Neue Zürcher Zeitung - 28.03.2020

(Tina Sui) #1

Samsta g, 28. März 2020 WIRTSCHAFT 19


Umziehen an diesemWochenende ist erlaubt, trotz kaum praktizierbaren Empfehlungen zur Eindämmung derPandemie. KEYSTONE

Die geplanten Umzüge per Ende März


können grossenteils über die Bühne gehen


Der Bundesrat verzichtet auf einen landesweiten Zügelstopp – notlei dende Geschäftsmieter erhalten eine Erstreckungder Zahlungsfrist


HANSUELI SCHÖCHLI


Dieses Wochenende wechseln viele
Menschen ihr Zuhause. Ende März ist
ein offizieller Umzugstermin,an dem
laut Bundlandesweit etwa 50 000 Um-
züge zu erwarten sind.Wie das in diesen
Zeiten von Abstandsregeln und «Bleib
zu Hause»-Empfehlungen gehen soll,
war zuletzt Gegenstand vonKontrover-
sen und unklarenÄusserungen. Quasi
im letztenMoment hat nun der Bun-
desrat Klarheit über dieRechtslage ge-
schaffen. DieRegierung sprach sich am
Freitag gegen einenallgemeinen Zü-
gelstopp aus. Umzüge sind somit wei-
terhin erlaubt, wenn die Empfehlungen
des Bundesamts für Gesundheit einge-
halten sind. «Zügelunternehmen und
Immobilienbewirtschafter betonen, dass
dies möglich ist», erklärte der Bundesrat.


UnvermeidlicheProbleme


Der Chef des Bundesamts fürWoh-
nungswesen, Martin Tschirren, erinnerte
vor den Medien nochmals an zentrale
Empfehlungen: grundsätzlich mindes-
tens zweiMeter voneinander Abstand
halten, kleinere Abstände wegen desTr a-
gens schwerer Möbel zu zweit während
höchstens 15 Minuten, keinen direkten
Kontakt zwischen Umzugsfirmen und
Kunden – und viel desinfizieren.
Der Mieterverband bezeichnete den
Regierungsentscheid als «unverständ-
lich». Vor allem ältere Menschen und
andere gefährdetePersonen seien da-
mit nicht genügend geschützt. Störungs-
frei werden diekommenden Umzugs-


tage kaum ablaufen.Was passiert zum
Beispiel, wenn eine betroffenePerson
ihreWohnung wegen der Gesundheits-
vorgaben nicht verlassen darf, obwohl
der Umzugstermin fällig wäre?
Dann kann die viel befürchteteKet-
tenreaktion einsetzen:Weil A in ihrer
Wohnung bleiben muss, kann auch B
seinen vorgesehenen Umzug in die
Wohnung von A nicht vollziehen, was


wiederum Ärger für Cbedeutet – und
so weiter.
Wirtschaftsminister Guy Parme-
linräumte amFreitag ein, dass es sol-
cheKonstellationen mitKettenreak-
tionen gebenkann. In solchenFällen
müssten die Betroffenen miteinander
reden und Lösungen suchen, sagte sein
Amtsdirektor Tschirren. Ein allgemei-
nes Zügelverbot kurz vor dem Umzug
hätte indes weit mehr Ärger ausgelöst
und ein Chaos produziert, betonte der
Hauseigentümerverband:«Viele Mie-
ter haben sich längst organisiert, Um-
zugsunternehmen verpflichtet oder
Mietwagen gebucht, Möbel an die neue
Wohnadresse bestellt und wollen in ihre
neue Bleibe einziehen.»
Einige Umzugsfirmen haben ihren
Betrieb vorderhand eingestellt, wie ein
Branchenvertreter sagt. Doch das An-
gebot sei nach wie vor genügend. Sein

Unternehmen sei für daskommende
Wochenende zwar ausgebucht, habe
aber für die nächsteWoche noch freie
Kapazitäten. Wie der Branchenvertreter
erklärt, lassen sich die zwei Meter Ab-
stand nicht immer zu 1 00 % einhalten,
abersolcheAusnahmen werde man auf
wenige Minuten beschränken.

