Neue Zürcher Zeitung - 18.03.2020

(Dana P.) #1

Mittwoch, 18. März 2020 ∙ Nr.65 ∙ 241.Jg. AZ 8021Zürich∙ Fr.4.90 ∙ €4.


Corona-Krise: Historische Vergleiche sind schnell zur Hand – doch was nützen sie? Seite 27


Das Gewerbe steht unter Schock


Die Auszahlung der März-Löhne wird für viele kleine und mittlere Firmen zum Härtetest


Der vom Bundesrat ausgerufene


Notstand bedeutet für viele


Gewerbetreibende eine


Vollbremsung. Nun stehen harte


Diskussionen mit denBanken an.


DANIEL IMWINKELRIED


Die Gäste sind weg, undeskommen
keineReservationen mehrherein.Jörg
Arnold, der Direktor der beiden Zürcher
Fünfsterne-HotelsWidder und Storchen,
hat daraus dieKonsequenzen gezogen.
Das eine Haus schloss am Montagabend,
das zweite 24 Stunden später. Andersals
Bars, Restaurants oder Coiffeure dürfen
Hotels ihren Betrieb zwar weiterführen.
Aber das ist meist nicht mehr als eine
Goodwill-Aktion.Rund acht Gäste be-
herbergt beispielsweise noch das Hotel
Schweizerhof in Lenzerheide, das
dem Präsidenten von Hotelleriesuisse,
Andreas Züllig, gehört. Die Dienstleis-
tungen sind allerdingsauch dort einge-
schränkt.DieGäste seien aber, so sagt
Züllig, dankbar für das Angebot.


KaumReserven


Als der Bundesrat am Montag wegen
der Coronavirus-Pandemie den Not-
stand erklärte, haben sich die Spielregeln
für die Schweizer Gewerbebetriebera-
dikal verändert. Das habe eine noch nie
da geweseneVerunsicherung ausgelöst,
sagt der Mitinhaber eines grossen Coif-
feurunternehmens. Sein Betrieb habe
zwar die Substanz, die Stilllegung gut
zu überstehen; gleichwohlsei die lange
Dauer der verordneten Schliessung bis
zum19. April ein Schock gewesen. Der
Unternehmer überlegt sich nun, ob er,
um die Zeit teilweise zu überbrücken,
für die Mitarbeiter online eineWeiter-
bildung organisieren soll.
Kleine und mittelgrosse Gewerbe-
betriebe bilden den Hauptharst der
SchweizerWirtschaft, und sie trifft die
vom Bundesrat angeordneteVollbrem-
sung besonders hart. Meist sind sie
in Branchen tätig, in denen ein harter
Konkurrenzkampf herrscht und es da-
her sehr schwierig ist, finanzielleReser-
ven anzulegen.Darin unterscheiden sich


viele Gewerbebetriebe von den an der
Schweizer Börsekotierten Unterneh-
men: Diese verfügen meist über viel
Substanz und sind in derLage, eine wirt-
schaftliche Flaute gut zu überstehen.
Besonders verletzlich ist dagegen im
Gewerbebereich die Gastronomie. Viele
Restaurantbetreiber sind nur schon froh,
wenn es ihnen gelingt, mit demTages-
geschäft die laufendenKosten zu decken.
Bei den Hotels präsentiert sich dieLage
je nachRegion unterschiedlich: In den
Städten liefen die Geschäfte jüngst sehr
gut, während sich die Betriebe in den
Bergen vielfach von derFinanzkriseund
dem Euro-Schock nicht erholt hatten.

