Berliner Zeitung - 18.03.2020

(Axel Boer) #1

P o litik


4 * Berliner Zeitung·Nummer 66·Mittwoch, 18. März 2020 ·························································································································································································································································································

NACHRICHTEN


Vonder Leyen hofft auf
Covid-19-Impfstoff vor Herbst

ZurEindämmungderCoronavirus-
PandemiehofftEU-Kommissions-
chefinUrsulavonderLeyennochvor
HerbstaufeinenwirksamenImpf-
stoffgegendieKrankheitCovid-19.
DieEUwerdedieTübingerFirmaCu-
reVacbeiderEntwicklungmitbiszu
80MillionenEurounterstützen,be-
stätigtedieCDU-Politikerinineinem
amDienstagaufTwitterverbreiteten
Video.„Undichhoffesehr,dasswirso
vorHerbstImpfstoffeaufdemMarkt
haben.“DiesekönntenvieleLebenin
EuropaunddemRestder Weltretten.
DerPräsidentdesRobertKoch-Insti-
tuts,LotharWieler,undweitereEx-
perten rechnenmiteinemmarktfähi-
genImpfstofffrühestensnächsten
Frühling.CureVacforschtseitJanuar
aneinemImpfstoffgegendasCoro-
navirus. (dpa)

Friedrich Merz positiv auf
Corona getestet

Friedrich Merz hat im Moment nur leichte
Symptome. DPA

Ex-U nionsfraktionschefFriedrich
MerzhatsichmitdemCoronavirus
angesteckt.„EinamSonntagbeimir
durchgeführterCorona-Testistposi-
tiv.IchwerdebisEndenächsterWo-
chezu HauseunterQuarantäneste-
hen“,sagteMerzamDienstaginBer-
lin.Der64-Jährigeergänzte:„Zum
Glückhabeichnurleichtebismittlere
Symptome.AlleTerminesindabge-
sagt.IchfolgestriktdenAnweisungen
desGesundheitsamtes.“ (dpa)

Pistorius: Corona-Fake-News
bestrafen

NiedersachsensInnenministerBoris
PistoriusforderteinhärteresVorge-
hengegenFalschnachrichtenund
HalbwahrheiteninderCoronakrise.
„Fake Newszur Versorgungslagein
Zeitender Coronakrisesindbrandge-
fährlich“,sagtederSPD-Politiker
demSpiegel.„SiekönnenPanik,
HamsterkäufeundKonflikteauslö-
senundsinddaheraufdasSchärfste
zuverurt eilen.Dahermüssenwirmit
BußgeldernodersogarStrafandro-
hungenabschrecken.“

692 000 Alleinerziehende
sind erwerbstätig

InDeutschlandhateszuletztrund
692000erwerbstätigeAlleinerzie-
hendemitKindernimA lterunter
Jahrengegeben.Dasteiltedas Statis-
tischeBundesamtinWiesbadenam
DienstagauchmitBlickaufdieBelas-
tungenvonFamiliendurchdieaktu-
ellenSchul-undKitaschließungen
wegender Coronakrisemit.2018wa-
renrund90 Proz entderarbeitenden
AlleinerziehendenFrauen. (AFP)

Iran: Hafturlaub für politische
Gefangenewegen Corona

Wegender Coronakrisebekommen
auchpolitischeGefangeneimIran
vorübergehendHafturlaub.Vordem
persischenNeujahram20.März
durftenlandesweit85000Gefan-
genedieHaftanstaltenfürzweiWo-
chenverlassen,wiedieJustiznach
AngabenderNachrichtenagentur
Insamitteilte.Daruntersindauch
„wegensicherheitstechnischerDe-
likteinhaftierteGefangene“. (dpa)