Kein Mieterlass


Nebst dem Zügeltermin sorgte jüngst
auch die Höhe der Mieten für Corona-
geschädigte Geschäfte fürKontrover-
sen.VieleLäden mussten schliessen und
kamen in Liquiditätsnöte, weil wesent-
licheKosten wie etwa die Mieten den-
noch weiterlaufen. Die Löhne von An-
gestellten sind für solche Betriebe durch
Kurzarbeitsentschädigungen abgedeckt;
mittlerweile sind schon über 650 000
Gesuche dafür eingetroffen. Corona-ge-

schädigte Eigentümer erhalten derweil
eine Erwerbsersatzleistung.
Doch diesreicht aus Sicht mancher
Betroffenen noch nicht. In der Lesart
der Kritiker müssten betroffeneVermie-
ter schon nach geltendemRecht wäh-
rend der Zeit befohlenerLadenschlies-
sungen die Miete erlassen.Vermieter se-
hen dies ganz anders. UnterJuristen ist
dieFrage umstritten.
Der Bundesrat hatamFreitagauf
dasvon Mietern gewünschte Dekret
zu einem Erlass der Miete für zwangs-
geschlossene Geschäfte verzichtet. Ein
solches Dekret zulasten derVermieter
wäre selbst unter Notrecht nur schwer
zu vertreten, da auch weniger weit-
gehende Eingriffe mit dem gleichen
Ziel der Nothilfe möglich sind. Zudem
könnte ein genereller Mieterlass für
zwangsgeschlossene Geschäfte gewisse
Vermieter in Nöte bringen.

Weniger weit gehende Eingriffe zu-
gunsten von Betrieben hatte der Bun-
desrat in den vergangenen Wochen
schon mehrfachbeschlossen – durch
denAusbau der Erwerbsausfallleistun-
gen sowie mit dem Programm für zins-
lose Bürgschaftskredite zur Überbrü-
ckung von Liquiditätsengpässen.
AmFreitag ging der Bundesrat noch
einen Schritt weiter zugunsten von Ge-
schäftsmietern, die wegen Ertragsein-
brüchen alsFolge vonRegierungsmass-
nahmen zur Coronavirus-Bekämpfung
Zahlungsprobleme haben. Diese Mie-
ter erhalten für Mietzinse und Neben-
kosten,die zwischen dem 13.März und
dem 31. Mai 2020fällig sind, eine Zah-
lungsfrist von mindestens 90Tagen an-
stelle der ordentlichen 30Tage. BeiPäch-
tern verlängert sich diese Zahlungsfrist
von 60 Tagen auf mindestens 120Tage.

Welche Geste genügt?


Diese Fristerstreckung soll Corona-
geschädigten Betrieben laut Bundes-
rat Parmelin etwas Luft geben.Viele
Vermieter sind lautParmelin zu einer
«Geste» gegenüber Mietern bereit. Ähn-
liches sagt Markus Meier, Direktor des
Hauseigentümerverbands. Er appelliert
an gutbetuchteVermieter, gegenüber
notleidenden Mietern kulant zu sein.
Kulanz mag für die einen eineFrist-
erstreckung bedeuten, für andere eine
Mietzinsreduktion, für wieder andere
sogar einen Mietzinserlass. Für den Mie-
terverband ist jedenfalls eineFristerstre-
ckung um 60Tage «völlig ungenügend»;
die Probleme würden dadurch nur ver-
schoben. Immerhin fünfJahre bis maxi-
malsieben Ja hre laufen die vom Bund
verbürgten Kredite für Corona-geschä-
digte Betriebe; diese sind im Prinzip für
die Deckung vonFixkosten vorgesehen,
wozu auch Mieten gehören. Der Bund
will eruieren, welcherTeil der gespro-
chenen Kredite für die Bezahlung von
Mieten verwendet wird. In Härtefällen
dürfte der Bund kaum auf derRück-
zahlung der Notkredite beharren.
Der Bundesrat tastet sich mitseinen
Hilfsmassnahmen Schritt um Schritt
voran.Auch in der Mietzinsfrage ist
laut GuyParmelin mit der beschlosse-
nenFristerstreckung das letzteWort
noch nicht unbedingt gesprochen.Fort-
setzung folgt.

