Neue Zürcher Zeitung - 18.03.2020

(Dana P.) #1

2 INTERNATIONAL Mittwoch, 18. März 2020


US-Einreisestopp für


Grossbritannien in Kraft


(dpa)· Im Kampfgegen dieAusbreitung
des Coronavirus dürfen nun auchAus-
länder aus Grossbritannien und Irland
nichtmehrin die USA einreisen.Die von
Präsident DonaldTrump verhängte Ein-
reisesperre trat am Montag um Mitter-
nacht in Kraft. Amerikaner undPerso-
nen mit einer dauerhaftenAufenthalts-
erlaubnis (Green Card) sowie derenAn-
gehörige dürfen aus den beidenLändern
in die USA zurückkehren. Sie müssen
sich aber einer Gesundheitskontrolle
unterziehen. Sie sind ausserdem aufge-
rufen, sich in eine14-tägige Selbstqua-
rantäne zu begeben.Bereits in der Nacht
zum Samstag war ein 30-tägiger Ein-
reisestopp fürAusländer aus dem Schen-
gen-Raum in Kraft getreten.Für Rück-
kehrer aus Europa sind in den USA 13
Flughäfen vorgesehen, an denen kurze
Gesundheitskontrollen stattfinden. Der
Andrang vonRückkehrern hat in den
vergangenenTagen zu Chaos an den be-
troffenen Flughäfen geführt.


IN KÜRZE


Neuer Regierungschef
imIrakernannt
(dpa)· Nach einer monatelangenRegie-
rungskrise im Irak soll ein früherer Pro-
vinzgouverneur neuer Ministerpräsident
werden. Der StaatschefBarham Salih be-
auftragte am Dienstag den schiitischen
PolitikerAdnan al-Surfi mit der Bildung
einer Regierung. Der frühere Gouverneur
der Provinz Najaf hat dafür gemäss der
irakischenVerfassung 30Tage Zeit. Es ist
es jedoch unsicher, ob er für sein Kabinett
eine Mehrheit imParlament finden kann.
Das schiitische Al-Fatah-Bündnis lehnte
Surfis Nominierung bereitsals Verstoss
gegen dieVerfassung ab. Präsident Salih
habekeine Einigung der politischenPar-
teien erzielt, kritisierte das proiranische
Bündnis, das bei derWahl 2018 die zweit-
meisten Sitze gewonnen hatte.

Spanien schnürt Mammut-


Hilfspaket wegenCorona


(Reuters/dpa)· Spanien spricht in der
Corona-Krise das mit Abstand grösste
Hilfspaket aller europäischen Staaten.
MinisterpräsidentPedro Sánchez kün-
digteam DienstagMassnahmen imVolu-
men von 200 Milliarden Euro an.Das
Paket umfasst direkteFinanzhilfen,Kre-
ditbürgschaften sowie diverse Erleich-
terungen, etwa bei Hypothekenzahlun-
gen. So sollen die wirtschaftlichenAus-
wirkungen derPandemiein Grenzen
gehalten werden.Das Paket entspricht
rund 20 Prozent des spanischen Brut-
toinlandsprodukts. Laut Sánchezkom-
men 117 der 200 Milliarden Euro von der
Regierung in Madrid. DerRest entfällt
auf Privatunternehmen. Nach Italien ist
Spanien das von der Epidemie amstärks-
ten betroffeneLand Europas. Die Zahl
der Menschen,die sich mit dem Corona-
virusinfiziert haben,kletterte am Diens-
tag auf mehr als 11000. Ausserdem gab
es bereits fast 500Todesfälle. Das sind
etwa150 mehr alsVortag.


AUFGEFALLEN


Verantwortungsloser


Bolsonaro


Nicole Anliker, Rio deJaneiro· Jair Bolsonaro hat sich verant-
wortungslos verhalten.Darüber war man sich in den brasi-
lianischen Meinungsspalten am Montag einig. Für Empörung
sorgte, dass der Präsident am Sonntag an einer umstrittenen
Demonstration seiner Anhänger teilnahm, sich von ihnen fei-
ern liess, Hände abklatschte und für Selfies posierte – ganz so,
als wäre nichts. Dabei setzte er sich nicht nur über seine eige-
nenVerhaltensrichtlinien hinweg, sondern auch über jene sei-
nes Gesundheitsministeriums und seiner persönlichen Ärzte.
ZweiTage nachdem Bolsonaro das Coronavirus zunächst
noch als Phantasie der Medien bezeichnet hatte, warnte er am
Donnerstag auf Anraten seines Gesundheitsministeriums die
Bevölkerung vor den Risiken einerAusweitung der Epide-
mie. Mit dem Hinweis darauf, Menschenansammlungen zu ver-
meiden, erklärte er perFacebook-Schaltung, dass die für den


