Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1
Jens Koenen Frankfurt

E


ine vergleichbare Situati-
on hat es wohl noch nie
gegeben: Weltweit wird
der Luftverkehr wegen
der rasanten Ausbreitung
der neuen Lungenkrankheit Covid-
nahezu zum Erliegen kommen.
Flugzeug- und Rüstungskonzern
Airbus setzt darum seine Produktion
in Frankreich und Spanien für den
Rest der Woche aus. Der Stopp dauere
vier Tage, teilte das Unternehmen in
Toulouse mit. Der Hersteller reagiert
auf die von den Regierungen erlasse-
nen Vorschriften wie die Ausgangs-
sperre in beiden Ländern. Die Airbus-
Standorte in anderen Ländern, vor al-
lem in Deutschland, Großbritannien,
Kanada, den USA und China, seien da-
von nicht betroffen, sagte ein Spre-
cher. Das Unternehmen will nun
schnell neue Sicherheits- und Hygie-
nemaßnahmen umsetzen, um die
Produktion in Frankreich und Spa-
nien wieder aufnehmen zu können.
Wo immer möglich, sollen Mitarbeiter
vorerst von zu Hause aus arbeiten.
Denn die Fluggesellschaften sind im
Krisenmodus. Die wichtigen Ticketer-
löse fehlen, viele Kosten laufen weiter.
Also wird jeder Cent, der nicht unbe-
dingt ausgegeben werden muss, erst
einmal in der Kasse gelassen. Das wird
auch die Flugzeughersteller treffen.
Immer mehr Airlines dürften die
geplante Abnahme neuer Flugzeuge
bei Boeing und Airbus verschieben.
Zudem wird eine Pleitewelle erwartet,
die die eine oder andere Order obso-
let werden lässt. Erste Kunden wie et-
wa der malaysische Billiganbieter Air
Asia X haben bereits erklärt, dass sie
ihre Jets wegen der Folgen der Coro-
nakrise später abnehmen wollen.
Für Airbus ist das ein Rückschlag.
Denn der Konzern muss ähnliche

Schritte von anderen Abnehmern des
modernisierten Langstrecken-Flug-
zeugs fürchten. Viele Kunden stam-
men aus Asien und waren finanziell
schon vor dem Ausbruch des Corona-
virus nicht gerade gut gestellt.
So hat der chinesische Mischkon-
zern HNA 40 Maschinen dieses Flug-
zeugmusters bestellt. Doch im Zuge
der Coronakrise wurde HNA verstaat-
licht, alle Ausgaben kommen auf den
Prüfstand. Die Experten des Fachin-
formationsdienstes Leeham News se-
hen von den 337 Bestellungen beim
A330 neo mindestens 156 in Gefahr.
Nicht nur der A330 neo dürfte be-
troffen sein, alle Flugzeugmuster dürf-
te das Coronavirus betreffen. Nach ei-
nem guten Jahresauftakt mit ein-
drucksvollen 274 Bestellungen im
Januar konnte Airbus im Februar kei-
ne einzige Order verbuchen. Die gute
Nachricht: Es gab auch keine Stornie-
rung – was allerdings wenig bedeutet.
Der Blick auf die regionale Vertei-
lung im Orderbuch von Airbus zeigt,
dass fast 28 Prozent der noch offenen
Bestellungen Ende Februar von Kun-
den aus Asien stammen, wo das Coro-
navirus seinen Ursprung hat. Airlines
aus dem mittlerweile ebenfalls massiv
betroffenen Europa kommen auf
knapp 16 Prozent.
Schwer einzuschätzen ist zudem der
Posten Leasing. Finanzfirmen bestel-
len die Jets in der Regel mit entspre-
chenden Kunden im Hintergrund. Wer
das ist und in welchem Land diese be-
heimatet sind, ist häufig nicht bekannt.
Erste Analysten wie etwa Celine
Fornaro von UBS haben deshalb be-
reits bei Airbus die Ziele für die Liefer-
und Gewinnschätzungen nach unten
korrigiert. Auch David Perry von
JPMorgan hat das Kursziel sowie die
Prognosen für die Lieferzahlen zu Wo-

