Berliner Zeitung - 19.03.2020

(vip2019) #1
Berliner Zeitung·Nummer 67·Donnerstag, 19. März 2020–Seite 20
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Panorama

LEUTE


AndreaPetkovic(32)pausiertgerade
vomTennisspielen–nichtCoronas
wegen,sondernaufgrundeinerVer-
letzung.NatürlichgehenVirus-und
Quarantänegeschehendennoch
nichtspurlosanderDarmstädterin
vorbei:Siehatsichfürdielahmge-
legteZeitüberlegt,einenvirtuellen
BuchclubinsLebenzurufen.Bislang
hatder RaquetBookClubaufInsta-
gramknapp2000Abonnenten.Das
Prinzipgehtso:EinBuchwir dvorge-
schlagenundnacheinergewissen
Lesezeitgemeinsamonlinedisku-
tiert. DenAnfangmachtdieSportle-
rinselbst:mit„StringTheory“von
DavidFosterWallace.Undjetzt Sie!


TomHanks(63)wareinerderersten
Prominenten,dieihreCovid-19-Dia-
gnoseöffentlichgemachthaben.
JetztbeschreibtunsderUS-Schau-
spielerdieSymptomeseinerErkran-
kung.Nacheiner Wochein Selbstiso-
lierungseiendieBeschwerdenweit-
gehendunverändert.„KeinFieber,
aberFrust“,fügteHankshinzu.
SchonnachkleinenHausarbeiten
wieWäschezusammenlegenund
Geschirrspülenmüsseersichauf
demSofaausruhen.Undalswäre
dasnochnichtgenug,würdeseine
Fraujetztauchnochständigbeim
Kartenspielengewinnen.Eskom-
mentiertForrest Gump:„DasLeben
istwieeineSchachtelPralinen.Man
weißnie ,wasmankriegt.“


Jared Leto(48)hat vonderCorona-
Pandemiezunächstgarnichtsmit-
bekommen.DerOscar-P reisträger
warals Teilnehmereineszwölftägi-
genMeditationskursesinderWüste
vollkommenisoliert,weilHandys
undKommunikationmit
derAußenweltnichtstatt-
fanden.Nunseier„in
einevölligveränderte
Weltzurückgekom-
men“,schriebLeto
aufInstagram.Erer-
haltevieleNach-
richtenvonFreun-
denundFamilieaus
allerWelt.„Ichschi-
ckeeuchallenposi-
tiveEnergie .Bleibt
zuHause.Bleibtsi-
cher.“ UndMeditieren
hilftjanichtnurinder
Wüste,sondernauchin
deneigenenvierWän-
den.(avo.)


Er hat die aktuellen Entwick-
lungen verpasst.IMAGO IMAGES


TIERE


EinenTapetenwechselkannjederir-
gendwannmalgebrauchen.DieKe-
gelrobbe(Halichoerusgrypus)etwa
begibtsichalljährlichimFrühjahran
denStrand,umdasalte,abgenutzte
FellabzustreifenundPlatzfürein
neueszuschaffen.AuchdieKleins-
tenmachenmitbeimWechselspiel:
Dashelle,flauschigeGeburtsfell
wirdimVerlaufdererstensechsLe-
benswochenabgestoßenunddurch
das„normale“,wasserabweisende
Fellersetzt,mitdemdieJungtiere
danninsnasseElementrobben.Jetzt
kannderSpaßbeginnen!(avo.)


Wechselzeit: AtlantischeKegelrob-
benam HorseyBeach in Norfolk.DPA

DieFrau,die„Chichinette“war


LangehatMartheCohngeschwiegen.NunerzählteineDoku,wiesiealsSpioninimKampfgegendieNazishalf


M

it99Jahrentourteine
kleine weißhaarige
FrauwieeinRockstar
durchdieganzeWelt.
Marthe Cohn erzählt ihreLebens-
geschichte:Siewurdedamals„Chi-
chinette“, kleineNervensäge,ge-
nannt, weil sie nie lockerließ.Die
französische Jüdin entschied sich
in den Wirren desZweiten Welt-
kriegs ,für den französischenGe-
heimdienst zu arbeiten.Mitihren
exzellenten Sprachkenntnissen
gab sie sich alsDeutsche aus und
sollte Truppenstellungen in
Nazi-Deutschland auskund-
schaften und den Alliierten
melden–unter Lebensgefahr.
Diese Geschichte möchte
Cohn mit der jungenGenera-
tion teilen.Ihre Autobiografie
„BehindEnemy Lines“ wurde
2002 veröffentlicht.Regisseu-
rinNicola AliceHens erzählt
nun im Dokumentarfilm „Chichi-
nette –Wie ich zufälligSpionin
wurde“(ab19.MärzimK ino)Mar-
the Cohns Geschichte,die sie 60
Jahrelanggeheimgehaltenhatte.

