Süddeutsche Zeitung - 19.03.2020

(Nancy Kaufman) #1
Ab ins Netz
Die VHS Ottobrunn bietet nun interaktive On-
linevorträge an. An diesem Donnerstag,
20 Uhr, spricht der SZ-Journalist Felix Hütten
über das Virus Sars-CoV-2. Anmeldung unter
http://www.vhs-suedost.de oder Telefon 442 3890.

http://www.sz.de/muenchen
http://www.facebook.com/szmuenchen
http://www.twitter.com/SZ_Muenchen

Sendling-Westpark– Seit nunmehr acht
Jahren fordert der Bezirksausschuss (BA)
Sendling-Westpark, an den Eingängen
zum stark frequentierten U-Bahnhof Part-
nachplatz Aschenbecher anzubringen. Seit-
dem hieß es stets, wie die SPD-Fraktion kri-
tisiert, es stünden dazu noch diverse Stu-
dien und Untersuchungen aus. Ende ver-
gangenen Jahres sah sich die Münchner
Verkehrsgesellschaft (MVG) dann offenbar
in der Lage, eine Aussage zu treffen und
ließ über den städtischen Referenten für
Arbeit und Wirtschaft, Clemens Baumgärt-
ner, mitteilen, man könne an dieser Stelle
auf Aschenbecher verzichten.
Damit will sich die SPD aber nicht abfin-
den. Die MVG-Beobachtung, dass am Part-
nachplatz „nur vereinzelt Kippen herum-
liegen“, sei „vollkommen falsch“, konsta-
tiert Charlotte Mosebach (SPD) und wurde
in dieser Einschätzung auch von den ande-
ren BA-Mitglieder bestätigt. Mosebach er-
innerte in der jüngsten Sitzung des Stadt-
teil-Gremiums daran, dass sich der BA seit
Jahren stets einstimmig dafür ausgespro-
chen habe, am Partnachplatz Aschenbe-
cher aufzustellen. Da die MVG und die
Stadt das Thema aber schleifen ließen, hät-
ten inzwischen die Anwohnerinnen und
Anwohner damit begonnen, die Kippen ein-
zusammeln.
Dass nun eine mit Steuergeld finanzier-
te Studie zu dem Ergebnis komme, es gebe
diesbezüglich am Partnachplatz kein Pro-
blem, „ist geradezu absurd“, schimpft Mo-
sebach. Mit einer solchen Einschätzung be-
strafe man „das bürgerschaftliche Engage-
ment vor Ort“ und führe – in Sendling-
Westpark, aber auch anderswo – „die loka-
le Kompetenz der Bezirksausschüsse ad ab-
surdum“. Der BA stellte sich hinter die SPD-
Forderung, die in letzter Konsequenz, also
wenn die MVG bei ihrer ablehnenden Hal-
tung bleibe, das Aufstellen der Aschenbe-
cher auf eigene Rechnung durchziehen, al-
so aus dem neuen Stadtbezirksbudget be-
zahlen will. berthold neff

A


m liebsten würde man Lubika Jariko-
va die Hand schütteln, sie umarmen


  • aber genau das geht ja nicht mehr.
    Zusammen mit ihrem Mann betreibt sie
    die italienische Eisdiele „Gelatissimo“ im
    Mira Einkaufszentrum an der Nordheide.
    Freunde ihrer beiden Kinder haben Bilder
    gemalt: Mit Regenbogen und der Durchhal-
    teparole „Tutto andrà bene“ – „Alles wird
    gut“. „Ja“, sagt die 42-Jährige, „so etwas
    braucht es, damit man positiv bleibt.“ Sie
    lacht und gestikuliert, während ein Ange-
    stellter aus Apulien einen Pistazienbecher
    kreiert. Mit der Situation zu hadern, habe
    gar keinen Sinn, beschreibt Jarikova ihre
    Gefühlslage. Man müsse sich anpassen.
    Noch hat sie geöffnet. Eis zum Mitnehmen
    ist erlaubt. Aber auch draußen darf Eis ge-
    schleckt werden, an Tischen, im gebühren-
    dem Abstand voneinander.
    Im Mira selbst ist es ruhig. Im Sushi-La-
    den wird geputzt, auch im Soul Bowles. „Al-
    les ausräumen“, heißt die Devise. An die-
    sem Donnerstag werden sie ihre Läden
    schließen. Vor der Hofpfisterei steht eine
    Schlange. Sonst ist es still. Nur im Aldi geht
    es rund. Wohl wegen der Klopapierrollen,
    die vor allem Frauen in großen Taschen
    heraustragen. „Sieben Paletten haben wir
    gestern einsortiert“, sagt der Mann an der
    Kasse, „um 13 Uhr war alles weg.“ Center-
    Manager Josef Blattner ist aber mit dem
    Verhalten der Menschen im Mira zufrie-
    den. Die Stimmung sei gelassen. „Wichtig
    ist für uns eine gute Grundversorgung.“
    Und dass die Leute draußen auf dem Vor-
    platz fünf Minuten Auszeit haben: bei ei-
    ner Kugel Eis von Lubika.


