Süddeutsche Zeitung - 18.03.2020

(Elliott) #1
von nadia pantel

Paris –Bevor der Krieg beginnt, organisie-
ren sich die Deserteure. Die einen packen
hastig ihre Koffer und suchen nach einem
Ort, an dem sie so tun können, als gäbe es
den Rest der Welt nicht mehr. Die anderen
verabreden sich mit Freunden zum Pick-
nick im Park. Sie fliehen nicht vor dem
Krieg, sie fliehen vor der Angst.
„Vermeiden Sie es, in Panik zu geraten“,
rät Emmanuel Macron den Franzosen in
seiner Fernsehansprache am Montag-
abend. Nur um zwei Sätze später zu ergän-
zen: „Wir befinden uns im Krieg.“ Er ver-
wendet diese Formulierung nicht ein-, son-
dern sechsmal. Als versuche er, zwei Bevöl-
kerungsgruppen gleichzeitig zu erreichen,
die einander nur noch fassungslos beob-
achten. Auf der einen Seite will er diejeni-
gen besänftigen, die sich vorm Einschlafen
nun jeden Abend den eigenen Tod ausma-
len („keine Panik“). Auf der anderen Seite
will er diejenigen aufrütteln, die am Sams-
tagabend nur deshalb in Sorge gerieten,
weil ihre Lieblingsbar auf unbestimmte
Zeit dichtmacht („wir sind im Krieg“).
Staaten und Menschen definieren sich
in diesen Wochen darüber, wie sie dem neu-
en Feind begegnen. Macron spricht nur
von „dem Virus“, es bleibt namenlos und
unsichtbar. Und es verändert alles.
Die Gerüchte kursierten schon am Wo-
chenende. „Das Militär macht die Stadt
dicht“, hieß es beim Bäcker. „Ihr habt noch
48 Stunden Zeit, euch zu entscheiden, wo
ihr den Hausarrest aussitzen wollt“, wurde
über WhatsApp weitergeleitet. In seiner
20-Uhr-Rede vermeidet Macron am Mon-
tag dann das Wort, das alle erwarten: „con-
finement“, Ausgangssperre. Macron setzt
im Katastrophen-Modus auf Pathos und
große Worte. Er hofft auf seine Kraft, die
Krise irgendwie zur Chance werden zu las-
sen. „Am Tag danach, wenn wir gesiegt ha-
ben werden, wird es keine Rückkehr zum
Vorher geben. Wir werden moralisch ge-
stärkt sein, wir werden gelernt haben“,
sagt der Präsident. Etwas so Simples wie
„Ausgangssperre“ sagt er nicht.
In Frankreich gelten immer dieselben
Regeln für alle Regionen – ohne dass sie
für alle dasselbe bedeuten würden. „Es
geht darum, die Kontakte außerhalb des
Hauses maximal zu limitieren“, lautet die
präsidiale Handlungsanweisung. Dieser
Satz klingt in den wenig besiedelten Regio-
nen des Zentralmassivs anders als in Paris.
21000 Einwohner drängen sich hier auf ei-
nem Quadratkilometer. In Berlin verteilen
sich, zum Vergleich, auf derselben Fläche
im Schnitt 4000 Einwohner. Wo der Platz
fehlt, werden die Wohnungen kleiner, viel
kleiner. Nicht vor die Tür gehen, klingt hier
nicht nach Pause und Verlangsamung, es
klingt nach Ersticken.
Die extreme Zeit hat zu extremen Reakti-
onen geführt. Nichts wie weg, lautete das
Motto bei den einen. Oder: jetzt erst recht
so tun, als gäbe es auf der Welt keine schö-
nere Stadt als Paris. Die Bahngesellschaft
SNCF bestätigt, dass die Nachfrage nach
Zugtickets in den Stunden vor dem neuen
Reiseverbot signifikant anstieg. Die Rich-
tung war: raus aus der Hauptstadt. Bei den
Autovermietungen rasten die Preise in ast-
ronomische Höhen, Flüge waren ausge-
bucht.Le Mondeberichtet, dass es in den
Ferienorten schon vor der Saison voller

