Neue Zürcher Zeitung - 18.03.2020

(Dana P.) #1

Mittwoch, 18. März 2020 WIRTSCHAFT 17


Präsident Trump will auch bei der Coronavirus-Hilfe


nicht kleckern, sondern klotzen SEITE 18


In der Schweiz steht eine Corona-Rezession vor der Tür –


danach sind drei Szenarien vorstellbar SEITE 19


Auffangnetze für KMU in der Krise


Klein- und Mittelbetriebe mit tr agfähigem Geschäftsmodell können auf Unterstützung hoffen


HANSUELI SCHÖCHLI


Die Schweiz hat 2008 in derFinanzkrise
die private Grossbank UBS gerettet, ob-
wohl dieBank aus eigenemVerschul-
den in die Krise geraten war. Die UBS
galt als «systemrelevant» – als so wich-
tig, dass ihr Untergang hohe volkswirt-
schaftliche Schäden verursacht hätte. In
der laufenden Corona-Krise sind es vor
allem viele Klein- und Mittelbetriebe
(KMU), die existenziell gefährdet sind,
weil ihre Lieferkett en unterbrochen
sind, die Nachfrage der Kundschaft
kurzfristig massiv eingebrochen ist oder
weil der Bundesrat kurzfristig denLa-
den zwangsgeschlossen hat.Kein KMU
ist «systemrelevant», dennochist in der
Politik derRuf nach staatlicher Unter-
stützung verbreitet.


Was fürdie Hilfe spricht


Die KMU gehören zumindest in der
Sonntagsschul-Rhetorik zu den Säu-
lenheiligen derPolitik. Die nun leiden-
den Betriebe sind zudem ohne eigenes
Verschuldenin die Krise geraten, ob-
wohl Schocks immer auch zu den Ge-
schäftsrisiken gehören. Die Betroffen-
heit ist überdies so breit, dass die vielen
Firmen imKollektiv eine Art psycholo-
gischeSystemrelevanz erreichenkönn-
ten. Und ein Massensterben von Betrie-
ben mit an sich tragfähigem Geschäfts-
modell wäre nicht nur eine menschliche
Tragödie, sondern auch volkswirtschaft-
lich eine grosseVerschwendung.
Der Bundesrat sagt den KMU:«Wir
hel fen euch.»Das wichtigste Hilfsmit-
tel bietet hier die Arbeitslosenversiche-
rung (ALV) mit derKurzarbeitsentschä-
digung von 80% des Lohnausfalls wäh-
rend bis zu 12 Monaten.Anlaufstelle für
Betriebe sind die kantonalen Arbeits-
marktbehörden. Die Gelder gehen zu-
nächst an den Arbeitgeber; dieser kann
den Betrag an den Arbeitnehmer ablie-
fern oder weiter den vollen Lohn zah-
len. Der Begriff «Kurzarbeit» mag hier
etwas irreführend sein, denn es sind vor


allem auch die vielenFälle abgedeckt,
in denen Angestellte vorübergehend gar
keine Arbeit mehr haben.
Zwei Bedingungen für den Anspruch
auf Kurzarbeitsentschädigung sind zen-
tral: Der Arbeitsausfall ist «voraussicht-
lich vorübergehend», und die betrof-
fenen Arbeitsplätze erscheinen län-
gerfristig nachhaltig. Das heisst:Das
Unternehmen sollte ein tragfähiges Ge-
schäftsmodell haben.
Die Zahl der Kurzarbeitsgesuche
wachse derzeit «exponentiell», sagt der
Bund. Hunderttausende von Arbeitneh-
mern dürften betroff en sein, möglicher-

weise sogar noch deutlich mehr. Im Kan-
ton Zürich haben bis am Dienstagbereits
2600 Unternehmen Gesuche gestellt. Es
gibt hier im Prinzipkeine obere Grenze:
Im geltendenRegimekönnen laut Bund
bis zu 8 Mrd.Fr. fli essen, und wenn die
Schwelle der maximal zulässigen ALV-
Verschuldung erreicht ist, wird eine Zu-
satzfinanzierung fällig – via Lohnbei-
träge odermöglicherweiseauch durch
Bundeszuschüsse. Die Schwellekönnte
schon in wenigen Monaten erreicht sein.
Dank soliderFinanzpolitik gemäss den
Regeln der Schuldenbremsekönnte der
Bund auch grosse Zuschüsse schultern.

