Berliner Zeitung - 18.03.2020

(Axel Boer) #1

F e uilleton


18 Berliner Zeitung·Nummer 66·Mittwoch, 18. März 2020 ·························································································································································································································································································


DieModerne


vorden


Modernen


EineBiografieüberdie
PionierinHilmaafKlint

VonIrmgard Berner

I


mJahr2013gabesimHamburger
Bahnhof–MuseumfürGegenwart
eine sensationelleAusstellung.Ma-
lereien imGroßformat hingen da
einenebenderanderen,mitKreisen,
Blumengebilden und organisch-
abstraktenFormen auf rosa Grund
oderinlilagefasst.Daraufleuchtete
einOrange,durchdasLiniensichzu
SpiralendrehtenundSpektralfarben
zu Blütenstrahlen fügten.DieGe-
mäldestammtenvonderKünstlerin
Hilma af Klint, geboren 1862 auf
SchlossKarlbergims chwedischen
Solna,gestorben1944inDjursholm.
EinTeil der Sensation war,dass
diese Künstlerin bis dahin so gar
nichtaufdemSchirmwar,schongar
nicht als Pionierin der abstrakten
Malerei. DenndiehattedieKunstge-
schichte einem männlichenKolle-
gen zugeschrieben, Wassily Kan-
dinsky,der es geschicktverstand,
sich mit seinemHang zum „Geisti-
gen“ zum Erfinder der ungegen-
ständlichenModernezumachen.
DassHilmaafKlintsoganzunter
dem Radar flog, lag zum einen an
demEtikettderEsoterikerin,dasihr
anhaftete,zum andernauch an ihr
selbst.Dennim Jahr1932,mit70Jah-
ren, traf af Klint ihrWerk betreffend
eine wichtige Entscheidung, sie
schrieb:„AllemeineArbeiten,die
Jahrenach meinemTodgeöffnet
werden, sollen das obenstehende
Zeichen tragen.“Daslautete „+x“,
fast alle ihreNotizbücher sind mit
diesemSchutzsymbolbeschriftet.
Weraber ist dieseFrau, die ihr
Werk in einerZeitkapsel in dieZu-
kunftkatapultiert?,fragtJuliaVossin
ihrer sehr lesenswerten, gerade er-
schienenenBiografie„HilmaafKlint
–Die Menschheit inErstaunenver-
setzen“.DenRecherchenderKunst-
kritikerin undWissenschaftshistori-
kerinisteineNeujustierunginzwei-
erlei Hinsicht zuverdanken: derre-
bellischen Künstlerin zum einen
und ihrer Schlüsselfunktion alsEr-
neuerin derMalerei hin zuAbstrak-
tionzumandern.


Beiihrem Todhinterließ af Klint
mehrals26000SeitenTextund 1300
Gemälde.Ihr Erbe ist dasMuseum
ihres Lebens,das zeigt, dass sie mit
allenRegelnbrach,diemanversucht
hatte,ihraufzubürden,alsKunststu-
dentin an der AkademievonStock-
holm, alsFrau um dieJahrhundert-
wende oder als Künstlerin derMo-
derne .DieKünstlerinfingmit44Jah-
ren, im November 1906 an,
ungegenständlich zu arbeiten, zu-
erst im kleinenFormat, dann in
enormerGröße.Daswar Jahre,bevor
Kandinsky oderMalevich dieAbs-
traktionzuihrerErfindungerklärten.
KraftundspirituellenMutholteaf
KlintsichinfreigeistigenZirkeln,die
sie beflügelt haben müssen, inZei-
ten massiverBenachteiligung ihren
Wegzug ehen,innerlichunabhängig
zu bleiben.Erzählerisch führtdie
Autorin durch af Klints Leben, sie
verstehtes ,dieGeisterals Figurenzu
behandeln und leuchtet damit eine
langeunbeachteteLeerstelleaus.


JuliaVoss: Hilma af Klint.Biografie. FischerVer-
lag,2020, 600 Seiten,25Euro


Hilma af Klint auf einerFotografie aus
dem Jahr 1901. MODERNA MUSEET


DreiSchwesternimSauerland


„UnserewunderbarenJahre“(ARD)inszeniertdiewestdeutscheNachkriegszeitimStilederSchmonzette


