Berliner Zeitung - 18.03.2020

(Axel Boer) #1

S e ite 3


Berliner Zeitung·Nummer 66·Mittwoch,18. März 2020 (^3) ·························································································································································································································································································
WiedereherunbekanntenWissenschaftlerChristianDrostenmitdem
neuenCoronavirusundCovid-19zumeinflussreichstenBeraterder
Bundesregierungwurde


C

hristian Drostenhat beunruhi-
gendePrognosenaufLager,aber
seineMitteilungenhabennieet-
wasAlarmistisches.Immerstrahlt
erernsteRuheaus.WieseltenDrostenlä-
chelt, merkt man erst,wenn er es mal tut.
Dannverwandeltersichschlagartigineinen
fast schelmisch wirkendenJungen. Doch
meistens ist seinGesicht in diesenTagen
vollkommenunbewegt.
Am30. Deze mberwurdensieinderViro-
logie der Charité hellhörig.EinMitarbeiter
hattebeiTwitterMeldungenübereineneu-
artige Viruserkrankung entdeckt. FürInsti-
tutsdirektor ChristianDrosten und seine
Leutestandschnellfest:Eshandeltsichmit
großer SicherheitumeineKrankheit,dievon
einemCoronavirushervorg erufenwird.
Alswir MitteJanuarinseinemBüroind er
CharitéanseinemgroßenrustikalenBespre-
chungstisch sitzen und uns über dasVirus
unterhalten, ist er ein namhafterVirologe –
in der internationalenVirologenszene gut
bekannt, allerdingswenig darüber hinaus.
Wenige Zeit später ist er einer der einfluss-
reichsten Männer des Landes.Praktisch je-
der kennt das ernsteGesicht desWissen-
schaftlers,der der Regierung und den Bür-
gerndas Wesen der Pandemie erklärt.Und
der Ratschläge gibt, der dieKanzlerin und
das Bundeskabinett, Landesregierungen
undregionaleBehördenfolgen.
Der47-JährigehatwirklichintensiveWo-
chenhintersich.Dieletztewarwahrschein-
lich die anstrengendste.„Dievergangene
Woche war für mich einGehetzezwischen
MinisterienundSenatsbehörden“,hatDros-
tenimNDRberichtet.MitseinemRadister
immerwiederkreuzundquerdurchdieBer-
liner Mitte gefahren. „Die wollen sich alle
zumselbenThemaberatenlassen.“
Die–dassindAngelaMerkel,JensSpahn,
derSenatunddieChefsderBundesländer.Er
geht ansTelefon, wenn irgendwo aus der
deutschenProvinz jemandInformationen
braucht.Er sitzt in derBundespressekonfe-
renzoderbeiMaybrit Illner.Woimmerjetzt
inDeutschlandgesprochenwirdüberCovid-
19,die Corona-Krankheit,diesichexponen-
tiellverbreitet,wirderv onirgendwemzitiert:
„Drostensagt...“Unddannistklar:DasAr-
gumenthatGewicht.
Diese herausgehobeneStellung gründet
auf einerKombination besondererEigen-
schaften.DrostenistschonlangeCoronavi-
rus-Experte.Alsvor17J ahren„Sars“,einVor-
läufer der aktuellenPandemie,die Welt er-
schreckte,war es bereits der jungeVirologe
Drosten,deralseinerderersteneinenzuver-
lässigenTestaufdasVirusentwickelte.
Aber die Corona-Expertise allein hätte
aus Drosten noch nichtMerkels einfluss-
reichstenCorona-Beratergemacht.
Drosten scheint sich für alles zu interes-
sieren. Er ist virologisch, mikrobiologisch,
epidemiologisch und in Sachen Public
Health –früher hätte man gesagt:Volksge-
sundheit–versiert.


Anekdoten überSuper-Spreader

AußerdemhaterdasTalent,überseineWis-
senschaft verständlich, oft unterhaltsam
sprechenzukönnen.ErhatSinnfürAnekdo-
ten –wie die von„Patient M“, der 2003 in
Hongkong eine halbeHochzeitsgesellschaft
mitSarsansteckte,weileressich,bereitsfie-
bernd,nichtverk neifenkonnte,imVorbeige-
henmitbloßenHändenaneinemBuffetzu-
zugreifen.„SomüssenSieesm achen,wenn
SieeinSuper-Spreaderwerdenwollen...“
Drosten besitzt genügendSendungsbe-
wusstsein,seinWissenmitderÖffentlichkeit
zu teilen.Underi st bereit–und das unter-
scheidetihnvonsehrvielenanderenangese-
henen Forschern–,a us seinenErkenntnis-
senKonsequenzenabzuleiten.Erve rschanzt
sich nicht hinter derVorläufigkeit aller wis-
senschaftlicherErkenntnis,sondernerz ieht
Schlüsse–manchmal etwas „nassforsch“,
wieerselbersagt.
InderBundesregierungheißtes,mansei
„froh, dass wir so einen haben“.Sein Wort
habeGewicht,weilmansichersei:„Derbe-
hauptetkeineScheiße.Dermachtsichlieber
einenKnotenindieZunge.“
Drosten stammt aus demEmsland, eine
historische Landkarte seinerHeimat hängt
inseinemBüro. DasEmslandisteineplatte
Gegend in der nordwestlichen Ecke
Deutschlands,aus der vorallem öligerTorf,
MaisundDoppelkornkommen.Drostenist
aufeinemBauernhofinGroßHesepeaufge-
wachsen, 25BusminutenvonMeppen ent-
fernt,woerAbiturmachte.
ErstudiertezunächstChemietechnikund
Biologie,dannMedizin.ErarbeiteteinHam-
burgamTropeninstitut (wo er den ersten
Sars-Test designte), wurde schon mitMitte
dreißig Direktordes InstitutsfürVirologieam
UniversitätsklinikumBonnundließsichvon
denBerlinern2017andieCharitélocken.
Emsländer sagen über sich selbst, sie
seien trinkfest und unerschütterlich. Über
Drostens Trinkfestigkeit istwenig bekannt.