Im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ)
sieht es nach entspanntem Einkaufen aus


  • wenn bloß dieses Gefühl der latenten Be-
    drohung nicht wäre. Bei Vinzenzmurr hat
    man statt der üblichen Schlangen auf ei-
    nen Schlag zwei Verkäufer ganz für sich.
    Die um die Pflanztröge gruppierten Vierer-
    bänke sind wie andere Sitzinseln abge-
    sperrt. Im OEZ haben wie in der Meile
    Moosach und im Evers alle Geschäfte zu,
    die nicht der Grundversorgung dienen. Die


Kunden lassen sich in zwei Hälften eintei-
len: Die einen haben den Einkaufswagen
randvoll gepackt, die anderen kaufen nur
für heute oder morgen ein. Bei der eben-
falls geschlossenen Literaturhandlung
„Blattgold“ kann man Bücher telefonisch
bestellen, sie werden kostenlos geliefert.
Péter Staszkiv, 39, und seine Frau Kata-
lin vom Leckerwerk im Evers am Oertel-
platz haben bis zum frühen Nachmittag
noch keinen einzigen Baumstriezel geba-
cken, dafür aber Lángos, jene ungarische
Spezialität aus frittiertem Hefeteig, mit
Schmand, Knoblauch, Schinken oder Käse
belegt, die sich ein Pärchen gerade schme-
cken lässt. Das Hauptgeschäft am Stachus
ist zu, in Allach wollen Staszkiv und seine
Frau noch so lange öffnen, wie sie dürfen.
Ähnliche Bilder im Osten der Stadt:
Schon die Fahrt zur U-Bahn-Haltestelle
Messestadt West hat etwas Geisterhaftes.
Die letzten zwei Stationen ist der Waggon
leer. Fast leer ist auch der weitläufige Platz
vor den Riem Arcaden. Nur das Weinen ei-
nes Kindes unterbricht die gespenstische
Ruhe. Im Shopping-Center ist es nicht an-
ders. Kleidungs- und Geschenkeläden
sind zu. Bei vielen Shops sind die Rollläden
heruntergelassen. Dazwischen ein paar
Restaurants und Imbisse, die geöffnet ha-
ben. Die Angestellten putzen die Glasschei-
ben, Essen bestellt so gut wie niemand.
Vor der Apotheke im Erdgeschoss hinge-
gen hat sich sogar eine Schlange gebildet.
Auf einem Schild am Eingang steht:
„STOPP – bei Fieber bitte draußen blei-
ben“. Eine Apothekerin mit Mundschutz
passt auf, dass keiner eintritt, ohne sich die
Hände zu desinfizieren. Die Wartenden
sprechen kaum. Doch die Ruhe täuscht.
Die Nerven sind angespannt, was sich
zeigt, als sich jemand beschwert: „Stellt
euch doch weiter vor.“ Sofort folgt in har-
schem Ton die Antwort: „Nein, es ist wich-
tig, dass man ausreichend Abstand hält.“
Im Edeka ein Stockwerk tiefer sind die
Regale gut gefüllt, mit großen Lücken bei
Nudeln und Mehl. Zwei Frauen stehen als
einzige auf der Rolltreppe. „Ganz schön ge-
spenstisch“, sagt die eine. Die Schlange vor
der Apotheke hat sich inzwischen aufge-
löst. An den Gastro-Ständen stehen ein
paar Menschen für ihr Mittagessen an. Sie
nehmen ihre Tüten und verlassen die Riem
Arcaden möglichst schnell wieder.

Ganz normal ging es auf den ersten
Blick am Dienstagnachmittag noch im Zen-
trum Neuperlachs zu. Doch auf den zwei-
ten Blick war schnell klar, dass das täusch-
te: Wo sich sonst zwischen dem Einkaufs-
center Pep und dem Aufgang der U-Bahn-
station Menschenmassen hin und her wäl-
zen, herrschte fast schon Beschaulichkeit.
So wie man mit einem Dimmer die Licht-
stärke nach und nach senkt, so hat offen-
bar das Coronavirus das öffentliche Leben
auf Sparflamme gesetzt – schon am Diens-
tag ein leiser Vorgeschmack auf den Katas-
trophenfall, der ja für Mittwoch ausgeru-
fen wurde. Nun sitzen an den Tischen im
Freien vor Starbucks und McDonald’s we-
nige, aber offenbar entspannte Gäste, drin-
nen herrscht fast schon Leere. Ähnliche
Eindrücke gewinnt man im Pep selbst. Nur
in den Lebensmittelläden und Imbissen
werden Kunden noch bedient. Hauptziel

