Süddeutsche Zeitung - 18.03.2020

(Elliott) #1

DEFGH Nr. 65, Mittwoch, 18. März 2020 HF2 9


von tobias kniebe
und david steinitz

D


ie Corona-Pandemie bietet Holly-
woodstudios die Möglichkeit zu ei-
nem Experiment, das sie schon lan-
ge ausprobieren wollten, sich aber bislang
nicht getraut haben: große Kinofilme paral-
lel zum Kinostart sofort auch als „Video on
Demand“ fürs Heimkino anzubieten.
Das Studio Universal verkündete am
Montag als erster großer US-Verleih, in
nächster Zeit Kinoblockbuster wie „Trolls
World Tour“ als Stream anzubieten. An-
dere Universal-Produktionen wie „The
Hunt“, „Emma“ und „Der Unsichtbare“, die
erst kürzlich gestartet sind, werden eben-
falls umgehend online gestellt. Der Preis
für die 48-Stunden-Ausleihe eines Films
soll in den USA 19,99 Dollar betragen. Die
Frankfurter Niederlassung von Universal
wusste auf Nachfrage am Dienstag noch
nicht, wie die Konditionen in Deutschland
aussehen sollen. Die Filme werden voraus-
sichtlich über Plattformen wie iTunes, Goo-
gle Play und Amazon zugänglich gemacht.
Die Aktion ist eine Reaktion auf die Kino-
schließungen weltweit, die Hollywood zu-
letzt das schwächste Einnahmenwochen-
ende seit zwanzig Jahren beschert haben.
Sie ist aber auch ein Tabubruch, weil die
Filmstudios sich bislang immer noch an
feste Verwertungszeitfenster hielten, die
einen Abstand zwischen Kino- und Heim-
auswertung herstellten. Zeitfenster, die
besonders die Kinobetreiber verbissen
verteidigt haben, deren Spielstätten jetzt
geschlossen sind.
Auf den ersten Blick ist das Streamen
von Filmen eine attraktive Option, auch in
Deutschland. Der kleine Arthouse-Verleih
Grandfilm aus Nürnberg bietet zum Bei-
spiel Corona-bedingt Filme für 9,99 Euro


als Stream zum Ausleihen an – und will die
Einnahmen solidarisch mit den Kinos tei-
len, in denen die Filme sonst laufen. Das ist
aber vor allem eine sympathische Geste
und zumindest jenseits von Hollywood
vorerst keine ernsthafte Alternative zum
Geldverdienen, wie deutsche Branchen-
vertreter finden.

Björn Hoffmann von der AG Verleih,
dem Verband unabhängiger Filmverleiher,
sagt, man müsse sich mit den Kinos solida-
risch zeigen. Man dürfe „aufgrund kurz-
fristiger Umsätze nicht voreilig langfristi-
ge und funktionierende Geschäftsmodelle
infrage stellen, wie das jetzt zum Teil
schon geschieht, siehe Universal“.
Hoffmann betreibt den Pandora-Film-
verleih, der unter anderem Filme von Ter-
rence Malick, Fatih Akin und Andreas Dre-

sen in die deutschen Kinos gebracht hat.
„Im Einzelfall kann man Streaming als Al-
ternative natürlich diskutieren. Aber an
sich stehen die Erlöse auf dieser Auswer-
tungsform in überhaupt keinem Verhält-
nis zu einer vernünftigen Kinoauswer-
tung.“ Zudem stünde in Deutschland, wo
die staatliche Filmförderung auch für Ver-
leiher zur Lebensgrundlage zählt, die Strea-
mingoption auch rein rechtlich nicht im-
mer zur Verfügung: „Auf dem Papier sieht
es ganz klar so aus, dass wenn ich einen Ki-
nostart nicht in dem Umfang durchführen
kann, wie das in der Förderung vertraglich
vereinbart ist, die Förderung anteilig wie-
der zurückfließt.“ Besonders hart betrof-
fen seien jetzt Verleiher, die kurzfristig
Starts absagen mussten und schon viel
Geld für Werbung ausgegeben hätten.
Aber auch für Filmemacher, deren Pro-
duktionen schon gestartet sind, ist die La-
ge desaströs. Der Produzent Stefan Arndt
von X-Filme hat mit den „Känguru-Chroni-
ken“ derzeit seinen größten Hit seit Jahren