Die ALV ist volumenmässig wohl
das bedeutendste Mittel zur Linderung
der KMU-Krise. Doch sie deckt nicht
alle Probleme ab. Nicht berücksichtigt
sind Selbständige. Für sie und ähnliche
Härtefälle will der Bund einen Sonder-
topf von 1 Mrd.Fr. äufnen. Wer genau
zu den Begünstigten gehört und in wel-
cherForm die Gelder fliessen sollen (als
Kredite oder nichtrückzahlbare Subven-
tionen), ist zurzeit noch Gegenstand von
Abklärungen in derVerwaltung. Der
Bundesrat will Anfang April entschei-
den.Verschiedene weitere Massnahmen
zur Liquiditätshilfe sind schon etabliert

oderin Diskussion.Dazu zählen güns-
tige Bürgschaftskredite. Die vier vom
Bund anerkannten Bürgschaftsgenos-
senschaften stellen den KMU total bis
zu 580Mio. Fr. Bürgschaftskredite zur
Verfügung. Bereits möglich ist auf Ge-
such hin auch ein Zahlungsaufschub bei
Geldforderungen des Bundes zum Bei-
spiel für die Mehrwertsteuer.

Auch Kantonewollen helfen


Nebst dem Bund haben auch schon ei-
nige Kantone Hilfe für KMU ange-
kündigt:Basel-Stadt, Genf undTessin.
Zu den genannten Stichworten zählen
zusätzliche Bürgschaftskredite, zins-
loseDarlehen und Zahlungsaufschub
für staatlicheForderungen. In dieser
Woche ist auch ein Hilfspaket des Kan-
tons Zürich zu erwarten. Zudem haben
Kantonalbanken wie jene von Zürich
und Luzern zusätzliche Überbrückungs-
kredite für ihre KMU-Kunden inAus-
sicht gestellt.Facebook hat derweil an-
gekündigt, für 30000 Kleinunterneh-
men in gut 30Ländern einschliesslich
der Schweiz total 100 Mio. $ Finanzhilfe
zur Verfügung zu stellen.
Geschäfte, die Räumlichkeiten ge-
mietet haben und nun schliessen muss-
ten, können unter Umständen aufredu-
zierte Mietzinsen hoffen. Ob sie juris-
tisch Anrecht darauf haben, ist unklar
(vgl.Text unten). DochVerhandlungen
mit demVermieterkönnten sich lohnen.
Die verfügbaren und geplanten
Sicherheitsnetze werden kaum allen
Corona-geschädigten KMU helfen.
Weitere Entlastung mag in manchen
Fällen das Schuldbetreibungs- und
Konkursgesetz bringen – mittels Nach-
lassstundung oder Notstundung. Zur
Diskussion steht beim Bund auch das
Instrument einesRechtsstillstands, mit
dem Schulden vorübergehend nicht
mehr fällig würden. Dies ist allerdings
ein zweischneidiges Schwert:Wo ein
Schuldner ist, ist auch ein Gläubiger–
und auch der Gläubigerkönnte ein lei-
dendes KMU sein.

Muss die Miete bei zwangsgeschlossenem Geschäft weiter fliessen?