ist der Kaufland im Untergeschoss. Besu-
cherströme lassen sich nirgends ausma-
chen, es sind eher Besucherrinnsale. Und
noch etwas fällt auf: relativ viele offensicht-
lich schulpflichtige Jugendliche, relativ vie-
le Rentner, relativ viele Mütter mit Baby
und relativ viele Familien, bestehend aus
Großeltern, Eltern und Kindern, die ge-
meinsam zum Einkaufen kommen. Ob der
Appell, das soziale Leben einzuschränken
und dadurch das Infektionsrisiko für sich
und andere zu minimieren, bei allen ange-
kommen ist?
Auch im Westen hat man auf Sparflam-
me schalten müssen. Viele Läden in den Pa-
sing Arcaden hatten sich schon am Diens-
tagabend von ihren Kunden verabschie-
det. Wie etwa der Fan-Shop des FC Bayern,
der darauf hinweist, dass das Wohlbefin-
den der Kunden und Mitarbeiter nun
„höchste Priorität“ habe. Diesen Tenor hat
auch das Statement des Centermanage-
ments: „Die Gesundheit unserer Kunden,
Mitarbeiter sowie Miet- und Geschäfts-
partner hat für uns höchste Priorität“, be-
gründet man die Maßnahme, vorerst nur
die Grundversorgung anzubieten. Es sind
wenige Leute unterwegs in den Etagen, die

meisten schleppen das anscheinend wich-
tigste Gut nach Hause: Klopapier. Die Opti-
ker haben geöffnet, aber ohne Sehtest. Ein
Friseur, der mit besorgtem Blick allein in
seinem Laden steht, bekommt von einer
Passantin ein aufmunterndes „Machen
Sie’s gut, wird schon!“ geschenkt. Im Lotto-
laden weist ein Schild auf die Hygiene
beim Ausfüllen hin. Am besten holt man
seinen eigenen Stift aus der Tasche. Und
hört zum Schluss von der Frau an der Kas-
se den zuversichtlichsten Satz des Tages:
„Lotto gespielt wird immer!“
anna, bn, czg, gru ilgd, ole

München– In der Krise zeigt sich, was ei-
ne gute Nachbarschaft ist, wer über die Jah-
re seine sozialen Kontakte sorgfältig ge-
pflegt hat und wer überhaupt einen Sinn
für den eigenen Nachbarn oder den Hilfsbe-
dürftigen im Haus nebenan hat. Dass es in
dieser Hinsicht gar nicht so schlecht um
die Münchner bestellt ist, zeigt sich in die-
sen Tagen von Allach bis Zamdorf, von Au-
bing bis Solln. Ganz viel Kommunikation
läuft über die sozialen Medien, manches
aber auch über schlichte Zettel in Hausein-
gängen, auf Briefkästen oder an Laternen-
masten. Nicht alle Münchner werden aber
auf diesem Weg erreicht. Hilfsangebote,
vor allem echte, nicht auf Geschäft und Ge-
winn gerichtete Offerten von Privaten und
Organisationen, werden die Stadtviertel-
Seiten der SZ in den kommenden Tagen
bündeln und in ihrem – derzeit natürlich
eher schmalen – Serviceteil veröffentli-
chen. Beiträge dazu sammelt die Redakti-
on, idealerweise als E-Mails an die Adresse
[email protected]. tek

München– Alle Dienststellen und Bera-
tungsangebote des Direktoriums der
Münchner Stadtverwaltung sowie die
Stadt-Information im Rathaus (Telefon
22 23 24) sind von sofort an für den Partei-
verkehr geschlossen. Erreicht werden kön-
nen die Stellen telefonisch, per E-Mail
oder Brief. Die Kontaktdaten der Bürgerbe-
ratung, des Oberbürgermeisters, des Sta-
tistischen Auskunftsbüros, der Gleichstel-
lungsstelle für Frauen, der Koordinierungs-
stelle zur Gleichstellung von LGBTI*, des
Stadtarchivs sowie der Beschwerdestelle
für Probleme in der Altenpflege finden
sich online unter https://www.muen-
chen.de/rathaus/Stadtverwaltung. dagl


Die Einkaufszentren leeren sich, die Einzelhändler üben sich in Optimismus. In der Moosacher Meile (links) liegt nicht nur das Kinderkarussell verlassen da. Im Mira
(rechts) gibt sich Eisdielen-Betreiberin Lubika Jarikova samt Kollegen hoffnungsvoll: „Alles wird gut“, steht auf ihren Plakaten. FOTOS: CATHERINA HESS

