Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1
A. Dörner, A. Kröner, J. Röder New
York, Frankfurt, Düsseldorf

Z


ur Endzeitstimmung an
der Wall Street tragen Ge-
dankenspiele bei: Seit
dem Wochenende wird
die Möglichkeit diskutiert,
die US-Börsen einige Tage zu schlie-
ßen. Sie war am Montag um 13 Pro-
zent eingebrochen. US-Finanzminis-
ter Steven Mnuchin brachte alterna-
tiv eine Verkürzung ins Gespräch. Er
lehnt die Schließung ab: „Die Ameri-
kaner müssen an ihr Geld kommen.“
Angestoßen hat die Debatte Peter
Atwater von der William & Mary Uni-
versity in Delaware, der zum Thema
Zuversicht an den Finanzmärkten
forscht. „Es ist sehr schwer, Panik für
längere Zeit aufrechtzuerhalten“, er-
klärt Atwater im Gespräch mit dem
Handelsblatt. „Die Leute sind er-
schöpft. Es gibt fast den Wunsch
nach einer Art Kapitulation, damit
dieser extreme Zustand aufhört.“
Die US-Börsenbetreiber und die
Börsenaufsicht SEC wollen davon
nichts wissen. Stacey Cunningham,
die Chefin der New York Stock Ex-
change, wandte sich am Montag via
Twitter an die Investoren. „Es ist
wichtig, dass die Märkte offen blei-
ben und ordnungsgemäß funktionie-
ren – was sie tun“, betonte sie.
Ähnlich äußerte sich am Montag
auch der Chef der Finanzaufsicht
SEC, Jay Clayton. Terry Duffy, Chef
der Options- und Terminbörse CME
in Chicago, schlägt aber vor, dass die
Märkte für den Rest des Tages schlie-
ßen sollen, wenn sie um mehr als
13 Prozent einbrechen.
In Deutschland ist eine Schließung
der Märkte kein Thema, wie die
Deutsche Börse betont. Das Börsen-
gesetz nennt eine Reihe von Grün-
den, etwa technische Störungen, aus
denen der Handel insgesamt oder
von einzelnen Wertpapieren ausge-
setzt werden kann. Derzeit sei jedoch
„keine dieser Voraussetzungen gege-
ben“, erklärte das Unternehmen.

Warnung vor Panikeffekt
An der Deutschen Börse gibt es eine
Reihe von Schutzmechanismen, um
einen ungeordneten Kursverfall zu
verhindern. Dazu zählt vor allem die
sogenannte Volatilitätsunterbre-
chung. Sie kommt zum Einsatz,
wenn es bei Wertpapieren zu extre-
men Preisausschlägen kommt.
Dann wird der Handel kurz ge-
stoppt, und es werden im Rahmen ei-
ner Auktion alle Kauf- und Verkaufs-
orders gesammelt. Anschließend
wird ein neuer Preis für das Wertpa-
pier ermittelt – und der Handel geht
weiter.
Großinvestoren sehen das Thema
sehr kontrovers. So sagt Frank En-
gels, Fondsmanagement-Chef bei
Union Investment: „Börsenschlie-
ßungen sind die Ultima Ratio der Auf-
sichtsbehörden – und müssen das
auch bleiben. Gleichzeitig haben frü-
here Krisen gezeigt, dass dieses Mit-
tel in Ausnahmefällen sehr hilfreich
sein kann.“

Joachim Schallmayer, Chef-Kapital-
marktstratege bei der Deka, hält da-
gegen nichts davon: „Eine vereinzelte
Schließung von Börsen könnte Anle-
ger zusätzlich verunsichern und den
bereits fragilen Märkten mehr scha-
den als nutzen.“
Martin Lück, Chef-Anlagestratege
Deutschland und Osteuropa beim
US-Fondshaus Blackrock, pflichtet
ihm bei: „Eine komplette Schließung
erachte ich nicht als sinnvoll. Neben
ordnungspolitischen Bedenken
spricht auch dagegen, dass eine sol-
che Maßnahme eine Art Paniksignal
senden würde.“ Dagegen hält er kurz-
fristige Aussetzungen des Handels für

sinnvoll, „um rein technisch induzier-
te Verkaufslawinen, etwa bei Algo-
rithmen, einzudämmen“.
Einen ungewöhnlichen Vorschlag
macht Fondsmanager Klaus Kalde-
morgen von der DWS. Nach seiner An-
sicht sollte man die Börsenzeiten „zu-
mindest zwischen den USA und
Europa“ angleichen. Die US-Börse
könnte zum Beispiel deutlich früher
öffnen. Damit wäre gewährleistet, dass
es nicht zu starken Ausweichbewegun-
gen kommt, wenn einzelne Börsen ge-
schlossen und andere geöffnet sind.
Der unabhängige Finanzanalyst
Ralf Kugelstadt warnt vor möglichen
Verwerfungen im Markt der Aktien-

