Süddeutsche Zeitung - 19.03.2020

(Nancy Kaufman) #1
von cerstin gammelin

Berlin– Es ist ja ein bewährtes politisches
Krisenrezept, sich ein wenig Zuversicht
mittels Blankoschecks zu erkaufen. Auch
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD)
kennt dieses Rezept. Die Bundesregierung
habe „jetzt alle Kraft und genügend Geld,
um in dieser Krise gegenhalten zu kön-
nen“, sagte Scholz am Mittwoch in Berlin,
nachdem das Bundeskabinett seine vor-
läufigen Haushaltspläne gebilligt hatte.
Die Koalition könne und werde „alles tun“,
um das Land durch die Krise zu führen. Ein
großes Versprechen. Allerdings zeigt der
Blick auf die Haushaltszahlen des deut-
schen Staates, dass der Scheck, den Scholz
da ausgestellt hat, gedeckt ist.


Bund, Länder und Sozialkassen verfü-
gen derzeit über etwa 200 Milliarden Euro
an Rücklagen, wie Recherchen derSüd-
deutschen Zeitungim Bundestag belegen.
Zum Vergleich: das Budget des Bundes für
das laufende Jahr liegt bei geplanten
362 Milliarden Euro. Ökonomen und die
Opposition haben das Bunkern von so viel
Geld oft kritisiert, wegen der negativen Zin-
sen, die es wegschmelzen lassen. Jetzt
aber, da das Coronavirus das wirtschaftli-
che Leben fast stillstehen lässt, kommen
die Rücklagen wie gerufen.
Allein die Sozialkassen hatten Ende
2019 mehr als 100 Milliarden Euro zurück-
gelegt; der Bund fast 55 Milliarden Euro.
Jetzt werden die Töpfe angezapft. Rückwir-
kend zum 1. März können Unternehmer
Kurzarbeitergeld beantragen, bezahlt wird
das aus den Reserven der Bundesagentur
für Arbeit. Die Überschüsse von Kranken-
kassen und Pflegeversicherung dürften
schnell weg sein, weil ja immer mehr Men-
schen behandelt werden müssen.
Und der Bundeshaushalt? Das bereits
bewilligte unbegrenzte Kreditprogramm
für Unternehmen schlägt bisher nicht auf
das Bundesbudget durch; erst wenn Kredi-
te in großem Stil ausfallen. Trotzdem hat
das Virus erste Lücken gerissen. Der Haus-
haltsausschuss des Bundestags bewilligte
vergangene Woche im Eilverfahren eine


Milliarde Euro, um dringend benötigte
medizinische Güter wie Masken und Atem-
geräte zu beschaffen.
Um trotz der den Alltag komplett verän-
dernden Krise so weit wie möglich stabile
Verhältnisse zu garantieren, hat das Bun-
deskabinett an diesem Mittwoch wie ge-
plant die Eckwerte des Bundeshaushalts
2021 sowie des Finanzplans bis 2024 be-
schlossen. Dabei räumte der Bundesfinanz-
minister allerdings ein, dass „eine seriöse
Quantifizierung möglicher negativer Effek-
te der Covid-19-Epidemie zurzeit nicht
möglich ist“. Scholz sagte am Mittwoch,
aussagekräftige Konjunkturprognosen lä-
gen derzeit nicht vor, würden jedoch in den
nächsten Monaten eingearbeitet.
Klar ist, dass die Pandemie das Budget
für 2020 wie für die kommenden Jahre
komplett umwerfen wird. Noch steht unter
den Planungen eine schwarze Null, sind
steigende Steuereinnahmen eingeplant.
Wenn in der kommenden Woche ein gro-
ßer staatlicher Härtefallfonds aufgelegt
wird, der nicht Kredite vergibt, sondern
Kosten übernimmt, wird die schwarze Null
jedoch obsolet sein. Und die nächste Steu-
erschätzung im Mai wird zeigen, dass die
Einnahmen drastisch zurückgehen.
Bislang ist geplant, dass der Bundes-
haushalt 2021 Ausgaben von 370 Mil-
liarden Euro umfasst, die bis 2024 auf
387 Milliarden Euro ansteigen. Und die
große Koalition verspricht, dass sie alles,
was im Koalitionsvertrag und den Koaliti-
onsausschüssen vereinbart wurde, trotz
Corona-Krise auch finanzieren wird.
Jedes Jahr sollen etwa 43 Milliarden
Euro in Schulen, Kitas, Brücken, Straßen,
Bahnen oder Digitales investiert werden.
Das Kindergeld steigt, der Soli-Zuschlag
soll spätestens von Januar 2021 an für fast
alle Steuerzahler wegfallen. Die Grund-
rente kommt, ebenso wie die Finanztrans-
aktionsteuer zu deren Finanzierung.
Die Ausrüstung der Polizei soll verbes-
sert werden, für innere Sicherheit gibt es
insgesamt zusätzlich 1,4 Milliarden Euro.
Finanziert sind auch die Maßnahmen zum
Klimaschutz. Und, fast kurios: Deutsch-
land kommt dem Nato-Versprechen, bis
2024 mindestens 1,5 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts für Rüstung auszugeben,
so nahe wie nie zuvor. Weil das BIP wegen
der Corona-Krise einbricht, steigt die Nato-
Quote auch ohne zusätzliche Ausgaben an.