  1. März angesetzten Protestaktionen zu seinen Gunsten ver-
    schoben werden müssten.Am Sonntag zeigte sich, wie ernst es
    ihm dabei war. «Von unschätzbaremWert» sei dasVerhalten
    seiner Anhänger, die sich mobilisiert hätten, obwohl er ihnen
    wegen desVirus davon abgeraten habe, lobte er. Tatsächlich
    gingen diese in mehreren Städten desLandes auf die Strasse.
    Bolsonaro lagen die Demonstrationen offensichtlich mehr
    am Herzen als die Gesundheit seinesVolkes. Dabei war er be-
    reits vorWochen unter Kritik geraten, weil er denAufruf sei-
    ner Anhänger zu dem Protest, der sich gegen denKongress
    und dasOberste Gericht richtete, per Whatsapp weiterverbrei-
    tet hatte. Das Verhalten wurde von diversen Seiten als Angriff
    auf die Demokratie gewertet. Doch von demVorwurf liess er
    sich genauso wenig abschrecken wie vom Coronavirus.
    Der Clou an der ganzen Sache ist,dass Bolsonaro selber
    am Sonntag seinen Präsidentenpalast eigentlich gar nicht
    hätte verlassen dürfen. Zwar sind seine Corona-Test-Ergeb-
    nisse nach eigenenAussagen negativ ausgefallen.Weil aber
    mehrere seiner Mitarbeiter, die ihn jüngst bei einerReise in
    die USA begleitet hatten, positiv darauf getestet wurden, stell-
    ten ihn die Ärzte unter Quarantäne.


Nur noch mit Formular vor die Tür


In Frankreich ist die Ausgangssperre in Kraft getreten


nbe.Paris· Seit Dienstagmittag gilt in
Frankreich eineAusgangssperre. Wer
seineWohnung verlassen will, muss seit-
her einFormular mit sich führen. Dort
müssen Name, Adresse, Geburtsdatum
und der Grund für den Schritt vor die
Haustür mit einer Unterschrift bezeugt
werden.

38 Euro Strafe


Erlaubt sind Einkäufe, Arztbesuche, die
UnterstützungHilfsbedürftiger,dasAus-
führen von Haustieren sowie sportliche
Betätigung – allerdings allein und in der

Nähe desWohnorts. Auch Personen, die
nicht von zu Hause aus arbeitenkönnen,
dürfen weiter an ihren Arbeitsort. Busse
und die Metro verkehren weiterhin.
Bevor dieRegelnin Kraft traten, be-
eilten sich vielePariser,die Hauptstadt zu
verlassen.An denBahnhöfen gab es des-
wegen ein grossesPassagieraufkommen.
Von jenen, die inParis gebliebensind,
nutzten am Dienstagvormittag noch ei-
nige die Möglichkeit, einen Spaziergang
oder Sport zu machen.Vor vielen Super-
märkten undBäckereien bildeten sich
Schlangen, da immer nur eine gewisse
Anzahl vonKunden in denLaden ein-

treten durfte. Dennoch waren die Stras-
sen der Hauptstadt deutlich leerer als am
Vortag. Laut einemBericht der Nachrich-
tenagentur AFP funktionieren Disziplin
undAbstandhalten allerdings nicht über-
all: ImVorort Saint-Denis etwa dräng-
ten sichDutzende vonPersonen vor dem
Eingang eines Grossverteilers.
Rund 100000 Polizisten und Gen-
darmen sind damit betraut, die Einhal-
tung derAusgangssperre zu überwachen.
Bei Verstosskönnen sie Bussen von zu-
nächst 38 und später 135 Euro verteilen;
das ist deutlich weniger als in Spanien
oder Italien. DieRegierungssprecherin
sagte am Dienstag, man setze zunächst
da rauf, dass die Präsenz derPolizisten
eine disziplinierendeWirkung habe.

Erste Spitäler am Limit


Zur Bekämpfung des Coronavirus hat
Präsident Macron auch dieArmee mobi-
lisiert. Sie soll vor allem in derRegion
Grand-Est zum Einsatzkommen.Beson-
ders im Département Haut-Rhin, das an
die Nordwestschweiz grenzt,kommen
die Spitäler an ihr Limit. Deshalb wird
dort sorasch wie möglich einFeldspital
aufgebaut. Schwer erkranktePatienten
werden zudem – soweit möglich – mit
Armeehelikoptern in Spitäler in anderen
Landesteilen gebracht werden. In Mul-
house hatte sichAnfang März ein Krank-
heitsherd entwickelt, seither steigt die
Zahl der Erkrankungen steil an und hat
auch in derRegion um Strassburg zuge-
nommen.In ganzFrankreich wurden am
Dienstag rund 6600Fälle bestätigt, 148
Personen sind gestorben.