wird. Wer kann, bezieht sein Zweitdomizil.
Und in Paris können erstaunlich viele. Es
sind vor allen Dingen die besseren Viertel,
in denen nun die Wohnungen leer stehen.
Aus den verarmten Vororten, aus Seine-
Saint-Denis, sendet der Nachrichtensen-
der am Dienstagmorgen Bilder, wie Men-
schen sich zu Hunderten vor den Super-
märkten drängen. Das Virus trifft alle
gleich, seine sozialen Folgen nicht.
Doch neben denen, die sich aus dem
Staub gemacht haben und neben denen,
die brav auf dem Sofa sitzen, gibt es noch ei-
ne dritte Gruppe. Sie spazierte am Sonntag
an der Seine entlang, sie machte mit ihren
Kindern einen Ausflug in den Jardin du Lu-
xembourg, sie hockte dicht an dicht auf ih-
ren Picknickdecken und entkorkte den
Champagner. Das ist in Paris keine Meta-
pher, sondern Realität. Diese Allzeitlässi-
gen verteidigen den Ruf der Franzosen in
der Welt. Sie wurden von allen bewundert,
als nach dem 13. November 2015 noch das
Blut der Attentate auf den Bürgersteigen
trocknete, aber vor den Bars schon wieder
geraucht und diskutiert wurde. Lebens-
freude aus Trotz und Willen.

Nur ist ein Virus kein Terroranschlag. Es
ist nichts, was Wahnsinnige mit Waffen
und Munition über einen bringen. Es ist et-
was, das man in sich selbst trägt. Die Bedro-
hung sind nicht die Anderen, die Bedro-
hung kommt aus dem eigenen Körper. In
Frankreich sprechen Präsident Macron
und seine Minister nicht nur vom Krieg,
um die nationale Einheit zu beschwören.
„Krieg“ ist schlicht das eindrücklichste
Wort für: Nun habt endlich mal Angst!
Und während Macron den Krieg aus-
ruft, bricht eine seiner treuen „Soldatin-
nen“ zusammen. Soldaten, Marschierer,
so nennen sie in Frankreich diejenigen, die
ihrem Präsidenten stets die Treue halten.
Es ist eine martialische Sprache, die sich
nicht erst mit dem Coronavirus verbreitet
hat. Eine der wichtigsten Marschiererin-
nen Macrons war Agnès Buzyn, früher Ärz-
tin, dann Gesundheitsministerin, schließ-
lich Macrons Kandidatin fürs Pariser Bür-
germeisteramt.
Mitte Februar, Frankreich zählte seine
ersten Coronafälle, verließ sie den Job der
Coronakrisenmanagerin und kämpfte
ums Pariser Rathaus. Macron wollte es so.
Dass sie bei der ersten Runde der Kommu-
nalwahlen am Sonntag nur 17 Prozent hol-
te, ist inzwischen fast egal. Wichtiger ist
ihr Eingeständnis, dasLe Mondeam Diens-
tag veröffentlichte. „Als ich das Ministeri-
um verlassen habe, habe ich geweint, weil
ich wusste, was uns für ein Tsunami bevor-
steht“, sagt Buzyn. Von Beginn ihrer Kam-
pagne an habe sie „nur an das Coronavirus
gedacht“. Die zweite Runde der Kommunal-
wahl ist spätestens für den Juni angesetzt.
Buzyn verzichtet darauf, erneut anzutre-
ten. Über ihre Kandidatur sagt sie: „Wir hät-
ten alles stoppen müssen, es war eine Mas-
kerade. Die letzte Woche war ein Albtraum,
ich hatte Angst vor jedem Meeting.“ Bleibt
man in Macrons Rhetorik, dann herrscht
nicht nur Krieg, dann befindet sich auch
die ganze Armee in Zersetzung.

