von christof kneer
V
or einem Jahr hat die deutsche Nati-
onalmannschaft ein Länderspiel
bestritten, eines, das offiziell in die
Statistik einging, obwohl es in Wolfsburg
stattfand. Für alle, die’s vergessen haben:
Es war ein Testkick gegen Serbien, 1:1
ging’s aus, für die Serben traf Jovic, für
die DFB-Elf traf Goretzka. Für Deutsch-
land spielten Klostermann und Halsten-
berg, Niklas Süles Kreuzband war noch in-
takt, und als Bundestrainer auf der Bank
saß dieser ... na ... wie heißt er noch mal ...
na, ... ähm, ... ja, Löw. Joachim Löw.
Manchmal sieht man diesen Löw tat-
sächlich noch, manchmal erwischt ihn
ein Fernsehteam in der Halbzeit eines
Fußballspiels, Löw sagt dann irgendwel-
che Sachen. Man hat es all die Jahre für
einen unerhörten Luxus gehalten, dass
Löw nach den gesagten Halbzeitsachen
einfach wieder verschwinden konnte, um
zum Beispiel mit einem Oldtimer durchs
Höllental zu fahren. Zum nächsten Län-
derspiel ist Löw pünktlich wieder aufge-
taucht, und wenn mal ein Turnier war,
hat man ihn auch mal länger gesehen, die
Kameras haben dann auch eingefangen,
wie er morgens an einem Strand in Brasili-
en joggte oder an einer Laterne in Sotschi
lehnte. Und nach dem Turnier ist er dann
wieder bis zur Aufgabe einer Vermissten-
anzeige verschwunden, wochenlang,
egal, ob er gerade Weltmeister geworden
oder in der Vorrunde ausgeschieden war.
Aber nun, da die Uefa beschlossen hat,
die EM um ein Jahr zu verschieben, ist
Löw an einem Punkt angelangt, an dem
sein Luxus bald zum Problem wird. Zu ei-
genen Bedingungen abzutauchen, ist et-
was anderes, als sich von außen Distanz
aufzwingen zu lassen. Schon im vergange-
nen Jahr hat der Bundestrainer seine
Mannschaft kaum um sich gehabt, es gab
im Sommer 2019 kein Turnier, und die
Juni-Länderspiele hat er wegen seines
sog. Hantelunfalls verpasst; und nun, im
Jahr 2020, hat ihm das Virus erst die
März-Länderspiele und dann gleich noch
die EM weggenommen. Sollte im Herbst
wieder Fußball gespielt werden, hätte
Löw dann noch ein paar Spiele in dieser ...
na ... wie heißt sie noch mal ... na ... ach
stimmt, Nations League – dennoch wer-
den 2019 und 2020 zwei Jahre gewesen
sein, in denen es die hochheilige National-
mannschaft eigentlich gar nicht gab.
Löw ist ein Trainer ohne Mannschaft,
er ist der berühmteste und bestimmt best-
bezahlte Kurzarbeiter Deutschlands, und
er wird nun versuchen müssen, diesem
kuriosen Angestelltenverhältnis das Bes-
te abzugewinnen. Er wird sich einreden
können, dass Niklas Süle im Sommer
2021 wieder gesund ist und dass Timo
Werner und Serge Gnabry bis dahin ein
weiteres Jahr Spielpraxis auf Topniveau
gesammelt haben, und wer weiß, viel-
leicht ist ihm bis Sommer 2021 sogar von
irgendwoher ein tauglicher Linksverteidi-
ger zugestoßen. Auch Toni Kroos wird
jetzt auf jeden Fall bis 2021 Nationalspie-
ler sein und nicht, wie manche raunten,
nach der EM 2020 in Ehren zurücktreten.
Fest steht aber auch, dass Löw erst mal
gezwungen ist, sein Jobverständnis zu än-
dern, was, wie Ketzer sagen könnten,
nicht mal so verkehrt sein muss: Er kann
in Ermangelung gemeinsamer Trainings-
zeit kaum der Ausbildungstüfteltrainer
sein, der er bei dieser jungen Mannschaft
gerne wäre; er muss nun vor allem ein
knackiger Pragmatiker sein, der richtig
nominiert, richtig aufstellt und im Spiel
die richtigen Entscheidungen trifft.
