Süddeutsche Zeitung - 18.03.2020

(Elliott) #1
von laura weissmüller

E


inziehen möchte man, sofort. Zumin-
dest wenn man das Gefühl hat, für et-
was Größeres bestimmt zu sein. Hol-
lywood-Schauspieler zum Beispiel. Denn
so, wie man sich deren Leben vorstellt, wir-
ken die Aufnahmen, die Julius Shulman
von den Häusern Richard Neutras geschos-
sen hat: Gewaltig große Fensterbänder
lassen den Himmel einziehen. Schlanke Li-
nien im rechten Winkel schaffen den mini-
malistisch-coolen Rahmen. Und getaucht
ist das Ganze in ein schier magisches Licht,
das die Häuser von innen leuchten lässt.
Dass man beim Anblick auch gleich die
Eiswürfel im Cocktailglas klirren zu hören
meint, dafür sorgen die Menschen, die auf
den Bildern oft glamourös herumstehen
oder – wenn es Frauen sind – dekorativ auf
Sesseln oder Liegen arrangiert werden.

„Shulmans Fotografien haben Neutras
Werk in eine schwarz-weiße Moderne ein-
gesperrt“, sagt Andreas Nierhaus über die
Aufnahmen aus den Fünfziger- und Sechzi-
gerjahren. Der Architekturhistoriker hat
zusammen mit dem Fotografen David
Schreyer eine Ausstellung im Wien-Muse-
um über Neutras kalifornische Wohnhäu-
ser kuratiert. Die Schau basiert auf dem ful-
minanten Buch „Los Angeles Modernism
Revisited“ der beiden. Fulminant deswe-
gen, weil sie damit endlich die Häuser der
kalifornischen Moderne aus dem Knast
der Coffee-Table-Books befreien.
Denn so atemberaubend schön Shul-
mans Aufnahmen sind – viele davon Iko-
nen der Architekturgeschichte –, so sehr
folgen sie ihrer eigenen Erzählung. Das
fängt mit den Menschen an: Jeder darauf
ist weiß, glücklich und jung. Und hört da-
mit auf, was Shulman alles ausgeblendet
hat: „Von den tiefen Gräben im sozialen
Gefüge der Stadt ist in seinen Aufnahmen
nichts zu spüren“, schreiben Nierhaus und
Schreyer. Zum Beispiel von den Rassenun-
ruhen von Los Angeles, bei denen 1965 im
Stadtteil Watts Dutzende getötet wurden,
oder der diskriminierenden Boden- und
Baupolitik der Stadt, die auch Neutras Bau-
ten verdeutlichen: Ethnografische Karten
weisen die Standorte seiner Häuser als
rein weißes Gebiet aus.
Die Martini-Moderne, wie diese Epoche
auch genannt wird, wird auf Shulmans Fo-
tografien also zum Privileg einer winzigen
Elite und nicht, wie ursprünglich erhofft,
zum Modell für ein modernes Wohnen, das
sich jeder leisten kann. Weshalb der
Schriftsteller Kevin Vennemann im Jahr
2012 auch zu dem vernichtenden Urteil
kam: „Diese Architektur hätte wirklich
Erfolg haben können. Wenn Shulman
nicht gewesen wäre.“
Statt sich von diesen Worten entmuti-
gen zu lassen, haben Nierhaus und Schrey-
er 2017 lieber eine Reise gemacht. „In Euro-
pa gilt Neutra nach wie vor als Architekt
unerschwinglicher Wohnhäuser – wir woll-
ten ihn dagegen so zeigen, wie ihn sein
Sohn Raymond im Gespräch mit uns be-
schrieb: als jemanden, der die Aufträge für
große Villen annahm, um wirtschaftlich
überleben zu können.“
Der Architekturhistoriker und der Foto-
graf besichtigten die Häuser in Los Ange-
les und baten die heutigen Bewohner „in-
ständig“, nicht aufzuräumen. Sie wollten
die Architektur in ihrem Alltag aufneh-
men. Mit dem spielenden Hund im offe-
nen, aber vollgestellten Wohnzimmer, den
schmächtigen Grünpflanzen im Winter
garten und den bunten Kissen und Woll-
decken auf der Terrasse.
Nierhaus und Schreyer ging es darum
zu verstehen, was von Neutras Architektur
und der seiner Zeitgenossen noch aktuell
ist. Ohne die Spannung vorweg zu neh-
men: Es ist erstaunlich viel. Für heutige
Verhältnisse sind diese Häuser in den Hü-
geln von Hollywood klein, geradezu win-
zig. Viele sind weniger als 100 Quadratme-
ter groß. Trotzdem wirken sie durch ihre
Offenheit, die fließenden Grundrisse und
den Dialog mit ihrer heute fast urwaldarti-
gen Umgebung großzügig. „Man braucht
nicht Hunderte von Quadratmetern, um
gut zu wohnen“, so Nierhaus.
Und auch keine Klimaanlage. Ursprüng-
lich hatte keines der Häuser eine, viele Be-
wohner verzichten bis heute darauf. „Für
uns verkörpern gerade diese sparsamen
und unkomplizierten Häuser das große
Versprechen der kalifornischen Moderne