chenbeginn abgesenkt. 2020 stelle die
Flugzeugbauer vor große Herausfor-
derungen, schreibt er.
Das sehen auch viele Investoren so.
Seit Mitte Februar hat die Airbus-Aktie
rund die Hälfte ihre Werts verloren.
Allein am Montagvormittag brach das
Papier innerhalb weniger Stunden
mehr als 20 Prozent ein.
Bei Airbus hält man es dagegen Mit-
te März noch für zu früh, um über
mögliche Folgen von Corona für das
Orderbuch zu spekulieren. „Wir ste-
hen in engem Kontakt mit unseren
Kunden und arbeiten mit diesen zu-
sammen, um die Situation zu mana-
gen“, erklärte ein Sprecher. Die De-
tails dieser Gespräche seien und blie-
ben aber vertraulich.
Nach wie vor geht der Konzern da-
von aus, dass der Luftverkehr auch
2020 wachsen wird. Basierend darauf
bleibe es bei dem Ziel, in diesem Jahr
etwa 880 kommerzielle Verkehrsflug-

zeuge auszuliefern, heißt es in der
Konzernzentrale in Toulouse.
Das Management hat sich allerdings
dazu entschlossen, den erstmals in
der Finanzkrise gestarteten „Watch
Tower“ wieder zu aktivieren. Über
diesen werde die Situation auf Kun-
den- und Flugzeugseite genau evalu-
iert und beobachtet und die unter-
schiedlichen Wünsche der Kunden
würden berücksichtigt, erklärt der
Sprecher.
Airbus hatte zum Beispiel in der
Vergangenheit große Lieferprobleme
beim sehr beliebten Kurz- und Mittel-
streckenflugzeug A320 neo, weil der
Motorenlieferant Pratt & Whitney mit
der Technik zu kämpfen hatte. Air-
line-Manager von US-Billiganbietern
wie Spirit Airlines oder Jet Blue hatten
vor wenigen Tagen auf einer Investo-
renveranstaltung von JP Morgan er-
klärt, trotz der Krise an der raschen
Modernisierung der Flotte festhalten
zu wollen. Die ungarische Wizz Air
wiederum überlegt, die Zurückhal-
tung der Rivalen zu nutzen und Flug-
zeuge früher zu kaufen als geplant.
In der Finanzkrise 2008/2009 hatte
der „Watch Tower“ gut funktioniert.
Über einen Zeitraum von 18 Monaten
hinweg passte der Konzern damals
über 600 Liefertermine an. Am Ende
schaffte Airbus die eigenen Lieferziele.
Die Frage ist, ob das Konzept in die-
ser Krise erneut funktionieren wird.
Täglich spitzt sich die Situation zu.
„Cash is king“, beschreibt Daniel Rös-
ka von Bernstein Research die aktuel-
le Stimmungslage in den Zentralen
der Airlines. Es ist sehr schwer abzu-
schätzen, wie lange die Aussagen von
Airline-Managern, trotz Corona in die
Flottenerneuerung zu investieren, Be-
stand haben werden.

