Neue Zürcher Zeitung - 18.03.2020

(Dana P.) #1

10 MEINUNG & DEBATTE Mittwoch, 18. März 2020


Mit dem politischen Gegner einmal ein Bier trinkengehen– das ist allemalbesser als Diffamierungen und kompromissloseIdeologie.


Politik, die sich


in der Pose erschöpft


Um sich als Anti rassisten zu zelebrieren, torpedieren Linksaussenpolitiker einen sinnvollen


Kompromiss des Zürcher Kantonsparlaments. Die Sache ist symptomatisch für die wachsende


Engstirnigkeit des links-urbanen Milieus.Von Jan Hudec


Dass dieSVP von Linken ein Geschenk bekommt,
hat Seltenheitswert. Ein derart aussergewöhnliches
Schauspiel lässt sich aber derzeit im Kanton Zürich
beobachten.Passiert ist dies:Vor gut zweiJahren
gab der damalige Stadtzürcher Sicherheitsvorste-
her RichardWolff (al.) bekannt, dass die Stadtpoli-
zei in ihren Medienmitteilungen die Nationalität
der mutmasslichen Täter nicht mehr nennen werde.
Schliesslich mache nicht die Herkunft jemanden
zum Täter, entscheidend seien vielmehr soziale
Faktoren. Die Sache sorgte im Kanton für eini-
ges Kopfschütteln. Der Sicherheitsdirektor Mario
Fehr (sp.) fand die Abkehr vonder gängigen Pra-
xis wenig sinnvoll, und dieSVP beschloss, die «sta-
linistische Zensur» mit einerInitiative zu bekämp-
fen, in welche sie zusätzlich die abstruseForderung
verpackte, die Polizei solle doch auch gleich einen
möglichen Migrationshintergrund von Täternan-
geben.Wie weit diePolizei die Ahnenforschung
treiben muss, hat diePartei nicht näherspezifiziert,
die Initiative fand jedenfalls weder beimRegie-
rungsrat noch beim Gros desParlaments Anklang.
Und so kam es, dass man sich im Kantonsrat ein-
stimmig auf einen Gegenvorschlag einigte, der ge-
setzlich festschreibt, was in Zürich und in anderen
Kantonen Usus ist, nämlich die Nationalität zu nen-
nen. DieSVP war bereit, für denKompromiss ihre
Initiative zurückzuziehen.


Die linken Nestbeschmutzer


werden diffamiert


Damit hätte die Sache erledigt seinkönnen,doch



  • und nunkommen wir zum Geschenk – das links-
    urbane Milieureagierte mit Empörung darauf,
    dass sich die eigenen Leute mit der verhassten
    SVP auf einenKompromiss einigten. Denn auch
    mit dem Gegenvorschlag werdeFremdenfeind-
    lichkeit geschürt. Der linke Flügel übte massiven
    Druck auf die eigenenFraktionen aus, und wer
    nichtspurte, wurde diffamiert. So warf die ehema-
    lige SP-Vizepräsidentin Andrea Arežina in einem
    Artikel im Online-Magazin «Republik» den lin-