Flucht vor der Angst


Die Reichen verlassen Paris, die Armen stehen Schlange vor dem
Supermarkt – das Virus trifft alle gleich, seine sozialen Folgen nicht

„Kein Unternehmen, egal welcher Größe,
wird dem Risiko einer Pleite ausgeliefert“,
verspricht Emmanuel Macron. Und dass nie-
mand in Frankreich fürchten müsse, wegen
der Coronavirus-Krise plötzlich mittellos
dazustehen. Die Ankündigungen des Präsi-
denten zur Abfederung des Konjunkturein-
bruchs, dem die Weltwirtschaft ausgesetzt
ist, klingen tröstlich – und vollmundig.
Denn wegen des Coronavirus-Schocks ha-
ben viele Unternehmen längst die Produkti-
on gestoppt, etwa der Pariser Opel-Mutter-
konzern PSA. Kleine Firmen kämpfen ums
Überleben. Bei größeren Unternehmen wie
der Fluggesellschaft Air France-KLM, deren
Börsenwert in den vergangenen Tagen da-
hingeschmolzen ist, behält sich die Regie-

rung „Kapitalspritzen, Staatsbeteiligungen
und, wenn nötig, Verstaatlichungen“ vor,
sagt Finanz- und Wirtschaftsminister Bru-
no Le Maire. Er stimmt in die martialische
Rhetorik des Präsidenten ein: „Der Wirt-
schaftskrieg wird Monate dauern“, sagt er.
Für 2020 rechnet Le Maire jetzt mit einem
Rückgang des französischen Bruttoinlands-
produkts um ein Prozent, das Staatsdefizit
wird absehbar weit über den EU-Grenzwert
von drei Prozent schnellen. In Kürze kommt
ein Nachtragshaushalt.
Ebenso wie die Bundesregierung stellt Pa-
ris ab sofort Staatsgarantien in großem Um-
fang, damit Unternehmen ihre Darlehen be-
dienen können; die Garantien betragen 300
Milliarden Euro. Dennoch müssen die Ban-

ken mit Kreditausfällen rechnen. Die Institu-
te seien solide, beteuert Le Maire. Er will ver-
meiden, dass an den Finanzmärkten eine
Spekulation gegen die Banken einsetzt.
Frankreich gewährt Firmen auch direkte
Hilfen in Höhe von 45 Milliarden Euro. Da-
von entfällt ein Großteil auf die Stundung
von Steuern und Abgaben und auf großzü-
gig bemessenes Kurzarbeitergeld. Kleinun-
ternehmen und Selbständige, die massive
Umsatzverluste erleiden, erhalten Bargeld


  • allerdings oft nur 1500 Euro. Doch Macron
    hat für sie noch ein tröstliches Versprechen
    parat: „Rechnungen über Wasser, Gas und
    Strom sowie Mieten werden ausgesetzt.“
    Um die Einhaltung des Versprechens muss
    sich Le Maire kümmern. LEO KLIMM


Berlin/Ankara/Genf– Bundeskanzlerin
Angela Merkel hat mit dem türkischen Prä-
sidenten Recep Tayyip Erdoğan und den
Staats- und Regierungschefs Frankreichs
und Großbritanniens per Videoschaltung
beraten. Das teilte das türkische Kommuni-
kationsministerium am Dienstag auf Twit-
ter mit, ohne Details über den Inhalt der Be-
sprechung zu nennen. Die staatliche Nach-
richtenagentur Anadolu berichtete, bei der
Videokonferenz sei es unter anderem um
Hilfe für Menschen in der syrischen Pro-
vinz Idlib und um das Thema Flüchtlinge
gegangen. Vor der Konferenz hatten türki-
sche Regierungskreise verlautet, die Politi-
ker wollten diskutieren, wie das Flücht-
lingsabkommen zwischen der Türkei und
der EU aus dem Jahr 2016 überarbeitet
und welche zusätzliche Unterstützung der
Türkei gewährt werden könnte.
Laut dem Abkommen sollte die Türkei
die Flüchtlinge an einer Weiterreise in die
EU hindern und im Gegenzug sechs Milliar-
den Euro erhalten. Allerdings hatte die Re-
gierung in Ankara Ende Februar erklärt,
sie werde die Flüchtlinge nicht mehr an ei-
ner Weiterreise hindern. Zehntausende ha-
ben seither versucht, in den EU-Staat Grie-
chenland zu gelangen. Die griechischen Si-
cherheitskräfte halten sie mit Tränengas
und Wasserwerfern davon ab.

