Das Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) hat sich in Form
eines sogenannten Rote-Hand-Briefs zum
Thema Cytotec geäußert. Demnach seien
dem Institut in den vergangenen Wochen
vermehrt Hinweise auf zum Teil schwere
Nebenwirkungen bei der Nutzung des Me-
dikaments zur Geburtseinleitung zugetra-
gen worden. Demnach habe es Fehler bei
der Dosierung und der Darreichungsform
gegeben. Im Februar hatten SZ und Bayeri-
scher Rundfunk berichtet, dass es bei der
Dosierung des eigentlich als Magenmittel
zugelassenen Medikaments, das sehr häu-
fig zur Geburtseinleitung verwendet wird,
zu Problemen kommen kann.
Das Amt weist nun darauf hin, dass
Schwangere keine händisch zerkleinerten
Cytotec-Tabletten erhalten sollen. Übli-
cherweise stellen Klinikapotheken eigens
Tabletten mit der für die Geburtsein-
leitung geeigneten niedrigeren Dosierung
her. Auch werden aus dem Ausland dort zu-
gelassene Präparate in der angemessenen
Dosierung importiert. „Das eigenhändige
Stückeln der Tablette ist kein geeignetes
Vorgehen, um eine korrekte Dosierung zu
erhalten“, betont Sven Kehl, Leiter der Ge-
burtshilfe an der Uniklinik Erlangen. Auch
sollen dem Brief zufolge Tabletten unsach-
gemäß rektal verabreicht worden sein.
Mit Rote-Hand-Briefen, von denen jähr-
lich mehrere Dutzend verschickt werden,
weist das BfArM Mediziner und Kranken-
häuser auf Vorsichtsmaßnahmen und Pro-
bleme hin. Allerdings prüft das Amt, das
keine Kompetenz als Gutachter hat, einge-
hende Hinweise nicht auf Kausalität.
Patienten wie Angehörige können Proble-
me melden, woraufhin das Amt verpflich-
tet ist, diese zu sammeln und in Form eines
Rote-Hand-Briefs zu veröffentlichen.
Im Fall von Cytotec sind die Einschrän-
kungen des formal nicht für die Geburts-
einleitung zugelassenen Medikaments
seit Langem bekannt und in den Leitlinien
der Fachgesellschaften dokumentiert. Die
Anwendung des in den Tabletten enthalte-
nen Wirkstoffs ist in der Geburtsmedizin
seit vielen Jahren weltweite Praxis. Zahlrei-
che Studien zeigen, dass das Verfahren bei
richtiger Dosierung erfolgreich ist und im
Vergleich zu anderen Medikamenten zu
weniger Kaiserschnitten führt. Entspre-
chend äußert sich auch die Deutsche Ge-
sellschaft für Gynäkologie und Geburtshil-
fe DGGG: Die Cytotec-Tablette mit der
Wirkstoffmenge von 200 Mikrogramm Mi-
soprostol sei nicht geeignet für die Geburts-
hilfe, der Wirkstoff aber bei richtiger Dosis
schon. Auf die richtige Anwendung wies be-
reits ein Rote-Hand-Brief im Jahr 2017 hin.
Dass bei Behörden nach umfangreicher
Berichterstattung vermehrt Verdachtsmel-
dungen eingehen, kommt häufig vor – so
auch in diesem Fall. felix hütten
von berit uhlmann
E
pidemiologen sagen gelegentlich:
Man kann in Daten ertrinken und
trotzdem nach Informationen dürs-
ten. Für die aktuelle Covid-19-Pandemie
gilt dies im besonderen Maß. Selbst wer
sich nur auf seriöse, wissenschaftliche
Quellen stützt, kann im Gewirr der Zahlen
und Begriffe leicht den Überblick verlie-
ren. Ein Wegweiser durch die Terminolo-
gie der Epidemiologie.