  • oder besser gesagt: hatte. „Jetzt wurden


wir auf einem Sechstel der Strecke ausge-
bremst. Aktuell hatten wir 500 000 Besu-
cher, aber ich habe das Gefühl, drei Millio-
nen wären vielleicht drin gewesen.“
Auch für ihn ist Streaming keine Alterna-
tive, sondern eher eine Gefahr: „Wir dür-
fen nicht zulassen, dass die Krise den end-
gültigen Durchbruch für Netflix, Amazon
und all die anderen Plattformen bedeutet.
Wenn die Leute sich erst einmal daran ge-
wöhnt haben, dass sie das Kino nicht brau-
chen, könnte es hart für uns werden.“
Die Zeit nach der Pandemie macht vie-
len in der Branche sogar noch mehr Sorgen
als die Gegenwart. Arndt befürchtet, dass
sich nach der Krise „alle Filme gegenseitig
erschlagen werden“.
Im Kino, findet auch Björn Hoffmann,
starteten ohnehin viel zu viele Filme. „Und
wenn dann im zweiten Halbjahr statt 350
Filmen 500 anlaufen, macht es die Situati-
on nicht leichter.“ Auch das Folgejahr berei-
tet ihm Sorgen: „Was ich gar nicht einschät-
zen kann, ist, ob dieses Jahr die Filme ge-
dreht werden können, die wir 2021 ins Ki-
no bringen wollen. Konkret geplant hatten
wir den neuen Film von Andreas Dresen
und den neuen Film von Hans-Christian
Schmid. Schauspieler und Crew sind ja für
einen ganz bestimmten Zeitraum ver-
pflichtet und haben danach wieder andere
Engagements, das können Sie nicht ein-
fach mal so eben hin und her schieben. Pro-
duktionen sind in der Regel nicht gegen
Pandemien versichert, da entsteht schnell
ein Schaden in Millionenhöhe.“
Derweil gehen die Absagen von Dreh-
arbeiten weiter. Nachdem Nordrhein-West-
falen und Bayern am Montag alle Dreh-
genehmigungen auf öffentlichem Gelände
widerrufen haben, also außerhalb von Stu-
diogeländen, folgte Montagabend Berlin.
Wie erwartet haben die US-Studios außer-

dem ihre Dreharbeiten im Studio Babels-
berg verschoben. Das betrifft das Großpro-
jekt „The Matrix 4“ mit Keanu Reeves, das
Anfang März von San Francisco nach Ber-
lin umgezogen ist, und die Videospiel-Ad-
aption „Uncharted“ mit Tom Holland und
Mark Wahlberg.
Viele deutsche Filmproduzenten ban-
gen indessen ums wirtschaftliche Überle-
ben und nutzen alle behördlichen Spielräu-
me, um weiterzudrehen. So lässt etwa der
Münchner Produzent Christian Becker von
Ratpack Film seine Produktion „Hui Buh
2“, die derzeit in Prag gedreht wird, weiter-
laufen – „natürlich unter allen denkbaren
Sicherheitsvorkehrungen“, wie er sagt.
Schauspieler und Teammitglieder wurden
am Wochenende noch hektisch über die
Grenze geschafft, bevor diese geschlossen
wurde. „Wir machen weiter, solang es
geht“, sagt Becker.

Dabei hört man von anderen Projekten,
dass Schauspielern und Teammitgliedern,
die dringend abbrechen wollen, mit massi-
ven Vertragsstrafen gedroht wird. Noch
gibt es deshalb keinen öffentlichen Auf-
stand, aber Zeichen von Unruhe. Der Schau-
spieler Trystan Pütter postete auf Insta-
gram das Bild eines Schutzanzugs und
schrieb, am Set von „Ku’damm 63“ würde
weitergedreht „bis zum bitteren Ende“.
Auf derselben Plattform teilte die Schau-
spielerin Katja Riemann einen dringenden
Aufruf des Berufsverbands Kinematogra-
fie, dass alle Dreharbeiten „sofort einzu-
stellen“ seien und die Produzenten ihre
„Fürsorgepflicht“ wahrnehmen sollten.

