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Berliner Zeitung·Nummer 67·Donnerstag, 19. März 2020 (^3) ·························································································································································································································································································
WennesumdasneuartigeCoronavirusgeht,
istunsSpaniennureinenkleinenSchrittvoraus.AufdieStraßedarfnur
nochder,dereinengutenGrunddafürhat.Werjetztalleinist,
wirdeslangebleiben.
EinQuarantänetagebuchausMadrid
A
uf demWegzum Badfällt mir
plötzlich der Filmtitel ein: „
QuadratmeterDeutschland“.Das
sind die 40Quadratmeter einer
HamburgerHinterhofwohnung, auf denen
sichTevfikBasersDramaausdemJahr
abspielt.Ichlebe mit meinerFrau auf 140
QuadratmeterninM adrid. Dasist kein
Drama,dasistLuxus.Abereingesperrtsind
wirauch.
Heute,Mittwoch, ist der vierteTagder
Quarantäne,die Spaniens Regierung in der
Nacht zumSonntag über das ganzeLand
verhängthat.ErinnerstdudichandenSpa-
ziergang im Park am Samstagvormittag?,
frageichmeineFrau,undsielacht.Werjetzt
alleinist,wirdesl angebleiben,schreibtRilke
in seinemHerbstgedicht.Wirsind nicht al-
lein.GemeinsamdurchdieseQuarantänezu
kommen, ist eineBewährungsprobe wie
eine Hochzeitsreise imWinter nachIrland.
Wirsindoptimistisch.
Mandarfnoch vordie Tür .Hauptsäch-
lich, um zur Arbeit zu gehen, dieWirtschaft
sollnichtganzzumErliegenkommen.Mei-
nen Arbeitsplatz habe ich in meinerWoh-
nung. Bleiben: Gänge zumSupermarkt und
zumZeitungskiosk.Undumd enHundaus-
zuführen.UnsereFreundebeneidenunsum
denHund,dergarnichtunsererist,sondern
der meiner Schwägerin, die ihn uns immer
wiederausleiht.SeitFreitagisterbeiuns,ein
Glück. AmDienstag wurde einMann in Pa-
lenciavonderPolizeiangehalten,weilerei-
nen Stoffhund ausführte.Erzeigte sich ein-
sichtig und musste keineStrafe zahlen. Es
gibt einVideo davon, das ein ungläubiger
NachbarvonseinemFensterausdrehte.
Gymnastik imWohnzimmer
AufeinemanderenVideoschimpfteinPoli-
zist aus Móstoles,einer Vorstadt vonMa-
drid, über dieIdioten, so nennt er sie,die
nochaufderStraßesind,ohneeinenguten
Grunddafürzuhaben.Hörtzu,sagter,ein-
kaufen ja, aber im nächstenSupermarkt,
nichtamanderenEndeder Stadt.Gassige-
hen ja, aber einmal um denBlock, keine
ausgedehnten Spaziergänge.Verdammt!
Am Dienstagmorgen nehme ich denHund
mitzumKiosk,danngeheichweiter,einen
Block, noch einenBlock, bis an denRand
desParks,dortmachterendlich,waserma-
chensoll.IchhabeeinschlechtesGewissen.
AndererseitssindSpaziergängeinderQua-
rantänekeinVergnügen.DieLeuteschlagen
große Bögen umeinander.Der Mitmensch
isteinpotenziellerVirenträger.Kaumeiner
schautdenanderenan,alswärenBlickean-
steckend.
Als ich in die Wohnung zurückkehre,
machtmeineFrauGymnastikimWohnzim-
mer.Dafür geht sie sonst insFitnessstudio,
aberdiesindschonlangegeschlossen,noch
vorder großenQuarantäne.Mein Pilates-
Studio schickt mirVideos,damit ich nicht
verlottere, meine Frau macht die Übungen.
Alles lässt sich jetzt perVideo,App oder im
Netz machen.Museumsbesuche,Operna-
bende,TrivialPursuitspielen.MeineSchwie-
germutter,die im April80J ahrealt werden
will, spieltMensch-ärgere-dich-nicht gegen
sichselbst.Ichhabesieallegeschlagen,sagt
sie.Ihren Geburtstagwerden wir kaum ge-
meinsamfeiernkönnen.
WirschauenunsnützlicheVideosan,wie
mansichselbstausTaschentüchernKaffee-
filternoderausBüstenhalterkörbcheneinen
Mundschutz basteln kann.Diewenigsten
hiertrageneinen,außerdenLadenangestell-
ten.SiewärenauchlieberunterQuarantäne.
