Neue Zürcher Zeitung - 18.03.2020

(Dana P.) #1

Mittwoch, 18. März 2020 FINANZEN 21


Bei vielen Firmen drohen sinkende Dividendenzahlungen


Die Coronavirus-Krise bringt Unternehmen in Liquiditätsnöte


MICHAEL FERBER


Sparer und Anleger sollten sich aufgrund
des Coronavirus auf sinkende Divi-
dendenzahlungen von Unternehmen
einstellen.Dafür gibt es erste Anzeichen.
Dividenden sind der Anteil am Gewinn
einer Aktiengesellschaft, die diese ihren
Aktionären ausschüttet. Sie machen oft
einen beträchtlichenTeil derRendite von
Aktien aus.


Abs triche beim Flughafen?


Wie jüngste Unternehmensmeldungen
zeigen,könnte die vom Coronavirus aus-
gelösteWirtschaftskrise dazu führen,dass
vieleFirmen hier Abstriche machen. So
hatderFlughafenZürichamMontagmit-
geteilt, seine für den16. Apri l angesetzte
Generalversammlung (GV) zu verschie-
ben. Nach den jüngsten Entscheiden des
Bundesrats in Sachen Coronavirus er-
laube dies, die weitere Entwicklung der
Auswirkungen auf das Geschäft und auf
die Finanzlage des Unternehmens zu be-
obachten, hiess es in einer Mitteilung.
Wenn nötig, könnten auch dieAnträge an
die GV angepasst werden. Dieskönnte
auch die Dividende betreffen.
Des Weiteren hat derVerwaltungsrat
des Bieler Maschinenherstellers und An-
lagenbauers Mikron mitgeteilt, der GV
einen massiven Einschnitt bei der Divi-
dendenzahlung vorzuschlagen. Geplant


war bisher wie imVorjahr eine Gewinn-
ausschüttung von 3,3 Mio. Fr., nun soll es
noch 1 Mio. Fr. sein.
Aufhorchen liess am Montag auch der
Hörgerätehersteller Sonova aus Stäfa.
SeineFührung kündigte an, das Aktien-
rückkaufprogramm imVolumen von
maximal 1,5 Mrd.Fr. zu stoppen. Bisher
hattedasUnternehmenmitdemimOkto-
ber 2018 gestarteten Programm 4,24%
der Aktien im Umfang von 572 Mio. Fr.
zurückgekauft.Für Anleger sind auch
dies keine guten Nachrichten. Bei einem
Aktienrückkauf erwirbt ein Unterneh-
menWertpapiere von seinenAktionären.
Da dann weniger davon auf dem Markt
sind,wird das Angebot verknappt. Dies
wiederum hat oftmals steigendeKurse
zur Folge.
Angesichts des zu erwartendenAus-
masses der Coronavirus-Krise sind die
Unternehmen aber zum Handeln ge-
zwungen. «Die Gewinne werden in vie-
lenBranchenstarksinken»,sagteinBank-
analytiker. Wenn dasJahr 2020 so weiter-
gehe, dürfte es «nur sorappeln», was die
Kürzungen undStreichungen von Divi-
dendenzahlungen anbelange.

«Es geht ums Überleben»


AuchThomas Härter,derAnlagechef des
Vermögensverwaltungs-Unternehmens
Aquila, geht davon aus, dass Unterneh-
men aus Branchen, die von der Corona-

virus-Krise besonders betroffen sind,
kaum Dividenden zahlen oder diese
kürzen dürften. Als Beispiele nennt er
Fluggesellschaften, Tourismusfirmen
oder Hotelkonzerne. «Bei vielen dieser
Unternehmen geht es jetzt ums Überle-

ben», sagt er. Sie dürften in einem ersten
SchrittInvestitionenundAktienrückkauf-
prog rammezusammenstreichen.DieKür-
zung von Dividendenzahlungen sei heik-
ler. «Das ist immer ein sehr schlechtes
Signal, das vom Markt oft nicht goutiert