Im Grunde hat Löw nun einen Teil sei-
nes Bundestrainerjobs abgetreten, ironi-
scherweise an Hansi Flick, seinen einsti-
gen Assistenten. Flick ist für Löws Achse
verantwortlich, er coacht beim FC Bayern
täglich die Nationalspieler Neuer, Kim-
mich, Süle, Gnabry, Goretzka (und bald
Havertz?) und wird für Löw mindestens
so wichtig sein wie 2014. Damals war
Flick Löws pragmatischere Hälfte, sein
Beitrag zum Weltmeistertitel gilt als
enorm, und zur Belohnung darf er nun
auch ein bisschen Bundestrainer sein.
von johannes aumüller
D
en ganzen Tag über waren die Spit-
zen des europäischen Fußballver-
bandes am Dienstag in Videokonfe-
renzen zugange. Am späten Vormittag
schalteten sie sich mit den Vertretern von
Ligen, Klubs und Spielergewerkschaft zu-
sammen. Etwas später waren die 55 Natio-
nalverbände dran. Und als Letztes berat-
schlagte sich das Exekutivkomitee um den
Uefa-Präsidenten Aleksander Ceferin in-
tern, ehe der Verband am Nachmittag die
Entscheidung verkündete: Die Austra-
gung der Fußball-Europameisterschaft,
die vom 12. Juni an in zwölf europäischen
Ländern stattfinden sollte, wird wegen der
Ausbreitung des Coronavirus verschoben.
Stattdessen soll sie in der Zeit vom 11. Juni
bis zum 11. Juli 2021 nachgeholt werden.
„Es war wichtig, dass die Uefa als Dach-
verband des europäischen Fußballs den
Prozess anführte und das größte Opfer
brachte“, sagte Ceferin. Die Verschiebung
sei für die Uefa mit enormen Kosten ver-
bunden. Aber der Gedanke, „ein europa-
weites Fußballfestival in leeren Stadien
mit verlassenen Fanzonen zu feiern, wäh-
rend der Kontinent isoliert zu Hause liegt“,
sei freudlos. Die Offiziellen des Deutschen
Fußball-Bundes (DFB) begrüßten den
Schritt. „Wir alle müssen die Gesundheit
und das Leben von Menschen schützen,
das gilt selbstverständlich auch für den
Fußball. Deshalb ist es völlig richtig und
alternativlos, die Euro zu verschieben“, sag-
te Bundestrainer Joachim Löw.
Es ist das erste Mal in der 60-jährigen
Geschichte des Turnieres, dass die End-
runde verschoben wird. Aber es ist zu-
gleich auch eine bemerkenswerte Entschei-
dung in einem schon lange schwelenden
Kampf zwischen der Uefa und dem Fuß-
ball-Weltverband Fifa. In einem Kampf
um Macht, Märkte und Milliarden.
Denn der Sommer-2021-Termin war ei-
gentlich durch den Weltverband besetzt.
Der umstrittene Fifa-Boss Gianni Infanti-
no wollte in dieser Zeit seine neue, aufge-
blähte Klub-WM mit 24 Teilnehmern aus-
richten. Und das just in China, wo nun die
Corona-Krise ihren Anfang nahm. Aber
das konnte die Fifa nicht halten. Am Diens-
tagabend teilte sie mit, dass sie die Klub-
WM verschieben wird. Den genauen Zeit-
punkt nannte sie noch nicht, die wahr-
scheinlichste Option ist der Sommer 2023.
Dabei ist das keineswegs eine großherzi-
ge Geste des Weltverbandes. Vielmehr
kommt sie auch Infantino zugute. Denn
der Fifa-Boss hatte den potenziellen Star-
tern Einnahmen von mindestens einer Mil-
liarde Euro in Aussicht gestellt. Aber es ist
derzeit überhaupt nicht absehbar, wie In-
fantino genügend Sponsorengeld für das
Turnier akquirieren kann. Zumal es nur in
Europa und in Südamerika ausreichend
Klub-Prominenz gibt, die ein solches Tur-
nier zum globalen Erfolg führen kann.
