Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1
Andrea Cünnen, Anke Rezmer Frankfurt

W


ann finden die Börsen einen
Boden? Es gibt wohl kaum eine
Frage, die Aktieninvestoren
derzeit mehr interessiert. Die
Ängste vor den Folgen der Co-
rona-Pandemie haben die Börsen in den vergange-
nen vier Wochen so stark einbrechen lassen wie
nie. Mehr als 30 Prozent sind es beim US-Aktien -
index S&P 500, mehr als 38 Prozent im deutschen
Leitindex Dax.
War es das jetzt? Die Bank of America (Bofa)
sagt: Nein. Noch zu viele Großanleger halten üppi-
ge Aktienbestände in ihren Depots, von denen sie
sich wohl trennen werden, wenn sich die Lage wei-
ter zuspitzt.
Das ist das Ergebnis der monatlichen Umfrage
von BofA Global Research unter mehr als 180 insti-
tutionellen Investoren, die zusammen 516 Milliar-
den Dollar verwalten. Die Befragung ist die wich-
tigste und umfangreichste regelmäßige Einschät-
zung der Aktivität weltweiter Fondsmanager.
Ende vergangener Woche, als die Umfrage ende-
te, waren netto nur zwei Prozent der Investoren in
Aktien untergewichtet im Vergleich zu ihren Bör-
senmesslatten. Zum Vergleich: In der Finanzkrise
im Oktober 2008 waren das 45 Prozent. Wenige
Monate danach begann der – von Rückschlägen un-
terbrochene – weltweite Börsenaufschwung, der
jetzt ein so abruptes Ende gefunden hat.
Dabei haben die Investoren ihre Aktienbestände
so rasant abgebaut wie noch nie in der 26-jährigen
Geschichte der Umfrage. Vor einem Monat war laut
der Umfrage noch ein Drittel der Portfoliomanager
in Aktien übergewichtet. Dabei erkannten sie
schon damals die Bedrohung durch Corona als
enormes potenzielles Risiko für die Wirtschaft und
die Aktienbörsen – handelten aber nicht entspre-
chend. Das hat sich jetzt geändert, aber es könnte
eben noch nicht reichen.

Nur leichte Aktien-Untergewichtung
Netto zwei Prozent Untergewichtung heißt in der
Terminologie der Bofa-Befragung, dass es jetzt
zwei Prozent mehr Investoren gibt, die in Aktien
unterinvestiert sind, als solche, die das nicht sind.
Untergewichtung bedeutet, dass die Investoren we-
niger Aktien halten, als es die aus mehreren Anla-
geklassen zusammengesetzten richtungsweisenden
Indizes für ihre Häuser insgesamt vorgeben.
Die zwar massiv gesunkene, aber nur 1,3 Prozent
unter dem langjährigen Durchschnitt liegende Un-
tergewichtung der Investoren ist auch deshalb ein
schlechtes Zeichen, weil die Stimmung der Investo-
ren in den vergangenen vier Wochen regelrecht
kollabiert ist.
Inzwischen erwarten 72 Prozent der Investoren,
dass sich die Weltwirtschaft als Folge der Corona-
krise in den kommenden zwölf Monaten schwä-
cher entwickeln wird. Netto – also abzüglich der
Konjunkturoptimisten unter den Befragten – er-
wartet knapp die Hälfte der Fondsmanager eine
schwächere Wirtschaftsentwicklung.
Zu den Hochzeiten der Finanzkrise vor zwölf
Jahren glaubten unter dem Strich 70 Prozent der
Investoren an eine Rezession, die sich dann als die
schlimmste Wirtschaftskrise seit der Großen De-
pression in den 1930er-Jahren erwies.
Dass es so weit kommt, glauben Investoren wie
Martin Lück, einer der Chefanlagestrategen beim
Fondshaus Blackrock, nicht. Er spricht von einem
„milden Eskalationsszenario“. Das bedeutet: „We-
der Tiefe noch zeitliche Erstreckung der Rezession,
deren Beginn wir gerade erleben, ist absehbar.“ Die
volkswirtschaftlichen Folgen dieser gravierenden
Situation hält Lück für noch immer nicht „kom-
plett eingepreist“ – trotz der Kursstürze an den
Börsen.
Das sieht auch Frank Engels, Chef des Fondsma-
nagements beim genossenschaftlichen Fondshaus
Union Investment, so: „Die Lahmlegung des öffent-
lichen Lebens sollte die Pandemie zwar eindäm-
men, aber auch das Wirtschaftswachstum belasten:
Eine Rezession wird sich nicht mehr vermeiden las-
sen.“ Die Bofa interpretiert die aktuelle Stimmung
der Investoren als extrem „bearish“. Die Fondsma-

Luft nach


unten


Investoren sind mit Blick auf die Wirtschaft so


pessimistisch wie in der Finanzkrise.