wird.»Viele Unternehmen dürften aber
nicht darum herumkommen.
Mit der Krise dürfte dasThema Liqui-
ditätfürvieleFirmenzumGrundproblem
werden.Wenn Banken helfen, dürften sie
zusätzlichdaraufdrängen,dassdiebetrof-
fenen Unternehmen in einer solchen Si-
tuationkein Geld für Dividendenzahlun-
genverwenden.Schliesslichkämeesdabei
zu Liquiditätsabflüssen, die in einer solch
ernstenLage kaum zurechtfertigen sind.
Was bedeutet die Entwicklung fürAn-
legerundSparer?SinkendieAktienkurse,
und kürzen Unternehmen ihre Ausschüt-
tungen vorerst nicht, so steigen die Divi-
dendenrenditen. Letztere bilden dasVer-
hältnis des Aktienkurses zurAusschüt-
tung ab. Sollten Sparer und Anleger bei
solchen Aktien nicht schleunigst einstei-
gen? Zweistellige Dividendenrenditen
seien oft ein schlechtes Zeichen, sagt der
Bankanalytiker. Anleger sollten sich da-
von nicht täuschen lassen.Für Investoren
ist der Kauf einer Aktie aufgrund schö-
ner Dividendenzahlungen im Allgemei-
nen nur dann sinnvoll,wenn sich auch der
Aktienkurs des entsprechenden Unter-
nehmens ordentlich entwickelt. Sonst ist
die Dividendenrendite schnell verpufft.
Anleger sollten aufKonzernesetzen, die
überJahre hinweg undkontinuierlich
hohe Dividenden zahlen – nicht aufFir-
men, deren Aktienkurs eingebrochen ist
und die deshalb eine hohe Dividenden-
rendite vorweisen.

Unklarheiten zu Generalversammlungen


feb.·NachderCovid-19-Verordnung2des
Bundesrats zur Corona-Pandemiekön-
nenAktionäre vorläufig bis zum19. April
nichtvorOrtandenGeneralversammlun-
gen (GV) von Unternehmen teilnehmen.
Der Basler PharmakonzernRoche hatte
zu seiner GV am Dienstag angekündigt,
Aktionärinnen undAktionäre sollten der
Generalversammlung fernbleiben.Wer
sich physisch zur GV begebe, könne die
Stimmen an die Stimmrechtsvertreterin
abgeben, werde aber nicht zu denVeran-
staltungssälen zugelassen. Auch derAuf-
zugs-undFahrtreppenherstellerSchindler
teiltezurGVam19. Märzmit,Aktionärin-
nen undAktionärekönnten nicht vor Ort
teilnehmenundsolltendenunabhängigen
Stimmrechtsvertreter instruieren.
Durch dieFormulierung des entspre-
chenden Artikels in der Bundesrats-Ver-
ordnungsindaberneueUnklarheitenent-
standen. Sogilt diese zunächst bis zum


  1. April. GV, die bis zu diesemDatum
    stattfinden, sind sicher ohne Publikum


möglich. Doch was gilt danach?Laut
Lukas Glanzmann,Partner bei der An-
waltskanzleiBaker McKenzie undTitu-
larprofessor an der Universität St.Gallen,
stellen sich wegen der Befristung derVer-
ordnungsbestimmungen Abgrenzungs-
fragenzuGV,dienachdem19.Aprilstatt-
finden sollen. Ihm zufolge müssen aber
dieRegelungenderVerord nungaufgrund
des Zwecks derRegelung auch für GV, zu
denen vor dem19. Apri l eingeladen wird
und die mit der üblichen Einladungsfrist
bis ca. Ende Mai stattfinden, gültig sein.
Alles andere bedeuteteRechtsunsicher-
heit und würde den Planungsaufwand er-
heblich erhöhen. So müssten die Unter-
nehmen eine «duale Strategie» fahren:
Zur GV werde wie geplant eingeladen,
mit der Empfehlung, nicht persönlich
teilzunehmen. Zudem müsste derVer-
waltungsrat den Beschluss fassen und die
Aktionäre informieren, dass für denFall
einerVerlängerungder Verord nungdie
GV ohne Publikum abgehalten werde.