Ob die verordneten Ladenschliessungen zu Mietzinsreduktionen berechtigen, ist unklar – Mieter und Vermieter solltendas Gespräch suchen


ANDREA MARTEL


Ein Grossteil derLadengeschäfte in
der Schweiz ist seit gestern geschlos-
sen. Ebenso Restaurants, Coiffeur-
salons, Fitnessstudios, Kosmetiksalons
und so weiter. Die vom Bundesratan-
geordnete Schliessung läuft vorerst bis
zum19. April, doch eineVerlängerung
würde nicht überraschen.


RechtlichesNeuland


All diese Unternehmen fragen sich nun:
Was ist mit meiner Miete? Schulde ich
den Mietzins, auch wenn ich dieRäum-
lichkeiten gar nicht benutzen kann?
Habe ich zumindest Anrecht auf eine
Mietzinsreduktion? Und wenn ich wei-
terhin zahlen muss: Kann ich beimVer-
mieter aufKulanz hoffen? Oder gibt es
sogar die Möglichkeit, dass der Staat vor-
übergehen für meine Miete aufkommt?
Zunächst zum letzten Punkt: Staat-
lich e Unterstützung speziell für Miet-
zinszahlungen(analo g derKurzarbeit
für Lohnzahlungen) gibt es nicht. Ob
nun aber die Miete weiterhin geschuldet
ist, ist unklar, da Präzedenzfälle für die
nun geltende ausserordentliche Situa-
tion fehlen. Sicher ist, dass ein Einbruch
beim Geschäftsgang, wie er vielerorts in
den vergangenenWochen stattgefun-
den hat, zu den Betreiberrisiken zählt,


die grundsätzlich vom Mieter zu tragen
sind.Aber seit Dienstag ist die Situation
eine andere, denn viele Geschäfte dür-
fen gar nicht mehr öffnen. Und in die-
sen Fällen stellt sich dieFrage, ob die
bet roffenen Lokalitäten aufgrund der
behördlichen Anweisung nun einen so-
genannten Mangel aufweisen und des-
halb vorübergehend der Mietzins auf
null reduziert werden muss, wenn darin
die vorgesehene Geschäftstätigkeit nicht
mehr möglich ist.
TobiasKunz, der Präsident desVer-
bandes der Geschäftsmieter, stelltsich
auf den Standpunkt, dass für die Zeit
vom17. März bis zum19. April ein Man-
gel im Sinne des Mietrechts vorliege und
der Mieter einen Anspruch auf Miet-
zinsreduktion habe. Bei einer verordne-
ten Schliessung betrage derReduktions-
anspruch 100%. Grundsätzlich vermiete
der Vermieter ein Objekt, das für einen
bestimmten Zweck tauglich sei – etwa
als Restaurant.Wenn die Fläche diesem
Zweck nicht mehr dienenkönne, müsse
der Mieterdafürauchkeinen Mietzins
zahlen.Kunz räumt aber ein,dass Mie-
ter undVermieter in dieserFrage wohl
geteilter Meinung seien.
Doch auch der auf Mietrecht spe-
zialisierte Anwalt ZinonKoumbarakis
kann sich vorstellen, dass die Gerichte
dereinst (bis jetzt gibt es naturgemäss
nochkeine Fälle) die nun verlangten

Schliessungen als einen Corona-beding-
ten Mangel ansehen und eine Mietzins-
senkung bejahen werden – eineReduk-
tion bis auf null allerdings nur, wenn jeg-
liche Nutzung (beispielsweise alsLager
oder Büro) aufgrund der behördlichen
Anordnung ausgeschlossen ist. Es han-
delt sich lautKoumbarakis teilweise um
rechtliches Neuland.