  • ist in ihnen doch ein für möglichst viele
    Menschen erreichbares ,Neues Wohnen‘
    formuliert, das ganz im Gegensatz steht zu
    jenen aufgeregten und aufgeblähten Paläs-
    ten, die als unerreichbare Sehnsuchtsorte
    zwar der populären Vorstellung von der
    ,Traumfabrik‘ Hollywood entsprechen mö-
    gen, aber eben deshalb mit dem ,wirkli-
    chen‘ Leben der meisten Menschen nicht
    das Geringste gemeinsam haben.“


Nierhaus und Schreyer haben Neutra
damit tatsächlich „demokratisiert“, – und
sie haben ihn nach Wien zurückgeholt.
Schließlich handelt es sich um die erste
Ausstellung seit 40 Jahren. Anders als sein
Zeitgenosse Rudolph Schindler, mit dem
Neutra anfangs in den USA zusammenge-
arbeitet hat und der mit seiner expressiven
Architektur früh zum Liebling der österrei-
chischen Architektur aufstieg, galt Neu-
tras Moderne vielen wohl als zu nüchtern,
zu kühl und technisch.

Dabei zeigt sich gerade in seinen Bau-
ten, wie man mit standardisierten Fertig-
teilen individuelle Architekturkunststü-
cke schaffen kann – und zwar zu einem
Preis, den sich damals wirklich viele leis-
ten konnten. Beim Oyler Haus am Fuß der
Sierra Nevada etwa war das Budget so
knapp, dass der Bauherr die Holzbretter
selbst zusammenschnitt und auch beim
Bau Hand anlegte. Herausgekommen ist
trotzdem die Blaupause für ein modernes
Wohnen in der Natur, schlank gefasst in

einen Stahlrahmen, mutig geöffnet, ob-
wohl draußen eine zerklüftete Felsland-
schaft ihre Kraft zur Schau stellt.
Neutras Begeisterung für Technolo-
gien, aber auch sein Interesse an der Frage,
welche Räume das neue Leben erfordert,
hat viel mit seiner Geburtsstadt Wien zu
tun. Ausstellung und Buch machen wie ne-
benbei klar, wer da vor allem die Moderne
nach Amerika gebracht hat: Exilarchitek-
ten wie Schindler und Neutra (und später
Walter Gropius und Mies van der Rohe).
Neutra hatte sich in Wien dafür zwei Vor-
bilder gewählt. Das war einmal Otto Wag-
ner, für Neutra „Herkules, Achilles und
Buffalo Bill in einer Person“. Der Architekt,
der das moderne Leben zum Ausgangs-
punkt aller Gestaltung machen wollte, lie-
ferte Neutra schon als Kind seinen Berufs-
wunsch: Bei einer Fahrt mit Wagners neu
eröffneter Wiener Stadtbahn fasste Neutra
den Entschluss, Architekt zu werden. Sein
zweiter Säulenheiliger, Adolf Loos, infi-
zierte ihn mit seiner Begeisterung für die
USA. Deren Überlegenheit machte Loos
vor allem an der Qualität amerikanischer
Sanitäranlagen fest. Für Neutra, der den
Katalog von Fertigbauteilen „seine Bibel“
nennen sollte und Sohn eines Gießereibe-
sitzers war, ein überzeugendes Argument.