Datensammeln


imKampf


gegenCorona


IsraelsGeheimdienst
sollInfizierteaufspüren

I


mKampf gegen dasCoronavirus
hat Israels geschäftsführenderMi-
nisterpräsidentBenjamin Netanjahu
den Inlandsgeheimdienst SchinBet
mit der SammlungvonDaten über
Infizierte und derenKontaktperso-
nen beauftragt.DieRegierung habe
denGeheimdienst„autorisiert,seine
modernen Technologien in den
Dienst der nationalenBemühu ngen
um ei ne Eindämmung derAusbrei-
tung des Coronavirus zu stellen“,
teilteSchinBetamD ienstagmit.
EinSprecherdesGeheimdienstes
sagte,die Maßnahme sei„sofort“ in
Kraft getreten.Netanjahu hatte die
AutorisierungfürdenGeheimdienst
am Montagabend in einer Not-
stands verordnungdurchgesetzt.Zu-
vorhattederzuständigeParlaments-
ausschuss es abgelehnt, derMaß-
nahme grünes Licht zu geben und
mehrZeitfür Beratungengefordert.
Welche Überwachungstechnolo-
giender Geheimdienstgenaueinset-
zendarf,gabdieRegierungnichtbe-
kannt. Schin-Bet-ChefNadav Arga-
man erklärte,das Gesundheitsmi-
nisterium habe seine Behörde
gebeten, dieRegierung beimAuf-
spüren vonInfiziertenzuunterstüt-
zen, da anderestaatliche Behörden
„nicht über die notwendigenTech-
nologien“verfügten. „SchinBetist
sich darüber bewusst, dass diese
AufgabeüberseinealltäglichenAnti-
Terror-Aktivitäten hinausweist“, be-
tonte Argaman.DieMaßnahme sei
deshalbmitdemGeneralstaatsan-

walt„diskutiertund vonihm bewil-
ligt“ worden, zudem finde derEin-
satzunterRegulierungenundeinem
Aufsichtsgremiumstatt.
Israelische Medien berichteten
unterBerufungaufihnenzugespielte
Regierungsdokumente,dassder Ge-
heimdienstetwaDatenvonCorona-
Patienten sowie unterQuaran täne
stehendenMenschenohnegerichtli-
che AnordnungvonTelekommuni-
kationsfirmen abfragen darf.Unter
anderemdarfSchin Betdemnach
auchdieBewe gungsroutenderMen-
schen nachverfolgen sowie heraus-
finden,mitwemsieKontak thatten.

„GefährlicherPräzedenzfall“
NetanjahuhatteamSonnabendan-
gekündigt,erwolleimKampfgegen
das Coronavirus Technologien ein-
setzenlassen,dieauchim„Kriegge-
gen den Terrorismus“ eingesetzt
würden. Argaman erklärte,die von
SchinB et gesammelten Informatio-
nen im Zusammenhang mit dem
Corona-Einsatz würden an dasGe-
sundheitsministerium übermittelt
und nichtvomGeheimdienst ge-
speichert.EinVertreter derSicher-
heitsbehörden sagte,Schin Bet
werdenicht„aktiv“ in Telefone und
Handys eindringen.Auch werdees
„keineCyber-Attacken“geben.
Bürgerrechtsorganisationenkriti-
sierten Netanjahus Notver ordnung
scharf. DieExpertin Tehilla Shwartz
AltshulervomIsrael Democrac yIn-
stitute sagte,ess ei ei n„gefährlicher
Präzed enzfall“,wenn der Geheim-
dienstineinerGesundheitskriseein-
gesetztwerde. „Was ,wennermorgen
ineiner Wirtscha ftskris eherangezo-
genwird?“,fragte sie. (AFP)

Schutzmaßnahmen in einer Klinik in der
israelischen Stadt Aschdod AFP

„WirsindimKrieg“


PräsidentMacronstimmtedieFranzosenmiteinermartialischenRedeaufdieAusgangssperreein


VonBirgit Holzer,Paris

W

er sich einmal mehr
den Unterschied der
Regierungsstile von
Angela Merkel und
EmmanuelMacron vorAugen füh-
renwollte,konnte dies amMontag-
abend tun.In gewohnt nüchternen
WortensprachdiedeutscheBundes-
kanzlerinum 18 UhrbeieinerPres-
sekonferenz vorJournalistenüber
neue„einschneidendeMaßnahmen,
umdasInfektionsgeschehenzuver-
langsamen“.ZweiStundenspäterer-
klang im französischenFernsehen
die Nationalhymne,gefolgt vonei-
ner Videoaufzeichnung des Präsi-
denten, der sich mit ernsterMiene
an die Nation wandte:„Wir sind im
Krieg.“

