Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1

Aktienrückkauf


Späte


Rache


D


as Coronavirus bringt eine
unangenehme Wahrheit ans
Licht: Aktienrückkäufe sind
schädlich für Unternehmen. Vor al-
lem jetzt, wo Unternehmen einen
langen Atem brauchen, um die
kommenden Monate zu überste-
hen. Lange konnten vor allem US-
Konzerne gar nicht genug Aktien
zurückkaufen, um ihren Börsen-
kurs zu pflegen und Aktionäre bei
Laune zu halten. Dafür haben sie ei-
nen Großteil ihrer Gewinne ausge-
geben und sich zum Teil sogar ver-
schuldet.
Jetzt stehen diese Unternehmen
mit leeren Kassen da oder rufen so-
gar wie die Airlines nach dem Staat.
Laut einer Studie von JP Morgan
Chase haben US-Unternehmen die
Rückkäufe bis zu 30 Prozent mit
Anleihen finanziert. Das heißt, sie
haben sich am Markt Geld geliehen,
um eigene Aktien zurückzukaufen.
Ein irrsinniges System. Unterneh-
men wie General Electric haben
nach den Berechnungen von Spe-
zialisten auf diese Weise zwischen
2009 und 2018 das 227-Fache ihrer
Gewinne in Aktienrückkäufe und
Dividenden gesteckt. Bei Boeing
waren es 121 Prozent.
Üppige Aktienrückkäufe sind
grundsätzlich ein Warnsignal. Sie
sind ein Zeichen dafür, dass die Un-
ternehmen nicht wissen, wohin mit
ihrem Geld. Sie haben also nicht ge-
nug Ideen, in welche zukunftsträch-
tigen Innovationen sie investieren
sollten oder wie sie die Anleger
sonst überzeugen sollten, dass sich
ein Investment in ihre Aktien lohnt.
Delta, American Airlines und an-
dere Fluggesellschaften stoppen
jetzt erst ihre Rückkaufprogramme
und fordern 50 Milliarden Dollar
Staatshilfen. Ein Vielfaches dessen,
was sie nach dem 11. September be-
kommen haben. Auch mehrere US-
Banken – ebenfalls Dividenden- und
Rückkauf-Könige – haben erklärt,
dass sie ihre angekündigten Pro-
gramme auf Eis legen. Vielleicht be-
reiten auch sie sich schon darauf
vor, um Staatshilfen zu betteln.
Wer aber Staatshilfen erwartet,
sollte sich zumindest dazu ver-
pflichten, vorerst keine Aktien
mehr zurückzukaufen. Darauf muss
die US-Regierung drängen.


Viele US-Konzerne haben ihre
Gewinne in eigene Aktien
investiert. Jetzt fehlt ihnen Cash,
kritisiert Katharina Kort.

„Wir arbeiten mit Hochdruck
an einer Luftbrücke für ganz
Deutschland.“
Carsten Spohr, Vorstandsvorsitzender Lufthansa,
verspricht, die Warenversorgung Deutschlands
sicherzustellen.

Worte des Tages


Die Autorin ist Korrespondentin in
New York.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]