Im Wien der Zeit vor dem Ersten Welt-
krieg kam Neutra aber auch mit vielen
Denkrichtungen in Verbindung, deren Ein-
fluss man, geblendet vom Glamour der
Häuser, bislang oft übersehen hat. Er war
mit Sigmund Freuds Sohn befreundet und
interessierte sich für Psychologie. Sein
Schwager, ein Kunsthistoriker, versorgte
ihn mit den neuesten Schriften zur Kunst.
Und durch den Wiener Philosophen und
Psychologen Wilhelm Wundt fand Neutra
zu seiner Vorstellung einer „biorealisti-
schen“ Architektur. Sie sollte im Einklang
mit den Bedürfnissen der menschlichen
Natur stehen und damit Krankheiten
vorbeugen können. Der Technikfreak war
Humanist.
Und noch zwei Dinge nahm Richard Neu-
tra aus Wien mit, bevor er 1923 in die USA
emigrierte. Seine tiefe Abneigung gegen-
über zu viel Dekor, dunklen schweren Mö-
beln, kurz: dem Bombast der Gründerzeit.
Seine lichten Häuser in den USA mit ih-
rer maximalen Öffnung nach draußen und
ihrer sparsamen funktionalen Einrichtung


  • gerne in Form von schlanken Einbau-
    möbeln – wirken wie der späte Befreiungs-
    schlag gegen den Überfluss der Vergangen-
    heit. „Das Haus erlaubt es nicht, Gerümpel
    anzusammeln“, erzählen heutige Bewoh-


ner und beichten, sie hätten zusätzlichen
Lagerraum angemietet.
Die Kompaktheit der Bauten ist heute
ihre größte Gefahr. In den Hügeln von
Hollywood ist ein Haus ohne Mastersuite –
Schlafzimmer mit Bad und Ankleidezim-
mer – kaum vorstellbar. Immer wieder
werden deswegen Häuser des Architekten
und seiner Zeitgenossen abgerissen. Sie
sind zu klein angesichts der horrend teu-
ren Grundstücke, auf denen sie stehen.

Neutra verdankte seiner Heimatstadt
aber auch sein Interesse am Siedlungsbau.
Doch während in Wien Genossenschafts-
viertel entstanden, die bis heute visionär
sind, fiel in den USA „jede Art von gemein-
schaftlichen Bauen unter Kommunis-
musverdacht“, so Nierhaus. Das Ideal des
Einfamilienhauses wurde propagiert. Die
wenigen Siedlungen, die der Architekt
bauen konnte, sind längst abgerissen.
Die Enttäuschung darüber, keine Archi-
tektur mit sozialen Aufgaben bauen zu kön-
nen, muss groß gewesen sein. Allerdings
wurde Neutra in den USA dennoch hochge-
schätzt. Eines seiner ersten Häuser, das Lo-
vell Health House, das er 1928 zusammen
mit Schindler als Stahlskelettkonstruktion
baute, wurde als erstes Beispiel des Inter-
national Style gefeiert und machte ihn welt-
berühmt. 1949 hobTimeihn als einen der
wenigen Architekten aufs Cover und cha-
rakterisierte ihn als „grauhaariges eulen-
gesichtiges Energiebündel von einem
Mann, der seit seinem achten Lebensjahr
nie an seiner Berufung gezweifelt hat“.
Trotzdem kehrte Neutra in den Sechziger-
jahren nach Wien zurück. Verankert in der
Stadt, „wie ein Wandervogel, der auch
nach 10000 Kilometern“ wieder zurück-
finde. Einmal Wiener, immer Wiener.

