Süddeutsche Zeitung - 18.03.2020

(Elliott) #1
Berlin– „Ich bin ein positiver Mensch“,
sagt Julia Klöckner. Sie wolle deshalb kei-
ne „Szenarien aufmachen“, die irgendwie
nach Weltuntergang klingen. Ist ja auch so
alles schon schlimm genug.
Am Dienstag tritt die CDU-Landwirt-
schaftsministerin vor die Presse, mit ihr
der Bauernverband, der Handel, die Ernäh-
rungsindustrie. Die Botschaft ist einfach:
Es gibt keinen Mangel, und es droht auch
keiner. „Die Lebensmittelversorgung ist
sicher“, sagt Klöckner. Die Supermärkte
bleiben geöffnet. Lieferungen aus dem
Ausland kommen im Großen und Ganzen
weiterhin. Die Ernte reicht für alle. Alles
andere seien Falschnachrichten. „Es gibt
Menschen, die machen sich einen Spaß dar-
aus, andere in Angst zu versetzen“, sagt sie.
„Das ist nicht witzig, das ist unanständig.“

Nicht erst seit dieser Woche neigen die
Deutschen zum Hamstern. In großen Men-
gen tragen sie Klopapier, Konserven,
H-Milch und Nudeln aus den Supermärk-
ten. Menschen seien mit Anhängern und
Kleinlastern gekommen, um sich einzude-
cken, berichtet der Handelsverband HDE.
Das steckt offenbar an: Angesichts leerer
Regale überkommt selbst lässige Verbrau-
cher der Wunsch, doch lieber einen Vorrat
anzulegen. Am Ende werde vieles davon
weggeworfen, schwant der Ministerin.
„Hamsterkäufe sind nicht nur unnötig, sie
schaden auch“, sagt sie. Und: „Bewahren
Sie Ruhe.“ Auch Vertreter von Handel und
Ernährungsindustrie sehen keine Engpäs-
se. Allenfalls werde es nötig, die Vorgaben
für die Sonntagsarbeit zu lockern – um
dann die Regale für den Montag einräu-
men zu können. Oder den Lärmschutz zu
lockern, damit Lastwagen auch nachts die
Märkte anfahren können. „Wir sehen deut-
lich, dass die Warenströme gesichert sind“,
sagt HDE-Geschäftsführer Stefan Genth.
„Die Zentrallager funktionieren, auch die
Belieferung funktioniert.“ Es sei sicherge-
stellt, dass die Märkte geöffnet seien – und
dies auch bleiben.
Probleme aber gibt es. So brechen vie-
len Landwirten nun die Erntehelfer weg.
Der größte Teil kam aus Osteuropa, doch
wegen geschlossener Grenzen finden viele
nicht den Weg nach Deutschland, selbst
wenn sie wollten. „Wir brauchen jetzt für

Spargel- und Erdbeerbetriebe Saisonar-
beitskräfte, auch in größerer Anzahl“, sagt
Bauernpräsident Joachim Rukwied. Und
das rasch. Klöckner plädiert für „unkon-
ventionelle Lösungen“ – etwa regionale
Jobbörsen. Hier könnten Menschen, die
wegen der Coronakrise nichts zu tun ha-
ben, ihre Arbeitskraft Landwirten anbie-
ten. „Dass wir in solchen Zeiten zusammen-
stehen müssen, ist klar“, sagt Klöckner.
Auch über Direktflüge für Saisonarbeiter
nach Deutschland sei sie im Gespräch. An
den Grenzen selbst gibt es ebenfalls Proble-
me – etwa bei Tiertransporten. Damit die
nicht stundenlang auf die Abfertigung war-
ten müssten, brauche es Sonderspuren für
die Lastwagen, verlangt die Ministerin.
Aber können womöglich am Ende auch
Lebensmittel das Coronavirus übertra-
gen? Andreas Hensel begleitet Klöckner,
der Chef des Bundesinstituts für Risiko-
bewertung. „Es gibt derzeit keine Fälle, bei
denen gezeigt wurde, dass sich Menschen
über den Verzehr kontaminierter Lebens-
mittel oder den Kontakt mit Oberflächen
infiziert haben“, sagt er. Dafür seien die Co-
ronaviren in der Umwelt zu wenig stabil.
Eher schon wären überfüllte Supermärkte
ein Problem, sagt Hensel. Da stünden Kun-
den vor der Frage: „Gehe ich da rein, wenn
da 30, 40 oder 100 Leute drin sind?“ Eine
erzwungene Vereinzelung sei aber nicht nö-
tig.michael bauchmüller  Seite 4