D


aimlers „Wurstgate“ warf 2016 ein
trauriges Schlaglicht auf die Institution
Hauptversammlung. Bei dem Aktio-
närstreffen des Autobauers in Berlin
kam es am Buffet zum Streit zwischen
Kleinanlegern um die „Saitenwürschtle“. Zur
Schlichtung musste Daimler-Chefaufseher Manfred
Bischoff sogar die Polizei rufen lassen. Der peinliche
Vorfall krönte die ewige Kritik an Hauptversammlun-
gen als nutzloses, aber teures Ritual. Dabei sind
Hauptversammlungen neben Vorstand und Auf-
sichtsrat ein wichtiges Entscheidungsgremium der
Aktiengesellschaft.
Auch in Coronavirus-Zeiten stellt sich einmal wie-
der die Frage, ob es Hauptversammlungen über-
haupt noch braucht. Das staatliche Verbot größerer
Versammlungen jeglicher Art bringt Deutschlands
Unternehmen in die Bredouille. Schließlich sollen
sie laut Gesetz spätestens acht Monate nach dem En-
de des Geschäftsjahrs ihre Anteilseigner zur Abstim-
mung einberufen. Auch gibt es keine Dividende, so-
lange die Aktionäre nicht darüber abgestimmt ha-
ben. Ein reines Online-Aktionärstreffen als
Alternative schließt das Aktienrecht aus. So bleibt
den Unternehmen nur eine Verschiebung, wie es
Continental, Daimler, Telekom und Beiersdorf jetzt
beschlossen haben. Weitere Absagen dürften folgen.
Trotz der teils verständlichen Kritik: Die Hauptver-
sammlung hat ihre Daseinsberechtigung. Auch
Kleinanleger und Belegschaftsaktionäre müssen ein-
mal im Jahr die Möglichkeit haben, der obersten
Führungsriege „ihres“ Unternehmens von Angesicht
zu Angesicht Fragen zu stellen. Genauso wie es die
Hauptversammlung braucht, braucht es aber auch
eine neue HV-Kultur mit einer Generaldebatte, die
ihren Namen verdient und bei der konstruktiv disku-
tiert wird. In Formalismus erstarrt und von kruden
Redebeiträgen begleitet sind die Aktionärstreffen oft
weder für Vorstand und Aufsichtsrat noch für die
Anteilseigner ein Vergnügen.
Schuld daran sind beide Seiten. Viele Aktionäre
bleiben zu Hause und lassen ihre Stimmrechte ver-
fallen. Oder sie kommen, verbringen ihre Zeit aber
lieber damit, das Buffet abzuräumen. Stattdessen
strapazieren nicht selten Aktivisten oder Kleinanle-
ger mit großem Geltungsbedürfnis durch ellenlange
Redebeiträge die Nerven aller Beteiligten. Von den
Berufsklägern, die ihr Geld mit Formfehlern und Re-
gelverstößen verdienen – und nur darauf warten, sie
sogar provozieren –, ganz zu schweigen.
Stellen Aktionäre doch die richtigen kritischen
Fragen, sind die Antworten von Vorstand oder Auf-
sichtsrat oft allgemein und wenig aussagekräftig. Das

liegt auch daran, dass vorformulierte, juristisch
glattgebügelte Antworten aus dem Backoffice oder
aus vorgefertigten Frage-und-Antwort-Listen verle-
sen werden. Auch sind die Vorträge der Vorstands-
chefs, eigentlich das Highlight zu Beginn einer jeden
Hauptversammlung, gern zu lang, zu abstrakt, mit
Fachbegriffen und Fremdwörtern gespickt.
Was also tun, um Hauptversammlungen zu Platt-
formen des lebhaften Austauschs zu machen, bei de-
nen der Mehrwert nicht nur im Essen besteht?
Zunächst einmal gilt für Aktionäre: Eigentum ver-
pflichtet. Wer nicht selbst teilnimmt, sollte sein
Stimmrecht übertragen. Eine niedrige Präsenz spielt
Großaktionären und Fonds in die Hände. Am Red-
nerpult zählt nur die aktuelle Entwicklung des Un-
ternehmens und nicht die Vergangenheit. Emotio-
nen sind gut, aber Kritik bitte sachdienlich und res-
pektvoll üben. Und ganz wichtig: Konkrete Fragen
erhöhen die Chance auf konkrete Antworten.
Dazu braucht es aber auch Versammlungsleiter, al-
so Aufsichtsratschefs, die auf Sachdebatte drängen
und Zeitdisziplin einfordern. Und die im Zweifel kon-
sequent einschreiten. Nicht ohne Grund erlaubt der
Gesetzgeber Redezeitbeschränkungen. Beim lästigen
Thema Anfechtungsklagen können allerdings nur
Gesetzesreformen und am Ende die Gerichte helfen,
Angriffsfläche für renitente Aktionäre zu reduzieren.
Auch die Konzernchefs sollten mit gutem Beispiel
vorangehen. Eine halbe Stunde Redezeit über Ge-
schäftsentwicklung, Perspektiven und Strategie
muss reichen. Zumal meist nur das vorgetragen
wird, was ohnehin im Geschäftsbericht nachzulesen
ist. So bleibt mehr Zeit für die Fragen der Aktionäre.
Das Jahr 2020 könnte eine Zäsur sein, um die ein-
geübten, aber von allen beklagten Hauptversamm-
lungsrituale in Deutschland zu reformieren. Weil
sich beide Seiten einmal wieder auf die Frage kon-
zentrieren sollten: Welchen Sinn haben die Aktio-
närstreffen eigentlich? Und: Wie lassen sich Haupt-
versammlungen modernisieren?
Viele Aktionärstreffen haben bis heute nicht ein-
mal den Weg ins Internet gefunden. Das verhindert,
dass Anteilseigner wenigstens passiv an der Debatte
um ihr Unternehmen teilhaben können. Von Live-
Voting ganz zu schweigen. Das aber sollte ein Auftrag
für die nächste Reform des Aktienrechts sein. Dann
wären Verschiebungen wie jetzt durch die Corona-
krise nicht so schwierig. Und es wäre ein wichtiger
Beitrag für mehr Aktienkultur in Deutschland.