Boeing in schwieriger Lage
Allerdings scheint Airbus deutlich bes-
ser gerüstet zu sein für die massive
Krise als der Erzrivale Boeing. Der ist
wegen der nach zwei Abstürzen seit
einem Jahr zwangsgeparkten Boeing
737 Max eh schon mächtig angeschla-
gen. Eine zu aggressiv programmierte
Steuerungssoftware soll die Katastro-
phen mitverursacht haben.
Zwar zeichnet sich ab, dass die US-
Aufsicht FAA demnächst die Testflüge
mit dem überarbeiteten Jet starten
wird. Damit rückt eine Wiederzulas-
sung näher. Doch die könnte nun auf
eine fehlende Nachfrage stoßen.
Das gibt dem US-Wettbewerber von
Airbus auf der einen Seite vielleicht
mehr Zeit, um die aus dem Verkehr
gezogene 737 Max nachzurüsten. Auf
der anderen Seite könnten die Wün-
sche der Kunden, neue Jets wegen Co-
rona später abzunehmen, dazu füh-
ren, dass dem Konzern jetzt noch län-
ger als geplant die Einnahmen fehlen.
Kürzlich kursierten bereits Gerüch-
te, dass Boeing eine Kreditlinie über
13,8 Milliarden Dollar, die eigentlich
für die Max-Krise gedacht war, wegen
der Coronafolgen ausschöpfen wolle.
Umgehend brach der Kurs ein. Seit
Mitte Februar hat die Boeing-Aktie 60
Prozent an Wert eingebüßt.
Allein am Montag sackte der Kurs
um 24 Prozent ab. Es wurde bekannt,
dass sich zahlreiche Mitarbeiter des
Konzerns mit dem Virus infiziert ha-
ben und unter Quarantäne stehen.
Auch soll Boeing nach Informationen
von Bloomberg bei der Regierung um
Staatshilfen für sich und für Zulieferer
gebeten haben.
„Die Verkaufsaussichten des Unter-
nehmens beunruhigen die Investoren
zunehmend“, schreibt Judson Rollins
vom Informationsdienst Leeham:
„Das Coronavirus und die Folgen, die
sich weiter ausbreiten, erschweren
Boeings Erholung signifikant.“

Flugzeughersteller


Was die Krise für Airbus


und Boeing bedeutet


Die Fluggesellschaften müssen massiv sparen. Obwohl ihre Sparpläne


direkte Folgen für die Flugzeugbauer haben werden, hält Airbus


vorerst an seinen Produktionszielen fest.


Fertigung bei Airbus:
Noch geht der
Konzern für 2020 von
einem wachsenden
Luftverkehr aus.

LAIF

274


AUFTRÄGE
verzeichnete Airbus
im Januar – ein guter
Jahresauftakt. Im
Februar konnte der
Konzern dagegen
keine einzige Order
verbuchen.

Quelle: Airbus

Europa
Nordamerika
Asien-Pazifik
Naher Osten
Lateinam./Karibik
Afrika
Leasing
Rest
Weltweit

Region Bestellungen Ausgeliefert

Aus-
stehend Anteil
3 907
2 693
5 560
1 303
1 094
289
4 742
794
20 382

2 710
1 681
3 415
626
659
235
3 185
201
12 712

1 197
1 012
2 145
677
435
54
1 557
593
7 670

15,
13,
28,
8,
5,
0,
20,
7,

% % % % % % % %

Bestellungen bei Airbus

HANDELSBLATT

Stand: Februar 2020; 1) Anteil an allen ausstehenden Bestellungen;
2) Regierungen, Private usw.;
Quellen: Airbus, eigene Berechnungen

Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
16

Technologie

Homeoffice-Dienste am Limit


Die Coronakrise wird zum
Belastungstest für das digitale
Arbeiten. Selbst große
Anbieter wie Microsoft haben
Schwierigkeiten.

Christof Kerkmann, Stephan
Scheuer Düsseldorf

Z


ahlreiche deutsche Unterneh-
men haben aufgrund der Co-
ronavirus-Pandemie ihre Mit-
arbeiter ins Homeoffice geschickt.
Tausende sitzen mittlerweile zu
Hause im Arbeits- oder Wohnzim-
mer. Auch Politiker verzichten auf
persönliche Treffen und schalten
sich aus der Ferne zusammen. An
die Stelle von Meetings und Gesprä-
chen in der Teeküche treten Tele-
fonkonferenzen und Videodienste.
Anbieter wie Cisco und Microsoft,
Teamviewer und Zoom verzeichnen
in diesen Wochen deutlich höhere
Zugriffszahlen, was sie mit ihren
Gratisangeboten selbst verstärken.
An den ersten Tagen des „Shut-
down“, wie die massiven Einschrän-
kungen des öffentlichen Lebens in
den sozialen Medien knackig ge-
nannt werden, ist es allerdings zu
einigen Störungen gekommen. Am
Montag war beispielsweise der Kol-
laborationsdienst „Teams“ von Mi-