ken Nestbeschmutzern kurzerhandRassismus vor.
Was jenen alteingesessenen Kantonsräten, die sich
seit Jahrzehnten für die linke Sache starkmachen,
freilich sauer aufstiess. DieJungen Grünen mit
den Jungsozialisten und weiterenVerbündeten im
Schlepptau stierten schliesslich die Unterschriften-
sammlung für einReferendum durch. DerKom-
promiss ist damit vomTisch, und dieFrage wird
nun vorsVolk kommen. DieSVP freut’s. Sie wird
mit ihrem LieblingsthemaAusländerkriminalität
wochenlang dieWerbetrommel rührenkönnen und
muss sich noch nichteinmal Stimmungsmache vor-
werfen lassen. Immerhin hatte sie ja freiwillig auf
den Abstimmungskampf verzichtet und wurde von
den Linken auf die Plattform gehievt. Zu verlieren
hat sie nichts. Dass weder der Gegenvorschlag noch
die Initiative angenommen werden,ist fastausge-
schlossen. Und statt übers Klima wird wieder ein-
mal überAusländer debattiert.
Mankönnte dasVorgehen vonJuso und Co. als
mangelnde politische Cleverness abtun, aber das
träfe denKern nicht. Denn die städtische Linke
zieht hier sehendenAuges in eine Schlacht, die sie
nur verlieren kann. Und das scheint ihr sogar ziem-
lich egal zu sein.Viel wichtiger sei es, so konnte man
es den zahlreichenVoten entnehmen, «ein Zeichen
zu setzen». Die Grünen haben dieses Prinzip sogar
in einen Wahlslogan gegossen: «Haltung zeigen».
Der Spruch ist entlarvend:Selbstdarstellung ist
offensichtlich wichtigerals das Erreichenkonkreter
politischerResultate. Und dabei wird sowohl die
Sache als auch die eigeneRolle schamlos überhöht.
Der heiligeFuror, mit dem die Linke nun gegen
die Nationalitätennennung ankämpft, steht in
einem schiefenVerhältnis zumrecht banalen Sach-
verhalt. Denn eigentlich geht es nur darum, ob die
Polizei die Staatszugehörigkeit automatisch nen-
nen soll – so wie es die Kantonspolizei tut – oder
erst auf Nachfrage vonJournalisten –so wie es die
Stadtpolizei tut. DieVerteidigung des «einzigen
mutigen Entscheids, den je einPolizeivorsteher ge-
troffen hat» («Republik»), hat faktisch kaumKon-
sequenzen. Selbst wenn die städtische Lösung Be-
stand hätte, würden die Herkunftsangaben janicht
aus den Medienberichten verschwinden.Wenn dies

jetzt zum Endkampf gegen denRassismus aufge-
bauscht wird, wirkt das docheher peinlich.

Die Intoleranz derToleranten


Dass dieser Selbstprofilierung einiger linker Expo-
nenten nun ein vernünftigerKompromiss des Kan-
tonsrats geopfert wird,ist aber durchaus symptoma-
tisch.Vor allem in der links-grünen Monokultur der
beiden grössten Städte des Kantons gedeiht eine
befremdliche Engstirnigkeit und Intoleranz. Die
zeigt sich mitunter auch im Umgang mit den eige-
nen Leuten. MarioFehr gehört bekanntlich dem
rechten Flügel der SP an, was für einige schon aus-
reicht, um ihn zumParia erklären. Neben gehäs-
sigen Angriffen und Gesprächsverweigerungen
musste derRegierungsrat auch eine Strafanzeige
der Juso erdulden und wurde auf das Bestreben
von namhaftenTeilen derPartei – etwa der Stadt-
zürcher Sektion – beinahe nicht für dieRegierungs-
ratswahlen vom vergangenenJahr nominiert. In den
ganzen Querelen nahm der damaligeParteipräsi-
dentDaniel Frei den Hut und beklagte sich später
über die sektiererischen Züge des linken Flügels.
Geradezu kindisch mutet es an, wenn linke Sta-
diongegner in der Stadt Zürich sich eine zweite
Volksabstimmung zum exakt gleichen Projekt er-
quengeln oder Klimaaktivisten im Gemeinderat die
eigenen Leute mit einem Ultimatum erpressen, bis
EndeAugust einen Klimaplan vorzulegen.
Viel stossender ist aber der Umgang mit Anders-
denkenden. So wollte der Zürcher Stadtrat im
Herbst verhindern, dass christlich-konservative
Abtreibungsgegner mit ihrem «Marsch fürsLäbe»
durch die Strassen ziehen. Mit dem Argument, es
bestünden Sicherheitsbedenken, prozessierte die
Exekutive bis vorVerwaltungsgericht. Seltsamer-
weise melden sich die stadträtlichen Bedenken-
träger vor dem1. Mai jeweils nicht zuWort. Gefähr-
det wäre die Sicherheit überdies nicht etwa durch
die Abtreibungsgegnergewesen, sondern durch ge-
waltbereite Gegendemonstranten. Es wäre eigent-
lich eine gute Gelegenheit für den Stadtrat gewe-
sen, Haltung zu zeigen bezüglich Meinungsäusse-
rungsfreiheit. Die Exekutive schien es aber vorzu-
ziehen,sich von Linksaussen erpressen zu lassen.
Als der Stadtrat dann vor zwei Instanzen eine
Niederlage einstecken musste, konnte der Umzug
zum Leidwesen derJungsozialisten doch noch statt-
finden. Diese zeigten sich empört, dass die christ-
lichenFundamentalisten ihre «mittelalterlichen
Werte» in der Stadt verbreiten dürfen, und erhiel-
ten von der Stadtumgehend dasRecht auf eine
Gegenveranstaltung am gleichenTag, um gegen
die «Hetze» der Abtreibungsgegner protestieren
zu können. Die vonRentnern und kinderreichen
Grossfamilien verbreitete Hetze präsentierte sich
dann inForm von Luftballons mitAufschriften wie
«Danke, dass ich leben darf» und demVerteilenvon
Plastikembryos. Ihr Marsch führte die Abtreibungs-
gegner vorbei an brennenden Containern und Schil-
dern mit derAufschrift «Fa hrt zur Hölle!». Links-
radikale hatten sich zuvor Scharmützel mit derPoli-
zei geliefert, diese mit Flaschen und Steinen bewor-
fen und versucht,den Platz zu stürmen,auf dem sich
die Abtreibungsgegner versammelt hatten.