Fondsmanager weltweit halten aber viel mehr


Aktien als im Herbst 2008. Der Ausverkauf


könnte deshalb noch nicht vorbei sein.


Private


Geldanlage


MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
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nager machen sich Sorgen, dass es weder die Poli-
tik noch die Notenbanken schaffen, die Wirtschaft
zu retten.
Die Umfrage endete bereits am vergangenen
Donnerstag. Seither hat die US-Notenbank (Fed)
die Leitzinsen auf knapp über null gesenkt und ihr
Anleihekaufprogramm wiederbelebt und Banken
die Kreditvergabe erleichtert. Die Bank of Japan
kündigte unter anderem an, den Markt mit Käufen
von börsengehandelten Aktienindexfonds zu stüt-
zen. Auch die Regierungen schnürten Konjunktur-
pakete.

Konzertierte Aktionen verpuffen
Die Börsen sind dennoch weiter abgerutscht. Die
Woche begann mit einem neuen schwarzen Mon-
tag mit einem historischen Tagesverlust von knapp
zwölf Prozent im US-Leitindex S&P 500 und einem
Verlust des deutschen Dax von in der Spitze mehr
als zehn Prozent. Am Dienstag gab es Zeichen einer
Stabilisierung, nachdem die Fed angekündigt hat-
te, jetzt auch kurz laufende Anleihen von Unter-
nehmen zu kaufen.
Dennoch ist die Reaktion auf die konzertierten
Aktionen letztlich enttäuschend. Engels von Union
Investment erklärt das so: Auch wenn Zentralban-
ken und Regierungen schnell, entschlossen und
richtig reagiert hätten, seien geld- und fiskalpoliti-

sche Hilfen allein nicht ausreichend, um das kon-
junkturelle Bild aufzuhellen. Dafür müsse erst eine
Beruhigung bei der Ausbreitung der Pandemie
sichtbar werden. Dann kann die Wirtschaft seiner
Ansicht nach wieder „auftauen“, und die staatli-
chen Maßnahmen können den Erholungsprozess
unterstützen.

Unternehmen brauchen Hilfe
Das bedeutet nach Auffassung von Engels auch,
dass Banken „vermutlich regulatorische Nachsicht
bei vorübergehend notleidenden Krediten benöti-
gen“. Auch die von den Banken in den Handelsbü-
chern gehaltenen Anleihebestände sollten mit Au-
genmaß bewertet werden, mahnt er. Mit einer ein-
geschränkten Kreditversorgung der Realwirtschaft
infolge überstrapazierter Bankbilanzen wäre nie-
mandem gedient. Denn betroffene Unternehmen
benötigten nicht nur Zugang zu Liquidität und neu-
en Krediten, sondern vor allem perspektivisch
auch Erleichterungen beim krisenbedingt steigen-
den Schuldendienst.
Aussagen wie diese zeigen, dass Investoren
noch nervös sind. Ablesen lässt sich die
große Unsicherheit zudem an Volati-
litätsindizes. Sie haben sich in den
vergangenen vier Wochen fast
versechsfacht und sind auf
noch nie da gewesene Stress-
levels gestiegen. Die Indizes
leiten aus Optionspreisen die
Erwartungen der Investoren
ab. Der Vix für den S&P 500
liegt inzwischen bei 81, der
VDax new für den deutschen
Leitindex sogar bei 88 Punkten.
Auch Fondslenker Engels geht
davon aus, dass die Entwicklung
kurzfristig turbulent bleiben wird. Solan-
ge das Wachstum der Infektionszahlen nicht zu-
rückgeht, hält er eine nachhaltige Aufwärtsbewe-
gung bei Aktien und Unternehmensanleihen für
unwahrscheinlich.
Lück von Blackrock hält es zwar für gut möglich,
dass sich der Markt auch phasenweise erholt. Doch
insgesamt dürfte der Boden der Aktienpreise erst
in Sicht kommen, wenn auch die Folgen für die Un-
ternehmen einigermaßen seriös abschätzbar sind,
wie er erklärt. „Das ist derzeit noch nicht der Fall.“
So halten Großinvestoren es für zu früh, in gro-
ßem Stil wieder Risikopositionen aufzubauen, wie
Lück sagt. Andererseits sieht er aber noch eine
gute Chance, „ein dramatisches Eskalationsszena-
rio mit schweren volkswirtschaftlichen Verwer-
fungen und einem lange währenden Bärenmarkt
abzuwenden“. Das spreche dafür, investiert zu
bleiben und auf Kurserholungen später im Jahr zu
setzen.
Die Fondsmanager bei Union Investment haben
Risiken in der Breite reduziert, „ohne aber in Alar-
mismus zu verfallen“, betont Fondsmanagement-
chef Engels. In den Fonds mit verschiedenen Wert-
papierarten, genannt „Multi Asset“, hätten die
Fondsmanager die Aktienquoten zurückgefahren.
Zudem haben sie vereinzelt verstärkt zur Absiche-
rung Gold beigemischt. Bei Anleihen wurde viel-
fach mithilfe von Derivaten die Laufzeit erhöht,
zum Beispiel über Terminkontrakte auf deutsche
Bundesanleihen und US-Staatsanleihen.
Bei der Deka haben Fondsmanager in vielen
Fondskonzepten über automatische Sicherungsme-
chanismen „frühzeitig Verlustbegrenzung betrie-
ben“, heißt es dort. Die Fondsmanager diskutierten
nun vielmehr über den richtigen Zeitpunkt für se-
lektive Käufe. Etwa bei Aktien und Firmenanleihen
suchten sie besonders abgestrafte Wertpapiere im
Vordergrund, die wegen fundamentaler Bewer-
tungskennzahlen ein deutliches Aufwärtspotenzial
hätten. Die Deka geht nur von „zwischenzeitlich
negativer Wertentwicklung“ aus. Auch Engels von
Union Investment hält „mittel- bis langfristig“ die
Aussichten für Investoren für „konstruktiv“.
Die Betonung dabei liegt aber eben auf „mittel-
bis langfristig“. Noch drohen den Börsen weitere
Rückschläge. Das zeigt die Umfrage der BofA wohl
ebenso wie die konkreten Aussagen deutscher
Großinvestoren.

