Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1
Doch abzuwarten bleibt, wie die
Reaktion ausfallen wird, wenn sich in
der Realwirtschaft die Folgen der Co-
rona-Pandemie zeigen werden – etwa
in Form einer Pleitewelle. Wenn die
Talfahrt der Kurse weitergeht, wer-
den wahrscheinlich doch viele Ver-
mögenskunden beginnen, Gelder ab-
zuziehen oder in sichere Anlagen
umzuschichten.
„Für Investoren weltweit ist der
Umgang mit einem derartigen Virus
Neuland“, sagt Richard Zellmann,
Geschäftsführer von First Private In-
vestment Management. „Die Sprei-
zung der Anlegerreaktionen ist daher
extrem breit; nicht wenige halten
nach Kaufgelegenheiten Ausschau.
Unsere im Wesentlichen institutionel-
len Investoren gehen aber sehr be-
sonnen mit der Marktsituation um
und verlegen die Bewertung ihrer In-
vestments auf einen späteren Zeit-
punkt, wenn wieder mehr Rationali-
tät den Markt dominiert.“

Krise ist bereits eingepreist
„Die Rückkehr zu einem ‚Business as
usual‘-Umfeld wird wahrscheinlich
noch lange dauern und Auswirkun-
gen auf die Anlagestrategien von In-
vestoren haben“, ergänzt Chris Iggo,
Chief Investment Officer (CIO) bei
AXA IM. Der Markt habe bereits ei-
nen erheblichen Einfluss auf die glo-
bale Wirtschaftstätigkeit eingepreist
und Kapital in vermeintlich sichere
Anlagen umgeschichtet. So notieren
die Anleiherenditen in einigen Märk-
te auf Rekordtief. „Aber die große Di-
vergenz zwischen der jüngsten Per-
formance von Aktien und Kern-
Staatsanleihen hat gezeigt, dass die
Diversifizierung der Anlageklassen
weiterhin sehr wichtig ist“, so Iggo.
„Wir gehen davon aus, dass die Vola-
tilität zumindest kurzfristig bestehen
bleiben wird. Dementsprechend kon-
zentrieren wir uns darauf, das Risiko
zu begrenzen.“
Zweifellos hat die Coronakrise die
Asset-Management-Branche auf dem
falschen Fuß erwischt. Schon davor
hatte sie mit Kosten- und Wettbe-
werbsdruck zu kämpfen. Ein immer
größerer Teil der Kundschaft schaut
kritisch auf die Kosten. Dazu drängen
digitale Anbieter mit neuen Services
auf den Markt (siehe Einblick links),
die den etablierten Anbietern Kon-
kurrenz machen. Nicht zu vergessen
der seit Jahren andauernde Siegeszug
passiver Anlageformen. Börsenge-
handelte Indexfonds sind nicht nur
vergleichsweise preiswert, sondern
auch ein konzeptioneller Gegenent-
wurf zu einem aktiven Portfolioma-
nagement.
In der aktuellen Situation machen
daher viele Asset-Manager aus der
Not eine Tugend und suchen nach
Signalen, die Hoffnung auf eine Stabi-
lisierung der Börsenlage machen –
und ihnen gleichzeitig Gelegenheit
geben, ihre Expertise als Mehrwert
gegenüber Kunden auszuspielen.
„Wir halten an der Idee eines vorü-
bergehenden Schocks für die Wirt-
schaft fest“, sagt zum Beispiel Nadège
Dufossé, Head of Asset Allocation
beim Vermögensverwalter Candriam.
Aber klar ist, dass man weder eine
kürzere noch eine längere Grippeepi-
sode ausschließen kann. „Im letzte-
ren Fall werden die Auswirkungen auf
die Wirtschaft wahrscheinlich
schwerwiegend sein und die finan-

Thomas Luther Düsseldorf

N


ach dieser Krise wird
nichts mehr sein wie
zuvor – kein Satz ist
sinngemäß in den ver-
gangenen Tagen öfter
gefallen als dieser. Die Finanzmärkte
haben diese These bereits zu spüren
bekommen. Sie wurden von den
Schockwellen im Zuge der Corona-
Pandemie mit voller Wucht getroffen.
Fast alle wichtigen Indizes rund um
den Globus haben in den vergange-
nen Wochen rund 40 Prozent, einige
sogar knapp die Hälfte an Wert verlo-
ren. Analysten gehen in ersten Schät-
zungen davon aus, dass bislang rund
acht Billionen Dollar an Vermögens-
werten vernichtet worden sind.

