Süddeutsche Zeitung - 18.03.2020

(Elliott) #1
Stuttgart/München– Zwei Tage hat Cure-
vac gebraucht, um die richtigen Worte zu
finden. Klarer könnte das Dementi nicht
ausfallen, das Interimschef Franz-Werner
Haas am Dienstag so formulierte: „Es gab
kein Angebot von US-Präsident Donald
Trump oder einer US-Behörde – weder für
die Technologie noch für die Firma.“ Die
Manager seien selbst am Sonntagmorgen
von den Nachrichten überrascht worden.
„So ein Angebot gab es vor, während und
nach dem Treffen im Weißen Haus nicht“,
versicherte Haas in einer kurzfristig einbe-
rufenen Telefonkonferenz, an der auch
Technik-Vorstand Mariola Fotin-Mleczek,
Produktionsvorstand und Mitgründer Flo-
rian von der Mülbe, Finanzvorstand Pierre
Kemula und Aufsichtsrat Friedrich von
Bohlen teilnahmen. Bohlen sitzt für die Be-
teiligungsgesellschaft Dievini im Kontroll-
gremium, über die SAP-Mitgründer Diet-
mar Hopp seine Biotech-Investitionen
steuert. Hopp selbst hatte zuvor schon klar
gestellt, dass für ihn ein Ausverkauf nicht
in Frage komme. Keine Erklärung hat
Haas dafür, dass Wirtschaftsminister Pe-
ter Altmaier und Innenminister Horst See-
hofer ein US-Interesse bestätigt hatten.

Unter Berufung auf deutsche Regie-
rungskreise hatte dieWelt am Sonntagbe-
richtet, Trump habe Curevac einen hohen
Betrag angeboten, um sich den Impfstoff
exklusiv für die USA zu sichern. Anfang
März hatte der damalige Curevac-Chef Da-
niel Menichella zusammen mit anderen
Pharmamanagern Trump im Weißen Haus
getroffen. Ein paar Tage später wurde Me-
nichella abgelöst, Curevac-Mitgründer Ing-
mar Hoerr kehrte aus dem Aufsichtsrat an
die Spitze der Firma zurück. Und als wäre
die Lage nicht schon unübersichtlich ge-
nug, fällt Hoerr nun für „eine gewisse Zeit“
aus gesundheitlichen Gründen aus. Solan-
ge übernimmt sein Vize Haas.
Das Rennen um einen Impfstoff ist voll
entbrannt. Die Firmen Biontech und Mo-
derna (Seite 20) scheinen schneller voran-
zukommen. „Das ist aber kein Wettlauf je-
der gegen jeden, sondern ein Wettlauf ge-
meinsam gegen die Zeit“, sagte Friedrich
von Bohlen. Technikvorstand Fotin-Mlec-
zek erklärte, Curevac verfolge einen ande-
ren Ansatz als Moderna. Man wolle erst prä-
klinische Daten abwarten und dann einen
Impfstoffkandidaten auswählen. Curevac
habe mehr als 20 Jahre Erfahrung darin,
wie die Boten-RNA optimiert und genutzt
werden könne, um unterschiedliche Protei-
ne zu bauen. Für den Impfstoff werde ein
Protein, das auf der Oberfläche des Corona-
virus sitze, codiert. Das Protein reiche aus,
um das körpereigene Immunsystem zu ak-
tivieren. Ein ähnliches Konzept verfolge
Curevac beim Impfstoff gegen Tollwut, bei
dem sehr geringe Dosen ausreichten.
Curevac habe mit der Produktion von
zwei Corona-Impfstoffkandidaten begon-
nen. „Wir arbeiten hart daran, im Frühsom-
mer mit den klinischen Studien beginnen
zu können.“ Die ersten klinischen Daten
sollen laut Fotin-Mleczek im Herbst vorlie-
gen. Läuft alles gut, könnte in eineinhalb
Jahren ein Impfstoff vorliegen, „das wäre
schon Rekordzeit, normalerweise dauert
das Jahre“. Curevac wolle nicht nur schnell
einen sicheren Impfstoff entwickeln, son-
dern auch Produktionskapazitäten aufbau-
en, erklärte von der Mülbe. Mit bestehen-
den Anlagen könne Curevac bis zu 40 Milli-
onen Dosen jährlich herstellen. Mit neuen
Anlagen könnten es bis zu einer Milliarde
sein. Dafür bekommt Curevac jetzt Geld
von der EU-Kommission. Sie gewährt gibt
Curevac einen Kredit von bis zu 80 Millio-
nen Euro. Kommissionschefin Ursula von
der Leyen hofft unterdessen noch vor
Herbst auf einen wirksamen Impfstoff.
e. dostert, s. mayr