Richard Neutra. Wohnhäuser für Kalifornien.
Wien Museum, bis 20. September. Bis 5. April ist
das Museum geschlossen. http://www.wienmuseum.at.
David Schreyer, Andreas Nierhaus: Los Angeles Mo-
dernism Revisited. Häuser von Neutra, Schindler,
Ain und Zeitgenossen. Park Books, Zürich 2019,
256 Seiten, 48 Euro.

Das cartesianische Denken ist nicht mehr,
was es einmal war. In seiner Fernsehan-
sprache der vergangenen Woche stimmte
Staatspräsident Macron ein Lob auf die
„Helden in weißen Kitteln“, Ärzte und Pfle-
gepersonal, und auf die Wissenschaftler
an. Fünfmal hat er in der kurzen Anspra-
che ausdrücklich die Wissenschaftler er-
wähnt. Das Vertrauen in die Wissenschaft
sei „unser Leitprinzip“, sagte er. Sachver-
stand also, Gelassenheit, Kohärenz. In je-
dem Punkt war diese Ansprache das Gegen-
teil zum fahrigen und stimmungsgeleite-
ten Auftritt des Amerikaners Trump. Das
Problem ist nur, dass die Franzosen auf
das Präsidentenwort statt mit dem Kopf

mit den Füßen reagiert haben. Die Wahllo-
kale, die trotz Coronavirus am Sonntag in
Paris wie überall sonst im Land offen wa-
ren, blieben leer. Die Promenaden und Sei-
ne-Quais hingegen waren übervoll. Oder
stand dahinter doch Köpfchen?

Alle Entscheidungen, sowohl der Aufruf
an die Bevölkerung, zur Wahlurne zu ge-
hen, wie jener, sonst nach Möglichkeit zu
Hause zu bleiben, seien im Einvernehmen

mit dem speziell für die gegenwärtige Kri-
senlage geschaffenen wissenschaftlichen
Beirat getroffen worden, beteuert die Re-
gierung. Die Aufgabe dieses aus Ärzten,
Biologen, Virologen, Statistikern, Soziolo-
gen, Anthropologen bestehenden Beirats
liege darin, die Staatsgewalt „bei ihren Ent-
scheidungen aufzuklären“, heißt es. Im Di-
lemma zwischen politischer Agenda, wis-
senschaftlichem Kohärenzgebot und feh-
lender Sachkenntnis ließ das Gremium
sich aber zu widersprüchlichen Stellung-
nahmen drängen, die der Bevölkerung
nicht einleuchteten. So sind die Pariser am
Sonntag mehrheitlich weder zur Wahl ge-
gangen, noch zu Hause geblieben.

Dahinter steht in der Stadt, die plötzlich
ohne Bistrots und Cafés, ohne Kinos, Muse-
en und Theater auskommen muss, nicht
einfach ein Überdruss gegenüber der Poli-
tik oder ein jäher Wechsel vom Wissen-
schaftsglauben zum Wissenschaftsmuffel.
Es ist eher ein Schwebezustand der Sorglo-
sigkeit, solange die Politiker und Wissen-
schaftler ratlos erscheinen. Selbst unter
den Mitgliedern des Wissenschaftsrats,
war zu erfahren, sei man uneinig gewesen
hinsichtlich einer Hypothese von potenzi-
ell bis zu 500 000 französischen Todesop-
fern. Wenn die Wissenschaftler sich strei-
ten, tanzt der Leichtsinn der Laien. Damit
ist es nun aber vorbei, nachdem Macron in

seiner zweiten Fernsehansprache am Mon-
tag martialische Töne anschlug und nur
noch dreimal das Wort Wissenschaft be-
mühte, sechsmal hingegen von Kriegszu-
stand und Armeeeinsatz sprach. Seit Diens-
tagmittag muss sich rechtfertigen, wer auf
die Straße geht. Aus dem Flanieren ist ein
Herumschleichen und Wegducken gewor-
den. In der Not bleibt die Polizei effizienter
als die Wissenschaft, denn sie denkt
schnurgerade, wohingegen die größten
Geister, wie Voltaire in seinem „Philosophi-
schen Wörterbuch“ anmerkt, manchmal
krumm denken. Selbst Newton habe in sei-
nen Kommentaren zur „Apokalypse“ voll-
kommen versagt. joseph hanimann