Ansteckung
Als Wissenschaftler die Anfänge der Co-
vid-19-Epidemie verfolgten, konnten sie
recht schnell einen Schluss ziehen: Jeder
Mensch, der mit dem Virus Sars-CoV-2 infi-
ziert ist, steckt durchschnittlich etwa zwei
bis drei andere Menschen an. Diese Größe
heißtBasisreproduktionszahl R 0.
Ist R 0 größer als eins, wird sich der Erre-
ger immer stärker ausbreiten. Ist die Zahl
genau eins, wird die Zahl von Infizierten
im Verlauf der Epidemie konstant bleiben.
Erst wenn R 0 kleiner eins ist, ebbt der Aus-
bruch ab. Ziel aller Maßnahmen im Kampf
gegen die Pandemie ist es, R 0 unter den
Wert eins zu drücken. Im Moment passiert
das hauptsächlich durch den Versuch,
Kontakte zwischen Menschen einzu-
schränken, sodass ein durchschnittlicher
Erkrankter gar nicht erst die Chance hat,
auf zwei bis drei neue Opfer zu treffen.
Auf längere Sicht passiert dies auch von
allein, sofern Menschen nach einer Erkran-
kung immun sind und der Anteil der Immu-
nen in der Bevölkerung wächst (was aller-
dings im Fall von Covid-19 noch nicht ganz
klar ist). Dann findet das Virus immer weni-
ger Menschen, in deren Körpern es sich ver-
mehren kann, und die Neuinfektionen neh-
men ab. Eine einfache Formel ergibt, wie
groß diese sogenannteHerdenimmunität
in der Bevölkerung sein muss und somit
die Ansteckungen sinken: R 0 minus 1/R 0.
Für Covid-19 heißt dies: Erst wenn mindes-
tens zwischen 50 und 66 Prozent aller
Menschen infiziert sind, ebbt der Aus-
bruch von allein ab. Die Herdenimmunität
kann auch durch Impfungen erreicht wer-
den, sofern es einen Impfstoff gibt. Sie hält
an, solange keine ungeschützten Men-
schen durch Geburten oder Zuwanderung
in die Bevölkerung kommen.
Vom Ausbruch zur Pandemie
Von einemAusbruchsprechen Wissen-
schaftler, wenn plötzlich mehr Menschen
eine Erkrankung aufweisen, als man im
Mittel erwarten würde. Das kann passie-
ren, wenn ein bekanntes Leiden zunimmt
- oder eine neue Erkrankung auftritt. In
letzterem Fall liegt der Erwartungswert
bei 0, weil es ja noch nie Fälle gab; streng
genommen stellt somit ein einziger Er-
krankter schon einen Ausbruch dar. In der
Praxis wird ein Ausbruch oft erst erkannt,
wenn es bereits mehrere Patienten gibt.
Die BezeichnungEpidemieist wissen-
schaftlich gesehen ein Synonym für Aus-
bruch. Da der Begriff aber im allgemeinen
Sprachgebrauch mit einer gewissen Dra-
matik assoziiert wird, verwenden ihn auch
viele Wissenschaftler nur für größere
Ausbrüche.
Dehnt sich die Epidemie auf mehrere
Kontinente aus, spricht man von einerPan-
demie.Allerdings gibt es keine allgemein-
gültige Definition, wie viele Kontinente
wie stark betroffen sein müssen. Früher
galt es als starkes Warnsignal, wenn die
Weltgesundheitsorganisation WHO offizi-
ell die Pandemie ausrief. Mittlerweile hat
die WHO eine neue Regelung eingeführt.
Sie ruft nun dieGesundheitliche Notlage
internationaler Tragweiteaus. Dies ist
für alle Ausbrüche unabhängig von deren
Ausdehnung möglich. Als die WHO Co-
vid-19 schließlich zur Pandemie erklärte,
bedeutete dies wenig mehr als die Anerken-
nung der Realität: Das Virus hat sich bin-
nen zweier Monate über den gesamten
Globus verbreitet.