Swiss Life willMietern inder Corona-Krise entgegenkommen


Die grösste private Immobilienbesitzerin der Schweiz begrüsst den vomBundesrat erlassenenZahlungsaufschub


WERNER ENZ


Wie stark istSwiss Life von der Corona-
Pandemie bedroht, und wie gross sind
die Risiken, die auf ihrer Bilanz las-
ten? Abgesehen vonVerpflichtungen,
vor allem fürRenten und Lebensver-
sicherungen, ist dieWerthaltigkeit von
Immobilien angesprochen. DerKurs der
Swiss-Life-Aktie ist seitJahresbeginn
um mehr als einen Drittel eingebrochen.
Während die Aktienquote, gemessen an
Kapitalanlagen von171 Mrd.Fr., seit
Jahresbeginn von 4 auf 2% halbiert wor-
den ist, waren, Stand EndeJahr, immer-
hin 20,7% der Anlagen bzw. 35 Mrd.Fr.
inImmobilien investiert,davon rund
29 Mrd.Fr. in der Schweiz.
Damit istSwiss Life der grösste pri-
vate Immobilienbesitzer des Landes.
Renato Piffaretti, der für diesen Be-
reich zuständig ist,sagt zum Lockdown
wegen der Corona-Pandemie: «Es wird
die eine oder andereVerwerfung am
Immobilienmarkt geben, aberVerkäufe
zu Schleuderpreisen erwarte ichkeine.»
Was die amFreitag vom Bundesrat er-
lasseneFristverlängerung bei Zahlungs-
rückständen von Mieten angeht (siehe
Bericht oben), wird dies begrüsst. Der
nun vom Bund definierte Zahlungsauf-


schub schaffe Klarheit und entspreche
den vonSwiss Life bereits eingeleiteten
Massnahmen.Weiter sei wichtig, dass
bezüglich derWohnungsumzüge jetzt
gesamtschweizerisch Klarheit herrsche.

«Eine Ausnahmesituation»


Wenn es um das Senken oder die Stun-
dung von Mieten geht, möchte Piffa-
retti Mietern in begründetenFällen mit
Mietzinsstundungen entgegenkommen,
grundsätzlich blieben aber die Mieten
geschuldet. Stundungsvereinbarungen
müssten juristisch sauber aufgesetzt sein,
und imWeiteren müsse sich der Mieter
selber bemühen, Lösungen zu finden.
Daaufbehördliche Anweisung hin vor
allemVerkaufsläden,Restaurants, Coif-
feursalons und viele andere Kleinunter-
nehmer ihr Geschäft schliessen mussten,
wird von Mieterseite ein Mangel bei der
Nutzung einer Liegenschaft geltend ge-
macht. In der Praxis wird dieser demVer-
mieter oft schriftlich kundgetan, worauf
dieser einen solchen Mangel verneint,
sich aber gleichzeitig um eine Lösung im
beidseitigen Interesse bemüht.
Swiss Life sagt, man sei sehr inter-
essiert an individuellen Lösungen, um
die Mietverhältnisse während wie auch