Filiale der Bank of
America in New York:
Investoren bauen Aktien-
bestände rasant ab.

REUTERS

Eine Rezession wird


sich nicht mehr


vermeiden lassen.


Frank Engels
Fondschef bei
Union Investment

Klaus Kaldemorgen

„Der Schock


wird begrenzt


sein auf


Quartale“


Herr Kaldemorgen, erleben wir an den
Aktienmärkten gerade den schnellsten
Crash aller Zeiten?
Ja. Aber nicht den größten. In der gro-
ßen Depression Ende der Zwanzigerjah-
re, zur Jahrtausendwende und in der Fi-
nanzkrise fielen die Kurse stärker.

Wo lauern die größten Gefahren an den
Märkten nach Verwerfungen, wie wir sie
gerade erleben?
Diese Krise ist anders. Es ist ein externer
Schock, insoweit gibt es dafür keinen
Schuldigen. Der Schock wird zeitlich be-
grenzt sein auf mehrere Quartale. Aber
die wirtschaftlichen Folgen sind sehr
ernst. Einige Unternehmen werden Hilfe
brauchen, etwa die Tourismus- und Luft-
fahrtbranche, Restaurants, kleinere Fir-
men. Diese können in Liquiditätsnöte
kommen. Die Europäische Zentralbank
und der Staat bemühen sich hier
schon. Aber gefragt ist unbürokra-
tische Hilfe.

Wie hoch sind die Verluste in
ihrem Fonds „DWS Concept
Kaldemorgen“?
Seit dem Hoch vor wenigen
Wochen sind es rund 15 Prozent.

Wie steuern Sie gegen?
Ich habe für ausreichend Liquidität ge-
sorgt. Und in den schwierigen Wochen
habe ich US-Staatsanleihen verkauft, die
wegen des Renditerückgangs starke
Kursgewinne hatten. Bisher galten lang
laufende US-Staatsanleihen als sicherer
Hafen, inzwischen erachte ich sie aber
eher als ein Risiko.

Es scheint, als gebe es keine sicheren
Anlagen mehr.
Außer Cash nur noch kurz laufende
Staatsanleihen bester Qualität.

Wo legen Sie das Fondskapital nun an?
In Aktien stecken über 30 Prozent des
Vermögens. Ich habe an den schwachen
Börsentagen einige Absicherungen auf-
gelöst und selektiv aufgestockt.

Wird das Börsenjahr im Plus enden?
Schwer zu sagen. Aber wir dürften am
Jahresende höher stehen als heute.

Sie haben vor Kurzem Ihren Vertrag
über 2021 hinaus verlängert. Würden
Sie heute wieder so entscheiden?
Vermutlich ja. Es ist nicht die erste Kri-
se, die ich erlebe, und nicht die
schlimmste.

Die Fragen stellte Ingo Narat.

Der erfahrene Fondsmanager der
DWS, Klaus Kaldemorgen, über
den schnellsten Crash aller Zeiten
und seine Strategie dagegen.

Bernd Roselieb für Handelsblatt

Private Geldanlage


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