Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1

Schutzsystemen gegen Cyber-Angriffe, sagte dem
Handelsblatt: „Wir haben chinesische Malware in
Messengern von Telekoms entdeckt: Chinesische
Hacker konnten also Text-Messages mitlesen.“
Huawei weist den Vorwurf, als Instrument der
Machtambitionen des chinesischen Regimes zu
dienen, allerdings als abwegig zurück. Der Konzern
ist zum Marktführer im Bereich der Netzwerktech-
nologie aufgestiegen – auch in Deutschland. Die
Mobilfunknetze der drei großen deutschen Tele-
kommunikationsanbieter, Deutsche Telekom, Vo-
dafone und Telefónica, beruhen maßgeblich auf
Huawei-Komponenten. Auch beim Aufbau des neu-
en 5G-Netzes arbeiten die drei Unternehmen mit
den Chinesen zusammen.


Offensive in zwei Schritten


Die Technologieoffensive, mit der die USA Huawei
nun zurückdrängen wollen, besteht aus zwei Pha-
sen. Im ersten Schritt hilft Washington anderen
Ländern dabei, eine Telekommunikationsinfra-
struktur aufzubauen, die sich allein auf „vertrauens-
würdige Anbieter“ stützt. Dazu zählen aus Sicht der
USA die skandinavischen Unternehmen Ericsson
und Nokia sowie der südkoreanische Samsung-Kon-
zern. Als Förderinstrumente für die Anschaffung
westlicher 5G-Technologie will Washington die De-
velopment Finance Corporation (DFC) und die Ex-
port-Import Bank nutzen. Finanzhilfen der
DFC richten sich an Entwicklungsländer.
Für Kredite der Export-Import Bank
kommen auch Schwellenländer
und Staaten mit mittlerem Ein-
kommensniveau infrage. Hier-
bei müssen aber auch US-
Technologiefirmen gefördert
werden – Cisco etwa, das in
Teilsegmenten des 5G-Mark-
tes operiert. Zugleich haben
Senatoren beider Parteien ei-
nen Gesetzentwurf zur Grün-
dung eines Investitionsfonds
eingebracht, der Staaten unter die
Arme greifen soll, die ein Huawei-
freies 5G-Netz ausbauen wollen.
Den Chinesen werfen die Amerikaner vor,
ihre Netzwerktechnologie mit marktverzerrenden
Billigkrediten (null Prozent Zinsen, 20 Jahre Lauf-
zeit) zu fördern. Den Wettbewerbsnachteil für
westliche Firmen wollen die USA nun ausgleichen.
Ein direkter Einstieg der Amerikaner bei Ericsson
und Nokia, wie er kürzlich von US-Justizminister
William Barr lanciert worden war, steht nicht mehr
auf der Agenda. „Die US-Regierung wird sich nicht
direkt an Nokia und Ericsson beteiligen“, sagte
Trumps Sonderbeauftragter für Telekommunikati-
onspolitik, Robert Blair, dem Handelsblatt.
In der zweiten Phase der amerikanischen 5G-Of-
fensive will Washington zusammen mit Software-
konzernen und Hardwareanbietern die Technolo-
gieführerschaft im Mobilfunk zurückerobern. Auch
hier betonen die USA, eng mit europäischen Fir-
men zusammenarbeiten zu wollen. Dahinter steckt
die Einsicht, dass 5G sein volles Potenzial erst in ei-
nigen Jahren erreichen wird. Erst dann können
technologische Visionen wie selbstfahrende Autos
und vollautomatisierte Fabriken Wirklichkeit wer-
den. Ein vielfältiges, wertebasiertes Ökosystem von
Software und Hardware aufzubauen – das ist das
Ziel der Amerikaner für „die nächste Generation
von 5G“ und ihr Angebot an die Europäer.
Doch die europäische Reaktion auf die amerika-
nischen Avancen fiel in München verhalten aus.
Vorbehalte gegen Huawei gibt es zwar auch in
Europa. Doch die Anti-China-Kampagne der USA
geht selbst den Huawei-Kritikern in Berlin, Brüssel
und Paris zu weit. Die Reaktion auf Chinas Macht -
ambitionen dürfe nicht zu einem neuen Kalten
Krieg führen, hieß es. Die Europäer setzen daher
auf die Stärkung ihrer technologischen Eigenstän-