crosoft in Europa nur bedingt er-
reichbar. Am Dienstag vermeldete
Cisco bei seinem Dienst „Webex“ ei-
ne „beeinträchtigte Leistung“, vor
allem bei der Anwendung Meetings.
Die hohe Last macht sich bemerk-
bar, wie Microsoft in einer E-Mail an
die Kunden unumwunden zugibt:
„Um neues Wachstum und neue
Nachfrage in diesen beispiellosen
Zeiten zu bewältigen“, schränkt der
Konzern einige „nichtessenzielle“
Funktionen zeitweilig ein, heißt es
in dem Schreiben, das dem Handels-
blatt vorliegt. So wird die Videoauf-
lösung vermindert, zudem prüft das
System seltener die Präsenz der Teil-
nehmer. „Wir erwarten keine signifi-
kanten Auswirkungen für die Nut-
zererfahrung“, betont Microsoft.
Auch klassische Telefonkonfe-
renzsysteme geraten in diesen Ta-
gen immer wieder an ihre Grenzen.
In den sozialen Medien kursieren di-
verse Berichte, dass Nutzer nicht in
der Lage sind, sich einzuwählen:
Leitungen sind besetzt, viele Teil-
nehmer bleiben außen vor. Die Sys-
teme sind offenkundig für kleinere
Kreise ausgelegt.
Die Telekommunikationsanbieter
betonen, dass sie das erhöhte Volu-
men an Anrufen und Videokonfe-
renzen bewältigen können. „Alles
im grünen Bereich“, sagte ein Spre-

cher der Deutschen Telekom. Bis
Dienstag sei auch kein besonders
starker Anstieg der Datenvolumina
registriert worden. „Es gab gestern
kleinere und vereinzelte Störungen.
Diese standen oder stehen nicht in
Zusammenhang mit Corona“, sagte
der Sprecher. Der Netzbetreiber Te-
lefónica (Marke O2) gab sich eben-
falls gelassen. „Wir sehen im Mobil-
funknetz aktuell eine leicht, aber
nicht signifikant steigende Daten-
nutzung. Stärker gestiegen ist die
Zahl der Telefonate, aber auch das
führt zu keiner ungewöhnlichen
Netzbelastung“, sagte der Telefóni-
ca-Sprecher.
Diese Einschätzung teilt Joachim
Richter, Partner bei der Unterneh-
mensberatung Axxcon, der auf den
IT-Betrieb spezialisiert ist und viele
Jahre in der Telekommunikations-
branche gearbeitet hat. In Deutsch-
land sei das Kernnetz – „Backbone“
genannt – sehr leistungsfähig. „Die
Leitungen, die in die Rechenzentren
reingehen, bieten ausreichend Band-
breite“, urteilt er daher. Angesichts
der Spitzenlast könne die Rechenka-
pazität der Server zu gering sein.
Bei dediziert genutzten Telekom-
munikationsdiensten sei häufig der
Einwahlknoten – von Fachleuten als
„Access Point“ bezeichnet – das Pro-
blem. Dort werde nur eine be-

stimmte Kapazität bereitgestellt, er-
läutert Richter. „Wenn statt 100 auf
einmal 1 000 Leute simultan anru-
fen, ist die Grenze erreicht.“ Es ist
zwar möglich, die Kapazität zu er-
höhen, aber das dauert, zumal die
IT-Abteilungen bereits mit der Ein-
richtung von Homeoffice-Lösungen
ausgelastet sind. Sein Fazit: „Die Co-
ronakrise legt schonungslos offen,
ob Unternehmen auf Krisen vorbe-
reitet sind oder nicht.“

Mobilfunkmast:
Die Telekomanbieter
sehen ihre Netze
gut gerüstet.

picture alliance / Winfried Roth














     




 




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Unternehmen & Märkte
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