Futures. Denn in den USA kann der
Handel damit unter bestimmten Vo-
raussetzungen gestoppt werden, in
Europa dagegen nicht. Das könnte
bei einem Stopp an der Wall Street zu
einem Ausweichen von US-Investo-
ren auf den viel dünneren europäi-
schen Markt führen – mit entspre-
chend heftigen Reaktionen. Er hat
deswegen die Finanzaufsicht (Bafin)
angeschrieben.
Der philippinische Präsident Rodri-
go Duterte hat in der Nacht auf Diens-
tag „bis auf Weiteres“ eine Schließung
der Börse Manila angeordnet. Jesper
Koll, der Japan-Berater des US-Hauses
Wisdom Tree, sagt: „Ich glaube nicht,
dass das Beispiel Schule machen wird.
Das wäre das Ende des Kapitalis-
mus.“

London bleibt immer offen
Anders als die Deutsche Börse haben
Frankreich und Belgien Wetten auf
Kursverluste verboten. Frankreich
untersagte für Dienstag Leerverkäufe
in 92 Aktien, wie die Finanzaufsicht
AMF am Morgen mitteilte. Die belgi-
sche Finanzaufsicht verbot ebenfalls
Leerverkäufe in mehr als einem Dut-
zend Papieren. Frankreich und Bel-
gien stützten sich bei ihren Entschei-
dungen auf Artikel 23 der europäi-
schen Leerverkaufsverordnung, der
bei einem „ungeordneten Kursver-
fall“ greift. Der französische Finanz-
minister Bruno Le Maire hatte sich
zuvor gegen eine komplette Schlie-
ßung der Börsen ausgesprochen.
Auch die London Stock Exchange
(LSE) lehnt eine Schließung ab. Das
sei kein Thema, heißt es in Unterneh-
menskreisen. Die Börse bleibt damit
einer Tradition treu: Sie hat in ihrer
Geschichte noch nie wegen Markttur-
bulenzen geschlossen – weder nach
dem Schwarzen Montag im Oktober
1987 noch nach den Terroranschlä-
gen am 11. September 2001 oder der
Finanzkrise 2008. Nur ein Sturm
führte 1987 zur Schließung, weil die
Händler nicht zur Arbeit kommen
konnten. Vereinzelte Börsenschlie-
ßungen gelten in der LSE als wir-
kungslos, weil der Handel in dem glo-
balen Markt dann auf anderen Platt-
formen stattfinden würde.
Stattdessen setzt die Börse auf so-
genannte „circuit breakers“, um ex-
treme Marktbewegungen zu verhin-
dern. Sie greifen automatisch, wenn
eine Aktie rapide steigt oder fällt.
Dann wird der Handel zeitweise aus-
gesetzt. In den vergangenen Wochen
gab es Hunderte solcher Fälle. Den
Absturz der Märkte verhindern konn-
ten sie nicht. Auch die britischen Re-
gulierer versuchen, die Märkte zu be-
ruhigen. So verbot die Finanzaufsicht
FCA am Dienstag erneut den Leer-
verkauf von spanischen und italieni-
schen Aktien. Auch vergangenen
Freitag hatte sie bereits ein Leerver-
kaufsverbot verhängt.

Mitarbeit: J. Henke, I. Narat,
A. Rezmer, C. Rickens, C. Volkery,
M. Kölling

> Kommentar Seite 27

Aktien


Vorschlag zu Schließung der


Börsen stößt auf Ablehnung


Die meisten Profis wollen die volle Transparenz auch bei extremem Stress erhalten.


„Fearless Girl“-Statue vor der
New Yorker Börse: Anleger sind
zurzeit alles andere als furchtlos.
Max Brugger

13


PROZENT
verlor der US-ameri-
kanische Leitindex
Dow Jones am
Montag.