Die Einschränkungen werden größer. Das
Coronavirus hat das Leben im Griff. Und
mittlerweile haben die meisten verstan-
den, worum es geht: um Solidarität, den
Schutz der Schwächeren, der besonders
Gefährdeten. Vor allem Ältere und Vor-
erkrankte mit Risikofaktoren für einen
schweren oder gar tödlichen Verlauf von
Covid-19. Bekannt ist mittlerweile auch
das Prinzip, das dem zugrunde liegt: Die
Kurve der neu Infizierten muss abgeflacht
werden, weil sonst das Gesundheitssys-
tem an seine Grenzen kommt. Es geht um
die Zahl der Erkrankten, die gleichzeitig
Behandlung im Krankenhaus, vor allem
aber intensivmedizinische Betreuung oder
künstliche Beatmung benötigen. Es gilt,
Szenen zu verhindern, wie die, von denen
Ärzte und Pflegende in italienischen Kran-
kenhäusern berichten.


Die Berichte, auch wenn es sich zum
Glück nur um einzelne Stimmen handelt,
sind erschütternd. Allen voran ein Inter-
view, das Christian Salaroli, Anästhesist
und Intensivmediziner an einer Klinik in
Bergamo, der italienischen ZeitungCor-
riere della Seragegeben hat. Salaroli be-
schreibt, wie sie jeden Tag tragische Ent-
scheidungen treffen müssten, weil sie zu
wenig Betten auf der Intensivstation für die
Anzahl der Kranken in kritischem Zustand
hätten und deshalb nicht jeden, der oder die
es für das Überleben bräuchte, künstlich be-
atmen könnten. Sie würden die Wahrschein-
lichkeit abschätzen, mit der die jeweiligen
Patienten überleben werden und müssten,
anders als sonst, Patienten mit sehr
geringen Chancen außen vor lassen.
Das gilt es zu vermeiden, heißt es zu
Recht. Es geht um einen zentralen Punkt,
der in der Fachsprache Triage heißt. Das
Prinzip kennt man in der Medizin schon
lange. Es stammt aus der Militärmedizin,
abgeleitet vom französischen „trier“ für
sortieren. Es beschreibt ein Vorgehen, bei


dem die Verwundeten auf den Schlacht-
feldern gesichtet wurden und danach „sor-
tiert“, wie dringend ihre Behandlung ist
und ob sie abtransportiert werden müs-
sen. Oder, weil hoffnungslos, bei der Trup-
pe belassen wurden, um dort zu sterben.
Salaroli spricht davon, dass er sich fühle
wie in der Kriegschirurgie, man rette nur
diejenigen, die eine Chance haben.
Nun ist seit Susan Sontags Essay
„Krankheit als Metapher“ bekannt, dass
sich die Medizin gerne kriegerischer
Metaphorik bedient, so „bekämpft“ man
Krankheiten oder versucht sie „zu besie-
gen“, wie man es bei der Ansprache des
französischen Präsidenten Macron erle-
ben konnte. Aber dies ist etwas anderes.
Hier werden nicht nur die Sprache oder ein
Bild übernommen, es geht nicht um eine
Übertragung, sondern um eine direkte
Entsprechung. Es werden eben tatsächlich
Maßnahmen aus der Militärmedizin, die
Triage, in ihrer engeren, militärischen
Bedeutung angewendet.
Normalerweise verwendet man eine
abgewandelte Triage in der Medizin, um
etwa in der Notaufnahme Patienten sofort
zu sichten und nach der Dringlichkeit ihrer
Versorgung zu sortieren. Es leuchtet ein,
dass das Prinzip, das man sonst im Leben
kennt: „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“,
im Bereich der Notfallmedizin nur ein-
geschränkt funktioniert. Es wäre absurd,
einen Patienten mit Herzinfarkt warten zu
lassen, weil jemand, der mit dem Fuß
umgeknickt ist, die Wartenummer vor ihm
gezogen hat.
Dabei geht es um die Reihenfolge: Wer
kommt zuerst dran? Einen Schritt weiter
geht die Triage bei Großschadensereig-
nissen, einer Massenkarambolage, einem
verunglückten Bus, Terroranschlägen mit
vielen Opfern; oder gar im Katastrophen-
fall, wie etwa einem Erdbeben mit vielen
Verschütteten, Verletzten und Toten. Auch
dort müssen die zu Behandelnden nach
der Dringlichkeit ihrer Behandlung einge-
teilt werden.
In derartigen Fällen sollen auch nach
dem Leitfaden „Katastrophenmedizin“
des Bundesinnenministeriums die Ver-