digkeit. Das Auswärtige Amt bereitet für die zweite
Jahreshälfte eine neue Initiative vor: „Wir wollen
das Thema digitale Souveränität ganz vorne auf die
Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft set-
zen“, hieß es in München aus der deutschen Dele-
gation. Die digitale Welt habe bisher zwei Pole –
„ein profitmaximierendes Modell im Silicon Valley
und ein repressives Modell in Peking“.
Das Auswärtige Amt fordert: „Europa muss ein
eigenes, drittes Modell anbieten. Dafür müssen wir
den europäischen Tech-Sektor stärken.“ Unterstüt-
zung kommt von den Grünen: „Wir brauchen eine
europäische Strategie für kritische Infrastruktur
und einen selbstbewussten europäischen Weg in
die Digitalära“, sagte Grünen-Chefin Annalena
Baerbock dem Handelsblatt. „Es gibt wichtige
Schnittmengen mit den Amerikanern, aber wir
sollten eigene Standards setzen.“
Auch bei einem Frühstück von deutschen Politi-
kern mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
wurde das Thema 5G besprochen. Macron signali-
sierte seine Unterstützung für die Gründung eines
europäischen 5G-Konsortiums. Kanzlerin Angela
Merkel, die die wirtschaftliche Kooperation mit
China eigentlich vertiefen will, öffnet sich langsam
für solche Bestrebungen. Vergangene Woche traf
sie sich mit den Chefs von Ericsson und Nokia im
Kanzleramt. Auch die Deutsche Telekom ist bereit,
die Abhängigkeit von China zu verringern. „Wir
würden sehr gerne mehr Technologie
von Nokia und Ericsson nutzen“, sag-
te Telekom-Vorstand Thomas Kre-
mer dem Handelsblatt. „Aber
wir müssen dann auch schau-
en, woher die beiden Unter-
nehmen ihre Komponenten
beziehen: nämlich aus China.
Deshalb müssen wir dafür
sorgen, dass auch die Zulie-
ferteile in Europa gebaut wer-
den.“
Die Bestrebungen, Europas
Souveränität zu stärken und so
nicht nur China, sondern auch die
USA auf Distanz zu halten, haben damit
zu tun, dass die US-Regierung auf anderen Fel-
dern der Wirtschaftspolitik Europa als Gegner be-
handelt. So erhöhten die Amerikaner die Zölle auf
europäische Flugzeuge am Freitag von zehn auf 15
Prozent – und verstärkten damit die europäischen
Zweifel, ob ihnen an echter Kooperation über-
haupt gelegen ist. „Es ist viel Vertrauen verloren ge-
gangen“, klagen Transatlantiker wie Burns. „Des-
halb fällt es uns so schwer, gemeinsam auf Chinas
Machtstreben zu reagieren.“

Technologischer Niedergang
Dass die USA bisher keine eigene technologische
Alternative zu Huawei haben und daher auf euro-
päisches Know-how setzen, erklärt sich mit dem
Niedergang der eigenen Telekomausrüster. Ende
der 1990er-Jahre waren Unternehmen wie Lucent,
Motorola und das kanadische Nortel die Innovati-
ons- und Marktführer. Alle drei sind inzwischen
vom Markt verschwunden. Lucent wurde zunächst
mit der französischen Alcatel verschmolzen und
später dann an Nokia verkauft. Auch das Motorola-
Geschäft für mobile Telekominfrastruktur landete
bei dem finnischen Konzern, der zudem die pas-
sende Siemens-Sparte übernahm. Und Nortel
musste 2009 sogar Konkurs anmelden und ver-
kaufte die Mobilfunksparte an Ericsson.
Mitverantwortlich für den Niedergang der ame-
rikanischen Telekomausrüster war die Liberalisie-
rung des US-Marktes Mitte der 1990er-Jahre. Das
brachte die Gewinne der Marktführer unter Druck,
sodass Konzerne wie Lucent ihr Heil in China such-
ten. Dort mussten sie ihr technologisches Know-
how beim Markteintritt offenlegen. Profitiert hat
davon nicht zuletzt ein Unternehmen: Huawei.