Manweiß nur ,dass er auch in der Kneipe
Flaschenbier trinkt –aus hygienischen
Gründen. Wasdie Unerschütterlichkeit an-
geht–davonkonntesichindenverg angenen
Wochenjederselbstüberzeugen.
Erhatschoneinbisschenwasvoneinem
wunderlichenProfessor,etwas verwuschelt
Nerdhaftes.Aberein Menschisterauch,der
morgens seinen zweieinhalbjährigenSohn
in die Kita bringt.Er weiß also ,was es für
jungeFamilien–VäterundMütter–bedeu-
tet,wenndie Kinderbetreuungausfällt.
Drosten erzählt voneinem Telefonge-
spräch mit seinem über 70-jährigenVater,
deres„superfindet,dassderSohnimmerim
Fernsehenist“.Derabernochnichtverstan-
denhat,dassalteHerren,auchdieausdem
Emsland, die wirklichBetroffenen der Krise
sind,dievonschwerenKrankheitsverläufen
bedroht sind, und derenSozialleben für ei-
nigeMonateaufhörenmuss.DerVerein,das

Fitnessstudio.„Undauch leider das Schüt-
zenfest“,sagtDrosten.
Drosten hat sich mitten hineinbegeben
insschwierigeFeldderpolitischenEntschei-
dungsfindung,abererhältgroßeStückeauf
seine Unabhängigkeit.Er spreche frei, er
trage keine politische Verantwortung. Er
müsseimZweifelsfallnichtzurücktretenwie
einBehördenleiterodereinMinister,sagter.
Eragiere„mitakademischerRobustheit“aus
derPositioneinesunkündbarenProfessors.
DieBundesregierung, besonders Ge-
sundheitsministerSpahn,hatdieseArbeits-
teilung genutzt. Lange konnteSpahn seine
Appelle oderErmunterungen äußern, wäh-
rendDrostenfürdiebitterenwissenschaftli-
chen Fakten zuständig war.Die konnten
danninsöffentlicheBewusstseineinsickern.
Dabei hielt sichDrosten keineswegs an
Vorgaben.Im Gegenteil.Drostensei„schwer
steuerbar“,heißtes.Manchmalhabeer–ne-

ben Spahn sitzend–etwas „rausgehauen“,
dasnichtabgestimmtwar.Etwadie Prognose,
60bis70Proz entder Bevölkerungwürdenan
Covid-19erkranken.DaszogFragennachsich
–auch ans Gesundheitsministerium.Wie
viele Todesfälle bedeutet das?Hunderttau-
sende?DrostensSpracheist„manchmalnicht
geländegängig“, haben sie imPolitikbetrieb
gemerkt.UndauchDrostenhatmitakademi-
scherVerblüffungregistriert,dassbestimmte
Informationen,dieeinemVirologenoderEpi-
demiologen nahezu selbstverständlich er-
scheinen, bei anderen fürFehlinterpretation
undUnruhesorgenkönnen.
DieSachemi tden60bis70Proz entresul-
tierte aus einer epidemiologischen Überle-
gung:Erstwennzwei vondreiMenschenim-
munsind,kommteineEpidemiewieCovid-
19 zumEnde.Doch das sagtweder etwas
über dieDauer der Krankheitswelle noch
überdieZahlzusätzlicherTodesfälleaus.