Bärenmärkte bieten Chancen für Anleger


Trotz der grossen Verunsicherung sol ltenInvestorendie Flinte nicht ins Korn werfen– das Gegenteil wäre sinnvoller


MICHAEL SCHÄFER


Vor wenigenWochen galten die Aktien-
märkte alsreif für eineKorrektur. Nach
den fulminantenKursgewinnen im ver-
gangenenJahr und dem positiven Start
ins 2020 waren die Dividendentitel den
Gewinnerwartungenenteilt.Nichtwenige
Anleger hatten die Hoffnung gehegt,
durch eine solcheKorrektur etwas güns-
tiger an diePapiere zu gelangen, die sich
seit März2009ineinemanscheinendnicht
mehrenden wollenden Bullenmarkt be-
fanden. Mit dem Coronavirus verän-
derte sich dieAusgangslage jedoch,Mitte
FebruarhatandenBörseneinedrastische
Talfahrt eingesetzt.


Elfj ähriger Bullenmarkt vorbei


Der Kurseinbruch hat den Bullenmarkt
beendet,dieBörsenbefindensichoffiziell
in einemBärenmarkt.Gemäss einer weit-
verbreiteten Definition ist das derFall,
wenn die Notierungen um über 20% seit
ihremletztenHochpunktfallen.DerS&P-
500-Index, der dieValoren der grössten
US-Unternehmenenthält ,hatvonseinem
Höchststandvom19. Februarbiszumver-
gangenen Montag rund 27% eingebüsst,
womit er die Bedingung locker erfüllt.
Während manche Experten warnend
meinen,dassdenMärktendasSchlimmste
nochbevorstehe ,gehenandere davonaus,
dassdieKurseaufdemtieferenNiveaube-
reits ein Horrorszenario vorwegnehmen.
Da niemand die berühmte Kristallkugel
besitzt, die einem verrät, ob und wie weit
es an den Börsen noch nach unten gehen
wird,mag eshilfreich sein, auf frühere
Bärenmärkte zu blicken.
FürvieleInvestorendürfteschonallein
die Hä ufigkeit vonBärenmärkten über-
raschend sein.Für den S&P 500, für den
längere Zeitreihen zurVerfügung stehen
als für die meisten anderen wichtigen
Barometer,lassen sich seit1929 immerhin
25 solche Episoden identifizieren. Al lein
in der Phase zwischen dem Börsencrash


im Oktober1929 und dem Erreichen des
absolutenTiefpunkts AnfangJuni 1932,
der ein Minus von 86% bedeutete, lage n
fünfBärenmärkte.Dazwischenhattensich
die Kurse viermal um mehr als 20% er-
holt,was wiederum die Definition eines
Bullenmarkts erfüllt.
Früher mussten Anleger häufiger mit
Bärenmärktenleben.Alleinzwischen 1929
und 1949 kam es zu14 solchen Episoden,
in den folgenden über 70Jahren dagegen
nur zu 11. Allerdings ist die Definition
einerVerlustschwellevon 20%willkür-
lich. In derVergangenheit kam es immer
wieder zu Situationen, in denen diese
Marke nur hauchdünn verfehlt wurde.
Beispielsweise Ende 2018 verlor der S&P
500 aufBasis der täglichen Schlusskurse
19,8%,aufBasis der laufenden Notierun-
genhatteerdieSchwellesogarüberschrit-

ten.Ebenfalls knapp schrammte der S&P
500etwaimOktober1990oderimAugust
1998 an einemBärenmarkt vorbei.
Typischerweise laufenBärenmärkte in
drei Phasen ab:Auf Panikverkäufe folgen
ersteinmalGegenbewegungen,diejedoch
noch nicht das Ende derTalfahrt bedeu-
ten. Dieseaus Sicht der Anleger trüge-
rischen Hoffnungsschimmer werden als
«dead cat bounce», als Hüpfer einer toten
Katze, beze ichnet. Erst ein nochmaliger
Test derTiefststände, der oft mit einer
Kapitulation der Investoren einhergeht,
beendet denKursrutsch.