Quelle: Wall Street

Finanzen & Börsen
MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
30

Volks- und Raiffeisenbanken

Gewappnet für die Krise


Die Genossenschaftsbanken
sind zuversichtlich, dass sie
auch Kreditausfälle stemmen
können. Sie warnen aber vor
Gefahren durch die
Coronakrise für die gesamte
Branche.
Elisabeth Atzler Frankfurt

D


ie deutschen Volks- und
Raiffeisenbanken sehen sich
für die Folgen der Coronakri-
se gut gerüstet. Die Präsidentin des
Bundesverbands der Volks- und Raiff-
eisenbanken (BVR), Marija Kolak, sag-
te am Dienstagmorgen: „Mit Blick auf
die genossenschaftlichen Institute bin
ich zuversichtlich, dass diese eine so-
lide Basis haben, um auch in dieser
Stresssituation ihre wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit aufrechterhalten
zu können.“
Allerdings ließen sich die Belastun-
gen und die Auswirkungen der Coro-
na-Pandemie zum aktuellen Zeitpunkt
nur sehr schwer beziffern, so Kolak.

Steigende Risikovorsorge
So rechnen die Volksbanken, die im
vergangenen Jahr erneut gut verdient
haben, mit einem Gewinnrückgang.
Vorstandsmitglied Gerhard Hofmann
sagte: „Dieses hohe Niveau wird sich
nicht halten lassen.“ Die Risikovorsor-
ge der Genossenschaftsbanken im
Jahr 2020 und vielleicht auch darü-
ber hinaus dürfte signifikant steigen.
Je länger die Einschränkungen im
öffentlichen Leben anhielten, desto
mehr sei man auf dem Weg in eine
Wirtschaftskrise, sagte Hofmann.
„Dass der Finanzsektor davon betrof-
fen ist, ist klar.“ Auch Banken könn-
ten in Gefahr geraten, das gelte für
die gesamte Branche.

Hofmann betonte, dass es derzeit
keine Anzeichen dafür gebe, dass ein-
zelne Genossenschaftsbanken wegen
der Coronakrise gestützt werden
müssten. Das genossenschaftliche Si-
cherungssystem funktioniert so, dass
im Ernstfall jeweils in Schieflage gera-
tene Kreditinstitute gerettet werden.
„Im Moment sehe ich keine akute Ge-
fahr, aber die Situation ist immer wie-
der neu zu überdenken“, so Hofmann.
2019 haben die 841 Genossen-
schaftsbanken vor Steuern 7,6 Milliar-
den Euro verdient – ein Gewinnplus

von fast 20 Prozent gegenüber dem
Vorjahr.
Angesichts des guten Ergebnisses
haben die Geldhäuser Kolak zufolge
weitere Reserven gebildet, die einen
zusätzlichen Puffer für die aktuelle
Lage darstellen. „Wir sind in der
Summe als genossenschaftliche Fi-
nanzgruppe gut gewappnet gegen
Kreditausfälle.“
Zu den BVR-Mitgliedern zählen
neben den Volks- und Raiffeisen-
banken auch die Sparda-Banken,
die PSD Banken sowie einige Spezi-

alinstitute. Ihr Spitzeninstitut ist die
DZ Bank.
Wie schon in den vergangenen Jah-
ren stemmten sich die Volks- und
Raiffeisenbanken gegen die Dauer-
niedrigzinsen, indem sie erneut deut-
lich mehr Kredite vergaben. Der
wichtige Zinsüberschuss sank nur
leicht. Diese Strategie dürfte 2020 an-
gesichts der Coronakrise aber kaum
möglich sein.
Zudem ist das Umfeld für Geldhäu-
ser ohnehin schwierig. Wie alle Ban-
ken ringen die Volks- und Raiffeisen-
banken mit den Negativzinsen der
Europäischen Zentralbank (EZB). Ab
einem bestimmten Freibetrag ver-
langt die EZB für Kurzfristeinlagen
der Geschäftsbanken einen Negativ-
zins von 0,5 Prozent. Zudem gilt der
Wettbewerb auf dem deutschen Ban-
kenmarkt als besonders hart.