So etwasm uss man erklären.Wenn man
Drostenindenverg angenenWochenUnge-
duld anmerkte,dannind en Momenten,
wenn ihm inPresseko nferenzen oder Talk-
showsdasWortabgeschnittenoderdieAus-
sage verk ürzt wurde.„Ichbestehe dara uf,
dass dieses Thema eine längereAufmerk-
samkeitsspanne braucht“, sagte er dann.
Undredet eeinfachweite r.
Drostens Credoheißt Transp arenz –ge-
genüber derFachöffentlichkeit, derPolitik
und Bürgern.Dievon ihm und seiner Ar-
beitsgruppe entwickelten Corona-Tests –
2003und2020–hateron linegestellt,ohne
Copyright und Geheimhaltung. „Das ist
wirklichherausragend“,sagteinKollegevom
Berliner Max-Delbrück-Centrum, „diewe-
nigstenpflegendieseOffenheit.“
Alserfeststellte,dasserindenMedienoft
verk ürztwiedergegebenwird,vereinbarteer
mit dem NDR einen täglichenPodcast, in
demermiteinerJournalistinüberseineEr-
kenntnissezuCovid-19spricht.Diese30M i-
nuten-Clips ersetzen ein halbesVirologie-
oderEpidemiologie-Studium.Siewerdenin-
zwischenhunderttausendfachgehört.
DrostenhatindenelfWochenseitderers-
ten Twitter-Meldung sehr vielNeues über
das Viruserfahren. „Wir haben eine steile
Lernkur ve gemacht“, sagt er.Erhat uns
daran teilhaben lassen.Drosten hat sich in
einzelnenPunkten korrigieren müssen.Er
mach tdas öffentlich. „Ich habe da zu kurz
gedacht“,haterneulichgesagt,alsesumdie
SinnhaftigkeitvonSchulschließungen ging,
denen er zunächst skeptisch gegenüber
stand.UnddämpfteseineHoffnung,beiCo-
vid-19 sei eine deutlicheAbschwächung im
FrühlingundSommerzuerwarten.
Er ging vonder falschenVorste llung aus,
Sars-CoV-2verhaltesichwieSars1–gefähr-
lich,aberschwerübertragbar.EndeFebruar
leitete er seinenVortragüber das Virusvor
der Berliner Medizinischen Gesellschaft
dann mit denWorten ei n: „Ich glaube ,das
Them awirdind en nächsten Wochen sehr,
sehr wichtig.“ Daswar Understatement.
Nach demVortrag, im Gespräch in kleiner
Gruppe,sagteer :„Eswir dschlimmwerden.“
MitfortschreitenderErkenntnispassteer
seineRatschlägean.„WirzimmerndasSc hiff
zusammen,währendwirlossegeln“,haterin
denverg angenenWochenimmerwiederge-
sagt.DaskannmanalsSchwächeeinstufen,
es nicht gleich besser gewusst zu haben.
OderalsKlugheit,Irrtümerzuerkennen.

An denKonferenztischen derRegierung
Einengibtes,deral lesi mmerschonwusste:
AlexanderKekulé.Der MünchnerVirologe
vonderUniHalle-W ittenbergwarselbstmal
Regierungsberater.InderRegierungisterin-
zwischenverschrien.Kekulé sendet eben-
fallsaufallenKanälenundwirftderBundes-
regierung „verhängnisvolles Zögern“ und
derKanzlerin Panikmachevor.
Vieles vondem,was Kekulé in den ver-
gangenenWochenäußerte,mussals Entgeg-
nungaufDrostensAnalyseundHandlungs-
empfehlungenverstanden werden.Wenn
Drosten skeptisch war,obS chulschließun-
gensinnvollsind,polterteKekulé,manhätte
schonnachdenWinter-undFaschingsferien
die Schulen geschlossen halten müssen.
WennDrostenbefand,Deutschlandstehein
der Epidem ie noch am Anfang, es sei noch
Zeit zu handeln, dröhnteKekulé,man ver-
schließedieAugenvordemwahrenAusmaß.
Aber an denKonferenztischen derRegie-
rung saßDrosten. Er hatte Merkelsund
Spahns Ohr, dief rohwaren, dass in der Öf-
fentlichkeiterundnichtKekulédenTaktan-
gab.NachdemM erkeld ieBürgeraufgefordert
hatte,„wo immer es möglic hist,auf Sozial-
kontakte zuverzichten“,lobte Droste n. „Ich
findeesschongut,aufwelchenKursDeutsch-
landeinschwenkt.“Endeverg angenerWoche
rieterzursorgfältigenAbwägung.„Jetztistdie
Zeit,inderdiePolitiku nbedingtmaleinpaar
TageRuhebr aucht,umsichberatenzulassen.
Undzwarnicht nur immervondenselben
Leuten,sondernauchvonanderenFachdiszi-
plinen.“DieseZeithabeman.
Doch vonRuhekonnte keineRede sein.
BiszumWochen endewarDroste nderBun-
desregierung beimVerkünden unangeneh-
merWahrhe itenimmerein,zweiTagevoraus
gewesen. Dann wurde er überholt. Schlie-
ßung der Schulen,Freizeit- undKulturein-
richtu ngen, Ende auch für kleinereVeran-
staltungen,Grenzkontrollen.
Droste nmacht keinen gekränktenEin-
druck. Immerhatergesagt,esseianderPoli-
tik,die Entscheidungenzutreffen.Erkönne
nur seinWissen zur Verfügung stellen.Von
Schuldzuweisungen hält er nichts.„Was“,
sagt er,„soll die Rechthabe reiimN achhin-
ein?“DasseiverschwendeteZeit.

„Wir zimmerndas Schiff zusammen, während wir lossegeln“, Christian Drosten in einem der Labore im Institut fürVirologie der Charité. LAIF

VonSven Siebert


Sven Siebert
hat Drosten im Labor besucht, als das
neueVirusgerade entschlüsselt war.

DerMann,der


nichtlächelt

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