Liquiditätsteht im Zentrum


Schwierigen Zeiten gehen auch KMU
entgegen,die nicht derGastrobranche
angehören und ihre Geschäfte auf Ge-
heiss des Bundesrats auch nicht schlies-
sen mussten. Schreiner zum Beispiel
können ihrem Gewerbeeigentlich wie
gewohnt nachgehen.Auf den grossen
Baustellen arbeiten die Handwerker
nach wie vor, als wäre nichts geschehen.
Die meisten Privatpersonen dürften aber
davon absehen, SchreinernAufträge zu
vergeben und sie ins Haus zu lassen.Das
wird finanzielle Einbussen zurFolge
haben. Solide Betriebe seien aber durch-
aus in derLage, eine Flaute von drei bis
vier Monaten durchzustehen, sagtPatrik
Ettlin vom Schreinermeisterverband.
Nachdem sichFirmeninhaber in einer
ersten Phase um dieAufrechterhaltung
des Betriebs haben kümmern müssen,
steht nundie Liquidität des Unterneh-
mens im Brennpunkt. Sie kannrasch ver-
siegen, denn vieleFirmen haben kaum
mehr Einnahmen, während gewisseFix-
kosten auch dann weiterlaufen, wenn
die Arbeit eingestellt wird. Ein Hote-
lier muss auch dannPachtzinsen be-

zahlen, wenn der Betrieb geschlossen
ist. Die nächste Herausforderung wird
die Überweisung der Löhne sein, die in
rund einerWoche stattfindet. «Die An-
kündigung des Bundesrats vom Montag
hat die Situation grundlegend verändert»,
sagtDaniel Salzmann, Chef der Luzer-
ner Kantonalbank (LUKB). Man müsse
jetztrasch handeln. Die LUKB stellt 50
Mio. Fr. zurVerfügung, um bestehenden
Firmenkunden zu helfen. Gelderhalten
allerdings nur diejenigen Unternehmen,
die vor der Coronavirus-Pandemie in
einer finanziell solidenVerfassung waren.
Die LUKB folgt damit dem Beispiel der
Zürcher Kantonalbank, die vergangene
Woche 10 0 Mio. Fr. für Unternehmen
bereitgestellt hat, die unverschuldet in
einen Liquiditätsengpass geraten.
Bei denBanken scheint die Bereit-
schaft gross zu sein, gesundenUnterneh-
men finanziell beizustehen. So sagen di-
verse Unternehmer, sie müssten ihre
Bankkredite vorerst nicht mehr amorti-
sieren undkönnten so liquide Mittel im
Betrieb belassen. Gleichzeitig betonen
Bankmanager, dass sie von denFirmen-
eigentümern eine gewisse Opfersymme-
trie verlangten. Diese müssten finan-
ziellebenfalls etwas zum Überleben
derFirma beitragen. Letztlich müssen
dieBanken aber genau abwägen, welche
Unternehmen sie finanziell unterstützen
wollen. Weil sie mit ihrenKunden teil-
weise schon langjährige Geschäftsbezie-
hungen unterhalten, dürfte ihnen das
allerdings einigermassen leichtfallen.
Mehr Mühe mit einer solchen Ein-
schätzung wird der Bund bekunden,
falls er imVerlauf derWoche ebenfalls
weitere Hilfsmassnahmen für KMU be-
schliessen wird.Das Staatssekretariat für
Wirtschaft wird bis spätestens amFrei-
tag dem BundesratVorschläge dazu ma-
chen, wie denFirmen geholfen werden
kann.Wahrscheinlich werden sich auch

dieBanken zusammenraufen müssen. Es
scheint jedenfalls nicht sinnvoll zu sein,
dass Kantonalbanken Massnahmen be-
schliessen, ohne dass die beiden Gross-
banken UBS und Credit Suisse sowie
weitereInstitute einbezogen sind. An-
geblich treffen sich beispielsweise in
Luzern amFreitagVertreter von im Kan-
ton tätigen Instituten, um dieLage zu be-
sprechen.Bankvertreter gehen immer
noch davon aus, dass im dritten Quartal
die wirtschaftlicheWende eintritt und
sich dann in den letzten drei Monaten
desJahres dieLage normalisiert. Ähnlich
sieht dieKonjunkturforschungsstelle der
ETH Zürich dieLage: Die Ökonomen
prognostizieren in ihremBasisszenario
zwar eine scharfeRezession, doch das
soll EndeJahr vorbei sein.