Frau Cohn, warumverschwiegen
Siesol ang,dassSiedazubeitrugen,
denKriegschnellerzubeenden?
Wenn man für einenGeheim-
dienst arbeitet, unterzieht man
sich automatisch einerGehirnwä-
sche,damitmannie,aberauchnie
über seinTunspricht. Außerdem
hatte ich keinerlei Dokumente,die
bezeugten, was ich im Krieg getan
hatte.Beim Geheimdienst be-
kommtmannunmalkeineArbeits-
zeugnisse.Aber 1997 oder 1998rief
man michvoneinem Militärarchiv
in der südfranzösischenStadt Peau
an. EinColonel lud mich ein und
händigtemirallmeineDokumente
aus.Seitdem habe ich überhaupt
erstBewe ise.

HabenSieIhreVergangenheitbisda-
hinverdrängt?
Bisich79war,habeichnochge-
arbeitet.Ichhatte gar keineZeit,
mich um meine Geschichte zu
kümmern.AbernachdemRenten-
eintrittbeschlossich,michnunda-
ranzumachen.Mein ältesterBru-
derFredfragtemichimmer,obi ch
kein Buch schreiben wollte.
wurdeerdannsehrkrankundstarb
2001.DieFamiliehatteihmvielzu
verdanken, er hat uns immer be-
schützt.Daher beschloss ich, das
Buch, um das er mich gebeten
hatte,zus chreiben–fürihn. Bevor
ich jedoch anfing, machte ich ei-
nen Termin bei Steven Spielbergs
ShoahFoundationaus.

WaserhofftenSiesichvonderShoah
Foundation?
Ichzeigte demPräsidenten der
StiftungmeinefranzösischenDoku-
mente und fragte ihn, ob er fände,
dass das einBuch wert sei. Under
sagte:„Unbedingt!“Ichfragte,ober
mir jemanden zum Schreiben zur
Seite stellen könnte.Aber als er je-
manden für mich organisierthatte,
zwei Wochenspäter,hatteichlängst
angefangenzuschreiben.

Waspassiertmit Erinnerungen,
wennmanetwassolangenurfürsich
behält?
Inden60 Jahrenhabeichwirklich
kein Wort gesagt. Ichhabe aber im
StillenimmerwiederübermeineGe-
schichte nachgedacht.Mein Mann

Szene aus demFilm: Nach 14 gescheitertenVersuchen, die Kriegsfront im Elsass zu überqueren, gelang Marthe Cohn die Einreise ins Deutsche Reich über die Schweiz.MISSING FILMS (2)

fragtemichmanchmal:„Marthe,wo
bist du schon wieder?“Er nahm an,
ich würde mich inTagträumenver-
lieren. DahersinddieErinnerungen
nie verblasst, sonderninm einem
Gedächtnis lebendig geblieben.Ich
hatte mir nieNotizen gemacht, nie
Tagebücher geschrieben. Alles war
nochinmeinemKopf.

SiehabennachKriegsendeeinenArzt
geheiratet und gingen in die USA.
Wussteer Bescheid?
Nein, nicht einmal meinMann
hatteeineAhnung,dassichalsSpio-
nin in Deutschland gelebt habe.Er
wusste,dass ich mal allein in
Deutschlandwar.Aberdaswaralles.
Icherzählte ihm vielleicht mal die
eine oder anderekleine Erinne-
rungssequenz–aber nie ,was ich
wirklichdortgetanhatte.Ere rfuhres
erstausmeinemBuch.MeineKinder
genauso.Ich habe ihnen nie etwas
davonerzählt.