Die Türkei hat bereits 3,6 Millionen
Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien
aufgenommen. Hinzu kommen zahlreiche
Migranten aus Afghanistan, Pakistan und
Afrika. Außerdem sind in der nordwestsyri-
schen Provinz Idlib Hunderttausende Sy-
rer auf der Flucht vor der heranrückenden
Regierungsarmee. Die Türkei befürchtet,
dass zusätzlich drei Millionen Syrer ins
Land gelangen wollen, und hat die Grenze
abgeriegelt. Vergangene Woche war Erdo-
ğan zu Beratungen mit den EU-Spitzen in
Brüssel und wurde dazu aufgefordert, die
Flüchtlinge nicht mehr zu ermutigen, an
die griechisch-türkische Grenze zu gehen.
Vor den Beratungen der Regierungs-
chefs hat Grünen-Chefin Annalena Baer-
bock eine Lösung für den Umgang mit
Flüchtlingen aus Syrien gefordert. Baer-
bock sagte am Dienstag im Inforadio des
RBB, sie erwarte eine „sehr deutliche Ansa-

ge vonseiten der Bundeskanzlerin und
dem französischen Präsidenten“. Die Grü-
nen-Chefin sagte, die Europäer „müssen
gegenüber Herrn Erdoğan sehr deutlich
machen, dass die Türkei ihre Grenzen kon-
trollieren muss, aufhören muss, Geflüchte-
te zur Spielmasse zu machen“. Europa müs-
se in die Vorhand kommen und sehr klare
Zusagen für die Finanzierung von Geflüch-
teten in der Türkei machen. Bisher habe
sich Europa erpressbar gemacht, weil man
für abgeschobene Flüchtlinge aus Europa
neue Geflüchtete aus der Türkei habe auf-
nehmen müssen.
Die Vereinten Nationen warnten, dass
die Corona-Pandemie das Leben von Milli-
onen bedürftiger Menschen in etlichen Kri-
senstaaten bedrohe. Lebensrettende Hilfe
für die betroffenen Menschen zu leisten,
habe nun höchste Priorität, erklärte Jens
Laerke, Sprecher des UN-Büros zur Koordi-
nierung humanitärer Hilfe, am Dienstag in
Genf. Er hob hervor, dass die Corona-Pan-
demie direkt die Gesundheit und das Le-
ben vieler Flüchtlinge gefährde. Zudem
könne es zu Finanzierungsproblemen und
Lieferschwierigkeiten für Nahrung, Medi-
zin und andere Hilfsgüter kommen.
Laerke unterstrich, dass mehr als 100
Millionen Kinder, Frauen und Männer auf
die humanitäre Hilfe der UN angewiesen
seien. Gründe seien Konflikte, Naturkatas-
trophen und zunehmend auch der Klima-
wandel. Das UN-Büro zur Koordinierung
humanitärer Hilfe entwirft zudem einen
Appell für dringend benötigte neue Hilfs-
zahlungen als Folge der Corona-Pande-
mie. reuters, dpa, epd

Berlin– Die Anforderungen an die Bundes-
wehr in der Corona-Krise könnten größer
kaum sein. Bayerns Ministerpräsident
Markus Söder hält es für „unabdingbar“,
dass die Truppe mit ihren Ärzten, Laboren
und Kapazitäten an Krankenhausbetten
einspringt. Berlin will sogar auf dem Gelän-
de der Messe Berlin ein Krankenhaus nur
für Covid-19-Patienten mit einer Kapazi-
tät von bis zu 1000 Betten aufbauen – mit
Hilfe unter anderem der Bundeswehr. Dies
bestätigte der Senat, ohne genau sagen zu
können, wo der Beitrag der Bundeswehr
liegen solle. Verteidigungsministerin Anne-
gret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte am
Wochenende klargemacht: Die Bundes-
wehr werde in der Krise helfen. „Was im-
mer jetzt gebraucht wird“, sagte sie.
Genauso stellt sich die Frage: Was kann
die Bundeswehr tatsächlich leisten?
Die Krise wirft ein Schlaglicht auch auf
den Sanitätsdienst der Bundeswehr mit sei-
nen heute nur noch etwa 20000 Männern
und Frauen. Bislang stand der Sanitäts-
dienst weniger im Fokus der Öffentlich-
keit. Bemängelt wurde, wenn Kampfjets
der Bundeswehr nicht fliegen, Panzer
nicht rollen oder U-Boote nicht tauchen.
Der Sanitätsdienst der Bundeswehr ist
aber genauso wenig vom Sparkurs nach
dem Ende des Kalten Krieges verschont
geblieben: Nur noch knapp 2000 Betten
halten die verbliebenen fünf großen Bun-
deswehrkrankenhäuser in Deutschland
vor, in die auch Zivilisten gehen. Mobile

