Die Welt - 18.03.2020

(Jeff_L) #1
der haben aber ebenso wie Österreich
bereits viel drastischere Maßnahmen
als Deutschland eingeführt. Hierzulan-
de läuft der öffentliche Nahverkehr fast
immer noch reibungslos, und Bayerns
Innenminister Joachim Hermann
(CSU) sagte kürzlich: „Wir wollen, dass
alle Menschen weiter ihrem Beruf nach-
gehen.“
AAAber ausgerechnet bei einer Maßnah-ber ausgerechnet bei einer Maßnah-
me gehörte Deutschland innerhalb der
EU zu den Vorreitern: Ab Montagmor-
gen gab es sehr kurzfristig angekündig-
te Grenzkontrollen von Deutschland
nach Frankreich, Österreich, Däne-
mark, Luxemburg und der Schweiz. Der
fffranzösische Präsident Emmanuel Ma-ranzösische Präsident Emmanuel Ma-
cron verurteilte die „einseitig getroffe-
nen, unabgesprochenen Grenzmaßnah-
men“ der Deutschen umgehend.
Man habe im „Geiste der Leitlinien“
der EU-Kommission gehandelt, hieß es
aus der Bundesregierung in Berlin – ob-
wohl es diese Leitlinien am Sonntag-
aaabend bei der Verkündigung der Maß-bend bei der Verkündigung der Maß-
nahme durch Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) noch gar nicht
gab. Man wolle schnellstens die Infekti-
onsketten zu Corona-Risikogebieten
unterbrechen, sagte Seehofer.
Dabei ist die Europäische Kommissi-
on skeptisch, ob solche Grenzkontrol-
len durch mittlerweile acht Regierun-
gen im eigentlich grenzfreien Schen-
gen-Raum Wirkung zeigen. „Warum
soll das jetzt noch helfen?“, fragt der
Grünen-Europaabgeordnete Sven Gie-
gold. „Warum soll eine Reise von Mün-
chen nach Köln gefährlicher sein als ei-
ne Reise von München nach Brüssel?“

E


in Gespräch mit einem ho-
hen Beamten der Europäi-
schen Union (EU) Anfang
dieser Woche. Der Beamte
ist direkt eingebunden in
das Corona-Krisenmanagement der Eu-
ropäischen Kommission. Er sagt: „Was
uns auffällt, ist, dass Deutschland bei
den Maßnahmen zur Eindämmung der
Epidemie vielen anderen EU-Staaten
hinterherläuft. Was diese tun, macht
Deutschland Tage später dann auch.“

VON CHRISTOPH B. SCHILTZ
AUS BRÜSSEL

Der Beamte will das nicht bewerten,
er ist vorsichtig. Er fügt nur hinzu:
„Aber Deutschland hat ja auch viel
mehr Intensiv- und Beatmungsplätze
pro Kopf als die meisten anderen Län-
der.“ Sein Tonfall verändert dabei die
Melodie, er klingt in diesem Moment ir-
gendwie sarkastisch. Es klingt so, als ob
der verantwortliche EU-Beamte sagen
wollte: Deutschland glaubt offenbar,
sich vorläufige Zurückhaltung bei ein-
schneidenden Maßnahmen erlauben zu
können. Dann sagt der Beamte noch:
„Es ist nur noch eine Frage von Tagen,
bis die Ausgangssperre auch endlich in
Deutschland kommt.“ Eine Forderung
an Berlin oder einen Appell in Richtung
Bundesregierung will er nicht formulie-
ren – aber der Mann hatte eigentlich
schon alles gesagt. Was könnte der Be-
amte auch ändern?
Die Gesetzeslage ist eindeutig: Brüs-
sel kann in der Corona-Krise nicht an-
ordnen, was die einzelnen EU-Länder