Aber just die Spitzen von deren Kontinen-
talverbänden Uefa und Conmebol führen
den Widerstand gegen die undurchsichti-
gen Alleingänge Infantinos an.
So spielte die Verlegung der EM und der
Copa in den Sommer 2021 Infantino sogar
in die Karten. Er konnte die Klub-WM mit
dem Verweis darauf verschieben – und ge-
riet nicht in die Peinlichkeit, eingestehen
zu müssen, dass von den versprochenen
Milliardeninvestoren nichts zu sehen ist.
Zudem dürfte es nun hinter den Kulissen
um etwaige Kompensationen für die Verle-
gung der Klub-WM gehen. So kursiert be-
reits das Szenario, dass die Uefa eine höhe-
re Zahl an Startern zur Klub-WM entsen-
den soll – bisher sind nur acht vorgesehen.
Parallel zur Uefa beschloss am Dienstag
auch der Südamerika-Verband Conmebol,
sein Nationenturnier Copa America auf
2021 zu vertagen. Profiteur der Verschie-
bungen sind die nationalen Ligen. Die ha-
ben nun Spielraum, ihre unterbrochenen
Saisons vielleicht doch noch irgendwie zu
Ende zu bringen – wenngleich bestenfalls
mithilfe sogenannter Geisterspiele ohne
Publikum. In der Bundesliga stehen noch
neun reguläre Spieltage aus, ebenso in der
Premier League, in den anderen europäi-
schen Top-Ligen in Frankreich (10), Spani-
en (11) und Italien (12) sogar noch mehr. Da-
bei gibt es sogar zunehmend Diskussio-
nen, ob die Saison über den 30. Juni hinaus
verlängert werden könnte. Das ist bisher
der Stichtag fürs Saisonende – zumal dann
viele Profiverträge auslaufen.
Doch in der aktuellen Situation werden
alle Begrenzungen in Frage gestellt. In Spa-
nien und Italien ist die finanzielle Lage so
dramatisch, dass manche Klubs unter al-
len Umständen die Saison zu Ende spielen
wollen, notfalls erst im September. Spani-
ens Verbands-Boss Luis Rubiales erklärte,
das Datum dürfe keine unüberwindbare
Mauer sein. In Deutschland betonte Liga-
Chef Christian Seifert nach der Mitglieder-
versammlung am Montag zwar, dass es
das Ziel sei, bis zum 30. Juni fertig zu sein.
Aber am Rande der Zusammenkunft der
36 Erst- und Zweitligisten war eine Verlän-
gerung bereits ein Thema.
Der Uefa wiederum kommt bei der EM-
Verlegung ironischerweise zugute, dass
vor einem knappen Jahrzehnt Ceferins Vor-
gänger Michel Platini aus Mangel an geeig-
neten Gastgebern das Turnier über den ge-
samten Kontinent streute. Kein Land muss
nun allein mit der Verschiebung klarkom-
men, die Last verteilt sich auf viele Schul-
tern. Juristische Probleme mit den Fern-
sehrechteinhabern, in Deutschland ARD
und ZDF, dürfte die Verlegung kaum brin-
gen. Nach SZ-Informationen ist in den ur-
sprünglichen Verträgen ohnehin eine Klau-
sel enthalten, nach der sich das Turnier um
bis zu 13 Monate verschieben kann.
An den Rahmenbedingungen der EM
soll sich nach Möglichkeit nichts ändern.
Ausgelost sind bereits sechs Gruppen an
zwölf Standorten, darunter drei Vorrun-
denpartien der deutschen Nationalelf so-
wie ein Viertelfinale in München. Die Eröff-
nung soll in Rom stattfinden, die beiden
zwei Halbfinals und das Endspiel in Lon-
don. Aber absolut fix ist das nicht.
Klar ist hingegen, dass die Verlegung
auch Folgen für andere Wettbewerbe ha-
ben wird. Frauen-EM, U21-EM und das Fi-
nale der Nations League waren für kom-
menden Sommer geplant und brauchen
neue Termine. Die Europacup-Saison, die
mitten im Achtelfinale gestoppt wurde, ist
fürs Erste ausgesetzt. Eine Arbeitsgruppe
soll sich Gedanken über den Spielkalender
machen. Aber klar ist schon, dass mehr Fle-
xibilität einkehren soll. Europapokalspiele
sollen auch mal am Wochenende möglich
sein und Ligaspiele verstärkt unter der Wo-
che. Sollte der Fußball wieder den Betrieb
aufnehmen können, wird es zu sehr unge-
wohnten Konstellationen kommen.