Die Frage ist, wie sich professionel-
le Asset-Manager in diesem für sie
schwierigen Umfeld verhalten?
Schließlich bekommen sie die aktuel-
le Malaise gleich von zwei Seiten zu
spüren: Erstens führen schrumpfen-
de Assets under Managements (AuM)
infolge der Kurseinbrüche dazu, dass
ihre Provisionserträge erodieren.
Zweitens werden viele Investoren
nach dem aktuellen Crash an den in-
ternationalen Aktienmärkten eine
Neubewertung der Anlageklassen
vornehmen. „Noch allerdings bleiben
die meisten institutionellen Investo-
ren und vermögenden Privatkunden
gelassen“, berichtet ein Branchenin-
sider, der nicht genannt werden will.

Strategie


Anlageprofis sind


im Krisenmodus


Derzeit fahren viele Asset-Manager ihre


Risikopositionen zurück. Doch einige Strategen


sehen bereits wieder erste Einstiegschancen.


Händler an der Wall
Street: Noch bleiben
viele Investoren trotz der
Kurseinbrüche gelassen.

UPI/laif

A


uf die Asset-Management-
Branche kommen unruhige
Zeiten zu – und zwar nicht
erst mit den starken Kurseinbrü-
chen im Zuge der Coronakrise. Die-
se Schlussfolgerung legen jedenfalls
die Ergebnisse des German Wealth
Management Research Report na-
he, den die Prüfungs- und Bera-
tungsgesellschaft EY (Ernst &
Young) im Spätsommer vergange-
nen Jahres veröffentlicht hat. Dem-
zufolge ist jeder dritte vermögende
Privatkunde in Deutschland (33 Pro-
zent) bereit, innerhalb der nächsten
drei Jahre seinen Vermögensmana-
ger zu wechseln. Dies entspricht ei-
nem Wechselpotenzial von rund 1,5
Billionen Euro Assets under Ma-
nagement (AuM). Für die Studie
wurden weltweit 2 000 vermögen-
de Wealth Management Kunden aus
26 Ländern befragt, davon mehr als
150 aus Deutschland.


Zwar gehören deutsche Kunden der
Studie zufolge im internationalen
Vergleich zu den loyalsten. Wechsel-
willig sind jedoch vor allem jüngere
Investoren (Millennials und Genera-
tion X) sowie diejenigen mit einer
höheren Risikobereitschaft bei ih-
ren Investments.
Ein wichtiges Kriterium sind da-
bei die Kosten. Die Ergebnisse der
Studie deuten darauf hin, dass nied-
rige Gebühren und Preistranspa-
renz die Hauptgründe für einen An-
bieterwechsel sind (siehe Grafik).
Zwei Drittel der Befragten in
Deutschland (66 Prozent) hinterfra-
gen Kosten kritisch und fürchten
verdeckte Gebühren. Vor diesem
Hintergrund dürften Indexfonds
(ETF) eine weitere Aufwertung er-
fahren. Dieser Trend zeichnet sich
auch im breiten Vermögensverwal-
termarkt ab: Jeweils 31 Prozent der
Umfrageteilnehmer haben einen
Wechsel auf passive Investments be-
reits fest eingeplant oder erwägen
diesen Schritt.
Der Anteil an Private-Wealth-Kun-
den, die Fintechs in den kommen-
den Jahren nutzen wollen, steigt in
Deutschland um 54 Prozent. Dies
ist weltweit eine der höchsten Stei-
gerungsraten (europäischer Durch-
schnitt: 42 Prozent). Thomas Luther


Einblick


Die Loyalität


der Anleger


nimmt ab


IMPRESSUM
Redaktion: Florian Flicke (planet c),
Thomas Luther


Der Preis entscheidet


Warum wechseln Investoren ihren
Asset-Manager? Antworten der
Befragten* in Prozent


HANDELSBLATT


*2 000 Wealth-Mgt.-Kunden aus 26 Ländern,
davon mehr als 150 aus Deutschland, Sept. ’19
Quelle: EY