letzten und Kranken in vier sogenannte
Sichtungskategorien eingeteilt werden:
Erstens akute und vitale Bedrohung mit
der Folge der Sofortbehandlung, zweitens
schwer verletzt/erkrankt mit aufgescho-
bener Behandlungsdringlichkeit und drit-
tens leicht verletzt/erkrankt mit späterer,

vielleicht ambulanter Behandlung. Kri-
tisch und deshalb umstritten ist hier die
vierte Kategorie „ohne Überlebens-
chance“, die nur eine betreuende, abwar-
tende Behandlung erfahren soll. Grund-
idee ist, möglichst viele Menschenleben
mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen
zu retten.
Der Berliner Virologe Christian Drosten
hat die Coronavirus-Pandemie als „Natur-
katastrophe in Zeitlupe“ bezeichnet. Das
ist das Besondere der Situation. Die klassi-

sche Katastrophenmedizin etwa bei einem
Erdbeben kennt viele – oder eben zu viele


  • zu Versorgende auf einen Schlag, was be-
    deutet, dass sie meist mehr oder weniger
    gleichzeitig zur Versorgung anstehen. Auf
    diese Fälle ist die klassische Triage zuge-
    schnitten und leuchtet unmittelbar ein:
    Wenn man vor zwei Verletzten steht und
    nur einer davon ist voraussichtlich zu ret-
    ten, konzentriert man sich auf ihn. Dass
    man dem anderen dann nicht helfen kann,
    ist tragisch, aber eben einleuchtend und
    vor allem auch emotional zumindest halb-
    wegs nachvollziehbar.
    Bei einer ungebremsten Coronavirus-
    Pandemie jedoch kämen zum einen jeden
    Tag neue und mehr Patienten in die Not-
    aufnahme, zum anderen benötigen sie die
    Intensivbehandlung über längere Zeit.
    Und könnten dadurch, wie es gerade in
    Italien geschieht, zu einer lange andauern-
    den Ressourcenknappheit führen, statt
    wie sonst bei Katastrophen tendenziell nur
    kurzfristig.
    Vor diesem Hintergrund hat die italieni-
    sche Fachgesellschaft für Anästhesie, Re-
    animation und Intensivmedizin jetzt, man
    muss sagen: auf die Schnelle, Empfehlun-
    gen veröffentlicht, die über die Schilderun-
    gen aus Bergamo noch hinausgehen – und
    erschrecken. Sie sehen unter anderem vor,
    dass es notwendig werden könnte, eine
    Altersgrenze für den Zugang zur Intensiv-
    therapie festzulegen. Das sei kein Wertur-
    teil, so heißt es dort, sondern eine Möglich-
    keit, extrem knappe Ressourcen denen zur
    Verfügung zu stellen, die erstens die höchs-
    ten Überlebenschancen und zweitens die
    größte Anzahl an geretteten Lebensjahren
    zu erwarten hätten. Dies geschehe, um den
    Nutzen für die größtmögliche Zahl von
    Menschen zu maximieren. Bei einer kom-
    pletten Ausschöpfung der Ressourcen
    würde ein Festhalten an dem Prinzip „Wer
    zuerst kommt, mahlt zuerst“ bedeuten,
    nachfolgende Patienten von der Intensiv-
    therapie auszuschließen.
    Man erkennt an den Formulierungen
    sehr klar ihre philosophische Grundlage:
    die Nützlichkeitsethik, Utilitarismus. Sie
    basiert auf dem Prinzip „Das größte Glück