Geheimdossier über Huawei

Spionageangriff


auf Raketensilos


D

ie Amerikaner haben der Bundesregie-
rung Geheimdienstinformationen vorge-
legt, aus denen hervorgehen soll, dass
der Technologiekonzern Huawei China bei Spio-
nageaktivitäten in der Nähe von US-Kernwaffen-
basen unterstützt hat. Demnach wollen die Ame-
rikaner unweit von Raketensilos auf Sendemas-
ten, die Huawei ausgestattet hat, Spionagetech-
nik gefunden haben. Die Informationen waren
nach Handelsblatt-Recherchen Teil eines umfas-
senden Dossiers, das eine hochrangig besetzte
US-Delegation der Bundesregierung im Dezem-
ber vergangenen Jahres vorgelegt hatte. „Fernab
der Ballungszentren befindet sich auch in den
USA Huawei-Technologie in Mobilfunknetzen“,
sagte ein amerikanischer Spitzenbeamter dem
Handelsblatt auf der Münchner Sicherheitskonfe-
renz. „Wir stufen das als Sicherheitsrisiko ein und
arbeiten daran, die Komponenten zu entfernen.“
Das Handelsblatt hatte vor drei Wochen über das
Treffen der Amerikaner mit deutschen Spitzenbe-
amten berichtet und aus einem internen Vermerk
des Auswärtigen Amts zitiert. Darin werden die
US-Geheimdienstinformationen als Beleg für die
Einschätzung herangezogen, dass „die Vertrauens-
würdigkeit chinesischer Unternehmen mit den Si-
cherheitserfordernissen beim Aufbau von 5G-Net-
zen nicht gegeben“ sei. In dem Bericht schreibt
das Außenministerium: „Ende 2019 wurden uns
von US-Seite nachrichtendienstliche Informatio-
nen weitergegeben, denen zufolge Huawei nach-
weislich mit Chinas Sicherheitsbehörden zusam-
menarbeite (,smoking gun‘).“ Über den Inhalt des
Smoking-Gun-Dossiers wird seither spekuliert.
Zuletzt hatte das „Wall Street Journal“ über eine
mögliche Spionage-Schnittstelle in Huaweis Netz-
technologie berichtet. Die Zeitung schrieb unter
Berufung auf hochrangige US-Beamte, dass das
Unternehmen Zugriff auf spezielle Schnittstellen
in Mobilfunknetzen habe, die eigentlich nur für
die Verfolgung von Straftaten vorgesehen sei.
Doch diese verborgene Hintertür sei bei dem
Treffen in Berlin nicht zur Sprache gekommen,
heißt es aus der Bundesregierung. Man hätte da-
zu ansonsten auch viele Fragen gehabt.
Dass das Auswärtige Amt seine Risikoeinschät-
zung auf andere Informationen stützt, ist vor al-
lem deshalb relevant, weil Ungereimtheiten im
Bericht des „Wall Street Journals“ genutzt wur-
den, um die Vorwürfe gegen Huawei zu entkräf-
ten. Huawei bestreitet vehement, Hintertüren in-
stalliert zu haben. Mit den neuen Enthüllungen
konfrontiert, erklärte ein Huawei-Sprecher: „Wir
weisen diese neuen Anschuldigungen auf das
Schärfste zurück. Wenn die US-Regierung Bewei-
se für diese Anschuldigungen hat, dann fordern
wir sie auf, diese zu veröffentlichen oder Anklage
vor einem US-Gericht zu erheben, damit wir uns
geordnet dagegen verteidigen können und auf-
zeigen können, dass sie substanzlos sind.“ Der
Fernsehsender CNN hatte schon im vergangenen
Jahr allgemein über die Sorgen der USA um ihre
Abschussrampen berichtet. Moritz Koch

US-Raketensilo
in South Dakota:
Mit Huawei-
Technik
ausspioniert?

ddp/imageBROKER/Jim West

Wir brauchen eine


europäische Strategie


für kritische


Infrastruktur.


Annalena Baerbock
Grünen-Chefin

Wirtschaft & Politik


MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
7

Free download pdf