EinunsichtbarerFeind
Diese Formel wiederholte er sechs
Mal. Mitdem Coronavirus gelte es
einen „unsichtbaren, nicht greifba-
renFeind“zubekämpfen.Seinegut
20-minütige Ansprache klang wie
die Rüstung zumKampf und der
Staatschef wie ein Kriegsherr,der
seine Armee motiviert. „Ich appel-
liereana llepolitischen,wirtschaftli-
chen, sozialen undVereins-Akteure,
analle Franzosen,sichindiesenna-
tionalen Zusammenschluss einzu-
reihen,dankdemunserLandschon
so viele Krisen überwunden hat“,
sagteMacron.
Über die bis dahin schon gel-
tende Schließung der Schulen,Kin-
derkrippen,Universitäten, Restau-
rants,Museen und anderer öffentli-
cher Orte hinaus kündigte er eine
massiveEinschränkung derBewe-
gungsfreiheit an.Mindestens zwei
Wochen lang dürfen dieFranzosen
nurnochdasHausverlassen,umdas
Notwendigste einzukaufen, zum
Arztzugehen,ihrenHundauszufüh-
ren, alleineSportzut reiben oder –
wenn nichtvermeidbar –zua rbei-
ten. Stets müssen sie eine schriftli-
che Begründung bei sich tragen.
Rund 100000Polizisten undGen-
darmenwerden landesweit mobili-
siert, um dieEinhaltung dieserRe-
gelnzukontrollierenundbeiNicht-
beachtungBußgelder zwischen 38
und 135Euro zu verhängen. Denn
am Wochenende noch waren trotz
der Mahnung vonRegierungschef
ÉdouardPhilippe,sichnichtmehrin

Gruppen zusammenzufinden, bei
strahlendemWetter vieleFranzosen
gemeinsam in Parks, auf Straßen
undMärktenunterwegsgewesen.
Zwischen den neuen Ankündi-
gungen ging fast unter,dass die Re-
gierung laufende Reformprojekte
ausgesetzt hat.Dasbetrifft die um-
stritteneRentenreform,gegendieim
Winter monatelang protestiertwor-
denwar .Undesbetrifftdieebenfalls
höchst unpopuläreArbeitslosenre-
formmit härterenAuflagen fürJob-
suchende.
FürseinemartialischeAnsprache
erhielt Macronauch vonderOpposi-
tion Applaus.Die Rolle des ent-
schlossenen Krisenmanagers wurde
vonihm erwartet.Denn zuvor hat-
tenunklareSignaleseinerRegierung
Verwirrung gestiftet. Kurz vorder
ersten TV-Rede Macrons am Don-
nerstag,indererSchulschließungen
ankündigte,hatte Erziehungsminis-
terJean-MichelBlanquerdiesenoch
verneint. Auch dass dieRegierung
zur Selbst-Isolierung aufrief, dann
aberdieersteRundeder Kommunal-
wahlen am Sonntag beibehielt,
sorgtefürUnverständnis.Derzweite
Durchgangwu rdenunverschoben.

MilliardenhilfenfürUnternehmen
DemPräsidentengingeserkennbar
darum, Panikmache zuvermeiden.
Er ver sprach die Einrichtung eines
Feldkrankenhauses mit 30Intensiv-
bettenimElsass ,einerderamstärks-
ten vomCoron avirus betroffenen
Regionen, sowieUnterstützung für
die Wirtschaft. Über dieVerschie-
bung vonFristen für Steuernund
Abgaben und dasVersprechenvon
Milliardenhilfen für Unternehmen
hinaus springe derStaat für Bank-
kredite in Höhevoninsgesamt 300
Milliarden EurofürBetriebeein,die
vomKonkursbedrohtsind.DerStaat
lässtdie MenschennichtimStich,so
lautete Macron sBotschaft.Und:
„Wir werdensiegen.“
Darinschwang wohl auch die
Hoffnungmit,dassdieFranzosenih-
renPräsidenten künftigweniger als
GegnerundwiedermehralsVerbün-
detenwahrnehmen.

WEITERE AUSGEH-VERBOTE

Italienhatte als erstes
Land vergangenen Mittwoch
eineAusgangssperre für 60
Millionen Bürgerverhängt.
Es ist nach China am stärks-
ten vonCorona betroffen.

Spanienverordnete seinen
47 Millionen Bewohnernam
Sonntag ebenfalls Quaran-
täne. Nur in dringenden Fäl-
len, etwa zumArztbesuch,
dürfen sie unterwegs sein.

Österreichentschiedam
Sonntag,dassdieneunMillio-
nenBürgerzuHausebleiben
müssen.InBelgiengiltvonMitt-
wochmittaganeinefastdreiwö-
chigeAusgangssperre.

Flanieren verboten: DiePariser Champs-Élysées und derTriumphbogen AFP/MARTIN BUREAU

Birgit Holzerbeobachtet
das Pariser Geschehen ab
sofortvon zu Hause aus.

