Handelsblatt - 18.03.2020

(Sean Pound) #1

Irina Wenediktowa: Erstmals übernimmt eine
Frau die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine.


NurPhoto/Getty Images

Irina Wenediktowa


Juristin soll in der


Ukraine aufräumen


KIEW In der Ukraine
wird zum ersten Mal
in der Geschichte der
Ex-Sowjetrepublik ei-
ne Frau den Posten
der Generalstaatsan-
wältin übernehmen.
Das ukrainische Parla-
ment hat am Dienstag
mit deutlicher Mehr-
heit für die von Staats-
chef Wolodymyr Se-
lenskyj vorgeschlage-
ne Kandidatin, Irina
Wenediktowa, ge-
stimmt. Die 41 Jahre
alte Juristin leitete bis-
lang geschäftsführend
das staatliche Ermitt-
lungsbüro und trieb
auch die Untersuchun-
gen gegen Ex-Präsi-
dent Petro Poroschen-
ko voran. Gegen den
im April 2019 abge-
wählten Poroschenko
läuft knapp ein Dut-


zend Vorermittlungen
unter anderem wegen
Korruption, Unter-
schlagung und Lan-
desverrat. Mit Wene-
diktowa als Chefanklä-
gerin könnten diese
Verfahren vor Gericht
gebracht werden. Der
bisherige General-
staatsanwalt, Ruslan
Rjaboschapka, wurde
kürzlich nach knapp
einem halben Jahr im
Amt entlassen. Ihm
war unter anderem ei-
ne Verschleppung der
Verfahren gegen Poro-
schenko vorgeworfen
worden. Zusätzlich er-
nannte die Oberste Ra-
da auf Vorschlag von
Regierungschef Denis
Schmygal den 44-jäh-
rigen Manager Igor Pe-
traschko zum Wirt-
schaftsminister. HB

Barbara Gillmann Berlin

V


ergangene Woche radelte Chris-
tian Drosten in Berlin von Be-
hörde zu Behörde, um Minister
und Senatoren zu beraten. Für
die Schulkinder – wohl nicht
nur in der Hauptstadt – konnte er eine Kehrt-
wende bewirken: Ursprünglich wollte man
die, deren Eltern in Krisenberufen arbeiten
oder keine Betreuung organisieren können,
an wenigen Punkten sammeln.
Der Virologe warnte vehement: Zentrale
Notbetreuung in einigen wenigen Schulen sei
„kontraproduktiv“, denn die Infektion werde
nur „befeuert“, wenn die Kinder in neuen
Gruppen zusammengefasst würden. Prompt
hob der Berliner Senat den schon beschlosse-
nen Zwang zur zentralen Unterbringung wie-
der auf. Die Betreuung soll nun „grundsätz-
lich in der vertrauten Kita stattfinden“, sagte
Jugendsenatorin Sandra Scheeres.
Drosten, 47, leitet seit 2017 die Virologie
der Berliner Charité – vorher die der Bonner
Uniklinik. Der Bauernsohn aus dem Emsland
gehörte schon 2003 zu den Mitentdeckern
des Sars-assoziierten Coronavirus Sars-CoV.
Für das erstmals im Dezember 2019 aufgetre-
tene Coronavirus Sars-CoV-2 entwickelte sein
Team einen Test, den es Mitte Januar 2020
weltweit zur Verfügung stellte.
Drosten ist omnipräsent, sitzt mit Jens
Spahn auf Podien, versucht, die Debatte in
der Talkshow „Maybrit Illner“ zu versachli-
chen. Doch zum Liebling besorgter Bürger
wurde der Virologe endgültig mit dem Pod-
cast „Coronavirus-Update“ auf NDR Info. Seit
dem 26. Februar beantwortet er darin von
montags bis freitags ab 12.50 Uhr eine halbe
Stunde lang Fragen zur Wissenschaft rund
um Corona: Welche Spuren verfolgen Virolo-
gen, welche Studien bedeuten was, welche
Sorgen sind begründet? „Es ist sehr schwer,
im Moment aus all dem, was jetzt auch in der
wissenschaftlichen Literatur auftaucht, noch
das Wichtige herauszufiltern“, sagte er.
Und dann versucht er doch, in diesem öf-
fentlichen Stimmengewirr Botschaften zu
übermitteln, die den Menschen im Ausnah-
mezustand helfen. Daran hingegen, dass ihn
der politische Journalismus gerade nervt,
lässt er keinen Zweifel: Die dauernden Fragen
etwa, ob denn nun der CDU-Parteitag statt-
finde, seien doch „nur Zeitverschwendung“,
ärgerte er sich letzte Woche.