HatdasGeheimnisSieisoliert? Tates
weh,nichtalleFacettenIhrerPersön-
lichkeitzeigenzukönnen?
Garnicht.Ichwarauchnieverbit-
tert. IcharbeitetelangealsKranken-
schwester und später auch alsFor-
schungsassistentin meinesMannes
im Bereich derNeurowissenschaf-
ten,erstanderUniversität vonPitts-
burghundspäterinLosAngeles.Iso-
liertfühlte ich mich nie.Dieses Ge-
heimniswarmeinureigenerBesitz.

Wieexakt habenSiesich an Details
Ihrer Spionagetätigkeiterinnert?
Glauben Sienicht, man könnte
sich nach 60Jahren nicht noch ge-
nauestenserinnern!Zweimalreisten
mein Mann und ich nachEuropa,
besuchtenDeutschland, dasGrenz-

DECKNAME MARTHA ULRICH

Marthe Cohnwurde 1920 als einesvonsieben Kinderneiner jüdisch-orthodoxenFamilie in
Metz, Frankreichgeboren. Nachdem ihre Schwester nachAuschwitzgebracht und dortermor-
det wurde, floh dieFamilie nach Südfrankreich. 1944 kam Cohn aufgrund ihrer guten
Deutschkenntnisse zum französischen Geheimdienst und sollte als Spionin im Deutschen
Reich eingesetztwerden, um auszukundschaften,wo sich Truppenverschanzten und wie die
Bevölkerung noch zum NS-Regime steht. Mit dem Decknamen Martha Ulrichkonnte sie wich-
tigeInformationen an den französischen Geheimdienst melden.

gebietimElsass.Esg abzwei Stellen,
die damals zum nicht besetzten
Frankreichgehörten. Ichfand sofort
die ersteStelle,woi ch mich damals
durchgeschlagen hatte.Sie war ge-
nau dort, wo ich es imBuch be-
schrieben hatte.Auch die Stelle,wo
ich michvonder Schweiz aus nach
Deutschland durchschlug, fand ich
nach einemTagder Suche wieder.
DieRegisseurin hat später einFoto
der Stelle geschossen, es hängt jetzt
imEingangunseresHauses.

Fühlen Siesich anders wahrgenom-
men,seitdemdieWeltallesweiß?
Ichfühle mich nichtvollständi-
ger.Sondernnormal. Ichhabemich
dazu bereit erklärt, alles offenzule-
gen und zu erzählen. Für mich gibt
esgarkeinenUnterschiedzuvorher.
Nureins hat sich geändert:Früher
war es meine ureigeneGeschichte.
JetztistesdieGeschichtevonsov ie-
lenMenschengeworden.

KönnenSienochDeutschsprechen?
Esfälltmirschwer.Nachdemich
1956 in die USA kam, habe ich nie
mehr Deutsch gesprochen.Außer-
demhabeichdannEnglischgelernt,
dashatdenPlatzdes Deutschenein-
genommen.Wenn ich inDeutsch-
landbin,kommenvieleWörterwie-
der.Solange meine Elternlebten,
sprachenwirzuHausenur Deutsch,
nie Französisch. Ichwuchs zwar
zweisprachigauf,aberdasFranzösi-
schehabeichnurdurchmeineälte-
renGeschwister gelernt, die schon
aufdiefranzösischeSchulegingen.

Siehaben das deutscheBundesver-
dienstkreuz erhalten.WarenSie er-
stauntdarüber?
Ja,schon. EinMann rief eines
Morgensbeiunsanundsagte,ers ei
derdeutscheKonsulinLosAngeles,
er würde mich gerne besuchen.Er
kam am nächstenMorgen um 8.
Uhr,ichhatteFrühstückvorbereitet,
underbliebzweiStunden.Wirrede-
tenübervielewichtigeThemen,aber
er sagte nie,warum er zuBesuch
kam.Ichfragteauchnicht.Nachei-
nem Jahr rief er plötzlich an und
sagte,dassmirdasBundesverdienst-
kreuz verliehenwerdensollte.

Wofür wurde Ihnen dieseAuszeich-
nunggenauverliehen?
DieInformationen, die ich da-
malsbeschaffthatte,warensowich-
tig,dassdadurchderKriegschneller
beendet wurde.Als ich dieMedaille
erhielt,sagtemanmir,dassichviele
deutscheLebendamitgerettethätte.
Daswarder GrundfürdenOrden.