Den Wienern war
Neutras Moderne lange zu
kühl und zu technisch

In den USA wurde Neutra ein
Star. Nur von seinen Sozialbauten
wollte man nichts wissen

Der Fertigteil-Humanist


Der Architekt Richard Neutra verließ 1923 Wien und wurde zum Vordenker des kalifornischen


Modernismus. Jetzt feiert ihn seine Geburtsstadt mit der ersten Retrospektive seit 40 Jahren


Coachella verschoben, SXSW abgesagt,
Pearl JamsTour verschoben, Iggy Pops
Auftritte in Frankreich verschoben, die
Touren von Billie Eilish, Post Malone,
Tool, Bob Dylan,The Jesus and Mary
Chainunbestimmt vertagt. Kurz: Alle
bleiben jetzt erst mal zu Hause. Am
schönsten hat es Dave Grohl von den
Foo Fightersformuliert: „Hallo, hier ist
Dave. Erinnert ihr euch an mich? Der
Typ, der nicht einmal eine Show ver-
schob, als sein verdammtes Bein ab-
fiel?“, schrieb er in einem Brief an seine
Fans. Und erklärte, warum das jetzt
anders ist. Schwor, die Tour nachzuho-
len, und endete mit: „Jetzt geht und
wascht euch die Hände.“ Danke Dave.
Bleibt man halt zu Hause. Und macht
selbst Musik! Moog und Korg, haben
ihre Synthesizer-Apps anlässlich der
Pandemie kostenlos zugänglich ge-
macht. Wer mag, kann die Minimoog
Model D iOS-App von Moog und die
iKaossilator-App von Korg für iOS und
Android derzeit umsonst herunterladen
und seine eigenen Quarantänesongs
aufnehmen. Musikhören geht zu Hause
bekanntlich auch ganz gut, und Alben
erscheinen glücklicherweise weiter.


Zum Beispiel „Vitamin C“ von der Wie-
ner BandMy Ugly Clementine. Als
Piefke stutzt man erst einmal, wenn der
Pressetext My Ugly Clementine als Su-
pergroup ankündigt. Nach Wiener Maß-
stäben – und welche anderen wären
gültig? – ist die Werbebezeichnung aber
um keine Palatschinkenlänge übertrie-
ben. Alle Musikerinnen sind seit Jahren
im österreichischen Alternative-Pop
unterwegs: Bassistin und Sängerin
Sophie Lindinger als Teil vonLeyya,
Gitarristin Mira Lu Kovacs unter dem
ProjektnamenSchmiede Puls. Die neue
Band spielte bereits kurz nach der Grün-
dung als Vorband fürAnnenMayKante-
reit. Ihr Debüt „Vitamin C“ ist so fröh-
lich wie fein gearbeitet, gleitet stilsicher
zwischen Melodien mit Popglanz und
handfestem Indierock mit gelegentli-
chen Bluestupfern dahin. Genau richtig
angeschmutzter Wohlklang prägt auch
den Gesang, mitsamt Textzeilen zur
Quarantäne: „It makes me sad to see a
world driven by fear“ heißt es da. Oder



  • fürs einsame Versacken zu Hause
    tröstlich – „I don’t care if you wash you
    hair“ im „Hairwashsong“. Solange man
    die Hände wäscht! Der von Musikerin-
    nen wie Courtney Barnett, Frankie Cos-
    mos und zuletztSoccer Mommyfeminis-
    tisch wiederbelebte Gitarrenindiepop
    hat endlich einen rundum satisfaktions-
    fähigen Beitrag aus Österreich. Übri-
    gens rufen My Ugly Clementine aktuell
    auf Facebook dazu auf, fleißig Alben zu
    kaufen, möglichst auch als physische
    Tonträger, weil die Künstlerinnen der-
    zeit unter der coro-
    nakrisenbedingten
    Absage sämtlicher
    Veranstaltungen
    leiden. Wir schlie-
    ßen uns diesem
    Appell an dieser
    Stelle gerne an!