Mythen zertrümmert
Am Wochenende hatte der Virologe mit den
dunklen Locken endlich wieder Zeit, Studien
zu lesen, erzählt er. Und nahm sich zum Wo-
chenbeginn die in den sozialen Medien weit-
verbreitete Horrornachricht vor, das Corona-
virus könne auf Metall und Kunststoff, also
auch auf Türklinken oder Handys, angeblich
mehrere Tage überleben.
Die „eher technische, simple Studie“ habe
tatsächlich nach 48 Stunden noch Infektiosi-
tät nachweisen können, allerdings sei die
sehr gering gewesen. „Man startet mit fast
10 000 infektiösen Einheiten, und am Ende
sind das weniger als zehn.“ Und die müssten
ja noch an den Finger und in den Mund ge-

langen. Außerdem sei die Menge an Flüssig-
keit, die jemand mit der Hand nach dem Hi-
neinhusten an einer Klinke hinterlasse, „fast
nicht mehr zu messen“. Schlechte Nachrich-
ten, auch aus der Wissenschaft, verbreiten
sich in diesen Zeiten besonders schnell, weiß
Drosten. Und so will er verhindern, dass
Menschen aufgrund vereinfachter Meldun-
gen falsche Prioritäten setzen – also etwa pa-
nische Angst vor Klinken entwickeln, statt
sich regelmäßig die Hände einzuseifen und
Abstand zu anderen Personen zu halten.
Oder die Angst davor, sich über die Atem-
luft zu infizieren. Covid-19 bleibe im Gegen-
satz zu anderen Viren nach dem Aushusten
maximal 20 Minuten in der Luft und falle
dann zu Boden, erklärte Drosten in Folge 13
des Podcasts. Menschen dürften deshalb ge-
fahrlos draußen spazieren gehen, solange sie
anderen nicht zu nahe kämen. Aber eine
schlechte Nachricht hatte er für die Freunde
eines frisch gezapften Bieres mitgebracht:
Biergläser würden in Kneipen meist nur
„durchs Wasser gezogen, auf dem ein paar
Spülmittelrest-Bläschen schwimmen“. Das tö-
te keinen Virus. Persönlich trinkt der Virolo-
ge Bier „seit Jahren nur noch aus Flaschen“.

Christian Drosten


Deutschlands


Corona-Aufklärer


Der Chef-Virologe der Berliner Charité ist seit Wochen omnipräsent.


Als Berater für die Bundesregierung – und die ganze Republik.


Christian Drosten:
Spezialist für neu
auftretende Infek -
tionskrankheiten.

Andreas Pein/laif

Es ist schwer,


aus dem, was


jetzt in der


wissenschaft-


lichen


Literatur


auftaucht, das


Wichtige


herauszufiltern.


Christian Drosten
Chefvirologe der Berliner
Charité

Lars P. Feld


Wirtschaftsweise


wählen neuen Chef


BERLIN Der Sachver-
ständigenrat Wirt-
schaft ist im Umbruch:
Die Amtszeit seines
langjährigen Vorsit-
zenden Christoph M.
Schmidt endete im
Februar, die Wirt-
schaftsweise Isabel
Schnabel ist längst zur
EZB gewechselt. Die
verbliebenen drei Wei-
sen Lars P. Feld,
Achim Truger und Vol-
ker Wieland haben
jetzt Feld zu ihrem
Chef gewählt. Der
53-jährige Direktor des
Walter-Eucken-Insti-
tuts ist seit 2011 Mit-
glied des Sachverstän-
digenrats (SVR) und
beschäftigt sich dort
mit Finanz- und Sozi-