Israel setzt auf Telefonüberwachung


Inlandgeheimdienst darf zur Verhinderung von Covid-19 Daten von Bürgern sammeln


INGAROGG, JERUSALEM

Beinahe täglich tritt der israelische Minis-
terpräsident Benjamin Netanyahu um
acht Uhr abends an die Öffentlichkeit und
gibt die neuesten Massnahmen zur Be-
kämpfung der Coronavirus-Pandemie be-
kannt. Dabei hatte er in den vergangenen
Tagen bereits mitgeteilt, dass dieRegie-
rung die Überwachung der Mobilfunk-
telefone ihrer Bürger plant – ein Schritt,
der normalerweise vomParlament gebil-
ligt werden muss. Am Dienstagmorgen
war es dann bereits beschlossene Sache.
Mitten in der Nacht autorisierte die
Regierung den Inlandsgeheimdienst Shin
Bet,auch rückwirkend dieDaten der
Mobilfunktelefone von Millionen von
Bürgern in Israel und imWestjordanland
zu sammeln. Anhand derDaten soll ein
Bewegungsprofil von mit demVirus Infi-
zierten erstellt werden undPersonen,die
sich zum fraglichen Zeitpunkt in deren
Nähe befanden,identifiziert werden.Der
Geheimdienst übermittelt dieDaten an
das Gesundheitsministerium, das dann
die Betroffenen informiert und sie auf-
fordert, sich testen zu lassen oder für
zweiWochen zu Hause in Quarantäne zu
gehen.Wer dagegen verstösst,dem droht
eine mehrmonatige Gefängnisstrafe.

Anti-Terror-Gesetz als Grundlage


Südkorea,Taiwan, China oder Singapur
setzen auf ähnliche Überwachungsmass-
nahmen, um dieAusbreitung desVirus
einzudämmen.Israel sei eine Demokra-
tie, in der dieBalance zwischen Bürger-
rechten und dem öffentlichen Interesse
gewahrt bleiben müsse, betonte Netan-
yahu. Grundlage für den Erlass ist ein
Gesetz zurTerrorbekämpfung aus dem
Jahr 2002, das dem Shin Bet den direk-
ten Zugriff auf Mobilfunkdaten ermög-
licht. Allerdings sieht dieses für solche
Fälle die Zustimmung einesAusschusses
der Knesset und eines Richters vor. Bei-
des wird im jüngsten Erlass umgangen.
Bürgerrechtsorganisationen und die
Opposition kritisierten den Schritt am
Dienstagscharf. DieVereinigung für
Bürgerrechte sprach von einem «ge-
fährlichen Präzedenzfall». Das Bünd-

nis Blau-Weiss warf Netanyahuvor, die
Macht an sich zureissen.«Wir befinden
uns in einer aussergewöhnlichen Phase,
leider sind aussergewöhnliche Massnah-
men notwendig, um Leben zurett en»,
gestand der Chef des Mittebündnisses
Blau-Weiss, Benny Gantz, ein. Ein der-
artiger Griff nach der Macht ohne jeg-
licheKontrolle sei jedoch unzulässig.

Bürger müssen zu Hause bleiben


Netanyahu ist nur noch geschäftsführend
imAmt.DerAuftrag, eine neueRegierung
zu bilden, liegt seit Montag offiziell bei
Gantz. SeinePartei werde auf der sofor-
tigen Einsetzung desAusschusses fürAus-
sen- undVerteidigungspolitik bestehen,
der Überwachungsmassnahmen billigen
müsse, erklärte Gantz.
Netanyahu wies die Kritik mitVer-
weis auf die Notlage zurück. Bis Diens-
tagnachmittagregistrierten die Behörden

324 Israeli und 41Palästinenser im besetz-
ten Westjordanland, die an demVirus er-
krankt sind;Todesfälle gab es bisherkeine.
Da sich diePandemierasend verbreite,
könnten in Israel wie in Italien und ande-
ren Ländern viele Menschen sterben,
wenn die Überwachungsmassnahmen
auch nur um eine weitere Stunde ver-
zögert würden,argumentierte Netanyahu.
Derweil erliess das Gesundheitsminis-
terium weitere Einschränkungen. Die
Bürger dürfen nur noch inAusnahme-
fällen wie Arztbesuchen oder Lebensmit-
teleinkäufen das Haus verlassen.Besuche
vonParks, Stränden und anderen öffent-
lichen Anlagen und Einrichtungen sind
verboten.Ausnahmen gelten nur für kurze
Aufenthalte imFreien mit Kindern oder
das Gassigehen mit dem Hund.Neben Be-
hörden müssen auch privateFirmen auf
Home-Office umstellen. Staatspräsident
Reuven Rivlin appellierte an die Bürger,
die Massnahmen ernst zu nehmen.