Paul Webb, früher Bassist vonTalk
Talk, hat alsRustin Mangemeinsam
mit Beth Gibbons vor achtzehn Jahren
ein eigensinnig schönes Album vorge-
legt. Es hieß „Out Of Season“, klang
nicht weniger mysteriös als Gibbons’
berühmte BandPortishead. Die gesam-
te Geschichte melodiöser populärer
Musik schien aus ihm aufzusteigen,
ohne etwas zurückzulassen als eine
geheimnisvolle Wehmut. Danach veröf-
fentlichte Rustin Man 17 Jahre keine
neue LP. Im vergangenen Jahr erschien
schließlich „Drift Code“ und nun be-
reits „Clockdust“. Es entstammt densel-
ben Aufnahme-Sessions wie der Vorgän-
ger und ähnelt ihm im Soundprofil
stark. Das hier ein von Moden völlig
unabhängiger Geist musiziert ist un-
überhörbar wie eh und je. Bläser, Kla-
vier und diverse Zupfinstrumente ver-
schmelzen zu seltsa-
men Amalgamen;
hübsche Folkgitar-
ren wachsen in
verwunschen
schimmernde musi-
kalische Verästelun-
gen hinein.


Irgendwo zwischen Elektropop und
R’n’B steht HollyLåpsleyFletcher aus
Liverpool, also dort, wo sich auch Song-
writer wie James Blake herumtreiben.
Låpsley begann bereits als Teenager
Musik zu veröffentlichen, die Billie
Eilish beeinflusst hat. Jetzt ist sie auch
erst 23 und legt vier Jahre nach ihrem
Debüt ihr zweites Album vor. In der
Zwischenzeit hat sie unter anderem
einen Kurs in Geburtshilfe absolviert.
Was man eben so macht als junge Sänge-
rin, die nach dem Sinn des Lebens
sucht. „Through Water“ ist ein homoge-
nes, aber gar nicht langweiliges Album
geworden. Immer wieder wird der Elek-
troteppich von unerwarteten Impulsen
in Bewegung gesetzt. Da setzt in „Our
Love Is A Garden“ der ansonsten balla-
desk hallende Achtziger-Beat aus und
stolpert dann super groovy wieder in
den Song. Flöten wie aus dem Ambient-
Paradies umperlen eine erdenwarme
Synthie-Melodie im Zwischenspiel
„Leeds Liverpool Canal“. Låpsley ver-
schmilzt so Synthie-Soul mit Art-Pop
der Achtziger zu
transparentem,
zeitgenössischem
Pop, der sich nicht
anbiedern muss,
um zu gefallen.
juliane
liebert


Aufklären und Überwachen zu Krisenzeiten


Solange Politiker und Wissenschaftler ratlos wirken, befindetsich Paris in einem kurzen Schwebezustand der Sorglosigkeit


Die Häuser gelten als
Glamour-Ikonen, dabei sind sie
schlicht und eher klein

DEFGH Nr. 65, Mittwoch, 18. März 2020 (^) FEUILLETON 11
Alltag in der Architekturikone: das Ohara House in Silver Lake, Los Angeles, entworfen und gebaut 1961 von Richard Neutra. FOTO: DAVID SCHREYER
Blaupause für ein modernes Wohnen in der Natur: das Miller House in Palm Springs, das 1937 entstanden ist. Rechts: Richard
Neutra in einer Aufnahme von 1960. FOTOS: DAVID SCHREYER, ÖSTERREICHISCHE NATIONALBIBLIOTHEK
POPKOLUMNE
SCHAUPLATZ PARIS

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