alpolitik. Feld wurde
für drei Jahre gewählt.
Ob seine Ära so lange
dauert, ist aber unge-
wiss. Seine reguläre
Zeit als Wirtschafts-
weiser endet im Feb-
ruar 2021. Über eine
Verlängerung oder ei-
ne Nachfolge entschei-
det die Bundesregie-
rung. Finanzminister
Olaf Scholz (SPD) will
bereits jetzt einen
Nachfolger bestimmen
und blockiert die in-
formell beschlossene
Ernennung der Wett-
bewerbsökonomin
Monika Schnitzer und
der Verhaltensökono-
min Veronika Grimm –
zum Unmut der drei
Wirtschaftsweisen. dri

Namen


des Tages


MITTWOCH, 18. MÄRZ 2020, NR. 55
46


Judith Wittwer

An die Spitze der „SZ“


D


ie „Süddeutsche Zeitung“ ordnet ih-
re Führungsspitze neu. Diese soll
künftig vollständig integriert arbei-
ten – die Trennung zwischen Online und
Print entfallen. Es ist ein komplexes Manö-
ver, und eine Doppelspitze soll es zum Er-
folg bringen: Das neue Chefredakteursduo
heißt Wolfgang Krach, der diesen Posten seit
2015 innehat, und Judith Wittwer. Die
42-Jährige ist bisher Chefredakteurin des
Schweizer „Tages-Anzeigers“ und wechselt
im Sommer nach München. Der bisherige
SZ-Chefredakteur Kurt Kister gibt seine Füh-
rungsrolle ab. Dieser Schritt erfolge auf eige-
nen Wunsch, hieß es. Kister werde der Re-
daktion als Autor erhalten bleiben. Neu in
die Chefredaktion rücken zudem Alexandra
Föderl-Schmid und Ulrich Schäfer auf, beide
sollen Vizechefredakteure werden.
Chefredakteurin Wittwer kennt die „SZ“:
So trieb sie die seit 2017 bestehende Koope-
ration zwischen der „SZ“ und dem „Tages-

Anzeiger“ strategisch voran. Unter ihrer Lei-
tung baute die Schweizer Zeitung zudem die
regionale Berichterstattung aus, stärkte die
Meinungsseiten – und führte nach SZ-Vor-
bild eine „Seite Drei“ mit Reportagen ein.
Wittwer begann ihre journalistische Kar-
riere vor 18 Jahren beim „Tages-Anzeiger“ in
Zürich, wo sie unter anderem als Wirt-
schaftsredakteurin arbeitete. Von 2011 bis
2014 war sie für die „Handelszeitung“ des
Medienhauses Axel Springer tätig. 2014
kehrte sie zum „Tages-Anzeiger“ zurück.
2016 wurde sie Mitglied der Chefredaktion
von „Tages-Anzeiger“ und „Sonntags-Zei-
tung“, seit Anfang 2018 ist sie Chefredakteu-
rin des „Tages-Anzeigers“.
Zu ihrem neuen Posten sagte Wittwer:
„Der Tages-Anzeiger und die Süddeutsche
Zeitung teilen dieselben journalistischen
Werte. Beide sind sie überaus kompetent
und kreativ, recherche- und meinungsstark,
regional verankert und weltoffen.“
Die „Süddeutsche Zeitung“ hat eine tur-
bulente Zeit hinter sich. Die Zusammenar-
beit von Print und Online war in den vergan-
genen Jahren die große Baustelle der Redak-
tion. Zuletzt hatte Digitalchefin Julia Bönisch
die Zeitung im Streit verlassen. Catrin Bialek

Judith Wittwer:
Sie soll Print- und
Online-Redaktion
zusammenführen.

picture alliance/KEYSTONE

Der „Tages-


Anzeiger“


und die


„Süddeut -


sche Zeitung“


teilen


dieselben


journalis -


tischen Werte.