Am Dienstagabend herrscht in der Ladenpassage des Zürcher Hauptbahnhofs kaumBetrieb. CHRISTOPH RUCKSTUHL / NZZ

Corona-Pandemie


Israel:Der Inlandgeheimdienst setzt
aufTelefonüberwachung. Seite 2

China:EinreisendeAusländer müssen
zweiWochen in Quarantäne. Seite 3

Verhaltensregeln:Senioren müssen
besondersachtsam sein. Seite 9

Wirtschaftshilfen:Der Bundesrat
muss dasTempo erhöhen. Seite 9

Beatmungsgeräte:Es gibt zu wenige
in der Schweiz. Seite 11

KMU:Firmen mit tragfähigem
Geschäftsmodell dürfen hoffen.Seite 17

Autobranche:Volkswagen,Fiat und
PSA schliessen ihreWerke. Seite 18

Fussball-EM:Die Endrunde wird
um einJahr verschoben. Seite 32

Corona-Krise


verunsichert


Kinderkrippen


Der Ausnahmezustand
brin gt viel e Eltern ans Limit

nil.· Im Gegensatzzu den Schulen haben
die Kindertagesstätten in der Schweiz
nach wie vor geöffnet. Allerdingssollen
nur noch Eltern in «systemrelevanten
Berufen» ihre Kinder in Kitas betreuen
lassen dürfen. Sowohl der Bund als auch
die Kantone und Gemeinden appellie-
ren diesbezüglich an die Selbstverant-
wortung der Mütter undVäter. DiePoli-
tik verzichtet bis anhin auf eindeutige
Richtlinien. DieVerantwortungwird
zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden
und Kitas hin und her geschoben. Leid-
tragende sind häufig dieEltern: Siemüs-
sen die Betreuungskosten selbst dann
tragen, wenn sie sich längst selber zu
Hause um ihr Kind kümmern. Home-
Office undKinderbetreuung sind zudem
kaum zu vereinbaren. Entweder leidet
derJob oder das Kind.Jenach Anstel-
lungsverhältnis müssen die Eltern auch
mit Erwerbsausfällenrechnen.
Im Kanton Zürich dürfte sich die Si-
tuation in naher Zukunft verbessern.
Der Chef des kantonalen Amtsfür
Jugend und Berufsberatung erwartet
in dieser ausserordentlichenLage ein
finanzielles Entgegenkommen seitens
der Krippen. Diese wiederumkönnten
eine Abgeltung vom Bund, vom Kanton
oder von den Gemeinden erhalten.
Zürich undRegion, Seite 15

EU verhängt


Einreiseverbot


Aussengrenzen
werden faktisch dichtgemacht

(dpa)· Zur Eindämmung des Corona-
virus haben die EU-Staaten ein weit-
reichendes Einreiseverbot für Bürger
der allermeisten Nicht-EU-Staaten ver-
einbart. Das erklärten EU-Rats-Chef
Charles Michel und die deutsche Bun-
deskanzlerin Angela Merkel am Diens-
tagabend. DieRegelung soll zunächst
für 30Tage gelten.Damit folgt die EU
einemVorschlag,den Kommissions-
chefin Ursula von der Leyen am Mon-
tag vorgelegt hatte. Wie das deutsche
Innenministerium am Dienstagabend
mitteilte, betrifft dasVerbot auch alle
Flüge und Schiffsreisen, die ihrenAus-
gangspunkt ausserhalb der Europäi-
schen Union haben.Ausnahmen gibt
es laut der Meldung für Drittstaaten-
angehörige mit längerfristigem Auf-
enthaltsrecht in einem EU-Staat.Wer
einen dringenden Einreisegrund hat,
etwa eine Beerdigung oder einen Ge-
richtstermin, muss dafür dieentspre-
chenden Nachweise mitführen. Bür-
gern von EU-Staaten wird dieDurch-
reise durch Deutschland gestattet.Das
gilt auch für Staatsbürger aus Grossbri-
tannien, Island, Liechtenstein, Norwe-
gen und der Schweiz.
Weiter haben die EU-Staats- und
-Regierungschefs derWirtschaft jede
verfügbare Hilfe zugesagt.Was immer
nötig sei, werde gegen die Folgen
der Krise getan, sagte EU-Rats-Chef
Charles Michel am Dienstagabend nach
einem Gipfeltreffen imVideoformat.
International, Seite 3

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