Hauptversammlungen


Das Coronajahr


2020 ist eine Zäsur


Continental,
Daimler, Telekom
und Beiersdorf
verschieben ihre
Aktionärstreffen.
Das muss auch
ein Anlass sein,
über eine Reform
nachzudenken,
fordert Kirsten
Ludowig.

Viele


Aktionärs-


treffen haben


bis heute


nicht einmal


den Weg ins


Internet


gefunden.


Damit


Anteilseigner


wenigstens


passiv an der


Debatte teilhaben


können.
Die Autorin ist Ressortleiterin Unternehmen &
Märkte. Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
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„Wir arbeiten
weitestgehend
business as usual.“
Stefan Klebert, Vorstandsvorsitzender
des Anlagenbauers Gea, der bislang keine
Auswirkungen der Corona-Epidemie spürt

„Wir wollen das Jahr nicht
komplett abschreiben. Eine
verlässliche Prognose ist derzeit
nahezu unmöglich.“
Frank Witter, Finanzvorstand Volkswagen

D


ie Reaktion ist menschlich mehr als verständ-
lich: Nach dem Horrortrip an den Aktienbörsen
hat die Diskussion darüber begonnen, ob man
die Märkte nicht einfach schließen soll, bis sich die La-
ge zumindest ein bisschen beruhigt hat. Die Philippinen
haben bereits ernst gemacht, in den USA fordern die
ersten Experten eine längere Handelspause.
Vorbilder für derart drastische Schritte gibt es: Nach
den Terroranschlägen vom 11. September 2001 blieben
die Aktienmärkte beinahe eine Woche geschlossen.
Ähnlich einschneidende Schritte fordert jetzt Peter At-
water, Professor an der William & Mary University im
US-Bundesstaat Delaware. „Die Leute sind erschöpft. Es
gibt fast den Wunsch nach einer Art Kapitulation, damit
dieser extreme Zustand aufhört“, meint der Experte.
Damit hat der Mann zweifelsohne recht – die Sache
hat nur einen Haken: Der extreme Zustand hört nicht
auf, nur weil die Börsen geschlossen sind. Im Gegenteil,
die Lage könnte noch extremer werden. Der Kurssturz
der vergangenen Tage ist keine blinde Panik, der man
Einhalt gebieten müsste, sondern eine durchaus ratio-

nale Reaktion auf eine Situation, für die es kaum histo-
rische Vorbilder gibt und die sich deshalb mit den übli-
chen Instrumenten der Finanzprofis nicht analysieren
lässt. Maximale Unsicherheit führt zu maximaler Furcht
und zu maximalen Kursverlusten. Anders als beim Ter-
rorangriff vor 19 Jahren bemisst sich diese Unsicherheit
nicht in Tagen, sondern eher in Monaten.
Deshalb sollte die Devise gelten: Solange die Märkte
technisch funktionieren, sollten die Börsen offen blei-
ben. Eine längere Schließung würde anders als kurzfris-
tige Handelsunterbrechungen während des Tages oder
ein Verbot von Leerverkäufen mehr schaden als nutzen.
Mag der Blick auf die Kurse noch so schmerzhaft sein,
er sorgt für Transparenz, er zeigt, wie sich die Investo-
ren fühlen, wie groß ihre Angst oder ihre Hoffnung ist.
Das sind wertvolle Informationen für die gesamte Wirt-
schaft, aber auch für Aufseher, Notenbanken und die
Politik.
Dazu kommt ein weiterer zentraler Punkt: Eine
Schließung der Börsen würde den Zugang der Investo-
ren zu ihrem Kapital empfindlich beschränken. Sie
könnten ihr Geld nicht aus Anlagen abziehen, die sie als
riskant ansehen und in sicherere Investments verschie-
ben. Eine solche Einschränkung würde die Panik an
den Märkten weiter schüren.
Die Coronakrise stellt die Welt vor eine gigantische
Herausforderung. Die Folgen mögen schwer auszuhal-
ten sein, aber es bringt nichts, die Augen davor zu ver-
schließen, und genau das würde eine länger als ein
paar Stunden anahaltende Schließung der Börsen be-
deuten.