von max hägler
und philipp selldorf

W


as sind das für Wochen für diesen
Milliardär. Gerade noch war Diet-
mar Hopp im auf Plakate gemal-
ten „Fadenkreuz“ von Fußballfans, die ihn
wegen seines vielen Geldes seit Jahren als
„Hurensohn“ schmähen. Und dann ist er
plötzlich, dank seines Geldes, ein potenzi-
ell wichtiger Helfer im Kampf gegen das
Corona-Virus, der zugleich noch den Stand-
ort Deutschland verteidigt.

Es ist ein neues Kapitel für Hopp, der in
der breiten Öffentlichkeit vor allem wegen
der TSG 1899 Hoffenheim bekannt ist. In
den vergangenen Jahren hat er dem Fuß-
ballverein den Weg in die erste Bundesliga
bereitet, mit einem dreistelligen Millionen-
betrag. Er bestimmt über diesen Verein
auch, was eigentlich gar nicht erlaubt ist,
das ist der Grund der andauernden Anfein-
dungen in der Sportwelt. Und andererseits
hat er mehr als 1,5 Milliarden Euro in Medi-
zin-Start-ups gesteckt und dazu noch etli-
che Millionen an Mediziner verschenkt, zu-
letzt an die Uniklink Heidelberg 100 Millio-
nen Euro. Eines seiner Engagements, die
Firma Curevac aus Tübingen, ist recht na-
he dran, einen Impfstoff gegen das Corona-
Virus zu entwickeln. Bald würden Tests ge-
macht, sagte Hopp zu Wochenbeginn, das
hänge auch ab von den Genehmigungsbe-
hörden. Und nein, er werde die Firma nicht
in die USA verkaufen, wie spekuliert wor-
den war: „Das war für mich keine Option!“
Es könne gar nicht sein, dass eine deutsche
Firma den Impfstoff entwickle und dieser
in den USA exklusiv genutzt würde, erklär-
te er der NachrichtenseiteSport1.
Kapitalismus und Gemeinwohl – bei we-
nigen anderen Menschen in Deutschland
kommen diese beiden Haltungen so deut-
lich zum Tragen wie bei dem 79-Jährigen,
der deshalb wahlweise als eigensinniger
Patriarch oder freigiebiger Mäzen tituliert
wird. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo da-
zwischen, sagen Menschen aus seinem Um-
feld. Wobei das wiederum klar zu verorten
ist, wie auch die Lebensgeschichte dieses
außergewöhnlichen Mannes.
Alles spielt sich im Kraichgau ab, dieser
Gegend zwischen Mannheim und Heil-
bronn. Dort wuchs Hopp auf, wie so viele in
jener Zeit in ärmlichen Verhältnissen, und
blieb auch stets in der Nähe, sei es zum Stu-
dium der Nachrichtentechnik und wäh-
rend seiner ersten Berufsjahre beim Com-
puterkonzern IBM: Immer wieder pro-
grammierte er damals bei Kunden von
IBM ähnliche Anwendungen. Gemeinsam
mit Hasso Plattner, Claus Wellenreuther,
Hans-Werner Hector und Klaus Tschira
entwickelte er die Idee, solche Geschäfts-
software zu vereinheitlichen. 1972 war das,
und die Herren tauften ihre Firma etwas
sperrig: Gesellschaft für „Systemanalyse
und Programmentwicklung“, heute be-
kannt als SAP.
Es ist das Unternehmen mit dem größ-
ten Börsenwert in Deutschland, und fast al-
le Unternehmen dieser Welt nutzen SAP-
Produkte, etwa zum Zahlungsverkehr, zur
Lagerverwaltung oder zur Reiseabrech-
nung. Zwei Menschen seien vor allem ver-
antwortlich gewesen für diese Leistung, sa-
gen sie in dieser so groß gewordenen Fir-
ma: Hasso Plattner, der technische Visio-
när, der heute noch mitmischt und von auf-
brausendem Gemüt und großer Ungeduld
ist. Und eben Hopp, der eher für die Seele