Knapp werden


nur die Erntehelfer


Julia Klöckner garantiert die Versorgung mit Lebensmitteln


von daniel brössler

Berlin –Die Verwandlung vollzieht sich
seit einigen Tagen. Am Dienstagmorgen,
als Heiko Maas im Erdgeschoss des Aus-
wärtigen Amtes vor ein paar in sicherer
Entfernung postierten Journalisten das
Wort ergreift, ist sie perfekt. Der Außenmi-
nister ist jetzt Abschottungsminister. Der
SPD-Politiker erläutert nicht nur die Pläne
für eine groß angelegte Luftbrücke zur
Rückholung von gestrandeten Deutschen
aus verschiedenen Winkeln der Welt. Er
verkündet auch eine nie dagewesene Reise-
warnung. „Bitte bleiben Sie zu Hause. Das
hilft Ihnen und anderen“, appelliert Maas.
Diese Reisewarnung gelte für touristische
Reisen „weltweit“. Dienstreisen betrifft sie
nicht, aber wer wüsste besser als der Au-
ßenminister, dass das Theorie ist. Maas
war seit Tagen nicht mehr Ausland, und
auch für die nähere Zukunft sind keine
Reisen geplant.


Die neue Wirklichkeit begann spätes-
tens am Freitag. Statt in ein Flugzeug nach
Prag setzte sich Maas vor eine Kamera. „Be-
sondere Herausforderungen verlangen un-
konventionelle Maßnahmen“, vermeldete
das Auswärtige Amt noch launig. Das ge-
plante Treffen der Visegrád-Gruppe und
Deutschlands sei in eine Videokonferenz
umgewandelt worden. Auf diesem Wege
habe Maas mit seinen Kollegen aus Brati-
slava, Warschau, Budapest und Prag dar-
über diskutiert, wie die Ausbreitung des
Coronavirus verlangsamt werden könne.
Das „Unkonventionelle“ ist binnen Tagen
zur Norm geworden. Der Rat der EU-Au-
ßenminister am kommenden Montag wird
per Videoschalte abgehalten, ebenso Bera-
tungen der G-7-Außenminister in Pitts-
burgh am kommenden Mittwoch.
Im Amt werden dergleichen Termine na-
türlich noch vorbereitet, aber sie sind an
den Rand gerückt. Das Ministerium hat
sich verwandelt in eine Zentrale für die zu-
mindest zeitweise Rückabwicklung der
Globalisierung. Praktisch zusammenge-
brochen ist der internationale Tourismus.
Grenzen wurden geschlossen, Flugverbin-
dungen gekappt, ganze Flughäfen außer
Betrieb genommen. Nun ist das massiv ver-
stärkte Krisenreaktionsteam unter Lei-
tung des Diplomaten Frank Hartmann mit
dem Bau einer Luftbrücke für weit mehr
als 100 000 Deutsche beschäftigt.
Allein in Ägypten geht es um 30 000 Ur-
lauber, die bis zur Kappung der Flugverbin-
dungen am Donnerstag kaum alle außer
Landes zu bringen wären. Das Auswärtige
Amt besorgt nun weltweit Landegenehmi-