München –„Liebe Partygemeinde, leider
müssen wir euch darüber informieren,
dass per Erlass der Stadt Paderborn... alle
Veranstaltungen bis einschließlich


  1. April 2020 abgesagt sind. Dies betrifft
    nun auch unsere Abiparty am 02.04.2020.“
    Allein dieser Facebook-Post des Gymnasi-
    ums Schloß Neuhaus in Nordrhein-West-
    falen verrät: Die Corona-Krise bürdet Abi-
    turienten Unannehmlichkeiten auf. Ein
    Abitur, das nicht gefeiert werden darf? Das
    hat es so noch nicht gegeben. Ein Abitur
    ohne Wiederholungsphase in der Schule
    und Pauken mit Freunden am Nachmit-
    tag? Auch ein Novum. Und jetzt auch noch
    das: Sogar die Prüfungen werden teilweise
    verschoben.


Als erstes Bundesland teilteMecklen-
burg-Vorpommern am Dienstag mit,
dass die für März und April geplanten Klau-
suren erst von Mitte Mai an geschrieben
werden könnten. Mittwochfrüh präsentier-
te auchBayerneinen „neuen Fahrplan für
das Abitur 2020“. Dort starten die schrift-
lichen Prüfungen am 20. Mai statt am


  1. April. Wegen des Unterrichtsausfalls
    hätten die Abiturienten sonst nicht genü-
    gend Vorbereitungszeit, erklärte Kultusmi-
    nister Michael Piazolo (Freie Wähler). Das
    liegt daran, dass die Schulschließungen
    bayerische Abiturienten noch in der Stoff-
    vermittlungsphase treffen. In Ländern, die
    früher in die Sommerferien gehen, sind
    dagegen viele Schüler schon in der Wieder-
    holungsphase.
    Allerdings: Auch das sind nur Pläne.
    „Aufgrund der dynamischen Entwicklun-
    gen können weitere Veränderungen im
    Ablauf der Abiturprüfung 2020 nicht aus-
    geschlossen werden“, warnte Bayerns Kul-
    tusministerium. Das dürften Piazolos Kol-
    legen anderswo ebenso sehen. Dennoch
    war man nicht nur inNordrhein-Westfa-
    lenoffenbar überrascht von dem Vorstoß
    aus Nord und Süd. „Ich hätte mich gefreut,
    wenn ich vorher Informationen gehabt hät-
    te“ sagte Schulministerin Yvonne Gebauer
    (FDP) mit Blick auf die Abmachung der Kul-
    tusminister, in der Corona-Krise einheit-
    lich vorzugehen. Bislang bleibt das Land
    bei seinen Terminen, die Klausuren sollen
    am 21. April beginnen. Doch die Dynamik
    in den Beratungen am Mittwoch war groß.


