P o litik/Wirtschaft
Berliner Zeitung·Nummer 66·Mittwoch,18. März 2020 5 * ·························································································································································································································································································
LetzteSchichtbei Volkswagen
DerAutokonzernsetztwegenderCorona-PandemiedieProduktioninzahlreichendeutschenWerkenaus.Damitsol ldieweitereVirusverbreitungeingedämmtwerden
VonJan Petermann und Marco Engemann
D
ie Folgen derCoronavi-
rus-Pandemie schlagen
jetztauchinDeutschland
und Europa voll auf die
ProduktionvonVolkswagen durch.
DerweltgrößteAutokonzernmuss
nach Unterbrechungen in China auf
demHeimatmarktebenfallsdieFerti-
gung in zahlreichenWerken wegen
der Ausbreitung des neuenErregers
vorübergehend aussetzen.Mitden
vorg elegten Zahlen für 2019 schnitt
VWnochgutab.And enallermeisten
Standorten solle am Freitag (20.
März) die letzte Schicht laufen, hieß
es aus demBetriebsrat inWolfsburg.
In den verg angenenTagen hatte es
auchindeutschenVW-Fabrikenerste
bestätigte FällevonInfektionen mit
dem Sars-CoV-2-Virus gegeben, das
dieLungenkrankheitCovid-19auslö-
senkann.
Vorstandschef HerbertDiess
sagte,ess ei nun Priorität, Standorte
abzuschalten, um dieweitereVirus-
verbreitung einzudämmen.Mansei
aktuell„inDiskussionen,wiewirbe-
ginnend in dieserWoche die Werke
runterfahren“. Eszeichne sich ab,
dassdie FabrikeninDeutschlandund
EuropafürzweibisdreiWochenpau-
sieren müssen.DasUnternehmen
gehe davon aus,dass man die kom-
mendeZeitinsbesondereinD eutsch-
landabermitKurzarbeitergeldüber-
brückenkönne.HierzuhattedieBun-
desregierung kürzlichErleichterun-
genaufdenWeggebracht.
DerBetriebsrat erklärte,bei den
GesprächenmitdemVorstandseies
vorallem um die Lage im„direkten
Bereich“ gegangen, „wo auf den
Montagelinien Schulter an Schulter
an unserenFahrzeugen gearbeitet
wird“. DasRobert-Koch-Institut
empfehle etwa Mindestabstände,
die an denStationen aber oft nicht
einzuhaltenseien.„Wirdringenhier
aufverbindlicheAnsagen“,hießesin
RichtungManagement.
Zwei WochenPause
Es gab heftige Kritik, vieleMitarbei-
ter würden nicht ausreichend infor-
miertund beraten.DieUnterbre-
chungamFreitagkommezuspät.Es
sei nicht einzusehen, warumKolle-
gen„ohneklareWorteausdemMa-
nagement für ein paarHundertAu-
tos mehr eine Ansteckungriskieren
sollen, die sie dann womöglich frü-
heroderspäternachHausetragen“.
Diessbetonte,ess eiamwichtigs-
ten, dieGesundheit undSicherheit
derBelegschaftsowievonderen Fa-
milien sicherzustellen: „Oberstes
Zielistes ,dieAusbreitungdesCoro-
navirussostarkwiemöglichzuver-
langsamen.“
DerKonzernchef erklärte,viele
Standorte richtetensichaufzweiWo-
chen Unterbrechung ein.Diedeut-
schen VW-Standorte waren nach
jüngstenAngabenbishernurvonre-
lativ wenigen nachgewiesenenSars-
Cov-2-Infektionenbetroffen.Amver-
gangenenWochenendewurdenFälle
in Baunatal bei Kassel sowie im
StammwerkWolfsburgbekannt.Den
betreffenden Beschäftigten soll es
jüngstenAngabenzufolgegutgehen,
siesindinQuarantäne.VWhattezu-
letztetwaHygiene-undAbstandsvor-
schriftenverschärft, auchKantinen
sollten geschlossenwerden. Dienst-
reisenwurdenverboten,größereVer-
sammlungenvertagt.
Dergrößte deutscheIndustrie-
konzer nhat weltweit mehr als
670000 Beschäftigte.Bisher waren
die Lieferketten nach offiziellen An-
gabennichtnennenswertunterbro-
chenodergefährdet.Diesssagte,die
WerkeinÜ bersee seien „derzeit
nicht in kritischemZustand, da se-
hen wir das noch nicht“.Derdurch
Software-P robleme verzögerte Start
des Elektroautos ID.3–wichtigstes
Projekt vonVWiml aufendenJahr –
sollim Sommernachwievorstehen,
trotz„temporärerShutdowns“.Auch
beieinerPausevondreiWochensei
diegeplanteProduktionvon
Fahrzeugenin Zwickaumöglich.