der Mitarbeiter zuständig war, wenn der
forsche Geschäftspartner seine Leute wie-
der einmal zusammengestaucht hatte.
„Vadder“ nannten sie ihn deswegen.
„Die beiden Gründer waren wie John
Lennon und Paul McCartney von den Bea-
tles“, sagt einer, der die beiden seit Jahr-
zehnten kennt: Der eine brauchte den ande-
ren zum gemeinsamen Erfolg. „Dietmar
Hopp hat immer gute Abwägungen getrof-
fen bei Kunden, Partnern und Mitarbei-
tern“, sagt auch Gerhard Oswald, einst SAP-
Vorstand, jetzt dort im Aufsichtsrat – und
Freund des Gründers. Hopp sei es gewe-
sen, der in den Anfangsjahren die Leute zu-
sammenholte, um bei einem Glas Sekt auf
einen Erfolg anzustoßen, selbst wenn es
nur ein kleiner war. Und er sei Treiber ge-
wesen beim Fußballspiel jeden Freitag-
nachmittag: Neben dem Firmengebäude
in Walldorf spielte man, auf einem Bau-
grund, bis dann irgendwann die Scheiben
der benachbarten Gärtnerei zu Bruch ge-
schossen waren und die Kicker weiterzie-
hen mussten.
Hopp hat später gewissermaßen die
ganz große Lösung gesucht: Er hat den Ver-
ein im Ort seiner Kindheit, eben die TSG
Hoffenheim, ab Ende der 1980er Jahre un-
terstützt, damals war er noch im SAP-Vor-
stand. Und ab 2006 floß richtig viel Geld,
er ließ ein Stadion bauen, investierte in die
Jugendarbeit. Die TSG spielt nun seit Jah-
ren in der Bundesliga, steht zunehmend so-
gar auf eigenen Beinen. Ein erfolgreiches
Werk, aber eines, das hoch umstritten ist
bei vielen Fußballfans, weil der ehemalige
SAP-Manager beim Fußball weiterhin die
Geschicke bestimmt: Mit viel Geld eine Er-
folgsmannschaft bauen, das ist selbst für
erklärte Traditionalisten die Abkehr von
den wahren Werten des Sportes. Ende Fe-
bruar eskalierte bei einem Spiel gegen den
FC Bayern der Protest, Hassplakate wur-
den ausgerollt, und der Schiedsrichter un-
terbrach das Spiel. Mal wieder wurde der
Mäzen zum bösen Kapitalisten gestem-
pelt, der Symbolisch ist für all den Unbill
dieses Sports.