(Nutzen) der größten Zahl an Menschen“
und ist die vorherrschende moralphiloso-
phische Grundhaltung in den angloameri-
kanischen Ländern. Hierzulande wird sie
eher abgelehnt, unter anderem mit einem
Argument: Weil sie erlaubt, Leben gegen-
einander aufzurechnen. Das widerspricht
jedoch der auf Immanuel Kant zurück-
gehenden Idee, dass sich Leben einer
Bewertung entzieht, weil etwas, das man
bewerten kann, auch austauschbar wäre,
was die jedem Einzelnen innewohnende
Würde verletzt.
Interessanterweise finden sich Überle-
gungen, wie sie die italienischen Intensiv-
mediziner nun anstellten, seit vielen Jah-
ren im offiziellen Influenza-Pandemie-
plan der Schweiz, der ethischen Fragen ein
ganzes, gut fundiertes Kapitel widmet.
Auch dort wird festgestellt, dass es in Ex-
tremfällen zu einer Begrenzung der Thera-
pie für einzelne kommen könnte. Jedoch
mit einem gewichtigen Unterschied: Das
Alter wird dort, neben etwa gesellschaftli-
cher Stellung, Zahlungsfähigkeit, Verdiens-
ten, Geschlecht oder Religion, als Unter-
scheidungskriterium für die Zuteilung von
Ressourcen explizit abgelehnt. Indirekt
kann es zwar dennoch einfließen, wenn die
Überlebenschancen vom Alter abhängen.

Ausgeschlossen ist damit jedoch, wie es die
Empfehlungen der italienischen Intensiv-
mediziner tun, auf verbleibende Lebens-
jahre zu schauen – und damit die zu retten-
den Leben unterschiedlich zu bewerten.
Betont wird stattdessen die hohe Bedeu-
tung der Solidarität, weil unsolidarisches
Verhalten die Wirksamkeit des Kampfs
(sic!) gegen die Pandemie stark beeinträch-
tige. Vor allem müsse mit transparenten
und nachvollziehbaren Kriterien eine mög-
lichst gerechte Verteilung angestrebt wer-
den. Auch um ein Klima der Solidarität
und des Vertrauens zu erhalten. An erster
Stelle steht jedoch, alles zu unternehmen,

um die Situation zu vermeiden, indem aus-
reichende Kapazitäten vorgehalten oder
geschaffen werden.
Und in dieser Hinsicht hat Deutschland
mit wesentlich mehr Krankenhausbetten
und vor allem Intensivbetten einen großen
Vorteil, zu dem jetzt akut noch der zeitliche
Vorsprung kommt. Und hoffentlich die Soli-
darität bei der Einhaltung der notwendi-
gen Maßnahmen gegen die Verbreitung
des Virus.
Christian Salaroli wurde auch gefragt,
wie die Ärzte mit der Situation zurecht-
kämen. Einige würden daran zerbrechen,
sagte er, speziell die jüngeren, die weniger
Erfahrung hätten und nun plötzlich über
die Frage nach Leben und Tod entscheiden
müssten. Auch deshalb seien viele, Ärzte
und Pflegende, emotional erschöpft, es
käme zu Nervenzusammenbrüchen.
Das verwundert nicht, besonders, wenn
man sich klarmacht, wie tragisch die Situa-
tionen und Entscheidungen sind. Dies gilt
im doppelten Sinne, denn die Handelnden
sind eine Art tragische Helden im Sinn der
klassischen Tragödie. Sie stehen vor einer
Aufgabe, die ihnen das Schicksal gestellt
hat, und die sie nicht lösen können, sie
machen sich „schuldlos schuldig“, obwohl
sie richtig handeln.
Das ist besonders relevant im medizini-
schen Behandlungsverhältnis, bei dem die
Behandelnden die Sorge für jeden einzel-
nen Patienten übernehmen, aber jetzt
eben nicht in allen Fällen rein faktisch in
der Lage sind, dem vollständig gerecht zu
werden. Dieses Verhältnis zwischen Behan-
delnden, Ärzten wie Pflegenden, und den
Patienten, wird außerdem von einer emoti-
onalen Komponente begleitet, und die
daraus entstehende Belastung müssen die
Betreffenden verarbeiten, wenn sie vor der
Tatsache stehen, manche Patienten aus
Kapazitätsgründen nicht mehr behandeln
zu können.
Sollte die Situation so weit kommen,
könnten von einem möglichst breiten Kon-
sens getragene Empfehlungen oder Leit-
linien hier für Entlastung sorgen. Vor der
Tür warten schon die nächsten Patienten.
rainer erlinger