Geringe Gebühren, Preistransparenz


Persönliche Betreuung


Digitale Möglichkeiten


Qualität, Reputation


57,3 %

54,1 %

52,9 %

52,5 %

Spezial
MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
42


zielle Verwundbarkeit zunehmen.
Dennoch gehen wir in einem solchen
Szenario davon aus, dass der Ab-
wärtsschock nur halb so groß ist wie
2008/09.“ Insgesamt hält Candriam
an den Erwartungen für das BIP-
Wachstum in den USA von 0,8 Pro-
zent für 2020 fest und erwartet eine
Beschleunigung der Rate im Jahr 2021
in Richtung 2,6 Prozent. „Wir halten
auch an unserem Wachstum von 0,3
Prozent für 2020 in der Euro-Zone
fest und erwarten eine Erholung des
BIP-Wachstums im Jahr 2021 in Rich-
tung 1,9 Prozent“, so Dufossé.
Er will Aktien so lange unterge-
wichten, bis sich der Nachrichten-
fluss rund um die Verbreitung des Vi-
rus außerhalb von China verbessert.
„Wenn wir uns bewusst machen,
dass eine Epidemie von Natur aus vo-
rübergehend ist, müssen wir auch
anerkennen, dass dieser schnelle
und überaktive Markt für einen mit-
telfristigen Investor enorme Vorteile
für Aktien und Chancen auf den An-
leihemärkten schaffen kann.“
Nach den Kursrückgängen sieht
der Anlagestratege ein Polster auf

der Bewertungsseite. „Jede positive
Nachricht kann daher überra-
schend positive Reaktionen an den
Märkten auslösen: schnell nach un-
ten und dann schnell nach oben.“
Für die Akteure sei es jedoch ein
Markt, der schwer zu navigieren ist.
„Bislang bleiben wir vorsichtig, sind
aber bereit zu handeln“, bekräftigt
Dufossé.

Strategie anpassen
Mit der Ausbreitung des Coronavirus
in Europa hat Axa-CIO Iggo seine
Strategie angepasst: die Übergewich-
tung bei Aktien reduziert und so das
Risiko minimiert. „Beispielsweise in-
dem wir in defensive Währungen in-
vestieren. Davon ausgeschlossen ha-
ben wir den US-Dollar. Dass die Fed
die Zinsen gesenkt hat, wird den Dol-
lar schwächen.“
Generell bleibt der Axa-Anlage -
experte jedoch mittelfristig positiv ge-
genüber Dividendentiteln gestimmt.
„Während des Markt-Ausverkaufs ha-
ben wir selektiv Aktien gekauft, hin-
ter denen sich ein starkes Geschäfts-
modell verbirgt. Nach früheren Epi-

demien wie Sars und der Vogelgrippe
konnten wir eine V-förmige Markter-
holung beobachten. Allerdings gehen
wir davon aus, dass die Erholung
nach Covid-19 eher U-förmig verlau-
fen wird“, prognostiziert Iggo.
Zu einem differenzierten Vorgehen
rät Rob Sharps: „Ich rechne zum jet-
zigen Zeitpunkt mit einer größeren
Volatilität – und das wird sicherlich so
weitergehen, bis wir etwas besser ab-
schätzen können, wann sich die Si-
tuation wieder normalisiert“, sagt
der CIO beim globalen Asset-Manager
T. Rowe Price. „Was die Frage betrifft,
ob die Volatilität eine Kaufgelegen-
heit schafft, hängt meiner Meinung
nach vom individuellen Zeithorizont
des Investors ab. Es hängt allerdings
auch davon ab, welche Bereiche des
Marktes man betrachtet.“
So seien bestimmte Segmente be-
ziehungsweise Branchen unmittelbar
von der Verbreitung des Virus betrof-
fen. Sharps nennt als Beispiel die
Sektoren Reise und Verkehr, Hotels,
Glücksspiele, Fluggesellschaften.
„Viele dieser Aktien sind um 30 oder
40 Prozent gefallen“, so Sharps. Dazu

kämen Industrieunternehmen, die
sich bereits vor der Krise in einer Re-
zession befanden, teilweise als Folge
des Handelskriegs. „Diese haben wie-
derum eine Belebung der Aktivität
erwartet, die sich nun verzögert.
Wenn Sie Unternehmen, die aus die-
ser kürzer- oder sogar mittelfristigen
Störung gestärkt hervorgehen wer-
den, finden, bekommen Sie die Aus-
sicht, sie zu historisch attraktiven Be-
wertungen zu kaufen.“
Langfristig gesehen bleibt der Ro-
we-Experte optimistisch. „Ich sehe
im Moment keine nennenswerten
strukturellen Ungleichgewichte in
der Wirtschaft. Es gibt sicherlich ein
Szenario, bei dem das Virus im
Herbst und Winter erneut stärker
auftauchen könnte. Dann müssten
wir uns wieder damit auseinander-
setzen“, so Sharp. „Aber wenn ich
sechs bis zwölf Monate voraus-
schaue, glaube ich nicht, dass das,
was wir jetzt gerade durchmachen,
letztendlich die fundamentale Inves-
titionsthese vieler oder der meisten
Dinge, in die wir investiert haben, än-
dern wird.“

Digitalisierung

Kollege Roboter zieht ein


Die Anbieter von
Robo-Advisor-Lösungen sind
zu ernsten Konkurrenten der
etablierten Geldverwalter
geworden.