Nur das Nötigste


Seit Mittwoch sind Geschäfte geschlossen, die nicht der Grundversorgung dienen. Die Kunden gehen
mit der neuen Situation unterschiedlich um. Eine Bestandsaufnahme in Einkaufszentren am Stadtrand

„Die Gesundheit hat höchste
Priorität“, teilt das Management
der Pasing Arcaden mit

Nachbarschaftshilfe


auf der SZ-Serviceseite


Stadtverwaltung


sperrt zu


von johannes korsche

D


ie Münchner S-Bahn ist schon ein
besonderes Gefährt. Vielleicht ei-
ner der wenigen Orte, an denen
selbst jetzt noch die gesamte Stadtgesell-
schaft zusammenkommt. Da sitzt die
Rentnerin neben dem kleinen Erstkläss-
ler. Und weiter vorne der Junior-Consul-
tant-Manager neben einem anscheinend
verwirrten, vor sich hinbrabbelnden
Mann. Alles schon da gewesen. Aber die-
ser eine besondere Fahrgast, der sich am
Mittwochabend in die S 4 verirrt hatte,
man muss es so sagen, ist eine Weltsensa-
tion: der erste Zeitreisende. Dabei hat er
sich gut getarnt: Dunkel gekleidet, kräf-
tig gebaut, Bart, Mitte/Ende Dreißig.
Selbst an die inzwischen obligatorischen
Kopfhörer im Ohr hat er gedacht. Aber –
und da verrät er sich – eben jene Kopfhö-
rerkabel führen zu – einem Discman. Die
Älteren erinnern sich vielleicht an diese
tragbaren CD-Spieler. Die Jüngeren wird
die Vorstellung, dass auf eine CD um die
80 Minuten Musik passen, amüsieren.
Aber: Ein Besucher aus der Vergangen-
heit, hier in München? Ist das überhaupt
möglich? Ein gewisser Albert Einstein
würde antworten: ja, sicher. Und der soll
für solche Fragen schließlich ein Experte
gewesen sein, sogar ohne jemals in den
Genuss der Münchner Öffentlichen ge-
kommen zu sein. Denn Einstein fand her-
aus, was später mit Atomuhren in Flug-
zeugen bewiesen wurde: Je schneller sich
ein Objekt bewegt, desto langsamer ver-
geht – in Relation zur ruhenden Umge-
bung – für und in diesem Objekt die Zeit.
Dementsprechend könnten Menschen,
relativ gesehen, in die Zukunft reisen.
Aha. Nun, da das geklärt ist, drängen sich
Fragen an den offensichtlich Zeitreisen-
den auf: Ist er etwa für das fortdauernde
Revival der 1980er Jahre verantwortlich?
War Amerika damals wirklich „great“?
Zeitlich jedenfalls würde das passen, der
Discman kam schließlich Anfang der
Achtzigerjahre auf den Markt.
Doch bevor sich ein Gespräch entwi-
ckeln ließe, ist der Hauptbahnhof er-
reicht. Die S-Bahn war schneller als ge-
dacht. Wenngleich nicht schnell genug,
um selbst in die Zukunft zu springen, was
einem die Nachrichtenlage allzu schnell
vor Augen führt: Corona, Trump, Kom-
munalwahl. Beim Lesen der Meldungen
wird der Drang umso größer, es dem Un-
bekannten gleichzutun. Vielleicht kom-
men Zeitreisende ja auf einen zu und ge-
ben Tipps, wenn man sich als Zeitflüch-
tender zu erkennen gibt. Mit einem gehei-
men Zeichen: Discmans werden immer
noch verkauft.


Handschuhe gegen die Gefahr: Auch im Einkaufszentrum Pep in Neuperlach ist nichts mehr so, wie es vor der Corona-Krise war. FOTO: FLORIAN PELJAK

Im Olympia-Einkaufszentrum
sind Bänke und
Sitzinseln abgesperrt

Redaktion:Thomas Kronewiter (Leitung),
Hultschiner Straße 8, 81677 München
Telefon:(089) 21 83-7293
Mail:[email protected]
Anzeigen:(089) 21 83-82 27
Abo-Service:(089) 21 83-8080

ZUHÖREN


FOTO: JENS BÜTTNER/DPA

Kippen


am U-Bahnhof


Lokalpolitiker wollen Aschenbecher
notfalls aus ihrem Budget zahlen

MITTEN IN MÜNCHEN

Reisen in die


gute alte Zeit


ZENTRUM


DEFGH Nr. 66, Donnerstag, 19. März 2020 (^) STADTVIERTEL PGS R5
Peter-Auzinger-Str. 11| 81547 München| tel. +49 (0)89. 690 45 77
http://www.uhrenbauer.de| [email protected]
SeikoSince1881
THE NATURE OF TIME

Free download pdf