Die Bayreuther Festspiele und in Salzburg
die Pfingstfestspiele und die Festspiele sol-
len trotz der Ausbreitung des Coronavirus
stattfinden. „Wir sind voller Optimismus,
dass sich die Situation bessert“, teilte das
Pressebüro der Bayreuther Festspiele mit.
Eine Absage wäre ein „Super-GAU“. Der
Online-Sofortkauf der Tickets werde aber
sicherheitshalber von Ende März auf Ende
Mai verschoben. Die szenischen Proben
für die Festspiele beginnen regulär im Mai,
die technischen Proben kurz zuvor. Das
Festspielhaus solle dafür öfter gereinigt
und desinfiziert werden. Auch in Salzburg
hofft man. Die Festspiele schließen vorerst
alle Werkstätten und Büros. Nach der „vor-
liegenden Risikoabschätzung“ könnten
alle Veranstaltungen der Salzburger Fest-
spiele zu Pfingsten und im Sommer statt-
finden. „Sollte sich an dieser Risikoab-
schätzung etwas substantiell ändern, wer-
den wir unsere Besucher umgehend infor-
mieren“, teilen die Festspiele mit. dpa, rn

Die geplante Bekanntgabe der Hollywood-
Schmähpreise „Goldene Himbeeren“ vor
einem Publikum war am Wochenende
wegen der Coronavirus-Krise abgesagt
worden. Nun haben die Verleiher der „Raz-
zies“, kurz für Raspberry (Himbeere), doch
noch die Preisträger benannt. Das von Kri-
tikern verrissene Filmmusical „Cats“ ist
mit sechs Trophäen der große „Gewinner“,
gaben die Juroren in einer Videobotschaft
bekannt. Die Kinoverfilmung von Andrew
Lloyd Webbers Musical-Klassiker unter
der Regie von Tom Hooper holte unter an-
derem die Schmähpreise für schlechtesten
Film, Regie und Nebendarsteller Rebel Wil-
son und James Corden. Als schlechteste
Hauptdarsteller wurden John Travolta
(„The Fanatic“ und „Trading Paint“) und
Hilary Duff („The Haunting of Sharon Ta-
te“) ausgewählt. Der brutale Action-Film
„Rambo: Last Blood“ holte zwei Preise, als
schlechteste Fortsetzung und in der neuen
Filmsparte „rücksichtslose Missachtung
von Menschenleben und Gemeingut“. dpa

Dreharbeiten abbrechen?
Schauspielern, die das fordern,
drohen Vertragsstrafen

Feuilleton
Warum das Happy End
im „Weißen Hai“ in England
unwahrscheinlich ist 10

Literatur
Eric Vuillard erzählt
von Thomas Müntzer und
dem „Krieg der Armen“ 13

Wissen
Vom Primärfall zur
Latenzzeit – ein
epidemiologisches Glossar 14

 http://www.sz.de/kultur

„Wir dürfen nicht zulassen, dass
die Krise den endgültigen
Durchbruch für Netflix bedeutet.“

Salzburg und Bayreuth


wollen spielen


Schlechter


geht’s nicht


Wie dringend ist die Behandlung? Deut-
sche Krankenschwester mit belgischem
Soldaten zu Beginn des 1. Weltkrieges.
FOTO: SUEDDEUTSCHE ZEITUNG, SCHERL

Mediziner und Pflegende sind
tragische Helden: Sie stehen vor
einer Aufgabe, die nicht lösbar ist

Dreh mit


Schutzanzug


Was macht die Kinobranche ohne Kinos?


Hollywood setzt wegen der Pandemie


auf Streaming, deutsche Filmschaffende


fürchten um ihre Existenz


Retten, wer zu retten ist?


Über ein Behandlungsprinzip, das Ärzte aus dem Krieg oder von Katastrophen kennen: „Triage“, das Sortieren von Patienten


Die Idee des Militärs war:
Möglichst vielen Verwundeten bei
begrenzten Ressourcen zu helfen

HEUTE


Es wäre absurd, einen Menschen


mit Herzinfarkt nach jemandem


mit Beinbruch zu behandeln


FEUILLETON


Der Trickfilm „Trolls World Tour“ zählt zu den ersten Blockbustern, die das Filmstudio Universal parallel zum Kinostart als Stream anbieten will – denn die Kinos sind fast alle geschlossen. FOTO: UNIVERSAL

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