Verlauf der Infektion
Wenn das Coronavirus einen Menschen in-
fiziert, setzt dessen Körper seine Abwehr-
mechanismen in Gang, die schließlich in
die ersten Symptome münden: in der Re-
gel Husten und Fieber. Diese Spanne zwi-
schen Ansteckung und ersten Symptomen
wirdInkubationszeitgenannt. Bei Sars-
CoV-2 dauert sie ein bis 14 Tage, im Mittel
aber fünf Tage. Daraus leitet sich die Re-
gelung ab, Erkrankte und Verdachtsfälle
zwei Wochen lang zu isolieren.
Um der Gegenwehr des Immunsystems
zu entkommen, versuchen Krankheitserre-
ger, möglichst schnell weitere Menschen
zu infizieren. Vielen Erregern gelingt dies
nicht sofort; es gibt eine gewisseLatenz-
zeit, während der ein infizierter Mensch an-
dere noch nicht anstecken kann. Die La-
tenzzeit ist nicht zwangsläufig identisch
mit der Inkubationszeit. Wie lange sie im
Falle einer Sars-CoV-2-Infektion dauert,
ist noch nicht bekannt.
Es gibt erste Hinweise, dass Infizierte
das Virus bereits vor oder unmittelbar zu
Beginn der ersten, kaum spürbaren Symp-
tome weitergeben. Es gibt auch Berichte,
dass nachweislich Infizierte überhaupt
keine Symptome entwickeln und trotzdem
andere anstecken. Beide Phänomene er-
schweren die Eindämmung der Pandemie.
Experten gehen allerdings bislang davon
aus, dass vor allem bereits Erkrankte das
Virus übertragen.
Die Betroffenen
So wie chinesische Forscher es dar-
stellen, begann alles am 29. Dezember
- In der chinesischen Stadt Wuhan
wurden vier untypische Lungenentzün-
dungen bemerkt. Die ersten Patienten, die
in einem Ausbruch entdeckt werden, be-
zeichnet man alsIndexfälle. Eher unwis-
senschaftlich wird ein Indexfall bisweilen
auchPatient 0genannt. Er ist aber nicht
zwangsläufig der allererste Erkrankte ei-
nes Ausbruchs. Dieser wird alsPrimärfall
bezeichnet – und bleibt häufig unbekannt.
In China wurde der Erkrankungsbeginn
nachträglich auf den 8. Dezember 2019 da-
tiert. Ob es zuvor weitere Fälle gab, ist unge-
wiss.
Es wirkt manchmal herzlos, wenn Wis-
senschaftler die Erkrankten und deren dra-
matische Schicksale alsFallbezeichnen.
Damit aber wird ausgedrückt, dass die Per-
sonen einer bestimmten Falldefinition
entsprechen. Sie ist das Herzstück aller Sta-
tistiken. Nur wer ihre Kriterien erfüllt,
wird erfasst. Als bestätigter Covid-19-Fall
gilt nach der Definition des Robert-Koch-
Instituts, wer mit einem Labortest positiv
auf das Virus getestet wurde – unabhängig
von seinen Symptomen. Im Laufe von Aus-
brüchen wird die Falldefinition manchmal
geändert, etwa wenn ein Test verfügbar
wird oder wegen zu vieler Verdachtsfälle
nicht mehr angewendet wird. Das er-
schwert die Auswertung von Statistiken.
