Süddeutsche Zeitung - 19.03.2020

(Nancy Kaufman) #1

Das OnlinemagazinRepublikkann weiter-
machen. Wie die Redaktion in einem News-
letter an die Abonnenten mitteilte, habe
man mithilfe von drei Investoren die „Ziele
für den März definitiv erreicht“. Dieses Ziel
lag bei 2,2 Millionen Franken, 2,46 Millio-
nen Franken waren es laut Mitteilung am
Dienstag. Weiterhin wolle man im März
3000 neue Abonnenten gewinnen. Ende
2019 hatte dieRepublikgemeldet, für ein
weiteres Fortbestehen müssten bis Ende
März 2,2 Millionen Franken sowie 19 000
Abonnenten zusammenkommen. Andern-
falls drohe der Belegschaft zum 31. März
die Kündigung. Die Gründer hatten per
Crowdfunding 2017 rund 3,4 Millionen
Franken eingenommen, insgesamt verfüg-
te das Projekt beim Start über 7,7 Millionen
Franken, dank Investoren. Am 14. Januar
2018 war es als werbefreies Magazin mit
etwa drei Artikeln pro Tag gestartet. sz


Dass ausgerechnet die Bewohner desBig-
Brother-Hauses zum nationalen Stubenho-
cker-Vorbild werden, hätte wohl niemand
geglaubt. Seit 10.Februar sitzen die Men-
schen für die Sat 1-Reality-Show in einem
kameraüberwachten Anwesen (FOTO: DPA),
bei miesen Einschaltquoten. Und die Be-
wohner bekommen von der Außenwelt
noch weniger mit als die Außenwelt von ih-
nen. Auch Corona ist damit weitestgehend
an ihnen vorbeigegangen. Und die Tatsa-
che, dass deshalb weltweit sehr viele Men-
schen zu Stubenhockern wurden. Einige
Nachzügler hatte man zum Schweigen ver-
pflichtet. Klar, beim Privatfernsehen lässt
man den Lagerfeuermoment namens
„Schocknachricht Corona – das Update für
die Bewohner“ nicht entgehen. Also stand
Moderator Jochen Schropp am Dienstag-
abend mit dem„Big-Brother-Arzt“ Andre-
as Kaniewski recht dramatisch hinter ei-
ner Glasscheibe. „Erst mal, bitte keine Pa-
nik“, sprach er zu den Bewohnern, die bei
jedem seiner Worte enger zusammenrück-
ten und sich so hemmungslos ins Gesicht
fassten, dass man als Zuschauer neidisch
werden konnte. Dann zeigte man den Un-
wissenden Pathos-Nachrichteschnipsel
der sendereigenen Formate. Fragen waren
auch erlaubt, die schönste davon: Ob man
dann Bescheid bekäme, wenn die Sache
mit dem Virus in ein paar Wochen über-
standen sei. quentin lichtblau

Das Lachen war schon weg, bevor die
Witze es waren. Am Ende der vergangenen
Woche, als das öffentliche Leben auch in
den USA nach und nach herunterfuhr,
klang es, als gäbe es keine gelingenden
Scherze mehr in den amerikanischen Late-
Night-Shows. Die Pointen kamen, aber
danach gab es nur Stille.
Mit Glück waren zwei vereinzelte La-
cher aus verschiedenen Ecken des Studios
zu hören und vielleicht drei, vier Paar
klatschende Hände. Woran das lag? Die
Late Showmit Stephen Colbert,Last Week
Tonightmit John Oliver undLate Nightmit
Seth Meyers fanden allesamt ohne Publi-
kum statt, bevor sie wegen des Coronavi-
rus vorläufig ganz aussetzten. Seit Montag
stellen die Late-Night-Gastgeber statt-
dessen Videos von zu Hause ins Netz. Aus
dem Kinderzimmer, der Badewanne, von
der Terrasse. Auch dort gibt es keine Zu-
schauer, die lachen könnten.
Was für eine Irritation es für Komiker
bedeutet, keine Reaktion aus dem Publi-
kum zu bekommen, versteht man, wenn
man sich klarmacht, dass in den USA die
klassische Karriere zur eigenen Late-Night-
Show über den Stand-up in kleinen Clubs
oder Bars führt. Also relativ kurze, spontan
wirkende Auftritte, die in Wahrheit aber
um eine Reihe ausgefeilter Witze herum
konstruiert sind und bei denen möglichst
alles sitzen muss.
Vom Gesichtsausdruck über die Pausen
bis zum Heben und Senken der Stimme.
Wer das Publikum nicht zum Lachen
bringt, verliert. Wer gut ist, spürt, wie der
Saal tickt, greift Reaktionen auf und macht
auch aus dem Misslingen von Pointen
noch einen Witz. Die Amazon-SerieThe