Kurz e und heftige Baisse


Meist beginnen die Notierungen zu
einem Zeitpunkt nachhaltig zu stei-
gen, zu dem die Nachrichtenlage noch

lange nicht insPositiveged reht hat.
Das gilt auch fürBärenmärkte, die
mit einerRezession zusammenfallen.
Häufig tauchen die Märkte bereits im
Vorfeld einer drohendenRezession,
wie es auch derzeit zu beobachten ist.
Kommt es dann zu einer solchen, setzt
sich derKursrückgang meist noch eine
Weile fort. Noch bevor diekonjunktu-
relle Schwäche überwunden ist, begin-
nen dieKurse jedoch zu steigen. In ei-
nigenFällen lagen die Notierungen am
Ende einerRezession sogar höher als
zu deren Beginn.
Gemein ist denBärenmärkten, dass
sie deutlich schneller und heftiger ver-
laufen als Hausseperioden. Der durch-
schnittlicheBärenmarkt dauert zehn
Monate, in denen die Börse etwarund
einen Drittel ihresWerts verliert. Wie
lange die gegenwärtigeBaisse anhal-
ten wird,steht zwar in den Sternen.Fest
steht dagegen, dass der Zeitraum vom
«Allzeithoch» bis zumBärenterrito-
rium mit gut dreiWochen extrem kurz
war. Noch schneller ging es lediglich im
Oktober1929, als die Märkte an vier
Handelstagen gut 23% verloren.
Genauso wichtig wie das mögliche
Ausmass derVerluste ist es für An-
leger, zu wissen,wie lange es dauert,bis
di ese wieder ausgebügelt sind. Berech-
net wird diese sogenannte «time under
water» für den denkbar ungünstigsten
Fall, in demein Investor zum Hoch-
punkt eingestiegen ist. Hiervariieren
die Werte sehr stark. Wer beispiels-
weise im Oktober 2007 zumRekord-
stand vor derFinanzkrise von 2008 in
den S&P 500 investierte, musste nicht
nur einenVerlust von über 50% er-
tragen, sondernauch rund fünfeinhalb
Jahre warten, bis sein Einstandskurs
wieder erreicht war.
Bis das Hoch vomAugust 1981 nach
einemVerlust von 23,5% wieder er-
klommen war, vergingen lediglich 14
Monate. Volle 25Jahre dauerte es da-
gegen ab dem Hoch vom 6. Septem-

ber 1929. Nimmt man nur die vergan-
genen zehn US-Bärenmärkte seit 1956
als Basis, verstrichen im Schnitt dreiein-
halb Jahre bis zum«Wiedersehen» mit
den einstigen Höchstkursen, im längs-
ten Fall dauerte es aber immerhingut
si ebeneinhalbJahre.
Zum Glückkommt es kaumvor,
dass jemand all sein Geld zu einem
Höchststand investiert, ab dem sich die
Kurse in Richtung einesBärenmarktes
aufmachen.Andererseits wird es auch
kaum jemandem gelingen, am tiefs-
ten Punkt in den Markt einzusteigen.
Immerhin haben die Märkte von diesen
Talsohlen gerechnet im Schnitt wieder
um 90% zugelegt.

Warten auf den Impfstoff

Was passiert, wenn man immer dann
einsteigt, wenn dieKurse um 20% von
einem Hoch abgestürzt sind? Diese
Tage sind wohlbekannt, denn an die-
sen wird jeweils der Beginn eines neuen
Bärenmarkts ausgerufen. Natürlich
lassen sich dadurch auch dieTraum-
renditen nicht erreichen, die man ab
den absolutenTiefpunkten verdienen
kann. Man muss zudem bis zum nächs-
ten Hochpunkt länger warten, weil
man schon früherinv estiert hat. Aller-
dingsreduzierte sich so die Zeit, in der
man unterWasser war, in den vergan-
genen zehnBärenmärkten im Mittel
auf knapp einJahr. Selbst in der längs-
ten dieser Episoden, nach dem Platzen
der Dotcom-Blase Anfang der 2000er
Jahre, dauerte es w eniger als vierJahre,
bis dasTal durchschritten war.
Zwar steht heute anders als 2008
laut denAufsichtsbehörden dieFinanz-
stabilität nichtauf dem Spiel,dafür lässt
sich nicht absehen, wann ein wirkungs-
volles Medikament oder einImpfstoff
gegen das Coronavirus zurVerfügung
stehen werden.Früher oder später wer-
den sich die Börsen aber auch von die-
sem Bärenmarkt erholen.

Euro/Fr.
1,0575-0.03%

Dollar/Fr.
0,96141.49%

Gold($/oz.)
1525,502.67%

SMI
8493,043.23%

DAX
8939,102.25%

DowJones
21237,385.20%
Stand 22.1

Erdöl(Brent) 2Uhr
28,78-3.55%
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