Rettungszentren, Container- und Zeltanla-
gen, in denen in kürzester Zeit kleine Kran-
kenhäuser samt Labor und Intensivstation
entstehen können, besitzt die Bundeswehr
nur sechs, von denen aber meist vier in Aus-
landseinsätzen oder Übungen gebunden
sind. Selbst wenn die Bundeswehr solche
Rettungszentren jetzt aktivieren sollte,
stellt sich immer noch die Frage, wer darin
dann die Patienten versorgen soll. Denn
das Personal dafür stellen für gewöhnlich
die Bundeswehrkrankenhäuser, und dort
ist – jetzt in der Coronakrise – jede Medizi-
nerin und jeder Mediziner, jede Pflegerin
und jeder Pfleger unabkömmlich.

„Bereits vor der Krise bestand bei der Sa-
nität erheblicher Investitionsbedarf“, sagt
etwa der Grünen-Politiker Tobias Lindner.
Erst seitdem mit der Annexion der Krim
durch Russland die Landes- und Bündnis-
verteidigung wieder in den Blickpunkt ge-
raten ist, wird deutlich, wie hohl die Struk-
turen auch im Sanitätsdienst geworden
sind. Erste Investitionen wurden schon be-
willigt, etwa geschützte Krankentransport-
fahrzeuge sollen angeschafft werden. Nun
aber stellt die Pandemie das Gesundheits-
wesen in Deutschland vor ganz andere Pro-
bleme: Es braucht Betten auf Intensivstati-

onen – und Personal. Die Bundeswehr
greift jetzt auch auf jene Leute zurück, die
sich gerne mal als „größter Fanclub“ der
Truppe bezeichnen: die Reservisten.
Das sind jene Männer und Frauen, die
ihre aktive Dienstzeit schon hinter sich
haben, zivile Jobs haben und doch regel-
mäßig wieder einrücken. Weil die Bundes-
wehr sie braucht, dies gilt in diesen Tagen
ganz besonders. Nach Angaben des Reser-
vistenverbandes vom Dienstag hätten sich
bereits mehr als 1000 Reservisten gemel-
det, von denen etwa 700 im Sanitätsdienst
einsetzbar seien. Dabei gehe es ausdrück-
lich nicht um Männer und Frauen, die etwa
in ihrem zivilen Leben als Ärzte arbeiteten,
sondern um zusätzliches Personal. So mel-
dete sich beispielsweise eine Lehrerin, die
aufgrund des Unterrichtsausfalls derzeit
freigestellt ist und vor ihrem Lehramtsstu-
dium als Krankenschwester im Sanitäts-
dienst der Bundeswehr tätig war. Oder es
geht um Reservisten, die Pfleger und Ärzte
von solchen Aufgaben entlasten, die nicht
direkt mit Patienten zu tun haben.
Für den Bundestagsabgeordneten Pa-
trick Sensburg (CDU), Präsident des Ver-
bandes der Reservisten, steht fest: „Die Re-
serve ist seit Jahren wichtiger geworden.“
Er freut sich, dass sich in diesen Tagen so
viele meldeten, um in den Krankenhäu-
sern der Bundeswehr oder in den Laboren
der Truppe auszuhelfen. Er weiß aber
auch, dass dieser Beitrag am Ende ein über-
schaubarer bleiben wird. Wenn es für die
Reserve eine Lehre aus der Corona-Krise
geben, dann wohl auch diese: „Auch in der
Reserve brauchen wir mehr Personal mit
pflegerischer und medizinischer Ausbil-
dung.“ Hier müsse in den Planungen ein
neuer Schwerpunkt entstehen. Der Reser-
vistenverband hatte zu diesem Thema eine
Frühjahrstagung geplant, aber diese muss-
te wegen der Krise auch abgesagt werden.
Die Bundeswehr hat erkannt, wie wich-
tig Reservisten für sie sind. Mit der Zahl
der Aktiven wächst auch die Zahl der
Dienstposten für Reservisten: Gab es 2018
noch 3800 Stellen, so waren es 2019 be-
reits 4500. Reservisten können mittlerwei-
le auch in Teilzeit aushelfen. Neu ist auch:
Jeder Soldat, der bei der Bundeswehr ge-
dient hat, egal ob als freiwillig Wehrdienst-
leistender, als Soldat auf Zeit oder als Be-
rufssoldat, wird noch sechs Jahre „grund-
beordert“ sein. Das macht es einfacher, sie
oder ihn in Zukunft zum Reservistendienst
heranzuziehen. mike szymanski