gungen und finanziert Flüge, die vor allem
die Rückreise von Individualreisenden, et-
wa aus Marokko, sicherstellen sollen. Auch
in Tunesien, Argentinien, der Dominikani-
schen Republik, auf den Malediven, den
Philippinen und Malta sind Deutsche ge-
strandet. Ihnen gilt die größte Rückholakti-
on der bundesrepublikanischen Geschich-
te. Sich im Internet in die Krisenvorsorge-
liste des Auswärtigen Amtes einzutragen,
war am Dienstag allerdings über Stunden
nicht möglich – wegen Überlastung.
Kein Verständnis herrscht im Auswärti-
gen Amt für Menschen, die sich jetzt noch
auf Auslandsreisen in den Urlaub begeben.
„Wir müssen davon ausgehen, dass der
weltweite Passagierverkehr auf absehbare
Zeit auf ein sehr niedriges Niveau zurück-
gehen wird“, warnt Maas. Auch deshalb
hat er zum drastischen Mittel der weltwei-

ten Reisewarnung gegriffen. Umstände
sind das, unter denen sich der dienstältes-
te Außenminister der EU, der Luxembur-
ger Jean Asselborn, so etwas wie normale
Außenpolitik gar nicht vorstellen kann. Ja
schon, sagt er, man werde den Rat am Mon-
tag per Videoschalte absolvieren. „Da sol-
len wir über China reden und Nahost. Aber
wer kann sich in der jetzigen Situation dar-
auf konzentrieren?“, fragt er. Asselborn
war immer einer, der sich für die Krisenge-
biete der Welt engagiert, nun hat er die Kri-
se im eigenen Land. „Wenn die Grenzen ge-
schlossen sind, ist Luxemburg nicht le-
bensfähig“, warnt er, nachdem auch
Deutschland Grenzkontrollen zum Groß-
herzogtum eingeführt hat. 200 000 Pend-
ler gebe es in Luxemburg bei 600 000 Ein-
wohnern, rechnet Asselborn vor. Kranken-
häuser, Altenheime, aber auch Betriebe sei-

en auf die 100 000 Franzosen, 50 000 Belgi-
er und 50 000 Deutschen angewiesen. „Es
geht um den Lebensnerv unseres Landes“,
sagt Asselborn. Wenn er mit Maas telefo-
niert, geht es nicht mehr um Hilfe für die
Menschen in Idlib, sondern um Passier-
scheine für Pendler aus Trier.
„Damit die Corona-Pandemie nicht ver-
schärfend auf bestehende Konflikte wirkt,
ist es zentral, dass neben dem Krisenma-
nagement der internationale Gesprächsfa-
den nicht abreißt“, mahnt derweil Niels An-
nen (SPD). Der Staatsminister im Auswärti-
gen Amt sitzt wie viele Diplomaten im
Home-Office, kommuniziert per Telefon
und SMS. Unter den erschwerten Bedin-
gungen müsse „der diplomatische Betrieb
weitergeführt“ werden, sagt er. „Die Krie-
ge in Libyen und Syrien oder die Flücht-
lingskrise verschwinden nicht einfach.“

Heiko Maas im Foyer des Auswärtigen Amts nach der Corona-Pressekonferenz am Dienstag. FOTO: BERND VON JUTRCZENKA / DPA

DEFGH Nr. 65, Mittwoch, 18. März 2020 (^) POLITIK HF3 5
Weit mehr als 100000
Menschen soll die Heimreise
ermöglicht werden
Es gibt keine Hinweise, dass
Corona auch durch Lebensmittel
übertragen werden kann
Ministerin Julia Klöckner hält Hamster-
käufe für schädlich. FOTO: IMAGO
Der Heimreiseminister
Heiko Maas bleibt im Auswärtigen Amt, spricht eine Rundum-Reisewarnung
aus und organisiert eine Luftbrücke für alle im Ausland festsitzenden Deutschen
In Ihrer HVB Filiale oder auf hvb.de/check
Jetzt Flexibilitäts-Check machen.


Wichtiger denn je:


auch von zu Hause


handlungsfähig sein.


Felix Neureuther

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