Marvelous Mrs. Maiselüber eine weibliche
Comedienne im New York der späten Fünf-
zigerjahre zeigt, wie hart das sein kann,
Talent hin oder her.
Stephen Colbert, der seit der Wahl
Trumps zum Präsidenten der erfolgreichs-
te Late-Night-Mann ist, zeichnete letzten
Donnerstag einfach gleich die Probe statt
der Show am Abend auf. Beim Kamera-
schwenk in den Saal sah man versprengt
etwa zwanzig Mitarbeiter in den Sesseln
sitzen. Viele von ihnen werden die Witze
mitgeschrieben haben, über die sie gleich
lachen würden. „Wie Sie vielleicht merken,
ist niemand von Ihnen hier“, sagte Colbert
in die Kamera und stellte seine Unbehag-
lichkeit angesichts der leeren Ränge sehr
bewusst aus: zuppelte am Jackett, atmete

laut hörbar, machte Pausen, wo er sonst
keine braucht. Dabei, sagte er gleich zu Be-
ginn, habe die Publikumslosigkeit ja auch
etwas Gutes: „In meinem Kopf sind alle
meine Witze perfekt. Nur das Publikum
sieht das manchmal anders.“ Während der
dreizehn Minuten seines Monologs trank
er gut sichtbar drei Schlucke aus einem
Glas Bourbon, sein übliches Verzweiflungs-
accessoire, das er unter dem Tisch depo-
niert hatte: „Das läuft doch ziemlich gut!“
Bei Seth Meyers sah das schon anders
aus. Er saß nicht wie sonst im Anzug,
sondern im hochgekrempelten Hemd an
seinem Tisch und ähte sich in sein tagesthe-
matisches Segment „A Closer Look“. Als es

mal einen Lacher gab, der von irgendwo
oben rechts zu kommen schien, bedankte
er sich mit Kusshand. Und John Oliver
konnte seine ShowLast Week Tonightnicht
mal im eigenen Studio drehen, weil Mit-
arbeiter im CBS-Broadcast-Gebäude sich
mit Corona infiziert hatten. Das ganze
Haus war gesperrt. Die verkürzte Ausgabe
seiner Sendung drehte er vor einem simp-
len weißen Hintergrund, der aussah „wie
der Ort, an dem Filmfiguren landen, wenn
sie sterben“.
Und doch: Gerade durch die Merk-
würdigkeit der einsamen Performance ent-
stand aus dieser für Komiker normaler-
weise tödlichen Situation eine sympathi-
sche Intimität. Bei Seth Meyers wurde der
Kollege eingeblendet, der die Textkarten
hält und zum Teil einer Pointe gemacht.
Stephen Colbert bezog seine Produzenten
mit ein und diskutierte, ob er jetzt nicht
langsam genug Material für den Abend ein-
monologisiert habe: „Vierzehn Minuten
haben wir doch jetzt wohl zusammen!“ In
Ermangelung des Publikums zeigten sich
die Sendungsmacher eben selbst.
Dass das die Lösung wäre, dachten sie
sich dann wohl auch selbst. Seinen nächs-
ten Monolog drehte Stephen Colbert bei
sich zu Hause in der Badewanne, Dienstag-
abend war er im Garten an der Feuerschale
zu sehen und schaltete rüber zu seinem
Bandleader Jon Batiste, der am heimi-
schen Klavier ein paar Minuten lang Auf-
munterndes spielte.
Trevor Noah war beim Putzen gegen die
Viren zu sehen. Und Jimmy Fallon machte
eine sehr charmant selbstgebastelte kurze
Sendung aus dem Spielzimmer seiner
Tochter. kathleen hildebrand

Der für Mitte Mai geplante Eurovision
Song Contest (ESC) ist abgesagt. Der Orga-
nisator, die Europäische Rundfunkunion,
teilte diese Entscheidung am Mittwoch
mit. Grund ist die Unsicherheit für die Pla-
nungen durch das Coronavirus. Das inter-
nationale Musikevent hätte vom 12. bis 16.
Mai in Rotterdam stattfinden sollen. Ein
neues Datum wurde zunächst nicht ge-
nannt. Für Deutschland hätte Ben Dolic
mit dem LiedThe Violent Thingantreten
sollen. Der für den deutschen Beitrag zu-
ständige ARD-Koordinator Unterhaltung,
Thomas Schreiber, sagte: „Das haben wir
erwartet und befürchtet – es ist leider die
einzig richtige Entscheidung.“ Auch die nie-
derländischen Ausrichter zeigten Verständ-
nis. 41 Länder wollten am diesjährigen ESC
teilnehmen. Nach Schätzungen verfolgten
die Show im vergangenen Jahr 200 Millio-
nen Zuschauer in aller Welt. dpa/epd