Teheran– Iran steuert in der Corona-
virus-Krise um: Der oberste geistliche
Führer, Ajatollah Ali Chamenei, verbot
am Dienstag alle „unnötigen“ Reisen im
Land, meldeten halbamtliche Medien.
Zuvor warnte ein Arzt im staatlichen
Fernsehen, „Millionen“ Menschen könn-
ten an Covid-19 sterben, wenn weiter
gereist werde und Gesundheitsregeln
nicht eingehalten würden. Iran ist mit
am stärksten von der Pandemie betrof-
fen. Die Zahl der Toten stieg laut Ge-
sundheitsministerium auf 988. Am
Montagabend hatten strenggläubige
Schiiten noch dagegen demonstriert,
dass heilige Stätten geschlossen wor-
den sind. Angesichts der Viruskrise
wurden 85 000 Häftlinge vorüberge-
hend freigelassen, darunter auch politi-
sche Gefangene.ap, reuters


„Wenn nötig, auch Verstaatlichungen“


Virtuelle Krisenlösung


Merkel, Erdoğan und Macron beraten über Lage der Flüchtlinge


Bundeswehr auf Reserve


Wie viel kann die Truppe leisten? Auch beim Sanitätsdienst wurde lange gespart


Berlin –Ex-Unionsfraktionschef Fried-
rich Merz hat sich mit dem neuartigen
Coronavirus angesteckt. „Ein am Sonn-
tag bei mir durchgeführter Corona-Test
ist positiv. Ich werde bis Ende nächster
Woche zu Hause unter Quarantäne
stehen“, sagte Merz am Dienstag in
Berlin. Der 64-Jährige ergänzte: „Zum
Glück habe ich nur leichte bis mittlere
Symptome. Alle Termine sind abgesagt.
Ich folge strikt den Anweisungen des
Gesundheitsamtes.“ Merz gilt als einer
von drei aussichtsreichen Kandidaten
für die Nachfolge der scheidenden CDU-
Vorsitzenden Annegret Kramp-Karren-
bauer und damit auch als möglicher
Kanzlerkandidat der Union. Ein ur-
sprünglich für den 25. April geplanter
Parteitag zur Wahl des neuen Vorsitzen-
den war von der CDU-Spitze wegen der
Ausbreitung des Coronavirus verscho-
ben worden. Einen neuen Termin für
das Treffen der 1001 Delegierten gibt es
noch nicht. dpa


Bagdad– Nach einer monatelangen
Regierungskrise soll ein früherer Pro-
vinzgouverneur neuer Ministerpräsi-
dent des Irak werden. Staatschef Bar-
ham Salih beauftragte am Dienstag den
schiitischen Politiker Adnan al-Surfi
mit der Bildung einer Regierung. Der
frühere Gouverneur der Provinz Nad-
schaf hat dafür 30 Tage lang Zeit. Es ist
jedoch unsicher, ob er für sein Kabinett
eine Mehrheit im Parlament findet. Der
Irak leidet seit Monaten unter einer
Regierungskrise. Im vergangenen Jahr
brachen Massenproteste gegen die
politische Elite, die verbreitete Korrup-
tion und die schlechte Wirtschaftslage
aus. Der schiitische Nachbar Iran und
die USA ringen im Land um Einfluss.
Erneut sind Raketen auf einer von inter-
nationalen Truppen genutzten Militär-
basis im Irak eingeschlagen. Es war der
dritte Beschuss in einer Woche. dpa