Judith Wittwer
Künftige
SZ-Chefredakteurin

BusinessLounge


Krisendiplomatin:
EU-Kommissionsprä-
sidentin Ursula von
der Leyen ist in Brüssel
im Dauereinsatz. Als
oberste Krisenmanagerin der
EU sucht sie mit den Mitgliedsländern nach einer
gemeinsamen Linie im Kampf gegen die Aus-
breitung der Seuche.

Die Machtvolle: Bel-
giens Ministerpräsi-
dentin Sophie Wil-
mès und König Phi-
lippe schreiten
durch den Königspa-
last in Brüssel. Bis-
her regierte Wilmès
mit eingeschränkten
Befugnissen ohne
eigene Mehrheit im
Parlament – nun si-
cherten ihr die Par-
teien die volle
Macht einer Regie-
rungschefin zu, um
das Land effektiv
durch die Corona-
krise steuern zu
können.

D
g
d
m
li
d
la
h m B e P c t M r d d k k

Der Desillusionierte: Anthony Fauci, Chef des
US-Instituts für Infektionskrankheiten, räumt
während einer Ansprache ein, das Virus unter-
schätzt zu haben: „Das System ist nicht darauf
getrimmt, was wir jetzt brauchen, lasst es uns
zugeben. Das Schlimmste liegt noch vor uns.“

Der Desillusionierte:Anthony FauciChef des

Der Zweckoptimist: Toshiro Muto, Chef des japa-
nischen Komitees für die Olympischen Spiele in
Japan, verbreitet bei einer Pressekonferenz in To-
kio trotzigen Optimismus: Man werde alles tun,
damit die Veranstaltung wie geplant zwischen
dem 24. Juli und dem 9. August stattfinden kann.

Der Zweckoptimist:Toshiro MutoChef des japa-

Xinhua / eyevine / laif, REUTERS, AFP, ddp images

Die „Süddeutsche Zeitung“
ordnet ihre Führung neu – und
ernennt erstmals eine Frau
zur Chefredakteurin.

Friedrich Merz

Mit dem Virus infiziert


D


er Wahlkampf um den CDU-Vorsitz
ist wegen der Corona-Pandemie
ausgesetzt. Der für den 25. April ge-
plante Parteitag wurde wie alle größeren
Veranstaltungen auf unbestimmte Zeit ver-
schoben. Nun wurde bekannt, dass einer
der aussichtsreichsten Kandidaten, Ex-Uni-
onsfraktionschef Friedrich Merz, persönlich
betroffen ist. „Ein am Sonntag bei mir
durchgeführter Coronatest ist positiv. Ich
werde bis Ende nächster Woche zu Hause
unter Quarantäne stehen“, teilte Merz am
Dienstag mit. „Zum Glück habe ich nur
leichte bis mittlere Symptome“, schrieb der

64-Jährige auf Twitter. Er habe alle Termine
abgesagt. „Ich folge strikt den Anweisungen
des Gesundheitsamtes.“
Vor drei Tagen hatte Merz eine Videobot-
schaft veröffentlicht, in der er zu Solidarität
aufrief. „Das Wichtigste in der Coronakrise
ist, dass wir zu einem neuen Miteinander
finden.“ Die Verschiebung des CDU-Partei-
tags hatte Merz begrüßt. „Die Gesundheit
der Menschen in Deutschland hat Vorrang“,
sagte er nach der Entscheidung vergangene
Woche. Einen neuen Termin für das Treffen
der 1001 Delegierten gibt es noch nicht. Es
ist unklar, ob die Wahl angesichts der aktu-
ellen Lage vor der Sommerpause stattfinden
kann. Neben Merz bewerben sich der nord-
rhein-westfälische Ministerpräsident Armin
Laschet, der im Team mit Gesundheitsmi-
nister Jens Spahn antritt, sowie CDU-Außen-
politiker Norbert Röttgen. J. Hildebrand

Der frühere Unionsfraktionschef
ist positiv getestet worden.
Jetzt befindet sich der 64-Jährige zu
Hause unter Quarantäne.

Friedrich Merz:
Kandidat für den
CDU-Parteivorsitz.

dpa

Namen des Tages


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