Nun hat Dietmar Hopp schon oft die
wohlmeinende Empfehlung erhalten, er
solle sich die Schmähungen aus den Fan-
kurven nicht so schrecklich zu Herzen neh-
men. Aber weghören und überhören, das
kann er nicht, und das will er auch nicht.
Hopp leidet daran, dass er beschimpft und
persönlich beleidigt wird, jede einzelne Be-
leidigung tut ihm weh. Das ist das eine. Das
andere ist: Er versteht die Schmähungen
nicht. Er begreift nicht, warum ihn die or-
thodoxen Fans der sogenannten Traditi-
onsvereine so leidenschaftlich ablehnen.
Er versteht nicht den Spagat, den er voll-
zieht mit seinem Tun, seinem Geld. Weil er
es eher nicht gut findet, wenn jemand sei-
ne Meinung nicht teilt, wie es in seinem
Umfeld heißt. Und wohl auch, weil er fin-
det, dass er so viel gibt. Was durchaus
stimmt: Eine Stiftung seines Namens hat
in der Region mittlerweile über 800 Millio-
nen Euro ausgeschüttet für Kindergärten,
Krankenhäuser, das neueste Projekt ist ei-
ne Aktion, die auf den Klimaschutz auf-
merksam machen soll. Hopp, das ist in sei-
ner Heimat der gute Onkel. Und das gefällt
ihm: er will gemocht werden, sagen Wegge-
fährten. Wenn man diesen eher unschein-
bar auftretenden Mann im Clubhaus des
von ihm errichteten Golfplatzes trifft,
dann erzählt er immerzu, was er Sinnvolles

anstiften wolle. Wenn man dann, beispiels-
weise, in Mannheim den SPD-Oberbürger-
meister Peter Kurz nach der Bedeutung
dieses Mannes fragt, kommt eine einzige
Lobeshymne: „Dietmar Hopp ist nicht nur
ein großer Unternehmer.“ Dank ihm, der
auch dort eine Sporthalle finanzierte, sei
die Stadt „auf die Landkarte der großen
Veranstaltungsstädte zurückgekehrt“. Oh-
ne die Unterstützung dieses Mannes wä-
ren viele Projekte nicht entstanden.
Wobei dieser Mäzen auch weiterhin Ge-
schäftsmann ist, der nie einen Hehl daraus
macht, dass er Geld verdienen will, wenn
auch nicht mehr für sich: Ab 100 Millionen

ist das Vermögen doch egal, sagte er vor
zwei Jahrzehnten in einem Interview. Da-
mit sind Kapitalismus und Gemeinwohl in
Zahlen gefasst, und so was kennt man in
Deutschland nicht. Das macht es kompli-
ziert, auch deswegen verstehen sich Hopp
und die Deutschen nicht immer.
Auch im Fall der Impfstoff-Firma Cure-
vac kann er es mal wieder nicht allen Recht
machen. Übers Wochenende wurde gemut-
maßt, dass diese Firma vielleicht in
Trumps Hände fallen würde. Für seinen
Freund Oswald war das keine Frage: „Ich
habe da nie gezweifelt an einem Nein von
Dietmar Hopp, wenn so eine Frage käme.“

Tatsächlich erklärte der dann zu Wochen-
beginn, das Mittel, so es wirken sollte, der
ganzen Welt zur Verfügung stellen zu wol-
le; es solle kein „Spekulationsobjekt“ wer-
den. Weil diese Haltung auch von seinem
Fußballklub verbreitet wurde, begehren
nun wieder manche auf: So was sei doch
selbstverständlich! Weshalb feiere man
diesen „reichen Typen“ dafür überhaupt,
lauten die freundlicheren unter den kriti-
schen Wortmeldungen in sozialen Netzwer-
ken. Der reiche Typ erklärte an diesem
Dienstag übrigens mittels der Website sei-
nes Vereins: „Ich möchte einfach wie ein
normaler Mensch behandelt werden.“

Feindbild und


Menschenfreund


Für Fußball-Ultras ist der Milliardär Dietmar Hopp eine Hassfigur.
In anderen Bereichen hat er viel Gutes getan