wann und wie machen sollen. Die EU-
Kommission hat lediglich eine koordi-
nierende Funktion. EU-Kommissions-
chefin Ursula von der Leyen hat Fi-
nanzhilfen in Höhe von 37 Milliarden
Euro angekündigt und „Leitlinien“ für
den Grenzverkehr und den Schutz der
EU-Außengrenze vorgelegt. Sie appel-
lierte, dass sich alle Länder beim Aus-
tausch von Schutzkleidung und Medi-
kamenten unterstützen sollen. Letzt-
lich entscheiden aber die Regierungen.
VVVon der Leyen telefoniert in diesenon der Leyen telefoniert in diesen
Tagen nahezu pausenlos von ihrem Eck-
zimmer aus im 13. Stock des Berlay-
mont-Gebäudes in Brüssel bis tief in die
Nacht mit den Regierungschefs der
Mitgliedstaaten. Viel mehr kann sie
nicht tun. Am Ende entscheidet jedes
Land im Wesentlichen allein, was gegen
die Ausbreitung des Coronavirus unter-
nommen wird – auch Deutschland. Die
Grünen-Europaexpertin Franziska
Brantner sieht es so: „Die Nationalstaa-
ten haben erst einmal Angst, und sie
versuchen, etwas allein zu machen, ob-
wohl sie wissen, dass die nationale Bril-
le ziemlich ansteckend ist.“
Davor hat auch Marijke aus Tervuren,
einem idyllischen Dorf am Rande von
Brüssel, Angst. Die Controllerin ist
Mutter von drei Kindern. Seit vergange-
ner Woche arbeitet sie nur noch von zu
Hause aus. Die Mittvierzigerin hat am
WWWochenende im Fernsehen Bilder ausochenende im Fernsehen Bilder aus
Deutschland gesehen. Lachende Besu-
cher saßen dicht an dicht in den Cafés.
In einem Zoo irgendwo in Deutschland
herrschte Hochbetrieb. An der Nordsee
ffflanierten die Menschen auf Promena-lanierten die Menschen auf Promena-

den und saßen bei Sonnenschein auch
dort dicht beieinander an Cafétischen.
„Gibt es bei euch das Coronavirus
nicht?“, fragt Marijke. „Was macht
Deutschland? Die Deutschen kommen
ohne Grenzkontrollen nach Belgien
und schleppen das Virus möglicherwei-
se ein.“ Sie ist ein wenig wütend. In Bel-
gien steht das öffentliche Leben seit Ta-
gen weitgehend still, die Restaurants
sind seit dem Wochenende komplett
geschlossen, die Straßen sind fast leer.
Jetzt wird eine sehr weit gehende Aus-
gangssperre erwogen.
Der Epidemiologe Professor Marius
Gilbert von der Freien Universität
Brüssel wies gestern auf die „große
Schwierigkeit“ hin, dass man den Effekt
der ergriffenen Maßnahmen auf die
Krankenversorgung nicht abwarten
könne, bevor man über eine mögliche
nächste Stufe entscheide. Im Klartext:
Die Politik muss mit ihren Krisenkon-
zepten eigentlich dem Durchseu-
chungsgrad der Bevölkerung immer ei-
nen Schritt voraus sein, um eine Über-
lastung des Gesundheitssystems zu ver-
hindern.
Am Dienstagmorgen sagte der Präsi-
dent des Robert-Koch-Instituts (RKI)
in Berlin, Lothar Wieler: „Es sind stär-
kere Maßnahmen notwendig, um die
VVVerbreitung des Virus zu verlangsa-erbreitung des Virus zu verlangsa-
men.“ In diesem Augenblick verzeich-
nete Deutschland offiziell 6012 Corona-
Fälle. In 2,9 Tagen dürften es laut Ex-
perten doppelt so viele sein.
In Frankreich liegt der Zeitraum für
eine Verdoppelung derzeit bei 3,3 Ta-
gen, in Italien bei 4,3 Tagen. Beide Län-

Europas


WUT


auf


Deutschland


Die Staats- und Regierungschefs


der Europäischen Union wollten


sich in einer Videokonferenz


abstimmen. In Brüssel wundert


man sich schon lange, warum


Berlin immer erst Maßnahmen


ergreift, wenn die anderen das


längst getan haben. Vor allem ein


Schritt stößt auf scharfe Kritik


Geschützt mit Atemmaske in Brüssel: Die EU kann in der Corona-Krise nicht anordnen, was die einzelnen Länder machen sollen


AP

/ OLIVIER MATTHYS

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18.03.20 Mittwoch,18.März2020DWBE-HP


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8 POLITIK *DIE WELT MITTWOCH,18.MÄRZ