Jürgen Hoffmann Hamburg

D


ass Roboter nicht mehr nur
in der Industrie, sondern als
Robo-Advisor auch beim Ma-
nagement von Anlagegeldern einge-
setzt werden, ist längst Alltag. Mittler-
weile tummelt sich rund ein Dutzend
Anbieter von digitalen Geldmanagern
auf dem deutschen Markt. „Marktre-
levant“ ist Thomas Heinatz, Asset-
Management-Experte beim Bera-
tungsunternehmen Accenture, zufol-
ge aber nur eine Handvoll davon. Da-
zu gehören Scalable, Cominvest, Li-
qid und Visualvest. Das Quartett ver-
waltet laut Heinatz aktuell gut acht
Milliarden Euro. Schätzungen für die
Zukunft sind wegen der Börsenkrise
schwierig. Dennoch: „Das Segment
der digitalen Verwalter entwickelt
sich dynamischer als noch vor drei
Jahren gedacht“, betont Heinatz. Die
Kundengruppe wächst.

„Intelligent“ nennt Fatmir Kqiku
vom IT-Beratungsunternehmen DXC
Technology den Einsatz von Robo-
tern bei der Geldanlage und Vermö-
gensverwaltung. Sein Beispiel ist ein
Kunde, der auf einer Bank-Website
nach geschlossenen Immobilien-
fonds für Südamerika sucht: „Der
smarte Bot zeigt ihm die drei Fonds
an, die am besten zu seinem definier-
ten Risikoprofil passen. Und er be-
kommt Anlage- und Spartipps, die
auf dem Verhalten anderer Kunden
mit einem ähnlichen Profil basieren.“
Die Brücke zum menschlichen Bera-
ter schlägt der Robo-Advisor mit ei-
nem Terminvorschlag für ein persön-
liches Treffen in der Bank.
Leistungsstarke Maschinen sind
laut Kqiku mit KI-Systemen, Storage,
Analytics-Lösungen, einem Service-
Management-System und einem
Knowledge-Management-System ver-
bunden. Serviceverträge und schnel-
le Schnittstellen seien Voraussetzung
für die Nutzung benötigter externer
Daten: „Nur so kann der intelligente
Bot Zusammenhänge erkennen und
dem Kunden die gesuchten Informa-
tionen zur Verfügung stellen“, betont
der IT-Berater.

Accenture-Mann Heinatz sieht ak-
tuell zwei Trends: „Robo-Advisor-An-
bieter arbeiten daran, das Regelwerk
der EU für nachhaltige Finanzen in
ihre Systeme zu integrieren. Wenn es
ihnen rasch gelingt, ESG-Produkte
anzubieten, werden noch mehr Anle-
ger zu ihnen wechseln.“ Zudem er-
wartet er schon bald den Marktein-
tritt großer, internationaler Player
wie vielleicht Vanguard: „Das wird
wie ein Turbo auf dieses Segment
wirken.“

Harald Brock, Geschäftsführer der
Plattform Investify, erwartet als neue
Wettbewerber Non-Financials wie
Energieversorger oder Onlineportale:
„Smarte Vermögensverwaltung kann
bald jeder anbieten“, ist er sicher.

Test für die Branche
Heinatz und Brock beobachten über-
einstimmend, dass auch traditionelle
Vermögensmanager inzwischen Algo-
rithmen einsetzen – etwa intern im
Risikomanagement. Für Christian
Schneider-Sickert, Chef des Online-
Vermögensverwalters Liqid, der Kun-
den ab 100 000 Euro digital bedient,
ist das erst der Anfang: „Früher oder
später wird die klassische Vermö-
gensverwaltung komplett digitalisiert
werden.“ Auf erfahrene Vermögens-
experten aus Fleisch und Blut kom-
plett verzichten könne die Branche
aber nicht: „Vielen Kunden ist gerade
die Kombination aus beiden Welten
wichtig“, so Schneider-Sickert.
Branchenexperten rechnen damit,
dass die Virus-Misere zum Lackmus-
test wird. Die Frage ist: Wie meistern
die Roboter die Turbulenzen an den
Finanzmärkten im Vergleich zu ihren
traditionellen Konkurrenten?

8


BILLIONEN
Dollar haben die
Weltbörsen Schätzun-
gen zufolge gegen-
über ihren Hochs in
den vergangenen
Wochen an Wert
verloren.
Quelle:
Wall Street Journal

Asset Management
MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
43

Virtuelle Vermögens-
verwalter: Besser als
der Mensch?

imago/Westend61



 
 




  







 

  



 


















 









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