Auch die VW-TochterAudi fährt
ihreWerkein Ingolstadt,Neckarsulm,
Belgien,MexikoundUngarnbisEnde
dieser Woche schrittweise komplett
herunter .Angesichtsderdeutlichver-
schlechterten Absatzlage und der
sichabzeichnendenUnsicherheitder
TeileversorgungderWerke„wirdesan
denmeistenStandortendesVolkswa-
gen-Konzerns zuProduktionsunter-
brechungen kommen“, teilte Audi
amDienstagmit.
In China hatte der VW-Konzern
zuletztfastalleStandortewiederans
Netz genommen. LautFinanzvor-
standFrankWittersinddiefinanziel-
len Risiken der Viruskrise bisher
nichtabschätzbar.Ime rstenQuartal
dürfte sich das operativeErgebnis
aber gegenüber demVorjahreszeit-
raumwohl„mindestenshalbieren“.
Im abgelaufenenJahr konnte die
VW-Kernmarketrotzkonjunktureller
Abkühlung in vielen Ländernnoch
einmal einen höherenGewinn ein-
fahren. Dasoperativ eErgebnis vor
Sondereinflüssen stieg bei den VW-
Pkw von3,2 Milliarden Euro (2018)
auf 3,8 MilliardenEuro (2019). Die
Kosten zurBewältigung derDiesel-
krisebliebenmitrund1,9 Milliarden
EuroungefähraufVorjahresniveau.
FürPorschemeldetederKonzern
vorSonderfaktoren ein leichtesGe-
winnplusum2,4Proz entauf4,2Mil-
liarden Euro.Auch Skoda, Seat und
Bentley sowie die Lkw-Töchter Sca-
niaundMANverbessertensich.Bei
AudisankderBetriebsgewinndage-
gen von4,7 auf 4,5Milliarden Euro,
bei den leichten Nutzfahrzeugen
von780auf510MillionenEuro.
PessimistischeAussichten
DieweitereEntwicklungdergesamt-
wirtschaftlichen Lage stimmt VW
eherpessimistisch.„2020isteinsehr
schwieriges Jahr“, meinte Diess.
Auch die konjunkturelleSituation
macheihmSorgen.„DurchdieBün-
delungunsererKräfte,eineengeZu-
sammenarbeit und guteMoralim
Konzer nwirdesu ns gelingen, die
Corona-Krise zu bewältigen.“ Für
den Gesamtkonzernwaren dieEck-
datenbekannt.Demnachkonntedie
VW-G ruppe 2019 ihrenGewinn un-
termStrichum12,8Proz entauf13,
MilliardenEuro steigern.DerUm-
satz legte um 7,1Proz ent auf 252,
Milliarden Euro zu. Gründe sind
etwa starke SUV-Verkäufe,Sparef-
fekte und sinkendeKosten zurBe-
wältigungderAbgaskrise. (dpa)
ImVolkswagen-StammwerkinWolfsburghabensichMitarbeitermitdemCoronavirusinfiziert. DPAXXXXXX
GEHALTSANGABEN
2019:Laut Vergütungsbe-
richt des VW-Konzerns hat
Konzernchef HerbertDiess
im Geschäftsjahr 2019 et-
was weniger verdient. Die
Rentenansprüche herausge-
rechnet bezog Diess insge-
samt7Millionen Euro.
2018:Im vergangenen Jahr
hatten die entsprechenden
Zuflüsse noch mehr als 7,
Millionen Euro betragen. Für
die rund 100 000Tarifbe-
schäftigten derVolkswagen
AG gibt es einen Bonusvon
jeweils 4950 Euro.
Regelung:Die Vorstandsge-
hälter bestehen aus einem
fixen Basisgehalt plus Ne-
benleistungen sowie zweiVa-
riablen: einem am laufenden
Jahr und einem an einer
Spannevondrei Geschäfts-
jahren orientierten Bonus.
MerkelzurAufstockungderEU-MittelfürFlüchtlingeinderTürkeibereit
CoronapandemieverschärftdiehumanitäreLagederMigrantenanEuropasGrenzen
B
undeskanzlerin Angela Merkel
hat sich bei demSyrien-Gipfel
mit dem türkischenPräsidentenRe-
cep Tayyip Erdogan zu einerAufsto-
ckung der EU-Mittel für dieVersor-
gung vonFlüchtlingen in der Türkei
bereiterklärt.BeiderVideokonferenz,
an der auch der französischePräsi-
dentEmmanuelMacronundderbri-
tischePremierministerBorisJohnson
teilnahmen, habe man sich klar zu
dem Flüchtlingspakt zwischen der
EU und der Türkei bekannt, sagte
Merkel am Dienstag nach denGe-
sprächen inBerlin. Mandürfe auch
die auf Eisgelegten Gespräche über
eine Ausweitung derZollunion zwi-
schen der EU und der Türkei„nicht
ausden Augenverlieren“.