Es gibt schon lange keineGesichtsmasken
mehrzukaufen.Wennesanfängtzuregnen,
stehenandenMetroausgängensofortMen-
schen, die einemRegenschirmeverk aufen.
Wenn eineVirusepidemie ausbricht, geht
dasSchutzmaterialaus.
Am Sonntag richtet derVizepräsident
der Region Kastilien und León einen dra-
matischenAufruf anFirmen undPrivat-
leute,die möglicherweise Masken oder
Schutzanzüge auf Lager hätten, diese den
Krankenhäusernzus penden.DerAufruf
hatErfolg,dasMaterialkommtkistenweise.
EineÄrztinteilteinVideofürandereÄrzte,
indemsiezeigt,wiesicheinGesichtsschutz
aus dem Klarsicht-Vorderblatt eines
Schnellheftersbauenlässt.AndereÄrztege-
hen in denBaumarkt, um sich Schweißer-
masken zu kaufen. AmDienstagabend be-
richtet dasGesundheitsministerium, dass
amFlughafenvonZaragoza500000OP-Ge-
sichtsmaskenausSchanghaiangekommen
seien.EineSpendeausChina.
DieLageistwahrscheinlichdramatischer,
alssieaussieht.EsgibtkeineBilderausden
Krankenhäusern.Daswäredas Letzte,dass
JournalistenjetztdenBetriebstören.
DasAudio einer Ärztin ausBurgos geht
um. Ichgehe derSache nach:Ja,die Auf-
nahmeistecht,dieÄrztinhatsieihrerFami-
liegeschickt,diehatsieweitergeleitet,wasso
eigentlichnichtgedachtwar.DieÄrztinwill
nichtbeimNamengenanntwerden,hataber
nichtsdagegen,dassausihrerAufnahmezi-
tiertwird:„Waswirversuchen,istdasKran-
kenhaussoweitwiemöglichzuleeren,weil
wir davon ausgehen, dass es sich mitCoro-
naviruspatientenfüllenwird.AufderInten-
sivstationsindwirgutvorbereitet,aberges-
ternzum Beispiel kamen mittags fünfPati-
enten mit schwererrespiratorischerInsuffi-
zienz auf einmal, infiziertmit dem
Coronavirus ,undohneIntubationwärensie
gestorben.Daswarder Moment,woesnicht
genügend Schutzmaterial für alle gab,die
ChefsmusstenbeianderenKrankenhäusern
anrufen, auch umExtramaterial zu haben,
weilwirdavonausgehen,weitmehr Patien-
ten zu bekommen.Diemeisten schweren
Fälle auf derIntensivstation sind zwischen
40 und 60Jahrealt. Ehrlich gesagt war ich
gesternerschrocken.Esistziemlichhart,all
die Patienten intubiertund in schlechtem
Zustand zu sehen.Bitte passt auf euch auf,
dennesscheint,dasswirimMomentgenü-
gend Ressourcen haben, aber es kann der
Augenblickkommen,indemsiebeschränkt
seinwerden.Kopfhoch,bleibtalleschönzu
Hause,unddaswar’s.“DieAufnahmeistvom
Sonntag. DieZahl der Patienten steigt täg-
lich.
Pünktlichmittagsum12Uhrgibtdas Ge-
sundheitsministerium die aktuellenDaten
heraus .Positiv getestet sind amMittwoch
13716 Menschen.Gestorbensindinsgesamt
598, davon 107 in denvorangegangenen 24
Stunden, allein acht in einem Altenheim in
Vitoria. AufdenIntensivstationenliegen
Patienten. In ganz Spanien gibt es4627 In-
tensivbetten.Ohne die Generalquarantäne
wärensiebaldallemitCoronaviruspatienten
belegt. El País berichtet, dass dieZahl der
Transplantationen seitFreitag deutlich zu-
rückgegangenist,weildie Kapazitätendafür
fehlen.Organtransplantationensindinnor-
malen Zeiten derStolz des spanischenGe-
sundheitssystems,kein anderes Land der
WeltistdarinsoerfolgreichwieSpanien.Das
CoronaviruskostetLeben,nichtnurdasvon
Infizierten.
EinZahntutmirweh.Niemandwilljetzt
zumArzt,auchnichtzumZahnarzt.Allesit-
zenzuH ause und hoffen, dass sie gesund
bleiben.Jeder Huster,jeder Nieser,jedes
leichte Unwohlsein ist ein Alarmzeichen.