Tödlichkeit
Ein weiterer wichtiger Indikator für die
Schwere eines Ausbruchs ist das Potenzial
eines Erregers, seine Opfer zu töten. Es
lässt sich berechnen, indem man die Zahl
der Verstorbenen durch die Zahl der Er-
krankten oder Infizierten teilt. Diese Grö-
ße heißtLetalität. Sie sagt, wie groß das
Sterberisiko für den einzelnen Erkrankten
ist. Allerdings stößt man mit der simplen
Berechnung dieses Quotienten auf Proble-
me, wenn sich eine Epidemie rasant aus-
breitet. Zum einen ist der Nenner nicht
klar: Niemand weiß mit Sicherheit, wie vie-
le Menschen aktuell mit Sars-Cov-2 infi-
ziert sind. Zum anderen passen Zähler und
Nenner zeitlich nicht richtig zusammen.
Ein Teil der Menschen, die heute positiv ge-
testet werden, sterben erst später. Bei Co-
vid-19 können zwischen Krankheitsaus-
bruch und Ableben zwei bis acht Wochen
vergehen. Diese Todesfälle fehlen also in
der Berechnung der aktuellen Letalität. Ei-
ne bessere Abschätzung der Letalität er-
hält man, indem man abgeklungene, gut
dokumentierte Ausbrüche an einzelnen
Orten analysiert oder mathematische Mo-
delle aufsetzt, die die Verzerrungen ausglei-
chen. Beide Ansätze sprechen dafür, dass
die Letalität von Covid-19 bei etwa einem
Prozent liegt. Auf ganz Deutschland hoch-
gerechnet, könnte das schlimmste Szena-
rio daher so aussehen: Ohne Eindäm-
mungsmaßnahmen infizieren sich zwei
Drittel aller Deutschen, von denen jeder
Hundertste stirbt. Das wären mehr als eine
halbe Million Menschen.
Eine andere Maßzahl der Sterblichkeit
spiegelt die Belastung für die Gesellschaft
wider: Man teilt die Zahl der Todesfälle
durch die Gesamtbevölkerung. Diese Grö-
ße,Mortalitätgenannt, ist im Fall von Co-
vid-19 noch gering, niedriger als bei einer
Grippewelle, was mitunter den Eindruck er-
zeugt, Covid-19 sei weniger schlimm. Doch
je mehr Menschen sich infizieren, desto
stärker wird auch die Mortalität zunehmen.
wärmer wird es seit 1970 pro Jahrzehnt in
Deutschland. Das teilte der Deutsche Wet-
terdienst DWD in seiner jährlichen Klima-
Bilanz mit. Im Vergleich zum Beginn der
Aufzeichnungen im Jahr 1881 ist es in
Deutschland bereits um etwa 1,6 Grad Cel-
sius wärmer geworden, mehr als im globa-
len Mittel, wo die Erwärmung nur rund ein
Grad beträgt. 2019 lag sogar noch über
dem langjährigen Trend; das Jahr war im
Vergleich zur Referenzperiode von
1961-1990 um 2,1 Grad zu warm. Damit
war 2019 in Deutschland gleichauf mit
dem Jahr 2014 das zweitwärmste je in
Deutschland gemessene Jahr, nach dem
Rekordhalter 2018. Zudem war es trocke-
ner als im langjährigen Mittel. Der DWD
rechnet damit, dass auch die kommenden
fünf Jahre eher trocken werden. weis
Rote-Hand-Brief
zu Cytotec
Arzneimittelbehörde benennt
Fälle von Fehlanwendung
Vom Primärfall zur Latenzzeit
Mit dem Fortschreiten der Covid-19-Pandemie steigt auch das
Bedürfnis der Öffentlichkeit nach wissenschaftlichen Informationen. Ein epidemiologisches
Glossar kann dabei helfen, die Fachbegriffe auseinanderzuhalten
0,
Grad Celsius
(^14) WISSEN Mittwoch, 18. März 2020, Nr. 65 DEFGH
Ein Arbeiter mit Schutzanzug desinfiziert ein Hotelzimmer in Pristina in Kosovo. Maßnahmen wie diese
sollen die schneeballartige Verbreitung von Infektionen mit dem neuen Coronavirus verlangsamen.
FOTO: ARMEND NIMANI / AFP
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