I


n der Firma kennt man gelegentliches
Home-Office natürlich schon lange,
wie sollte das anders sein in der moder-
nen Welt. Immer mal wieder ist jemand zu
Hause geblieben und hat von dort telefo-
niert, gemailt, gearbeitet. „Ich vertraue
Euch“, pflegte der Chef zu sagen, „dass Ihr
wirklich arbeitet und nicht den ganzen Tag
in der Sonne liegt.“ Das Vertrauen wurde
stets gerechtfertigt. Nun aber, da wegen
des Coronavirus das öffentliche Leben
zum Erliegen kommt und die Firma wie vie-
le andere mit Notbesetzung arbeitet, wird
Home-Office zum Alltag.
Das ist dann doch noch etwas anderes,
und die Verunsicherung ist mit Händen zu
greifen. In den Abteilungssitzungen wer-
den viele Fragen gestellt zur praktischen
Umsetzung, und der Oberchef weist dar-
auf hin, dass das Zauberwort bekanntlich
aus zwei Teilen besteht: „Home“ und „Of-
fice“. Da muss sich noch einiges schütteln,
denkt man, aber ganz offensichtlich schüt-
telt es sich auch.
Am spannendsten ist es, die Transfor-
mation vom Analogen zum Digitalen in der
Unterrichtswelt zu beobachten. Bundes-
weit sind Schüler und meistens auch Leh-
rer nach Hause geschickt worden, auf Wo-
chen wird das so bleiben. Aber das Lernen
soll ja weitergehen, und für die mit den Prü-
fungen muss es besonders dringend wei-
tergehen. Das ist jetzt die große Stunde des
digitalen Unterrichts.
Als sich die Schließung der Schulen ab-
zeichnete, sind Schüler und Lehrer vieler-
orts auf die Schnelle mit der neuen Situati-
on vertraut gemacht worden, mitunter gab


es Blitzschulungen, und, was soll man sa-
gen: Der Testlauf, der zum Ernstfall gewor-
den ist, klappt wohl erstaunlich gut. Im
Freistaat Bayern arbeiten viele Schulen
mit dem Internetportal Mebis, einer Lern-
plattform des Kultusministeriums, auf der
Lehrer für ihre Klassen entsprechende
„Räume“ einrichten. Andere Schulen nut-
zen die Angebote der großen amerikani-
schen Privatanbieter, „Classroom“ von
Google beispielsweise oder „Office 365“
von Microsoft.
Das Prinzip ist immer dasselbe: Lehrer
verbringen Stunden vor dem Bildschirm
und arbeiten bestimmt nicht weniger, eher
mehr als früher. Sie geben den Schülern Ar-
beitsaufträge, die diese weitgehend zuver-
lässig erledigen. Die Schulstunde endet
nicht, das kann man jetzt werten, wie man
will, mit dem Pausengong; jede und jeder
bestimmt, wann Schluss ist. Der Aus-
tausch ist intensiv, das Engagement mitun-
ter größer als im Unterricht, eine Mail jagt
die nächste. Auch die Lehrer-Konferenzen
übrigens, für die bisher wie selbstverständ-
lich jede und jeder eigens in die Schule
kommen musste, funktionieren plötzlich
auch als Videokonferenz..
Wie viel – und zurecht – ist in den ver-
gangenen Monaten darüber geklagt wor-
den, dass ausgerechnet bei der Bildung,
der wichtigsten Ressource dieses rohstoff-
armen Landes, die Digitalisierung nicht
wirklich angekommen ist. Wie viel, oder
besser wie wenig, Digitalisierung schon da
ist, darüber streiten die Experten, auch
weil es keinen einheitlichen Standard gibt.
Die Situation ist von Schule zu Schule und

Bundesland zu Bundesland sehr unter-
schiedlich, andere Staaten sind wesentlich
weiter. Finnland zum Beispiel und Däne-
mark, auch Australien. Deutschland sei
einfach „weit abgeschlagen“, sagt scho-
nungslos der weit gereiste Informatik-Pro-
fessor Christoph Meinel, Geschäftsführer
des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam
und Dekan der Digital-Engineering-Fakul-
tät der dortigen Universität. Das liege an
vielem, beispielsweise an der Infrastruk-
tur. Oft sei nicht einmal die Breitband-An-
bindung der Schulen und deren W-Lan-
Ausleuchtung gewährleistet. Und natür-
lich fehlten auch Equipment und techni-
sche Fertigkeiten.

