Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1
Zentrale der Hannover
Rück: Das Management
gibt sich entspannt.

Silas Stein

Versicherer unter der Lupe

HANDELSBLATT Stand: 16:30 Uhr • Quelle: Bloomberg

260

220

180

140

Aktienkurs in Euro

Munich Re

155,00 €

129,72 €

109,1 €

210

180

150

120

Allianz

4.3.2020 17.3.

180

150

120

90

Hannover Rück

Carsten Herz Frankfurt

A


lle Mühe gab sich Joa-
chim Wenning. „Auf
unserem Weg, Munich
Re profitabler, schlan-
ker und digitaler zu ma-
chen, sind wir 2019 einen großen
Schritt vorangekommen“, sagte der
Vorstandschef des weltweit zweit-
größten Rückversicherers auf der Bi-
lanzpressekonferenz vor wenigen Ta-
gen noch im Brustton der Überzeu-
gung. Tatsächlich übertrafen die
Münchener ihre Gewinnerwartungen
trotz teurer Naturkatastrophen im
vergangenen Jahr deutlich. Der Net-
togewinn stieg um 500 Millionen
Euro auf 2,7 Milliarden Euro und lag
damit über den ursprünglich ange-
peilten 2,5 Milliarden Euro.
Doch die Coronakrise wischte die
Ziffern – wie auch bei den anderen
deutschen Größen der Branche – an
der Börse zuletzt einfach beiseite.
Stark verängstigte Investoren sorgten
in den vergangenen Tagen rund um
den Globus für erneut massive Kurs-
verluste bei Aktien. Das galt ebenfalls
für die Papiere der Dax-Konzerne
Munich Re und Allianz und für die
Aktie des im MDax notierten welt-
weit drittgrößten Rückversicherers
Hannover Rück.
Da half es auch nicht, dass die
Vorstandschefs unisono die finan-
ziellen Folgen der Lungenkrankheit

für die Unternehmen bisher als ver-
gleichsweise begrenzt einschätz-
ten. So fürchtet Europas größter
Versicherer Allianz bislang für sich
keine hohen Belastungen infolge
der Ausbreitung des Coronavirus.
Die Versicherung von Unterneh-
men gegen Betriebsunterbrechun-
gen greife in der Regel nur, wenn
die Ursache ein echter Sachscha-
den sei, sagte Allianz-Finanzchef
Giulio Terzariol bei der Bilanzvorla-
ge in München.
Auch in Hannover gibt sich das Ma-
nagement vergleichsweise entspannt.
„Stand heute gehen wir nicht von Be-
lastungen für unser Unternehmen in
größerem Umfang aus“, sagte Han-
nover-Rück-Vorstandschef Jean-
Jacques Henchoz.
Bei der Munich Re klingt es etwas
weniger gelassen. Allein die Ausfall-
versicherungen von Großveranstal-
tungen gegen eine erzwungene Absa-
ge wegen Masseninfektionen sum-
mierten sich für den Dax-Konzern auf
einen mittleren dreistelligen Millio-
nenbetrag, sagte Vorstandsmitglied
Torsten Jeworrek. An der Versiche-
rung gegen eine Absage der Olympi-
schen Spiele in Tokio ist das Unter-
nehmen zudem als Mitglied eines
Konsortiums mit einer dreistelligen
Millionensumme beteiligt. Dennoch
erneuerte der Konzern seine Progno-
se, dass der Gewinn 2020 auf 2,8 Mil-
liarden Euro steigen soll.