München –Wegen des Coronavirus hat
das EU-Parlament seine Aktivität herun-
tergefahren – so stark, dass Abgeordne-
te sich um die Funktionsfähigkeit der
Institution sorgen. Abgeordnete der
Grünen, der Liberalen und der Linken
haben dem Vorsitzenden des Ausschus-
ses für Verfassungsfragen einen offe-
nen Brief geschrieben. Darin fordern sie
ihn auf zu prüfen, wie Abstimmungen
und andere Entscheidungen auch ohne
Anwesenheit der Abgeordneten stattfin-
den können. „Da die Abstimmungen
des Parlaments öffentlich sind, sollte
das einfach sein“, sagt der Grüne Daniel
Freund. Das Parlament müsse hand-
lungsfähig bleiben, um in dringenden
Fällen über Gesetze oder Budgetfragen
entscheiden zu können. kmb


Düsseldorf– Nordrhein-Westfalen
sperrt nun doch alle Spiel- und Bolzplät-
ze. Noch am Montag hatte die schwarz-
gelbe Landesregierung im Gegensatz zu
anderen Bundesländern entschieden,
Spielplätze offen zu halten, um etwa
Kindern in Großstädten und im Ruhrge-
biet den Aufenthalt an der frischen Luft
zu erleichtern. Familienminister Joa-
chim Stamp (FDP) begründete seinen
Schwenk mit einem Fehlverhalten der
Eltern: Trotz behördlicher Appelle wür-
den Kinder in größeren Gruppen spie-
len und so riskieren, das Coronavirus zu
verbreiten: „Das ist ein Ding der Unmög-
lichkeit!“ Stamp warnte, nun in Nach-
barschaften oder Betrieben Ersatz-Ki-
tas zu gründen oder große Picknicks
auf der grünen Wiese zu veranstalten:
„Eltern sollen ihre Kinder in den eige-
nen vier Wänden betreuen.“cwe


Berlin –Das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (Bamf) schränkt seine
Arbeit wegen der Ausbreitung des Coro-
navirus stark ein. Schutzsuchende dür-
fen nur noch dann einen Asylantrag
stellen, wenn sie entweder negativ auf
das Virus getestet wurden oder eine
14-tägige Quarantäne nachweisen kön-
nen. Das Gleiche gilt für Anhörungen
im Asylverfahren. Wie ein Sprecher des
Bundesinnenministeriums mitteilte,
wurden zudem die Befragungen im
Widerrufsverfahren bis zum 29. März
ausgesetzt. Die Bundesregierung hat
noch nicht entschieden, ob Ausländern,
die in Deutschland Asyl beantragen
wollen, unter noch die Einreise gestat-
tet werden soll. dpa


6 HF3 (^) POLITIK Mittwoch, 18. März 2020, Nr. 65 DEFGH
Eine Flüchtlingsfamilie an der griechisch-
türkischen Grenze. FOTO: AP
Das Selfie mit der Maske. FOTO: CHRISTIAN HARTMANN/REUTERS
Freiwillige Helfer der Bundeswehr nehmen im Oktober 2014 in Appen (Schleswig-Hol-
stein) an einer Übung zur Bekämpfung des Ebola-Virus teil. FOTO: DPA
„Krieg“ ist Macrons
eindrücklichstes Wort für:
Nun habt endlich mal Angst!
„Bereits vor der Krise
bestand bei der Sanität
erheblicher Investitionsbedarf“
Die Corona-Pandemie
gefährde die Gesundheit und
das Leben vieler Flüchtlinge
Iran reagiert auf Virus
Merz positiv getestet
Neuer Regierungschef im Irak
EU-Parlament an der Grenze
NRW schließt auch Spielplätze
Bamf schränkt Arbeit ein
KURZ GEMELDET

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