Aktiencrash


Haltet die Börsen offen


Solange die Märkte reibungslos
funktionieren, sollte der Handel
weitergehen. Es bringt nichts, die
Augen vor dem Crash zu
verschließen, findet Michael Maisch.

Der Autor ist Teamleiter Banken.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Der


extreme


Zustand


hört nicht


auf, nur weil


die Börsen


geschlossen


sind.


dpa (3)

Fußball-Bundesliga


Bitte


Abpfiff!


D


er Fußball gefällt sich in der
Gewissheit, das letzte
Lagerfeuer einer atomisier-
ten Gesellschaft zu sein. Er war ja
immer und überall Gesprächsthe-
ma. Da Kirchen, Parteien und Ver-
bände ungebremst Mitglieder ver-
lieren, ziehen die Verantwortlichen
daraus den Schluss, mit neuen
Wettbewerben – und im übrigen
„business as usual“ – werden die
Milliarden auch weiterhin fließen.
In Tagen der Coronakrise ist dieses
Idyll rascher verfallen, als es die Ak-
teure begreifen können. Kein Virus
richtet sich nach ihrem Spiel- und Fi-
nanzplan. Der aktuelle Beschluss der
Branche, die Europameisterschaft
um ein Jahr auf Sommer 2021 zu ver-
legen, ist logisch und überfällig. Eine
„Klub-WM“, die die Merkantilisten-
Organisation Fifa für diese Zeit aus-
geheckt hat, wird somit zum „Ver-
gissmeinnicht“ des globalen Fußball-
Kapitalismus.
Den deutschen Leitern des Ge-
werbes aber nutzt die Causa EM we-
nig. Da sich Team für Team auf-
grund der Pandemie in Quarantäne
verabschieden dürfte, ist die Aus-
tragung von neun Spieltagen bis
Hochsommer unrealistisch. Anders
als die Eishockey-Liga, die ihre Sai-
son abbrach, beschlossen die 36
Top-Profiklubs, erst mal nur bis 2.
April zu pausieren. Motto: verza-
gen, vertagen. Die Fußball-Granden
setzen darauf, alle Restspiele ohne
Zuschauer austragen zu können –
um so 750 Millionen Euro Erlösaus-
fall zu verhindern.
In etlichen Klubs aber ist längst
die Erkenntnis gereift, dass „Geis-
terspiele live“ auch für den Pay-TV-
Betrieb Sky, der als „Big Spender“
der Liga auftritt, kaum attraktiver
sind als die Übertragung eines
Schachturniers. Zumal sich bei
wichtigen Spielen die Fans weiter
vor den Stadien sammeln würden,
was wiederum die Polizei alarmiert.
Fazit: Die DFL braucht auch eine
längere Zwangspause. Und sie
muss kreativer werden. Was ist mit
einem Solidarfonds, Gehaltsver-
zicht kickender Millionäre und ei-
ner Fusion der Spielzeiten 2019/20
und 2020/21? Nur wenn „Aufhö-
ren“ – in Tagen von Covid-19 – eine
Option ist, bleibt der Fußball „La-
gerfeuer“.

Die deutschen Profiklubs sollten
die Coronarealität akzeptieren und
eine Zwangspause einlegen, findet
Hans-Jürgen Jakobs.

Der Autor ist Senior Editor.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


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