VonFrank Junghänel

Z

eitfür Durchhaltefilme.Sie
müssen es geahnt haben,
als sie bei der ARD diesen
Dreiteiler ansetzten und
zum„E vent“erklärten.„Wassollnun
werden? Es muss dochweitergeh’n.
Noch bleibt jaHoffnung für uns ge-
nugbesteh’n“,lässtsichHansAlbers
einmal aus demRadio vernehmen.
DieNachkriegsgesellschaft mit all
ihren wirtschaftlichen, moralischen
und amourösen Implikationen ist
ein beliebtes Sujet im deutschen
Fernsehen, gernopulent und groß-
flächig im Programm ausgerollt.
„Unser ewunderbarenJahre“basiert
aufdemBestsellervonPeterPrange,
derinseinerziegelsteindickenFami-
lienchronik die Geschichte dreier
Fabrikantentöchter erzählt, die im
sauerländischenAltena,derHeimat-
stadt des Autors,den väterlichen
MetallbetriebindieneueZeitretten
wollen. DieIdee mit den drei
Schwesternistliterarischnichtganz
neu. Undauch imFernsehen hat
man das zuletzt erst in den beiden
Ku’damm-Tanzschulen-Filmreihen
mitClaudiaMichelsengesehen.
Dasvorliegende Melodram ist
ähnlichkonstruiert.ImZentrumdes
Geschehens steht dieFamilie Wolf,
seit GenerationenEigentümer der
Metallwerke Altena.DieGeschäfte
führtderresoluteVaterEduard(Tho-
mas Sarbacher), der sich mit der
Rechtfertigung, er habe im Krieg
keine Waffen produziert, den briti-
schen Besatzer nandient und so die
Demontage desWerkes verhindern

will. AlsAdjutantin steht ihm seine
GattinChristelbei,mitherrlichher-
rischerGestevonKatjaRiemannver-
körpert.Wieman überhaupt sagen
muss,dass dasweibliche Personal
stärker besetzt ist als sein männli-
chesPendant.Hervorzuhebenistdas
Tochtertrio ,vom Autor mit größter
wesensartlicherDive rsitätangelegt.

Da wärezum einenMargot, die
ältestederdrei,souveränwieimmer
vonAnna MariaMühe gespielt.Mit
eineminRusslandverschollenenSS-
Hauptsturmführerverheiratet,sucht
Margot samt ihremSohn den Weg
ins argentinische Nazi-Exil. Auch
Ulla(ElisaSchlott)willeigentlichnur
weg, wenn auch aus ganz anderen
Gründen.Frauenwiesiehatmanbis
vorkurzemnochpatentgenannt.Sie
istambitioniertabenteuerlustig,hat
füralleseineLösungunddenktnicht
daran, imSauerland zuversauern
(sorry). InTübingenbewirbtsiesich
für ein Medizinstudium, wirdauch
genommen und dann kommt doch
allesanders.Gundel(VanessaLoibl)
ist das Nesthäkchen derFamilie,
ängstlich, ernst, beflissen.Siewill
demVatergefallenundwirdvonihm
notorischübersehen.AlleindasAuf-

tretenderbeidenjungenSchauspie-
lerinnenVanessa Loibl und Elisa
Schlott,dieihreschabloniertenRol-
lendurchkreuzen,isteinArgument,
diesem immerhin viereinhalbstün-
digenFilmLebenszeitzuschenken.
Dramaturgisch und inszenato-
rischistdieGeschichtedürftigbisär-
gerlich.Dasbeginnt schon in der

DemFilm gelingt es nicht, irgendeinen


bislang nicht erzählten oder gezeigten


Assoziationsraum zu öffnen.


erstenSzene,ind erdiejungenLeute
beim Baden am Fluss vorgestellt
werden.Daheißtes vondemjungen
Arbeiter Tommy Weidner (David
Schütter),ersei„seitdreiWochenzu-
rück aus derGefangenschaft“.Und
dann tritt dortder modellhaft ge-
formte Körper einesFitnesstudio-
AbonnenteninErscheinung,derdie
behaupteteVorgeschichte derFigur
auf einenBlick Lügen straft.Dieser
Tommy wirdind er Folge als James
DeanvonAltenaaufgebaut,mitMo-
torrad,LederjackeundallemPipapo.
SeinePerformanceändertsichnicht
wesentlich, als er vomDrehbuch
nachOstberlinverschicktwird,woer
alsKommunistamBauderStalinal-
leemitwirkt,inersterLinieabereine
Genossin(MarleenLohse)flachlegt.
DieEpisodeumden17.Juni,diewie
üblichmiteinemStasi-Verhörabge-