Werglaubt,dasserHilfebraucht,musssich
mit Geduld wappnen. AlleNotruftelefone
sindüberlastet.Wird derAnrufendlichent-
gegengenommen, ist der wahrscheinlichste
Ratschlag, den man zu hören bekommt, zu
Hausezub leiben.BeileichtenVerdachtsfäl-
lenwir dkeinTestgemacht, dafürfehltesan
Laborkapazitäten.DieZahlder Infiziertenist
sicherdeutlichhöheralsdiederpositivGe-
testeten.Noch diese Wochesollen Schnell-
testskommen,dieeinrealistischeresBildder
Lageerlauben.
DasBaskenlandundGalicienhabenihre
für den 5.AprilgeplantenRegionalwahlen
abgesagt.
Irgendetwas ist schiefgelaufen in Spa-
nien. EinholländischerKollege undFreund
versucht den Spezialisten für Infektions-
krankheiten OriolMitjà zu interviewen. Es
klapptabernicht,erhatetwahundertInter-
viewanfragen.MitjàistsoetwaswiederNou-
riel Roubini( der Mann, der dieFinanzkrise
von2008voraussagte)derspanischenCoro-
naviruskrise.Als Mitte Februar ausFurcht
vorCovid-19 derMobileWorld Congress in
Barcelona abgesagt wurde,fassten sich die
meisten Leute in der katalanischenHaupt-
stad twegen solcherHasenfüßigkeit an den
Gemeinsam durch diese Quarantäne zukommen, ist eine Bewährungsprobe. Die Straßen in Madrid gehören bis aufweiteres dem Militär. IMAGO IMAGES
140Quadratmeter
VonMartin Dahms
Kopf. Mitjà nicht.Er forderte ,jeden Ver-
dachtsfallzutesten,nichtnurVerdachtsfälle,
diegeradeausChinaoderspäterausItalien
eingereist waren.Aber auchMitjà unter-
schätzte die kommende Krise.Errechnete
fürdenMärzind engroßenStädtenwieBar-
celonaundMadridmittäglichzweibisdrei
neuen Fällen.Nunsind es Hunderte .Jetzt
forder tMitjà eineweit schärfereQuaran-
täne: die Schließung der öffentlichenVer-
kehrsmittel und der Arbeitsstätten.Under
forder tdenRücktrittdesspanischenNotfall-
komitees,das die Regierung berät. Schlecht
berät,wieerfindet.
„DasHärtestekommtnoch“,sagtMinis-
terpräsidentPedroSánchezamMittwoch
voreinemfastleerenParlament.DieOpposi-
tion übtDetailkritik, stellt sich aber hinter
die Virusbekämpfungsstrategie derRegie-
rung.
DieNachrichtenverleidenmirdenGang
aufdie Straße.Auchmeine rFrau.Siehataber
geradeeingekauft.ImSupermarktbekommt
man amEingang Gummihandschuhe und
wirderst eingelassen,wenn ein anderer
KundedenLadenverlässt.Siezeigtmirihre
Trophäe: einePackun gKlopapier.Wirklich
war es in denvergangenenTagen für Spät-
aufsteher wie uns schwer,Klopapier zu er-
gattern.Währendessoaussah,alskämendie
FabrikenmitderKlopapierproduktionnicht
hinterher,nahmen die Klopapierwitzekein
Ende.Der bisher letzte:DasVideo eines
Mannes,derseine RechnunganderBarmit
Klopapierblätternbegleicht.
Lachen über Witze
Ichweißnicht,obesandieserziemlichsur-
realen Gesamtsituationliegt, dass ich mich
über dieseWitzeausschütte.Ich ka nn gar
nicht genugvonKlopapier-und anderen,
überWhatsappgeteiltenWitzenbekommen.
DieHumor istenhaben gerade eine großar-
tige Aufgabe zu erfüllen.Siehalten uns bei
Laune,michjedenfalls.„Lieber Gott,ichbat
dich,nichtsmehrüberKatalonienzuhören.
Aber die Sacheist di rentglitten.“Finde ich
komisch.
An diesemMittwochabend um achtUhr
werdenwirwiederansFensteroderaufden
Balkontreten,umunsereHeldenanderGe-
sundheitsfront zu beklatschen.Um neun
wirdKönig Felipe ei ne Ansprache halten,
was überfällig war,aberzugleich wegen der
jüngstenEnthüllungen über die Königsfi-
nanzen in einem schlechten Moment
kommt.ManchewollenihreKochtöpfeher-
vorholen,umda mitg egendieMonarchiezu
lärmen.Esgehtunshiernochgutgenug,um
uns wegen solcherSachen zu echauffieren.
Es ist auch erstTagvier einerQuarantäne,
deren Endeniemandabsieht.
Martin Dahms
lebt se it 25 Jahren in Madrid und fühlt
sich dorttrotz Corona gut aufgehoben.
Martin Dahms hat seinen Arbeitsplatz in derWoh-
nung. ROSA MORAL