Geholfen hat dies den Aktien an
der Börse allerdings nicht. Die Inves-
toren flüchteten massiv aus den Pa-
pieren, was ein wenig überrascht.
Normalerweise gelten die Titel von
Versicherern als vergleichsweise sta-
bile Anker in schwierigen Zeiten.
Zurückhaltend, langsam, aber ver-
lässlich: So ist ihr Ruf an der Börse.
Doch die Panik an den Märkten
macht auch vor den Assekuranzen
nicht halt – und setzt derzeit viele
hergebrachte Bewertungsmuster au-
ßer Kraft. Viele Anleger rätseln da-
rum nun, welche Perspektive die Pa-
piere noch haben: Ist die Luft bei den
Versicherern vorerst raus?
Blickt man auf die Einschätzung
der Analysten, so ist die Antwort da-
rauf eindeutig. Von den 30 Experten,
die die Munich Re regelmäßig co-
vern, empfehlen derzeit nur sechs
die Papiere zum Kauf. Die überwie-
gende Zahl rät zum Halten, zwei Ana-
lysten raten zum Verkauf.
Bei der Hannover Rück sind die
Fachleute sogar noch skeptischer:
Von den 29 Bankexperten, die das
Unternehmen laut der Nachrichten-
agentur Bloomberg regelmäßig co-
vern, empfehlen derzeit nur vier die
Aktie als Kauf. Wesentlich mehr,
nämlich 14 Fachleute, empfehlen An-
legern, die die Aktie schon haben,
diese lediglich zu halten. Aber der
Ratschlag von elf Experten lautet, die
Aktie schlicht zu verkaufen.
Doch ein Versicherer setzt sich da-
von deutlich ab. So ist die Meinung
der Experten über den Dax-Konzern
Allianz fast einhellig: Noch immer se-
hen zwei Drittel der 33 Analysten, die
das Papier begleiten, die Aktie als
Kauf an. Zehn Experten raten zum
Halten. Lediglich ein Fachmann rät
zum Verkauf.
Denn noch etwas macht die Papie-
re in einer Krise interessant: Sie sind
recht zuverlässige Dividendenzahler.
Kaum eine Branche zahlt stetig – un-
abhängig von der operativen Ent-
wicklung des Geschäfts – so viel Geld
an ihre Aktionäre aus wie die Versi-
cherungsbranche.
Die Munich Re öffnet beispielswei-
se für ihre Aktionäre das Füllhorn für
das abgelaufene Jahr mit 9,80 Euro je
Papier weiter, als viele Experten ge-
dacht hatten. Seit 1969 hat der Kon-
zern zudem nie seine Ausschüttung
gekürzt. Die Hannover Rück lockt
ebenfalls mit einer abermals gestiege-
nen Dividende von 5,50 Euro je Pa-
pier, um die Aktionäre bei Laune zu
halten.
Und die Allianz zählt zu den Klassi-
kern unter den deutschen Dividen-
denaktien. Die Hälfte ihres Jahres-
überschusses will sie regelmäßig als
Dividende ausschütten. Für das abge-
laufene Jahr hat der Konzern einen
operativen Rekordgewinn von 11,9
Milliarden Euro vorgelegt, die Divi-
dende soll mit 9,60 Euro je Aktie auf
einen neuen Spitzenwert angehoben
werden – was beim derzeitigen Kurs-
niveau einer Dividendenrendite von
6,9 Prozent verspricht.
Das stimmt auch Analysten zuver-
sichtlich. „Die Allianz ist mit einer
starken Bilanz und einem robusten
Geschäftsmodell gut aufgestellt, um
die aktuelle Krise zu überstehen“,
meint DZ-Bank-Analyst Thorsten
Wenzel.

Aktie unter der Lupe


Solide Langeweiler


mit Chancen


Die Coronakrise hat auch die als stabil geltenden Papiere von


Assekuranzen in die Tiefe gerissen. Analysten erkennen


zumindest bei einer Firma eine Kaufgelegenheit.


Private Geldanlage
MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
34

Krisenwährung

Anleger hamstern Gold


Schlangen vor Filialen,
ausverkaufte Onlineshops:
Anleger kaufen große Mengen
physisches Gold. Händler
geraten an ihre Grenzen.

Jakob Blume Frankfurt

E


delmetallhändler in Deutsch-
land beobachten derzeit eine
Gold-Nachfrage, die das Aus-
maß zu Zeiten der Finanz- und Euro-
Krise deutlich übersteigt. So sagt Ro-
bert Hartmann, Geschäftsführer bei
Pro Aurum: „Wir hatten am Montag
den absoluten Spitzentag. Der Um-
satz lag 50 Prozent über dem bisheri-
gen Rekord von 2011.“ Önder Ciftci,
Chef beim Händler Ophirum, bestä-
tigt: „Wir haben Warteschlangen vor
den Filialen.“ Wegen der Furcht vor
einer Ansteckung mit dem Coronavi-
rus schließen viele Händler jedoch
ihre Verkaufsräume. Pro Aurum etwa
hat die Niederlassung in Hamburg
am Dienstag nicht mehr eröffnet.
Auch das Goldhaus in München und
die Filiale in Berlin schließen ab Mitt-
woch auf Anordnung der Behörden.
„Ich gehe davon aus, dass die ande-
ren Bundesländer nachziehen wer-
den“, so Pro-Aurum-Chef Hartmann.
Umso mehr werden jedoch die
Webshops überrannt. Pro-Aurum-
Chef Hartmann räumt ein, dass der
Onlineshop seines Hauses wegen ho-
her Zugriffszahlen zeitweise nicht er-
reichbar war. Es gebe nach wie vor
Investment-Gold, etwa Krügerrand
oder 100-Gramm-Barren. Allerdings
betrage die Lieferzeit bis zu acht Ta-
ge. „Wir müssen pro Tag Tausende
Aufträge bearbeiten. Wir schaffen es
nicht mehr, Gold ad hoc auszulie-
fern.“ Ophirum-Chef Ciftci, der eben-
falls ein großes Onlinegeschäft hat,
betont: „Wir gehören zu den wenigen
Anbietern, die noch am Markt sind.“
Der Konkurrent Degussa ist offen-
bar nahezu komplett ausverkauft: Im
Webshop des Unternehmens steht vor
fast jedem Investmentprodukt, vom
Krügerrand bis zum Kilobarren: „In
Kürze lieferbar.“ Ein Sprecher sagte,
es sei der Degussa aktuell nicht mög-
lich, Fragen zu beantworten.
Für das Unternehmen besonders
bitter: Es ist bereits in kurzer Zeit das
zweite Mal, dass die Degussa Liefer-
schwierigkeiten hat. Auch Ende De-