nach dieser anspruchsvollen Zeit fortzu-
setzen. Der Lebensversicherer gibt an,
dass imKonzern knapp die Hälfte der
Mieterträge von total rund 1 Mrd.Fr.
aufkommerzielle Nutzungen entfielen.
Während Betreiber vonVerkaufsläden
undRestaurants, also vor allem Nut-
zungen imParterre,litten, hätten viele
BüromieterkeineAusfälle zu beklagen.
Wohnungsmieten, etwa 50% der Miet-
erträge, sind zurzeit hinsichtlichAusfäl-
lenkein grossesThema.
Piffaretti führt dazu weiter aus, man
sei interessiert an nachhaltigen Bezie-
hungen und wolle diese Krise gemein-
sam mit Mietern durchstehen. «Den
Monat April geben wir uns Zeit, und
dann werden wir eineLagebeurteilung
vornehmen.» Natürlich hängt sehr viel
davon ab, wie die vom Bund gewährten
Kredite und Bürgschaften in derrealen
Wirtschaft ankommen werden und wie
lange der Lockdown die Geschäfte be-
hindern oder gar ausser Gefecht setzen
wird.«Wenn dieserAusnahmezustand
nicht länger als zwei Monate anhält, er-
holt sich der Markt innerhalb einesJah-
res», zeigt sich Piffaretti überzeugt.
Es gebe auch Unternehmen wie
Coop oder Migros, die imFood-Be-
reich in der Krisehöhere Umsätze er-

zielten.Wenn es um Büromieten gehe,
müssten die Geschäftsmodelle vonVer-
mieterseite zudem genau analysiert wer-
den. Dazu ein Beispiel: Es gebeKunden,
die Büroflächen für die Nutzung als Co-
Working weiter vermieteten.Dabei ma-
che es einen grossen Unterschied, ob
solche Angebote gleichsam aufTages-
basis abgerechnet oder über Abon-
nements, also mehrmonatigeVoraus-
zahlungen, finanziert würden.

Zeichen von Zukunftsvertrauen


Piffaretti bekräftigt sodann, dassSwiss
Life auch diesesJahr am Schweizer
Immobilienmarkt eindeutig auf der Käu-
ferseitesein werde: «Swiss Life will auch
in der Corona-Krise Immobilien zukau-
fen.»Das Geschäft zum Erwerb von Lie-
genschaften laufe normal weiter, wenn
man etwa von Schwierigkeiten absehe,
die sich aufgrund ausstehender Liegen-
schaftenbesichtigungen ergäben. In den
nächsten Monaten würdenvoraussicht-
lich einigeBauprojekte mitreduziertem
Tempo vorankommen, aber imFalle
einer Normalisierung derLagewerde
das später zuTeilen wieder aufgeholt.
Das Grossbauprojekt am Zürcher
Flughafen,«T he Circle», an demSwiss

Life mit 49% beteiligt ist, werde dagegen
mit unverminderter Kraft vorangetrie-
ben, auch weil das Universitätsspital
Zürich imJuni dort einziehen wolle. Bei
derRenovation vonWohnliegenschaf-
ten werde es wegen der Corona-beding-
ten Einschränkungen zuVerzögerun-
genkommen, da ja nicht saniert werden
könne, wenn die Mieter in derWohnung
ausharren müssten.
ObschonSwiss Life voraussichtlich
Mietausfälle wegen der Corona-Krise
und der nichtabzuwendendenRezes-
sion erleiden wird, gibt es auch Zeichen,
die in die andere Richtung weisen. So
wurde bis Mitte März, also just zu einem
Zeitpunkt, als der Bundesrat die ausser-
ordentlicheLage gemäss Epidemien-
gesetz ausrief, eine Immobilien-Kapi-
talerhöhung dreifach überzeichnet. So
warenPensionskassen interessiert, sich
an einerTr anche von 200 Mio. Fr. der
Anlagestiftung für «Immobilien/Schweiz
Alter und Gesundheit» zu beteiligen. Für
Swiss Life ist über dieJahre nicht nur der
Eigenbesitz von Immobilien, sondern es
sind auch die Dienstleistungen darum
herum immer wichtiger geworden.Dar-
aus fliessen Kommissionserträge, was
hilft, Mindererträge wegen der ultratie-
fen Zinsenauszugleichen.

Der Bundesr at
hat gut entschieden
Kommentar auf Seite 9
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