Von Schulträgern wird dann gerne be-
hauptet, das Ganze sei eben eine Frage der
Kapazität und des Geldes, aber in Wirklich-
keit war bisher häufig der Schalter im Hirn
der Verantwortlichen einfach noch nicht
umgelegt. Jetzt, in der Folge der Coronavi-
rus-Krise, legt er sich, um im Bild zu blei-
ben, sozusagen von selbst um, und siehe
da: Das Ganze funktioniert. Und es macht
sogar Spaß, von Tag zu Tag mehr.
Bisher waren Berichte über Modellschu-
len wie jene auf der Schwäbischen Alb, in
Laichingen bei Ulm, die bereits seit 2012
das virtuelle Klassenzimmer mit nur ei-
nem Präsenztag pro Woche kombiniert,
exotisch. In Zukunft werden viele Lehrer

und Schüler eigene Erfahrungen mit vor-
wiegend oder ausschließlichem digitalem
Unterricht haben. Nach der Krise wird
Deutschland anders sein, auch im Bil-
dungssystem. Manches, was sich jetzt im
Schnelldurchgang ereignet hat, hätte
sonst Jahre gedauert.
Aber es sind natürlich auch nicht alle
Probleme gelöst. Zum Beispiel jenes, was
mit den Daten geschieht. Viele Schulen ver-
lassen sich auf Apple- oder Google-Produk-
te, und Datenschützer fragen: Wollen wir
wirklich, dass unsere Schülerdaten alle auf
eine App außerhalb Deutschlands gesam-
melt werden? Die Hamburger FDP-Politi-
kerin und stellvertretende Bundesvorsit-
zende Katja Suding wird mit dem Satz zi-
tiert: „Der Staat muss nichts erfinden, was
Private besser können.“ Klingt energisch,
aber der Staat darf sehr wohl den einen
oder anderen Bereich selbst regeln – wenn
er es denn regelt. Infrastruktur kann von
privaten Anbietern kommen, auch bei der
Lernsoftware muss man auf Unternehmen
setzen, die das Knowhow haben. Aber da-
zwischen, das wo die Daten erfasst und ge-
speichert werden, ist der Staat gefragt –
und könnte beispielsweise eine bundeswei-
te Schul-Cloud erstellen.
So gesehen fängt im Bildungssystem
die Arbeit nach dem Virus überhaupt erst
richtig an. Übrigens auch sonst in Deutsch-
land. marc beise

„Das ist kein Wettlauf jeder
gegen jeden, sondern ein Wettlauf
gemeinsam gegen die Zeit.“

Corona-ImpfstoffWirbel um die Firma Curevac, ihren berühmten Investor und den US-Präsidenten


16 HF3 (^) WIRTSCHAFT Mittwoch, 18. März 2020, Nr. 65 DEFGH
Dietmar Hopp ist Unternehmer, Sportfunktionär und Mäzen. „Ich möchte einfach wie ein normaler Mensch behandelt
werden“, sagt er selbst. FOTO: SVEN SIMON/IMAGO
„Es gab kein
Angebot“
Curevac dementiert hart und
bekommt Geld aus Europa
Ein Land geht online
Was ist bisher, zu Recht, darüber geklagt worden,
dass Deutschland bei der digitalen Transformation
hinterherhinkt, namentlich bei der Bildung und
in der Arbeitswelt. Gerade ändert
sich das rasant – weil das Coronavirus
neue Umgangsformen erzwingt
DAS DEUTSCHE VALLEY
Nach der Krise
wird Deutschland anders sein,
auch im Bildungssystem
An dieser Stelle schreiben jeden Mittwoch Marc
Beise, Karoline Meta Beisel (Brüssel), Christoph
Giesen (Peking), Helmut Martin-Jung (München)
und Jürgen Schmieder (Los Angeles) im Wechsel.
MITTWOCHSPORTRÄT
Er will nicht weghören
bei Schmähungen.
Er will gemocht werden

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