Gemeinsame Interessen


Da der Mietzins in der Regel imVoraus
fällig ist,rät derVerband der Geschäfts-
mieter, noch vor Ende März das Ge-
spräch mit demVermieter zu suchen. So
könnte man etwa vereinbaren, die Miete
zu reduzieren oder sogar für April aus-
fallen zu lassen.Damit wäre die bisan-
hin verordnete Schliessungszeit von
einem Monat (17. März bis19. April)
teilweise rückwirkend abgedeckt. Sollte
die Schliessung länger anhalten, müsste
man über dieFolgemonate verhandeln,
sobald dies bekannt ist.
Nichtratsam ist lautKunz indessen,
die Miete ohne vorgängiges Gespräch
mit demVermieter nicht zu zahlen. Dies
nicht nur, weil einkooperativerWeg in
jedemFall die bessere Lösung sei. Der
Mieter riskiert damit, eine Abmahnung
zu erhalten mit der Drohung, dass ohne
Zahlung in dreissigTagen dieKündi-
gung wegen Zahlungsverzugskomme.

Zudem ist, wie erwähnt, dieRechts-
lagekeineswegs klar. So schätzt etwa
Sibylle Schnyder, Rechtsanwältin bei
CMS von ErlachPoncet, die Situation
anders ein. Eine behördliche Betriebs-
schliessung betreffe grundsätzlich den
Risikobereich des Betreibers und stelle
keinen Mangel des Mietobjekts dar.
Die in den letztenTagen erfolgten Be-
triebseinschränkungen bzw. -schliessun-
gen bezögen sich auf bestimmte Bran-
chen und ihre spezifischen Tätigkeiten,
nicht aber auf eine Art von Liegenschaf-
ten oder bestimmte Örtlichkeiten – eine
Haltung, die der Hauseigentümerver-
band Schweiz teilt.
Auch Schnyderrät jedoch,das Ge-
spräch mit demVermieter zu suchen
und allenfalls eine Stundung zu verein-
baren. Dies nurschon deshalb, weil kein
Vermieter ein Interesse daran habe, dass
seine MieterKonkurs gehen, speziell im
jetzigenAusnahmefall, wo die finanziel-
len Probleme unverschuldet sind. Der
Konkurs eines Mieters bedeutet für den
Vermieter nicht nur, dasskeine Miet-
zinsen mehr fliessen. Die Lokalität steht
ihm auch für längere Zeit nicht zurVer-
fügung, denndie amtlichenVerfahren
könnenrasch mehrere Monate in An-
spruch nehmen.Auch Nachmieter wer-
den sich derzeitkaum sorasch finden
las sen; zudem gehören nicht bezahlte
Mietzinsen zu den nachrangigenForde-

rungen, die bei einer Liquidation in der
Regel verloren sind.

Schaden teilen statt abwälzen


Mieter undVermieter sitzen also weit-
gehend im selben Boot. Dies macht die
Frage nach der geltendenrechtlichen
Situation zwar nicht überflüssig, aber es
entschärft sie doch deutlich. Der Scha-
den für alle kann am ehesten in Gren-
zen gehalten werden, wenn Mieter und
Vermieter die Situation gemeinsamre-
geln und jeder einenTeil der finanziel-
len Last trägt.
Wer seinenVermieter zuKonzessio-
nen veranlassen will, sollte sich gut auf
die Verhandlungen vorbereiten.Dazu
gehört u. a. darzulegen, dass auch alle
weiteren möglichen Massnahmen zur
Kostensenkung und zum Schutz der
Liquidität getätigt wurden (Kurzarbeit,
Zahlungsaufschub für Steuern, Bürg-
schaften für KMU beantragen),und
dass dieFirma selbst bzw. die Eigentü-
mer ihrenTeil des finanziellen Schadens
tragen. Es kann auch sein, dass derVer-
mieter für sein Entgegenkommen eine
Gegenleistung verlangt. Eine Mietzins-
reduktionkönnte sich z.B. mit einer vor-
zeitigenVertragsverlängerung «erkau-
fen» lassen. SolcheVereinbarungen wur-
den etwa während desFranken-Schocks
von 2015 verschiedentlich getroffen.

SchnellVerderbliches wie Blumenwird die Ladenschliessungen nicht überleben undwohl im Abfall landen. PETER KLAUNZER / KEYSTONE
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