Nachdem die Kultusministerkonferenz
(KMK) mittags mitteilte, „man kläre diese
Frage gerade“, war ein ähnlicher Dominoef-
fekt denkbar wie am vergangenen Freitag,
als ein Bundesland nach dem anderen
Schulschließungen beschloss. Nach den Be-
ratungen wollte die KMK-Präsidentin und
rheinland-pfälzische Bildungsministerin
Stefanie Hubig (SPD) nicht mal mehr aus-
schließen, dass letztlich sogar Prüfungen
wegfallen könnten.
Der Grund für den hohen Abstimmungs-
bedarf trotz aller föderalen Bildungshoheit
der Länder sind die zentralen Klausurtermi-
ne für Deutsch, Mathematik und Fremd-
sprachen. Da die meisten Länder dafür
Fragen aus einem gemeinsamen Pool ent-
nehmen, müssen die Abiturienten in diesen
Fächern bundesweit trotz sehr unterschied-
licher Ferientermine am selben Tag ihre
Prüfungen ablegen: Deshalb waren etwa
für Deutsch der 30. April und für Mathema-
tik der 5. Mai vorgesehen. Ob Bayern we-
gen seiner späteren Termine aus der Poollö-
sung ausschert oder der Sammlung andere
Fragen entnimmt, blieb zunächst offen.
Trotz der Beratungen hieß es bis zum
Nachmittag aus den meisten Ländern sinn-
gemäß: Verschiebungen der schriftlichen
Prüfungen planen wir nicht, aber nagelt
uns bloß nicht darauf fest. So der Tenor un-
ter anderem aus demSaarland, ausHam-
burg,Niedersachsen,Sachsen undHes-
sen. Auch inBerlinundBrandenburgsol-
len die Klausuren wie geplant (am 27. März
bzw. 20. April) starten, Schulleiter erhalten
aber die Freiheit, auf Nachschreibtermine
auszuweichen.Schleswig-Holsteinver-
schiebt dagegen den Prüfungsstart, Kultus-
ministerin Karin Prien (CDU) sagte der
Süddeutschen Zeitung: „Derzeit bereiten
wir für alle denkbaren Szenarien Lösun-
gen vor, dass Schülerinnen und Schüler in
diesem Schuljahr noch ihre Abschlussprü-
fungen ablegen können.“ Ausgang offen.
Auch Baden-Württemberg überlegt
noch, neue Termine sind nicht ausge-
schlossen. Ministerpräsident Winfried
Kretschmann (Grüne) bemühte vorsorg-
lich seine eigene Biografie, um die Schüler
zu beruhigen, indem er an die Kurzschul-
jahre der Sechzigerjahre erinnerte: Da-
mals wurde der Stoff von zwei Schuljahren
in einigen Ländern in 15 Monate gepackt,
um den Schulbeginn von Ostern auf Au-
gust zu verlegen. Auch Kretschmann hat
diese Kurzschulzeit miterlebt – und zählt
trotzdem zu den Menschen, die Karriere ge-
macht haben. skle, cwe, henz, rtw

Gut


gebunkert


Deutschland verfügt über Rücklagen von 200 Milliarden Euro.
In der Krise kommt das wie gerufen

Die meisten Länder brauchen für
Prüfungen in Deutsch, Mathe und
Sprachen gemeinsame Termine

Erste Bundesländer


verschieben das Abitur


Prüfungen in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern im Mai


Allein die Sozialkassen hatten


Ende 2019 mehr als


100 Milliarden Euro zurückgelegt


Bundesfinanzminister Olaf Scholz betont, dass sich die finanziellen Auswir-
kungen der Pandemie noch nicht seriös beziffern ließen. FOTO: KAY NIETFELD / DPA

DEFGH Nr. 66, Donnerstag, 19. März 2020 (^) POLITIK HMG 5
Der deutsche Staat und seine Rücklagen Angaben in Milliarden Euro
54,9 103,0 40,
Rücklagen ingesamt 197,
Bund Sozialversicherung Länder
Asyl-Rücklage
Energie- und Klimafonds
Bundeswehr-Rücklage
Bund
48,
6,
0,
Diverse Rücklagen
Länder
40,
geschätzt
Sozialversicherung
Bundesagentur für Arbeit 25,
Rentenversicherung 40,
Gesundheitsfonds 10,2
Gesetzliche Krankenkassen 19,8

Pflegeversicherung 6,7**Stand Ende 2019
SZ-Grafik; Quelle: Bundestag, eigene Recherche
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