B


undeskanzlerin Angela Merkel
(CDU) hat mit den Staats- und
Regierungschefs der Türkei,
Frankreichs und Großbritanniens per
Video zum Bürgerkrieg in Syrien bera-
ten. Bei dem Gespräch sei es unter an-
derem um die humanitäre Lage in der
umkämpften Rebellenhochburg Idlib
gegangen, schrieb der türkische Präsi-
dent Recep Tayyip Erdogan am Diens-
tag auf Twitter. Die Besprechung zwi-
schen Merkel, Erdogan, dem französi-
schen Präsidenten Emmanuel Macron
und dem britischen Premierminister
Boris Johnson sollte eigentlich in Istan-
bul stattfinden. Wegen der Corona-Kri-
se wurde sie dann jedoch in eine Video-
konferenz umgewandelt.
Erdogan zufolge ging es auch um das
Thema Flüchtlinge, Details nannte er

nicht. Zudem habe man über den Kampf
gegen das Coronavirus und die europä-
isch-türkischen Beziehungen gespro-
chen. Erdogan hatte sich vergangene
Woche bereits in Brüssel mit EU-Kom-
missionschefin Ursula von der Leyen
und EU-Ratschef Charles Michel getrof-
fen. Anlass war seine Entscheidung,
Migranten nicht mehr von der Einreise
in die EU abzuhalten. Daraufhin kamen
Tausende Menschen an die Grenze zu
Griechenland, wo noch immer viele
ausharren. Griechenland drängt die
Migranten immer wieder mit dem Ein-
satz von Tränengas zurück. Die Türkei
wirft der griechischen Seite zudem vor,
mindestens zwei Migranten erschossen
zu haben.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock
hatte vor der Videoschalte eine „sehr

deutliche Ansage von Seiten der Bun-
deskanzlerin und dem französischen
Präsidenten“ gefordert. Man müsse
deutlich machen, „dass die Türkei ihre
Grenzen kontrollieren muss, aufhören
muss, Geflüchtete zur Spielmasse zu
machen“, sagte Baerbock. Europa müs-
se sehr klare Zusagen für die Finanzie-
rung von Geflüchteten in der Türkei
machen.
Die Türkei hat mehr als 3,6 Millionen
Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.
Der Flüchtlingspakt von EU und Türkei
von 2016 sieht vor, dass Ankara gegen il-
legale Migration vorgeht. Im Gegenzug
soll die EU die Versorgung von Flücht-
lingen in der Türkei mit sechs Milliar-
den Euro finanzieren. Der EU-Kommis-
sion zufolge sind bislang 4,7 Milliarden
vertraglich vergeben und 3,2 Milliarden

ausbezahlt. Idlib ist das letzte große Ge-
biet mit islamistischen Rebellen. Das
Nato-Land Türkei hilft in Idlib Rebel-
lengruppen, während Russland und der
Iran die syrische Regierung unter Präsi-
dent Baschar al-Assad unterstützen. In-
zwischen haben Moskau und Ankara ei-
ne Waffenruhe vereinbart, die sie seit
Sonntag gemeinsam überwachen.
Der Beginn des Syrien-Kriegs hatte
sich am Wochenende zum 9. Mal ge-
jährt. Deutschland, Frankreich, die USA
und Großbritannien hatten aus diesem
Anlass von der syrischen Regierung ein
Ende der Kämpfe in Idlib und eine lan-
desweite Waffenruhe verlangt.
Auf der ganzen Welt ist die humanitä-
re Hilfe für Millionen Menschen durch
die Ausbreitung des Coronavirus laut
der Vereinten Nationen bedroht. „Mehr

als 100 Millionen Menschen verlassen
sich auf die Hilfe der humanitären UN-
Organisationen“, sagte der Sprecher
des UN-Nothilfebüros, Jens Laerke. Die
Organisationen arbeiteten mit Hoch-
druck an Plänen, wie deren Versorgung
in der Krise sichergestellt werden kön-
ne. Dazu gehöre, medizinisches Materi-
al in Länder zu bringen, die durch Na-
turkatastrophen, Konflikte oder Klima-
wandel in besonders prekärer Lage sei-
en, sagte Laerke. „Die Situation wird
stündlich schwieriger.“ Besonders be-
sorgt ist die Weltgesundheitsorganisati-
on über die Lage von mehr als 950.
Vertriebenen in der Region Idlib. Viele
Menschen lebten dort in sehr beengten
Verhältnissen und seien ohnehin ge-
sundheitlich angeschlagen. Die Gesund-
heitsversorgung sei eingeschränkt. dpa

DIE SITUATION


WIRD STÜNDLICH


SCHWIERIGER


JENS LAERKE,


Sprecher des UN-Nothilfebüros


,,


Merkel, Macron und Johnson beraten mit Erdogan zu Syrien


Gespräch über humanitäre Lage in Idlib. Grünen-Chefin forderte zuvor „sehr deutliche Ansage von Seiten der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten“


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