Details zur Hilfe am Freitag
Kolak betonte, dass die Genossen-
schaftsbanken trotz der negativen
Rahmenbedingungen „mit aller Kraft
ihren Firmenkunden in dieser Krise
als verlässlicher Partner und Finan-
zierer zur Seite stehen“ würden.
Die ersten Kunden würden nach
den Hilfsprogrammen der Staatsbank
KfW fragen, die vergangene Woche
beschlossen wurden. Kolak zufolge
wird die KfW am Freitag Details zum
Prozedere bei den Hilfsprogrammen
veröffentlichen.
Die BVR-Chefin geht auch davon
aus, dass zunehmend Unternehmen
ihre Kreditlinien bei den Genossen-
schaftsbanken ausschöpfen. Dafür sei-
en die vereinbarten Kreditlinien auch
da: „Deswegen könnten und sollten
und werden sie auch in Anspruch ge-
nommen werden.“ Die genossenschaft-
liche Finanzgruppe werde ihren Bei-
trag zur Bewältigung der Krise leisten.

Bargeld

Bundesbank-Tresore sind gut gefüllt


Bargeld wird nicht knapp,
versichert die Notenbank.
Und eine Ansteckung durch
Geldscheine und Münzen sei
wenig wahrscheinlich.

Jan Mallien Frankfurt

B


undeskanzlerin Angela Merkel
hat jüngst davon gesprochen,
dass die Lage in Deutschland
„außergewöhnlicher als in der Ban-
kenkrise“ sei. Entsprechend stellen
sich manche auch jetzt wieder die
Frage, ob sie an Bargeld kommen. Da-
rauf gibt Bundesbank-Vorstand Johan-
nes Beermann eine klare Antwort.
„Das Bargeld wird in Deutschland
nicht ausgehen. Unsere Tresore sind
bis oben hin gefüllt“, sagte er am
Dienstag in einer Pressekonferenz,
bei der die meisten Teilnehmer per
Telefon zugeschaltet waren. Auch bei
der Logistik gibt es demnach keine
Probleme.
Erhöhte Abhebungen von Bargeld
hat die Bundesbank in den vergange-
nen zwei Wochen nicht beobachten
können, sagte der für Bargeld zustän-
dige Vorstand. Lediglich am gestrigen
Montag habe der Umfang der Auszah-
lungen, der je nach Wochentag zwi-

schen 1,5 und drei Milliarden Euro be-
trägt, um rund 700 Millionen Euro
höher gelegen als an diesem Wochen-
tag sonst im Durchschnitt. Üblicher-
weise wird vor dem Wochenende
oder vor Feiertagen mehr Bargeld ab-
gehoben als sonst, daher variieren die
Zahlen. Beermann verwies darauf,
dass die Bundesbank auch am Sams-
tag Bargeld bearbeiten könnte, das
aus dem Einzelhandel zurückfließe,
falls es eine erhöhte Nachfrage gibt.
Aktuell sei dies aber nicht der Fall.
Auch einer anderen Sorge trat
Beermann entgegen. Von Scheinen
und Münzen gehe kein besonderes
Ansteckungsrisiko aus. In den USA
hatte sich die Notenbank Federal Re-
serve laut Agenturberichten bereits
am 21. Februar dazu entschieden,
Dollar-Scheine aus Asien unter Qua-
rantäne zu stellen. Von den weltweit
in Umlauf befindlichen rund 1,75 Bil-
lionen Dollar entfällt ein bedeutender
Teil auf Asien. Die Fed und die ihr an-
geschlossenen regionalen Notenban-
ken lagern die betroffenen Banknoten
für sieben bis zehn Tage ein. Erst da-
nach werden sie bearbeitet und wie-
der in den Geldkreislauf eingespeist.
Auch in China hat die Regierung laut
Medienberichten angeordnet, dass
Banken ihre Bargeldbestände mit UV-

Licht desinfizieren und sieben bis 14
Tage einlagern müssen, bevor sie die-
se wieder ausgeben dürfen.
Der Leiter des Frankfurter Gesund-
heitsamts, der Infektiologe René
Gottschalk, sieht keinen Grund für
solche Maßnahmen. Wenn es eine
Übertragung des Coronavirus über
Geldscheine auf Menschen geben
würde, hätte sich die Zahl der Infek-

tionen nach seiner Einschätzung an-
ders entwickelt. Hierfür müsse das Vi-
rus nicht nur nachweisbar sein, son-
dern in größerem Umfang auf
Geldscheinen vorhanden sein. Dafür
gebe es aber keinerlei Hinweise.
Hauptübertragungsweg des Corona -
virus seien Tröpfcheninfektionen
durch Husten, Niesen, aber auch
Sprechen.

Das Bargeld


wird in


Deutschland


nicht


ausgehen.


Johannes Beermann
Bundesbank-Vorstand

Genossenschafts-
bank: Schwer zu
beziffernde
Belastungen.

dpa

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