Wieist Ihr eBeziehung zuDeutsch-
landheute?
Dasist eine sehr wichtigeFrage.
Als ich 2011 zum erstenMalnach
Deutschlandkam,wurdeichoftge-
fragt, warum ich das Land nicht
schonfrüherbesuchthatte.Ichant-
wortete: „Solange nochMenschen
aus demNazi-Regime hier lebten,
konnte ich nicht wiederkommen.
Aber jetzt sind sie ja wohl alle tot.“
DieneueGeneration,daswarenda-
mals ja noch kleineKinder.Sie sind
in keinerWeise verantwortlich für
das,wasihr eGroßelterntaten.

Viele Deutsche fühlen sich immer
nochdafürverantwortlich.
Ichweiß,dassdieDeutschensich
bis heute sehr schuldig fühlen für
das,was damals geschah.Aber ich
bin doch auch nicht schuld amTod
vonJesus,nurweilichjüdischbin.

DasIntervie wführte
MariamSchaghaghi.

Eurovision


SongContest


abgesagt


GrundistdieUnsicherheit
durchdasCoronavirus

W


egen derCoronavirus-Pande-
miefälltnunauchderEurovi-
sionSongContest(ESC)aus.DasFi-
nale,das am 16.MaiinR otterdam
stattfinden sollte,müsse abgesagt
werden, teilten dieVeranstalter am
Mittwochmit.DieNiederlandesind
Gastgeber,weilim vergangenenJahr
derniederländischeSängerDuncan
Laurence gewonnen hatte.Für
Deutschland sollte in diesemJahr
der 22-jährigeBenDolic antreten.
„Mit großemBedauernmüssen wir
dieAbsagedesEurovisionSongCon-
test in Rotterdam bekanntgeben“,
teilte die Europäische Rundfunk-
union(EBU)mit.
GrunddafürseidieUngewissheit,
diedie AusbreitungdesCoronavirus
in ganzEuropa mit sich gebracht
habe –und die vonden Staaten, in
denen derGesangswettbewerb aus-
gestrahlt worden wäre, verhängten
Einschränkungen. Im Mittelpunkt
der „schwierigen Entscheidung“
habedieGesundheitderbetroffenen
Künstler,Mitarbeiter,Fans undZu-
schauer gestanden, hieß es.„Wir
sind sehr stolz auf denEurovision
Song Contest, der seit 64Jahren die
Menschen in ganzEuropa vereint“,
erklärte ESC-Chef JonOla Sand.
„Und wir sind zutiefst enttäuscht
über dieseSituation.“Gemeinsam
mit ihrenPartnernwerde die EBU
prüfen, ob es möglich seinwerde,
denESCimkommendenJahrin Rot-
terdamstattfindenzulassen.(AFP)

Er sollte für Deutschland antreten: Ben
Dolic, hier mit Barbara Schöneberger.DPA

Papstempfiehlt


Familien


„zärtlicheGesten“


FranziskusbetetumEnde
derCoronavirus-Pandemie

P


apstFranziskusempfiehltwegen
des Coronavirus unterQuaran-
täne stehenden oder in freiwilliger
Isolation lebendenFamilien„zärtli-
cheGesten“.BeiallemBemühenum
Hygiene undAbstand seien „zärtli-
che Gesten, Zuneigung,Mitgefühl“
wichtig, sagte derPapst der italieni-
schen Zeitung LaRepubblicavom
Mittwoch.Wichtigseien„diekleinen
Dinge,die kleinenAufmerksamkei-
ten gegenüber unsNahestehenden,
unseren Verwandten, unseren
Freunden. Wirmüssen verstehen,
dass diese kleinenDinge ein Schatz
sind“,erklärteFranziskus.
NachdemerlängereZeitaneiner
Erkältung gelitten hatte,hatte der
Papst am Sonntag denVatikan ver-
lassenundwarzuFußzurKircheSan
Marcello al Corso gegangen. Dort
habeer„denHerrngebeten,dieEpi-
demiezustoppen“,sagteerderZei-
tung.(AFP)
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