Berlin –Zu den Dingen, über die es in die-
sen Tagen noch Gewissheit gibt, zählen
Infektionen von Fußballern oder Trainern
mit dem Coronavirus. Im Stundentakt wer-
den sie gemeldet – mit Folgen. Ihre Mann-
schaften werden unter häusliche Quarantä-
ne gestellt. Die unvollständige Liste der be-
troffenen Klubs reicht von Juventus Turin
samt Cristiano Ronaldo und Sami Khedira,
Real Madrid samt Toni Kroos, dem FC Arse-
nal, dem SC Paderborn, Hannover 96 und
dem FC Valencia mittlerweile bis hin zu Fla-
mengo Rio de Janeiro, dem Sieger der Copa
Libertadores. Jorge Jesús, Trainer der frü-
heren Bundesligaprofis Diego und Rafin-
ha, teilte am Montag (Ortszeit) selbst mit,
dass er positiv getestet worden sei. Schon
am Montag war die Liste der Fälle lang ge-
nug, dass man, wie hier und da sarkastisch
gewitzelt wurde, einen Corona-Cup einfüh-
ren könnte. Am Dienstag wurde die Liste
um einen Bundesligisten erweitert: Auch
Hertha BSC meldete einen positiven Test.
Wie die Berliner mitteilten, habe ein
Profi über die üblichen, wiewohl leichten
Erkältungssymptome geklagt. Den Na-
men des Betroffenen teilte der Verein nicht
mit, unter Verweis auf ärztliche Schweige-
pflicht und Datenschutzgründe wurden
auch Medienspekulationen nicht kommen-
tiert. Dem Spieler gehe es allerdings bes-
ser, hieß es, er sei umgehend von der Grup-
pe getrennt worden. „Wir werden jetzt be-
obachten, ob noch weitere Fälle dazukom-
men, denn davon ist der Wiedereinstieg
ins Mannschaftstraining abhängig“, erklär-
te Mannschaftsarzt Uli Schleicher laut
Klubmitteilung. Darin meldete sich auch
Hertha-Manager Michael Preetz zu Wort:
„Wir müssen die Situation jetzt so anneh-
men, wie sie ist. Wann die Mannschaft wie-
der gemeinsam auf dem Platz stehen
kann, ist derzeit offen.“ Ähnliches gilt für
das Bodenpersonal des Tabellen-13. der
Bundesliga. Es war schon Ende vergange-
ner Woche ins Homeoffice geschickt wor-
den, auch der Fanshop war geschlossen,
als die Meldung des positiven Tests kam.
Für Hab-acht-Stellung sorgte die Nach-
richt zunächst auch bei Werder Bremen,
dem letzten Gegner der Hertha. Das dorti-
ge Gesundheitsamt allerdings gab Entwar-
nung: Quarantäne nicht nötig, das Spiel
liegt lange genug zurück.
Welche Unwägbarkeiten auch zurücklie-
gende Spiele derzeit aber bieten können, il-
lustriert das Beispiel von FC Valencia und
Atalanta Bergamo. Unlängst waren beide
Mannschaften aus den Corona-Hotspots
Spaniens und Italiens im Achtelfinale der
Champions League aufeinandergetroffen.
Der FC Valencia reiste nach Italien zum Hin-
spiel und verlor in Mailand – in der „Roten
Zone“ also – vor rund 44 000 Zuschauern
mit 1:4. Das Rückspiel endete vor leeren
Rängen mit einem 4:3-Sieg für Atalanta.
Danach überschlugen sich die Ereignisse.