bunden wird, ist in derSaga dann
auch der einzigeVerweis auf einen
anderendeutschenStaat.Dawardas
Ereignisfernsehenschonmalweiter.
DerVersuch,mitdenMittelnder
KolportageZeitgeschichtezuerzäh-
len, scheitertnicht grandios,son-
dernkläglich.Wasinsofernverwun-
derlich ist, da mitElmar Fischer ein
Regisseur die künstlerischeVerant-
wortung trägt, der etwa mit dem
Emmy-prämiertenTV-Film„Unterm
Radar“bewiesenhat,dassersichmit
dem modernen Fernsehen aus-
kennt. Nichts davon ist hier zu se-
hen. Kitsch ist Kitsch ist Kitsch. In
dem Versuch, die Lebenslüge der
wunderbarenJahrezue ntlarven,ge-
lingtesdemFilmnicht,irgendeinen
bislang nicht erzählten oder gezeig-
tenAssoziationsraumzuöffnen.
Ausgesprochenunerträglichwird
es,wenn zwischenSeximK ornfeld
und Striptease im Nachtclub mal
eben die nationalsozialistischen
Gräuel abgehandelt werden. Das
treibende Motiv dieserGeschichte
drehtsichumdieFrage,obd ieFirma
WolfStacheldrahtfürdasKonzentra-
tionslagerBerg en-Belsenproduziert
hat.Um ihmdie Konsequenzdieses
Auftrages vorAugenzuführen,wird
derPatriarch voneinemBesatzungs-
offizier genötigt, sichFilmmaterial
der Briten aus dem befreiten Lager
anzusehen. DieDokumentarauf-
nahmen der geschundenen Körper
in diesemKontext alsBlickfang zu
verwenden,wirktgeradezuobszön.

UnserewunderbarenJahre18.3.,21.3., 25.3.,
jeweils 20.15Uhr,ARD

QUARANTÄNE-TIPPS


VonPeter Uehling

A


ls hätte ich es geahnt, dass die
letzte Kolumne vergeblich ge-
schrieben wurde und lediglichAus-
fallendesankündigt,enthieltsiezwei
CD-TippsfürdiemoderneHausmu-
sikauf Abspielgeräten,aufdiewirbis
auf weiteres verwiesen sind.So hält
das Label Harmonia Mundi bei-
spielsweise für dieAufführung der
„Symphonie fantastique“vonHec-
tor Berliozdurch dieStaatskapelle
Berlin unter AntonioPappano eine
hervorragende Alternativebereit:
François-XavierRoth und sein Or-
chester„LesSiècles“.
Dieses Orchesterradikalisiertdie
IdeedeshistorischenInstrumentari-
ums durch aufsJahrzehnt und den
Ortstimmige Instrumentenwahl.
Dazu kommt das in allen Stilen,
nichtzuletztderneuenMusik,analy-
tisch erfahrene dirigentischeInge-
nium Roths.Und so zeigt sich, wie
auchbeiderAufführungvonBerlioz’
Oper „Benvenuto Cellini“ durch
JohnEliotGardinerbeimletztenMu-
sikfest, dass die klanglicheVision
Berlioz’ineiner vonenormer Trans-
parenz und Brillanz getragenen
Drastik der Farben besteht, die
durch bestimmte,antitraditionelle
Artikulationennochverstärktwird.
All das blieb musikhistorisch auf
derStreckedurchdenSiegeszugdes
wärmeren,volleren, ausvermisch-
ten Farben bestehenden Orchester-
stil Wagners.Roth gewinnt aus der
Transparenz und Drastik zudem
sehr pointiertDynamik.Erstaunli-
cheEffekteergebensichausderge-
nauen Realisierung der skurril ge-
geneinandergerichtetenLautstärke-
Verläufe: Eine Phrase wir dlauter,
währendihrKontrapunktleiserwird
–das ergibt eben diesen nervösen
Berlioz-KlangundschärftdieKontu-
rendieses sonderbarenKomponis-
ten, dessenMusik uns noch immer
vorBewertungsproblemestellt.
Als Ersatz für die vielenKonzept
gebliebenenKonzeptabendemitAl-
ter Musik –Freiburger Barockcon-
sortzumDreißigjährigenKrieg,Nu-
riaRial mit Hohelied-Vertonungen,
„TheAr tofB eingHuman“mitGam-
benundTanz–gibteseineneueCD
„Ballads withinaDream“, dievon
demBerlinerLautenistenundKom-
ponisten Andreas Arend konzipiert
undmitderGeigerin VeronikaSkup-
lik,der GambistinHillePerlundder
Sängerin ClareWilkinson für deut-
sche Harmonia Mundi eingespielt
wurde .EinelabyrinthischeReisevol-
lerÜberraschungendurchenglische
Musikvonungefähr1600bis1700.
„Reise“isthiereinmalwörtlichzu
nehmen: Hier folgen nicht einige
schöneStückeaufeinander,sondern
dasGanzeistwirklichkomponiert,sei
es,dassArendanderLauteüberleitet,
dieStückearrangiertoderoriginale
SätzemitKontrapunktenanreichert.
DieEingriffesindsubtilundschieben
dieMusikzuweilensachtüberihre
stilistischenGrenzen, klanglich, har-
monisch oder formal–mit immer
wiedermagischerWirkung.