KalkuliertesRisiko


AmerikanischeForscherversucheninRekordzeit,einenCorona-Impfstoffzuentwickeln.ErsteTestsgibtesinSeattle


VonThomas Spang,Washington

J


enniferHaller(43)fühltesichnach
demErhaltder Spritzemitdemex-
perimentellenImpfstoff„großartig“.
DieMitarbeiterin eines kleinen
Technologie-Unternehmens in
Seattle meldete sich freiwillig, um
den auf Nuklein-Säuren basieren-
denWirkstoffalserstePersonansich
testen zu lassen.„Das ist eine wun-
derbareMöglichkeitfürmich,etwas
zutun“,sagtHaller.
BeimVerlassendesBehandlungs-
zimmers im Kaiser-Permanente-
ForschungszentrumhuschteeinLä-
cheln über ihr Gesicht. Anschlie-
ßenderhieltendreiweiterePersonen
eine Gabe des Impfstoffs,den das
staatliche National Institute of
Health(NIH)zusammenmitderpri-
vaten BiotechfirmaModerna inRe-
kordzeitentwickelthat.
Derfür Infektionskrankheiten zu-
ständigeDirektor des NIH, Anthony
Fauci,sagte,zwischendergenetischen
Entschlüsselung des Covid-19-Virus
durch chinesischeForscher und der
EntwicklungdesImpfstoffshättenge-
radeeinmal65Tagegelegen.Erkönne
sichnichtaneinähnlichrasantesFor-
schungstempoerinnern.
Mitder Geschwindigkeit kom-
menRisiken.Hallerunddieanderen
44 gesundenProbanden zwischen

18und55Jahrengebensichfreiwillig
dafür her,die Sicherheit desImpf-
stoffsmitdemNamen„mRNA-1273“
an sich testen zu lassen.Dafür wer-
den unter normalen Umständen
Labortiereeingesetzt.Dasistindie-
semFallnichtmöglich,weilesbisher
noch nicht gelungen ist, Mäuse zu
züchten, die man mit derLungen-
krankheitinfizierenkönnte.
DieTestteilnehmerkönnendurch
dieImpfungnichtandemneuenEr-
reger erkranken,weil der Wirkstoff
nichtwieüblichausabgeschwächten
Lebendvirenbesteht,sondernNukle-
insäuren.DiesesollendieKörperzel-

Moderna-ChefStéphaneBancel
versprach, die Entwicklungweiter
voranzutreiben.DieFirmakaufebe-
reits neuesEquipment für ihrePro-
duktionsanlage inNorwood im US-
BundesstaatMassachusetts,umim
großen Stil den potenziellenImpf-
stoff produzieren zu können.„Jeder
Tagzählt“, sagtBancel. „Wir haben
uns für dieses Risiko entschieden,
weilesdasRichtige,daszutun.“
Neben Moderna beteiligen sich
weltweit Biotech-Firmen an dem
globalen Wettlauf, einenImpfstoff
gegendasCoronaviruszufinden.
Nachdem US-Präsident Donald
Trumpüber Wochen di eGefahren
durchdasVirusheruntergespielthat,
änderteerAnfangderWocheseinen
Ton. Trumpriet Amerikanern,Tref-
fen mit mehr alszehn Personen zu
vermeiden. Trumpschlägt nun ein
HilfsprogramminHöhevon850Mil-
liarden Dollarvor, das dieKonse-
quenzen für die Bürger undUnter-
nehmenabmildernsoll.
Da der einzigeWeg, die Verbrei-
tungdesViruseinzuschränken,nach
Überzeugung vonExperten zur zeit
darinbesteht,denKontaktzwischen
Menschen zu minimieren, haben
bereits US-Bundesstaaten und
Städte Schulen und Universitäten,
Bars und Restaura nts sowieGe-
schäftegeschlossen.

len der Testpersonen selbst zurPro-
duktionvonAntikörpernanregen.
Impfstoffe lassen sich mit dieser
Methode deutlich schneller herstel-
len.Theoretischsindsieauchsiche-
rer. DasRisikobestehtinihrerWirk-
samkeit.In mehralszweiJahrzehn-
tenForschunghatdieseTechnologie
nochkeinenzugelassenenImpfstoff
gegeneinVirushervorg ebracht.
Faucisagte, selbst wenn alles in
dem Test op timal verlaufe und die
Wirksamkei tine inemFolgetestbestä-
tigtwerde, werdees12b is18 Monate
dauern,ehederImpfstofffürdenMas-
seneinsatzzurVerfügungstünde.

Jennifer Haller bekommt eine Spritze mit dem neuen Impfstoff. AP
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