Vor wenigen Tagen meldete der FC Va-
lencia, dass fünf Spieler der Mannschaft in-
fiziert seien und das ganze Team unter
häuslicher Quarantäne stehe. Atalanta Ber-
gamo zog nach. Die Profis mit familiärer
Anbindung in Bergamo durften zu ihren
Angehörigen. Die „Singles“ wurden, auch
wenn sie in der Ferne Frauen und Kinder
haben sollten, am Sonntag auf dem vereins-
eigenen Gelände untergebracht. Einiger-
maßen Auslauf haben sie dort: Die Sport-
stadt von Atalanta Bergamo ist, Sportplät-
ze inklusive, 120 000 Quadratmeter groß.
Das klingt viel, ist aber auch nur ein
Zehntel dessen, was Real Madrid in Valde-
bebas, vor den Toren der spanischen
Hauptstadt, zur Verfügung steht. Die Sport-
stadt des spanischen Rekordmeisters war
schon vor Tagen geschlossen worden, nach
einem positiven Test bei einem Spieler aus
der Basketball-Abteilung. Die Korbjäger
von Real Madrid, die seit Jahrzehnten ein
europäisches Spitzenteam stellen, nutzen
die selben Anlagen wie die Fußballer.
Zu den Betroffenen bei Real Madrid
zählt der deutsche Nationalspieler Toni
Kroos, er erhielt wie der Rest der Mann-
schaft Hausaufgaben, um sich fit zu hal-
ten. In einer Fernsehsendung von Pro7 gab
sich der einstige Bayern-Profi, den Um-
ständen entsprechend, vergnügt. Er esse
viel Nudeln und habe noch reichlich Klopa-
pier im Haus, scherzte er.
Ganz grundsätzlich seien Sorgen um sei-
ne Lage vergleichsweise unangebracht,
sagte er. Er selbst sei in einer privilegierten
Situation und wisse darum: „Da gibt es
ganz andere“, sagte Kroos. Entscheidend
sei, „diesen unsichtbaren Feind“ namens
Coronavirus zu besiegen: „Mir und meiner
Familie geht es gut, keine Symptome. Wir
sind topfit.“ javier cáceres
Fußball
In Argentinien zwingen die Profis
die Regierung zur Absage des
Spielbetriebs 24
Formel 1
Stillstand? Monte Carlo will
sein Rennen Ende Mai über
die Bühne bringen 25
Frankfurt/Köln– Zeugen des Gipfeltref-
fens der beiden Bundesligen berichteten,
die mit Spannung erwartete Vollversamm-
lung sei „beinahe langweilig“ gewesen, so
harmonisch wie es zugegangen sei zwi-
schen den Vertretern der 36 Profiklubs. Da-
mit hatten nicht alle Anwesenden gerech-
net, als sie sich am Montagmorgen aus
allen Himmelsrichtungen auf den Weg
nach Frankfurt machten. Besonders die Be-
merkungen, die Hans-Joachim Watzke am
Tag vor dem Treffen geäußert hatte, ließen
eine Kontroverse erwarten. Borussia Dort-
munds Geschäftsführer hatte unter an-
derem infrage gestellt, ob eine Unter-
stützung für notleidende DFL-Mitglieder
durch bessergestellte Klubs (wie den BVB)
mit den marktwirtschaftlichen Bedingun-
gen des Profifußballs vereinbar sei. Jene
Klubs, die finanziell in den vergangenen
Jahren „ein bisschen Polster angesetzt“
hätten, sollten nicht jene Vereine „beloh-
nen“ müssen, „die das nicht gemacht ha-
ben“, sagte er. Watzkes Fürsprecher inter-
pretierten die Aussage als obligatorische
Pflichterfüllung: Als Geschäftsführer der
Borussia Dortmund AG sei er den Interes-
sen der Aktionäre verpflichtet. Stellvertre-
tend für diejenigen, die Watzkes Stand-
punkt anders deuten, nannte Fortuna Düs-
seldorfs Vorstandschef Thomas Röttger-
mann die Aussagen „absolut unsolida-
risch“. DerRheinischen Postsagte Röttger-
mann: „Es war weder der richtige Zeit-
punkt noch der richtige Inhalt.“
Die Gegensätze geben eine der vielen
Konfliktlinien in der coronabedingten Fuß-
ballkrise wieder, dennoch kam es in Frank-
furt nicht zu einer ausführlichen Debatte.