zember war der Händler zwischen-
zeitlich ausverkauft. Zum Jahres-
wechsel senkte die Bundesregierung
die Obergrenze für anonyme Gold-
käufe von 10 000 Euro auf 2 000
Euro ab. Das sorgte kurz vor Inkraft-
treten der neuen Regelung für einen
Run auf das Edelmetall.
Ein Grund für den Engpass in vie-
len Onlineshops dürfte im „Kompe-
tenzzentrum für Sorten und Edelme-
talle“ der Bayrischen Landesbank in
Nürnberg liegen. Die BayernLB belie-
fert viele Händler. Doch aktuell
nimmt sie keine neuen Aufträge
mehr an, berichten zwei Branchenin-
sider. Viele Onlinehändler „hängen
am Tropf der BayernLB“, sagt ein Ex-

perte, der namentlich nicht genannt
werden will. Die BayernLB äußert
sich nicht zu Details, ein Sprecher
bestätigt jedoch: „Auch bei der Bay-
ernLB merken wir im Sorten- und
Edelmetallhandel zunehmend die
starken Einschränkungen in der Lie-
ferkette“.
Das Problem: Die großen Barren-
hersteller wie Valcambi und Argor-
Heraeus sitzen im Tessin, dem italie-
nischsprachigen Teil der Schweiz.
Viele Mitarbeiter pendeln jeden Tag
aus Italien in die Schweiz. Die ge-
schlossenen Grenzen sorgen daher
für Chaos. Wichtige Mitarbeiter der
Raffinerien seien bereits in Hotels
einquartiert worden, um die Barren-

produktion zu gewährleisten, berich-
tet ein Branchenkenner.
Besonders geprägte Barren, die vie-
le manuelle Handgriffe erfordern,
werden knapp. Gegossene Barren, wie
sie etwa Argo Heraus anbietet, werden
dagegen vollautomatisch hergestellt.
Von Heraeus heißt es auf Anfrage:
„Um die hohe Nachfrage für Invest-
mentbarren im Edelmetallbereich zu
befriedigen, fokussieren wir uns der-
zeit auf gegossene 100-Gramm-Gold-
barren. So halten wir Kapazitäten für
kleinere geprägte Barrengrößen frei.“
Geprägte 50- und 100-Gramm-Bar-
ren seien auf Kundenwunsch jeder-
zeit bestellbar, allerdings müsse man
sich auf längere Lieferzeiten einstel-
len. Hinzu kommt: Die Werttranspor-
te, die das Gold aus der Schweiz nach
Deutschland liefern, stehen derzeit
an den Grenzen im Stau. Man denke
über Lufttransporte nach, heißt es in
der Branche. „Solange die Lieferket-
ten funktionieren, erreichen uns in
den nächsten Tagen neue Goldvorrä-
te“, sagt Pro-Aurum-Chef Hartmann.

Volatile Goldmärkte
Die Knappheit der Barren und Mün-
zen hat für Privatanleger einen unan-
genehmen Nebeneffekt: Die Aufgel-
der, also der Aufschlag gegenüber
dem Spotmarktpreis, sind stark ange-
stiegen. Beim Krügerrand, der am
weitesten verbreiteten Investment-
münze, liege der Preis pro Unze rund
acht Prozent über dem Marktpreis,
sagt Hartmann. Zur Euro-Krise habe
das Aufgeld etwa 13 Prozent betra-
gen. „Die hohe Volatilität am Gold-
markt führt dazu, dass wir nicht die
üblichen Spannen aus An- und Ver-
kaufspreisen stellen können.“
Sowohl Kunden als auch die Händ-
ler tragen in diesen Marktphasen ein
höheres Preisrisiko. Denn der Preis
wird in dem Moment festgesetzt, in
dem der Kunde auf „kaufen“ klickt.
Doch bis der Auftrag bearbeitet und
das Gold beim Kunden ist, kann es
mitunter Tage dauern. In dieser Zeit
kann der Goldpreis deutlich schwan-
ken – wenn er fällt, hat der Kunde
Verlust gemacht, wenn der Preis
steigt, dann der Händler. Allein am
Dienstag pendelte der Goldpreis zwi-
schen 1 470 und 1 520 Dollar pro Fein-
unze. Um diese Risiko abzubilden, er-
höhen viele Händler die Spanne zwi-
schen An- und Verkaufspreis.

Goldbarren: Das
Coronavirus bringt die
Lieferketten in der
Edelmetallbranche
durcheinander.

Photothek/Getty Images

 
    
 
 



  

 


 



 

   " %#!
#"
%% % 
%#!
   

 



 
&  
 #!( #  
' 
!  ! %!
   !
 #  %
  $($ !
'!
% "
 # ! % #




   















 








 


  

















 


 


    
 

 
 
 
 
 
 

    
 
 
 
 
 
 
 


Private Geldanlage
MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
35
Free download pdf