Die Schützengräben verlassen


Die friedlich demonstrierendenJungsozialisten
solidarisierten sich tags darauf mit denVandalen,
weil es völlig unverhältnismässiggewesen sei, dass
die Polizei diese mitTränengas und Gummischrot
an ihrer «legitimen Protestaktion» gehindert habe.
Man muss schon beideAugen zudrücken, um die
Ironie zu übersehen: Jene, die gerne über Min-
derheitenschutz schwadronieren, finden es offen-
sichtlich legitim, wenn gewaltbereite Extremisten
eine Minderheit durch die Gassen treiben wollen.
Wer nicht ins eigeneWeltbild passt, sollschweigen
oder verschwinden. Oder in denWorten der Stadt-
zürcherJuso- Co-Präsidentin Anna LunaFrauchi-
ger: «Es kann nicht sein, dass christlicheFundamen-
talisten in Zürich ihre Hetze verbreitenkönnen.»
Natürlich ist dieseradikaleAttitüde nichts Neues,
und sie findet sich freilich auch auf derrechten Seite.
In der links-grünen Bubble, welche die Stadt Zürich
umhüllt, wird sie aber kaum mehr hinterfragt.Dabei
will dieses Gehabe eigentlich so gar nicht zur Sach-
politik passen, wie sie aufkommunaler und kanto-
naler Ebene praktiziert wird. Man kann nun wirk-
lich nicht an jedem Schulhausneubau und jedem
Verkehrsprojekt den Marxismus oder den Libera-
lismus durchdeklinieren.Gerade das seit den letzten
Wahlen «blockfreie Kantonsparlament» (Valentin
Landmann,svp.) würde eigentlich die Chance bieten,
in wechselnden Allianzen tragfähige Lösungen und
guteKompromisse zu finden. So wie das auch bei
der SVP-Initiative derFall war. Dazu muss man aber
bereit sein,von Zeit zu Zeit dieeigenen Schützen-
gräben zuverlassen, und in Kauf nehmen, dass man
dabei vielleicht merkenkönnte, dass die anderen gar
nichtso böse sind, wie man gerne glauben wollte.
Falls das zu schwierig ist,könnte fürs Erste auch
eine Methode helfen, die Min Li Marti (sp.) und
MauroTuena (svp.) erfolgreich kultivierten: Die
beiden ehemaligenFraktionspräsidenten im Zür-
cher Gemeinderat trafen sich nach geschlagener
Schlacht gerne mal auf ein Bier.

Die städtische Linke zieht


bei der Nennung


der Nationalitäten mutmass-


licher Täter in eine Schlacht,


die sie nur verlieren kann.


Und das scheint ihr sogar


ziemlich egal zu sein.


Viel wichtiger sei es,


«ein Zeichen zu setzen».

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