Ausnahmsweise lag das nicht daran, dass
die Positionen der Großvereine Borussia
Dortmund und Bayern München ohnehin
selten auf leidenschaftlichen Widerstand
in der DFL-Versammlung stoßen. Diesmal
lag es an den Umständen. Wegen der unkal-
kulierbaren Lage konnte es in Frankfurt
kaum um konkrete Beschlüsse gehen, im
Vordergrund stand der grundsätzliche
Konsens. Nicht nur unter den 36 beteilig-
ten Profiklubs, sondern auch zwischen
dem Profifußball und dem Publikum.
So warb DFL-Geschäftsführer Christian
Seifert bei den Fans um Akzeptanz für den
Notbetrieb, dem die Klubs zur Rettung der
Saison entgegensehen. Nach Lage der Din-
ge seien Geisterspiele – vermutlich nicht
vor Mai/Juni – das einzige Mittel, um die
Saison zu Ende zu bringen und eine gewis-
se Existenzsicherung für die Klubs zu
gewährleisten. Fanvereinigungen hatten
sich tags zuvor in einem Statement gegen
Spiele ohne Zuschauer ausgesprochen.
Kritik, wonach der Fußball „in einer Bla-
se“ lebe, nehme er „total“ an, sagte Seifert
an die Adresse von Kritikern des „Milliar-
dengeschäfts Bundesliga“. Vielleicht sei
nun auch der richtige Zeitpunkt für offene
Worte. „Wir müssen zugeben: Ja, wir stel-
len ein Produkt her.“ Aber es gehe nun um
den Fortbestand dieses Produktes und der
mindestens 56 000 Arbeitsplätze, die un-
mittelbar an der Bundesliga hingen.
Seiferts Botschaften und seine eindring-
lichen Aufrufe zum Zusammenhalt hätten
Eindruck gemacht, sagen Teilnehmer. So
wurde der Streit ums Geld und über die per-
sönlichen Interessen der Klubs fürs Erste
vertagt. „Die Sitzung war nicht kontrovers,
im Gegenteil“, sagte Seifert. „Es mag vor-
her unterschiedliche Perspektiven und
Standpunkte gegeben haben, aber ich ge-
he davon aus, dass es jetzt nur noch einen
Standpunkt gibt.“ philipp selldorf
DEFGH Nr. 65, Mittwoch, 18. März 2020 HF3 23
An der Schwelle zur Copa Corona
Real Madrid, Juventus Turin, Flamengo Rio de Janeiro: Immer mehr Fußballteams stehen komplett unter Quarantäne. Auch Hertha BSC meldet jetzt einen Fall
Muss jetzt den Laden zusammenhalten:
Christian Seifert, 50, Geschäftsführer
der Deutschen Fußball Liga. FOTO: DPA
HEUTE
NATIONALMANNSCHAFT
Bundestrainer
Hansi Flick
Einen Sommer später
Die Uefa verschiebt die Fußball-EM um ein Jahr auf 2021. Das verschafft den nationalen Ligen die Chance,
ihren Spielbetrieb vielleicht doch zu Ende zu bringen. Bundestrainer Löw findet das „richtig und alternativlos“
Familienfoto der EM-Gruppe F bei der Auslosung in Bukarest: Fernando Santos
(Portugal), Bundestrainer Joachim Löw, Didier Deschamps (Frankreich). FOTO: AFP
2019/2020: zwei Jahre, in denen
es die hochheilige Nationalelf
kaum gegeben haben wird
Toni Kroos isst viel Nudeln und
hat nach eigenen Angaben auch
noch genug Klopapier im Haus
DFL-Chef Seifert wirbt bei den
Fans um Akzeptanz für einen
Notbetrieb mit Geisterspielen
Der Europokal pausiert, aber nach
der Corona-Pause könnte er auch
am Wochenende stattfinden
SPORT
Den Streit ums
Geld vertagt
Nach DFL-Treffen herrscht vorerst
Einigkeit unter den 36 Profiklubs
Pausenclown: Skillzy, das offizielle Maskottchen der Europameisterschaft, muss sich jetzt (mindestens) bis zum Sommer 2021 fit halten. FOTO: OLGA MALTSEVA / AFP