DieBesprechunghatteeigentlich
inIstanbulstattfindensollen,wurde
aber wegen der Coronakrise in eine
Videokonferenzumgewandelt.
DieTürkeihatmehrals3,6Millio-
nen Flüchtlinge ausSyrien aufge-
nommen.DerFlüchtlingspaktvon
EU und Türkeivon2016 siehtvor,
dassAnkaragegenillegaleMigration
vorg eht.ImGegenzugsolldieEUdie
VersorgungvonFlüchtlingen in der
Türkei mit sechsMilliarden Euro fi-
nanzieren.DerEU-Kommission zu-
folgesindbislang4,7Milliarden ver-
traglich verg ebenund3,2Milliarden
ausbezahlt.
Erdogan hatte sichverg angene
Woche bereits inBrüssel mit EU-
KommissionschefinUrsula vonder
LeyenundEU-RatschefCharlesMi-
chelgetroffen.AnlasswarseineEnt-
scheidung,Migranten nicht mehr
vonder Einreise in die EU abzuhal-
ten. Daraufhin kamen Tausende
Menschen an dieGrenzezuG rie-
chenland,wonochimmervieleaus-
harren. GriechenlanddrängtdieMi-
grantenimmerwiedermitdemEin-
satzvonTränengaszurück.
VordemHintergrunddesSyrien-
KonflikteshatdieHilfsorganisation
ProAsylgrößerenDruckder Staaten
der Europäischen Union auf die
Türkei gefordert.Die„fluchtverur-
sachendePolitik Erdogans in der
Türkei und inSyrien“ müsse ge-
stopptwerden,heißtesineinerMit-
auf Erdoganausüben, damit die
Türkei„ihrekriegstreibendePolitik
inNordsyrienstoppt“.Hilfszahlun-
gen für in der Türkei aufgenom-
mene Flüchtlinge seien zwar „legi-
timundnötig“,dochmüssediesmit
politischenForderungenverk nüpft
werden. Insbesonderedürfe es
teilung amDienstag mitBlick auf
Erdogan. DieTürkei sei kein siche-
rerStaat fürFlüchtlinge,sie biete
keinen dauerhaften Schutz.Burk-
hardtwarntenundavor,durchneue
Vereinbarungen zwischen EU und
Türkei„dasFlüchtlingsrechtauszu-
hebeln“.Besser solle die EUDruck
keine AnsiedlungenvonFlüchtlin-
gen in denKurdengebieten geben,
„in die die Türkei zuvor völker-
rechtswidrigeinmarschiertist“.Mit
Blick auf die Lage inGriechenland
äußertesichProAsyl„entsetztüber
diedefactoAushebelungelementa-
rerrechtsstaatlicher Garantien“
durch die griechischen Behörden
mit Unterstützung der EU. Dort
festgesetzte Schutzsuchende seien
umgehend freizulassen und ihnen
„Zugang zurechtsstaatlichenVer-
fahren“ zu gewähren.Deutschland
sollezudemweitereFlüchtlingsaus
den überfüllten Lagernauf griechi-
schenInselnaufnehmen.
Wegen derCoronakrise werden
in Griechenland alleFlüchtlingsla-
gervorläufigfürBesuchergeschlos-
sen. „BesuchevonEinzelpersonen
und Organisationen werden für
mindestens14Tageausgesetzt“,er-
klärte dasEinwanderungsministe-
rium amDienstag. Zutritt erhalte
nur noch dasPersonal. Neueinge-
troffene Migranten müssen sich
denAngabenzufolgenachihrerAn-
kunft einer Temperaturkontrolle
unterziehen.Außerdem fordertdas
Ministerium dieMigranten in den
Lagernauf,ihr eBewegungeninner-
halbundaußerhalbderEinrichtun-
gen einzuschränken.DerSchulun-
terricht und sonstige Aktivitäten in
den Lagernwerden unterbrochen.
Gesundheitswarnungen werden
dem Ministerium zufolge zweimal
täglichaufArabisch,Farsi,Englisch,
Französisch,Griechisch und in an-
deren Sprachen bekannt gegeben.
Griechenland hatte zuvor bereits
dieBeschränkungenfürdenHandel
und öffentliche Versammlungen
schrittweiseverschärft. Landesweit
stiegen die Todesfälle durch die
Lungenerkrankung Covid-19 auf
vier.Zuletzt warenHunderte Men-
schenaufdemSeeweg vonderTür-
keiausaufdengriechischenÄgäis-
Inseln eingetroffen, wo sich bereits
mehr als 37000 Asylsuchende in
Flüchtlingslagernbefinden. Diese
sind eigentlich nur für dieUnter-
bringungvonetwa6000Menschen
ausgelegt. (dpa, AFP)
Flüchtlinge im Lager von Moria auf Lesbos AFP/MANOLIS LAGOUTARIS