François-XavierRothHector Berlioz:Symphonie
Fantastique (Harmonia Mundi)
AndreasArendBalladswithin adream.(DHM)

Drogenrausch


und


Träume


Der Lautenist undKomponist Andreas
Arend mit seinem Instrument. ANA PRADA

Zu schönesPaar:Die Fabrikantentochter UllaWolf (Elisa Schlott) mit dem ArbeiterTommyWeidner (David Schutter). UFA FICTION/WDR

AllesfürdieKunstderFrauen


DieBerlinerGaleristinundXanthippe-GründerinIlseMariaDorfstecheristgestorben


VonIngeborg Ruthe

N


ur noch ganz selten kam sie in
derletztenZeit,umnachihrem
Lebenswerkzus ehen. DerWeg von
Grünau in dieStadt war beschwer-
lichgewordenfürdiekränkelnde88-
Jährige .Die Inselgalerie,das Kunst-
Schaufenster des 1993vonihr ge-
gründetenVereins Xanthippe,war
viele JahreIlse MariaDorfstechers
zweites Zuhause.Und noch amTag
vorihrem Achtzigstenschobsieganz
selbstverständlich den ehrenamtli-
chen Galerie-Dienst.Daswar 2012,
damalsnochinderTorstraße.
Denzwangsläufigenundmühsa-
menUmzugdergentrifiziertenXan-
thippenvonMitte nachFriedrichs-
hain, in eine leer gewordeneSpar-
kassenfiliale an der Petersburger
Straße,begleitetesiemitguten,auf-
munternden Worten per Telefon:
„Verlier tnichtdie Nerven!“

Am 14. Märzist die energische
alteDamemitdemgroßenHerzfür
die weibliche Kunst, derenNamen
wohl eine jede Künstlerin inBerlin
und Brandenburgkennt, gestorben.
Durchihr Engagement
habensichinderInsel-
galerieüber600Künst-
lerinnen aus der gan-
zenBundesrepublik
und ausEuropa getrof-
fenundausgestellt.Un-
ermüdlich führte Dorf-
stecher denDialog zur
„europäischen Identi-
tät“undfürdieGleich-
stellungvonFrauen im
Kunstbetrieb.
Nach dem Ende der
DDRhattesierascherkannt,dassge-
rade Künstlerinnen nach demWeg-
brechen des staatlichenKunstsek-
tors sich selbst neue Strukturen
schaffen müssten.Sieknüpfte ein

Künstlerinnen undWissenschaftle-
rinnenausOstundWestvoran.Da-
fürbekamdiestudierteTheaterwis-
senschaftlerin und Germanistin
2007denFrauenkunstpreisBerlin.
DieEnergischemitdemmarkan-
ten kastanienbraunen Locken-
schopf war aus Dömitz an derElbe
nach Berlin gegangen, um an der
Humboldt-Universität zu studieren
undspäterbeimRundfunkRegiezu
führen. Bis1990 leitete sie dasPla-
katarchiv des DDR-Verbandes Bil-
dender Künstler.Damals baute sie
dieeinmaligeSammlungvon
PlakatenundPosternauf.Dieserdo-
kumentarische und künstlerische
Schatz ist inzwischen ins Archiv der
AkademiederKünsteeingegangen.
Ilse MariaDorfstechers Leben
wares ,sicheinzusetzen.Kunstzuer-
möglichen,Kunstzu vermitteln.Die
Frage „Und was kriege ich dafür?“,
diegabesbeiihrnicht.

Netzwer kvonKünstlerinnen,dasdie
gemeinsamenAusstellungen durch
europäischeStädte führtund be-
kannt macht, suchte die Partner-
schaft zumFrauenmuseum Bonn
und zurGedok, dem äl-
testen und europaweit
größten Netzwer kfür
Künstlerinnen.Siearbei-
tetenochimhohenAlter
imVorstandderEuropäi-
schen Frauenakademie
der Kunst undWissen-
schaftBerlinmit.
Daskünstlerische
Erbe vonFrauen zu be-
wahren, sei, sagte sie in
einem Gespräch, eines
ihrer größten Anliegen.
So brachte sie mit Projekten die
Sammlung und Archivierung von
europäischerFrauenkunst,dieOrga-
nisationvonRetrospektivenfastVer-
gessener und dieVernetzung von

Ilse Maria Dorfstecher
(1932−2020)

DPA
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