von simon hurtz
und klaus ott

B


leichmittel trinken, um das Corona-
virus abzutöten. Essig in die Nasen-
löcher einführen, um eine Anste-
ckung zu vermeiden. Neben all den wert-
vollen Informationen, die man in diesen
Tagen jederzeit aktuell im Internet abru-
fen kann, kursiert in den sozialen Medien
allerlei hochgefährlicher Unsinn über die
Pandemie. Soeben hat auch die Vizepräsi-
dentin der EU-Kommission, Věra Jourová,
vor den gesundheitsschädlichen Folgen
von Falschmeldungen gewarnt. Als ob die
Pandemie nicht schlimm genug wäre, ist
zugleich weltweit eine Infodemie zu beob-
achten, eine Flut von Gerüchten, Halbwahr-
heiten und Lügen überschwemmt soziale
Medien. So behaupten Bargeldfanatiker,
Corona diene dem Zweck, das Zahlungs-
mittel endgültig abzuschaffen.

Die alarmierende Lage hat mehrere Poli-
tiker veranlasst, Pläne zur Eindämmung
der Desinformation vorzutragen. Man
müsse „zuverlässige Nachrichtenquellen“
prominenter darstellen, „verbotene oder
schädliche Inhalte entfernen“ und vor „ir-
reführender Werbung“ schützen, sagte EU-
Vizekommissionschefin Jourová diese
Woche nach einem Treffen mit Abgesand-
ten von Google, Facebook, Twitter, Micro-
soft. Der niedersächsische Innenminister
Boris Pistorius ging noch einen Schritt wei-
ter. Er forderte imSpiegelBußgelder und
„Strafandrohungen“ gegen jene, die Fake
News veröffentlichten. Es müsse verboten

werden, öffentlich unwahre Behauptun-
gen über die Versorgungslage der Bevölke-
rung, die medizinische Versorgung oder Ur-
sache, Ansteckungswege, Diagnose und
Therapie der Erkrankung Covid-19 zu ver-
breiten, sagte der SPD-Politiker. Denn die
Lügen könnten Panik auslösen.
Geldbußen, Strafen, Verbote, das klingt
konsequent angesichts der Lage. Doch so
einfach ist es nicht in einer offenen Gesell-
schaft, zu deren wichtigsten Werten die
Meinungsfreiheit zählt. Wer bestimmt,
was erlaubt ist und was nicht? Wo beginnt
die Zensur? Dazu kommt: Regeln, mit de-
nen die schlimmsten Auswüchse geahndet
werden können, gibt es längst. Beispiels-
weise Paragrafen gegen Betrug und Ver-
leumdung, die auch im Internet gelten.
Bundesjustizministerin Christine Lam-
brecht hat nach dem Vorstoß ihres Partei-
freundes Pistorius gleich abgewiegelt. „Ge-
gen Fake News und Gerüchte helfen am
besten Fakten und ein gesundes Miss-
trauen.“ Und zuverlässige Nachrichten-
quellen, sagte sie, kein Wort von neuen Pa-
ragrafen.
Was die vorhandenen Vorschriften mög-
lich machen, hat Anfang 2019 das Amtsge-
richt Mannheim gezeigt. Es verurteilte ei-
nen Blogbetreiber wegen einer Meldung
über einen Terroranschlag zu einer Geld-
strafe von 12 000 Euro. Der Anschlag hatte
nie stattgefunden. Sachsens Justizministe-
rium verweist aktuell auf das Ordnungs-
widrigkeitengesetz (OWiG), das die Verhän-
gung von Bußgeldern regelt. Mit diesem
Gesetz können „grob ungehörige“ Hand-
lungen geahndet werden. Handlungen al-
so, welche die Allgemeinheit belästigen
oder gefährden und die öffentliche Ord-
nung beeinträchtigen. Was das konkret
heißt, ist aber oft schwer zu sagen. Was ist
zum Beispiel mit den zahlreichen Leuten,