Bewegungspro file in Österreich


mij.Wien· ÖsterreichsRegierung hat
früher als andere in Europa und weni-
ger zögerlich weitreichende Massnah-
men ergriffen, um die Bewegungsfreiheit
der Menschen und damit dieVerbreitung
des Coronavirus einzuschränken. Bun-
deskanzler SebastianKurz, Gesundheits-
ministerRudolf Anschober und Innen-
minister Karl Nehammerkommunizie-
ren dabei offensiv und klar. AlleParteien
unterstützten das Gesetzespaket vom
Sonntag, mit dem das öffentliche Leben
praktisch zum Stillstand gebracht wird.
Nun aber gibt es Kritik der Opposi-
tion, die sich an einer vonder «Krone»
aufgedeckten Überwachungsmass-
nahme entzündet hat: A1, der Markt-
führer im Mobilfunk, hat zusammen
mit dem Grazer Unternehmen Invenium
für den Krisenstab derRegierung Bewe-
gungsprofile seiner Handynutzer erstellt.
Damit sollte eruiert werden, ob sich
die Österreicher an dieAusgangsbe-
schränkungen halten.Verglichen wur-
den die Bewegungen der letzten beiden
Samstage; derenAusmass nahm laut der

Zeitung um 40 bis 50 Prozent ab.Auch in
der Gemeinde Ischgl, die unter Quaran-
täne steht,wurde derAnsatzangewandt.
Das Kanzleramt betont, die Initiative
sei von A1 ausgegangen, was dasTele-
kom-Unternehmen bestätigt. DieAnaly-
sen würden «zumWohle der Allgemein-
heit» erstellt und seien in der Marktfor-
schung seitJahren verbreitet, etwa um
Kundenflüsse in Geschäften besser zu
verstehen. Sie seien vollständig anony-
misiert und datenrechtskonform.
Datenschützer wollen sich denVer-
schlüsselungsmechanismus nun dennoch
genauer anschauen.Auch die Opposi-
tionspartei Neos verlangt mehrTrans-
parenz und will deshalb eine parlamen-
tarische Anfrage einbringen.
DieRegierung habe dieFreiheit der
Österreicher aus nachvollziehbaren
Gründen beschränkt und dadurch viel
Machtin ihren Händen vereint, schreibt
Nikolaus Scherak, der stellvertretende
Fraktionschef von Neos. «Dennoch muss
sie nun verdammt verantwortungsvoll da-
mit umgehen.»

Ein Polizist am Dienstag aufPatrouille inParis. CHRISTIAN HARTMANN /REUTERS

KORRIGENDUM
zz.· In derAgenturmeldung mit Bild der
NZZ vom 12. 3. 20 ist fälschlicherweise die
Rede von einer Schweigeminute für die
Opfer der Atomkatastrophe vonFuku-
shima. Korrekt wäre gewesen: für die Op-
fer des gewaltigen Seebebens und desTsu-
namis vor derKüste Japans vor neunJah-
ren, welche laut offiziellen Angaben über
20000 Todesopfer gefordert haben.

Gouverneur von Ohio
verschiebt Vorwahlen
(dpa)· Kurz vor Beginn der nächstenVor-
wahlrunde in den USA hat die Gesund-
heitsbehörde im Gliedstaat Ohio ange-
ordnet, dass dieWahllokale wegen der
Coronavirus-Pandemie geschlossen blei-
ben sollen. Gouverneur Mike DeWine
verbreitete das entsprechende Doku-
ment am Montagabend (Ortszeit) auf
Twitter. Es sei inakzeptabel,Wähler und
Wahlhelfer während einer solchen Ge-
sundheitskrise einemInfektionsrisiko
auszusetzen, schrieb er. Der fürWah-
len zuständige MinisterFrankLaRose
werde sich aber mittels der Gerichte um
andere Optionen bemühen,umWählern
dieAbgabe ihrer Stimme trotzdem zu er-
möglichen, schrieb DeWine weiter. Der
Republikaner hatte dieVorwahl zu-
nächst aufJuni verschieben wollen. In
den drei Gliedstaaten Arizona, Florida
und Illinois fanden dieVorwahlen wie
geplant am Dienstag statt.
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