mm-Film
verwendete, befindet sich heute imFilmmu-
seumPotsdam,wohin es aus dem Kreismu-
seum Bitterfeldgelangte.

OriginalesWort:Imehemaligen Jugoslawien
und in den Niederlanden steht „Bioskop“ be-
ziehungsweise „Bioscoop“ für Kino.

Szene aus dem Streifen „Das boxende
Känguru“ von 1895 WIKIPEDIA
Free download pdf