die in diesen Tagen Fotos von leergehams-
terten Supermarktregalen posten? Panik-
mache und damit Beeinträchtigung der öf-
fentlichen Ordnung – oder wichtige War-
nung an Follower vor einer Notlage?
Das Internet bietet auch in der Corona-
Krise die ganze Bandbreite von seriösen,
aktuellen Nachrichten über sensations-
heischenden Boulevard bis hin zu Verdre-
hungen, Falschmeldungen und Lügen. Ge-
schäftemacher verkaufen angebliche Heil-
mittel, naive Nutzer verbreiten aus Angst
und Verunsicherung heraus selbst gefährli-
che Ratschläge weiter, Whatsapp-Ketten-
briefe werden nach dem Schneeball-
system massenhaft geteilt.
„Onkel und Nichte meines Klassenka-
meraden haben einen Masterabschluss

und arbeiten im Shenzhen Hospital“, be-
ginnt einer von etlichen Kettenbriefen, die
sich seit Wochen über Whatsapp verbrei-
ten. Es folgen Dutzende unsinnige Tipps,
die angeblich von Ärzten stammen. Wer
Schnupfen habe, sei keinesfalls mit
Covid-19 infiziert. Heißes Wasser töte das
Virus. „Leute, seid sehr vorsichtig und
trinkt viel Wasser. Lieferung wie erhalten“,
endet die Nachricht. Wassertrinken ist
nicht schädlich, aber wer denkt, dass er da-
mit vor dem Virus geschützt sei, gefährdet
damit sich selbst und seine Mitmenschen.
Was noch Dummheit ist und was schon
strafbar sein soll, ließe sich auch vor Ge-
richt schwer auseinanderhalten. Erst recht
in einer Zeit, in der auch die Justiz ihren
Betrieb wegen Corona herunterfährt. Was
aber nicht heißt, dass nichts getan werden
kann gegen die Infodemie. Betrüger wer-
den von Staatsanwälten verfolgt; was bei
Straftaten aus dem Ausland aufwendig ist.
Mehrere Bundesländer haben längst Er-
mittlungsgruppen gegen Straftaten im
Netz geschaffen. Facebook, Google, You-
tube, Linkedin, Microsoft, Reddit und Twit-
ter wiederum haben sich zusammengetan,
um gefährliche Gerüchte über Covid-19 zu
entfernen. Sie weisen sich gegenseitig auf
Falschinformationen hin und bündeln ihre
Kräfte, um zu verhindern, dass sich die vi-
rale Infodemie weiter ausbreitet.
Google, Youtube, Twitter und vor allem
Facebook wird seit Jahren vorgeworfen,
dass sie zu wenig und teils gar nichts unter-
nähmen, um schädliche Inhalte von ihren
Plattformen zu entfernen. In der Vergan-
genheit traf das oft zu. In der aktuellen Kri-
se handelt das Silicon Valley mit ungewohn-
ter Entschlossenheit. Was sonst noch
bleibt: Mehr Medienbildung für jeden Ein-
zelnen, damit immer mehr Menschen im-
mun werden gegen Infodemien jeder Art.

DEFGH Nr. 66, Donnerstag, 19. März 2020 (^) MEDIEN HF2 23
Die Schweizer
„Republik“ überlebt
Händewaschen
Ausgelacht
Über den besonderen Zauber von Late-Night-Shows ohne Publikum
ESC wegen
Corona abgesagt
Gastgeber von US-Shows wie Stephen Colbert (von oben links im Uhrzeigersinn), Jimmy Fallon, Jimmy Kimmel und Trevor No-
ah senden jetzt von daheim – auch aus der Badewanne. SCREENSHOTS: YOUTUBE/THE LATE SHOW/THE TONIGHT SHOW/JIMMY KIMMEL LIVE/THE DAILY SHOW
Durch die einsamen
Performances entstand eine
sympathische Intimität
ILLUSTRATION: SHUTTERSTOCK / SZ-GRAFIK
Geldbußen, Strafen, Verbote
In der Corona-Krise werden gerade Forderungen laut nach Vorschriften gegen Lügen im Internet.
Dabei gibt es die längst. Wie Plattformen und Justiz das Verbreiten von Fake News ahnden
ABSPANN
Der niedersächsische
Innenminister will Verbote
und neue Paragrafen
Lösungen vom Mittwoch
SZ-RÄTSEL
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmal vorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
© 2010 Syndicated Puzzles Inc. 19.3.2020
4
82
9
1
7
9
1
5
6
39
4
Schwedenrätsel Sudokuleicht
5 6
4 3 1
8 4 9
6 1 5 7
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9 7 4
5 8 6 2
1 8 6
4 5 7
5914 7 6823
6845 32179
2731 8 9546
9387514 62
7 1 26439 85
4562983 1 7
1493 27658
82596 4731
3678 1 5294
Str8ts: So geht’s
657 32
5768 243
768 9 354
8163425
43 21
615234 7
543 2 768
432 5687
32 456
8
1
6
9
7
Str8tsmittelschwer

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