Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

10 |MITTWOCH,18. MÄRZ2020DTHEMA:ThemaCoronavirus-Krise ERSTANDARD


Da auchUngarn seine Grenzen dichtmacht, wirdesfür24-Stunden-Betreuerinnen immer schwieriger,ins Land
zukommen.Jene, die da sind, bleiben länger.ObeszueinerAusnahmeregelungkommt, istunklar.

D


ie Grenzen Ungarns sind seit der
Nacht auf Dienstag dicht, keine Aus-
länder dürfen mehr ins Land. Selbst
ungarische Staatsbürger, die eigentlich
durchdürften, stecken zum Teil Stunden
fest, zu viele Fahrzeuge haben den Grenz-
übergang in Nickelsdorf blockiert(siehe Ar-
tikel unten).
Mitten im Chaos–sowohl physisch, als
auch politisch–stecken rumänische 24-
Stunden-Betreuerinnen, die normalerwei-
sezwischenRumänienundÖsterreichpen-
deln, um hier zu arbeiten. 40 Prozent der
60.000 Rund-um-die-Uhr-Betreuerinnen,
die in Österreich 33.000 betagte Menschen
pflegen, kommen aus Rumänien.
Und nun kommen sie weder an ihren
Arbeitsort noch von ihm weg, wie mehrere
Agenturen und Betreuerinnen dem
STANDARDbestätigen. Oder müssen, wenn
sie es nach Hause schaffen, im Heimatland
direkt in Quarantäne. Die harten Maßnah-
men Ungarns im Kampf gegen die Verbrei-
tung des Coronavirus sorgen daher für
einen zunehmenden Engpass in der Betreu-
ung von Österreichs Großelterngeneration
–schon vergangene Woche machte die Slo-
wakei ihre Grenzen dicht und sperrte da-


mitebenfallszahlreicheBetreuerinnenaus.
Und: Die Umstände sorgen für eine Über-
lastung jener Betreuerinnen, die noch da
sind und die Dienste der Kolleginnen über-
nehmen.

Verlängern Turnus freiwillig
Bibiana Kudziova, Ombudsfrau für Per-
sonenbetreuerinnen bei der Wirtschafts-
kammer Wien, berichtet von mehreren Be-
treuerinnen,dieversuchthätte,nachÖster-
reich zu gelangen, aber an der Grenze nach
Hausegeschicktwordenseinsollen.95Pro-
zent der Betreuerinnen aber würden nun
freiwillig länger bleiben, „auch, wenn sie
schon drei, vier Wochen lange Turnusse
hinter sich haben“. Das sei jedoch nur eine
Lösung auf Zeit, „irgendwann klappen die
zusammen“–vor allem jene, die demente
und schwerkranke Personen betreuen wür-
den. Die Wirtschaftskammer Wien organi-
sierte Hotelbetten für Betreuerinnen, die in
Österreich sind, aber aktuell keine Person
zu betreuen haben, um sie flexibel einzu-
setzen. Hier sollen auch 24-Stunden-Be-
treuerinnen unterkommen, falls sie in Qua-
rantäne müssen. Das Sozialministerium
rekrutiert zudem seit dem Wochenende

ehemalige Zivildiener, um das Pflegesys-
tem zu entlasten, immerhin sind vor allem
ältere Menschen von Sars-CoV-2 gefährdet.
Einige Frauen wiederum sind hier und
wollen oder müssen zurück ins Heimat-
land: „Ich hoffe, dass schnell eine Lösung
gefunden wird“, sagt eine Betreuerin aus
Rumänien, die dringend nach Hause möch-
te: „Ich habe eine Familie zu Hause, ich
habe kleine Kinder.“ Auf der anderen Sei-
te stehen Betreuerinnen, die nicht arbeiten
können und damit ohne Einkommen in
ihren Heimatländern festsitzen.
Am Dienstagmorgen machte in sozialen
Medien das Bild einer rumänischen Be-
treuerin die Runde, die in der Nacht zuvor
von der ungarischen Polizei aus dem Zug
geholt und kurzzeitig inhaftiert wurde.
Man habe diese Information erhalten, heißt
es aus dem Gesundheitsministerium:
„Unseres Wissens nach wurden sie sodann
über die Südgrenze Ungarns in ihr Her-
kunftsland zurückgeschickt.“ Man arbeit
mit Hochdruck daran, Lösungen zu finden,
um Situationen wie diese zu vermeiden.
Die Caritas, die 800 Pflegekräfte in Öster-
reich vermittelt, fordert eine Ausnahmere-
gelung für Betreuerinnen. Dass Zivildiener

nun entlasten, würde helfen, aber „es
braucht einen Korridor für diese Men-
schen“, sagt Bernd Wachter, Generalsekre-
tär der Caritas Österreich zumSTANDARD.
„Wenn Güter transportiert werden können,
sollte auch möglich sein, dass diese Men-
schen ihren Dienst machen können.“
Eine Ausnahmeregel stand in den ver-
gangenen Tagen mehrmals im Raum, galt
zwischenzeitlichsogaralsfix.Sosagteetwa
Gesundheitsminister Rudolf Anschober
(Grüne) am Wochenende im Interview mit
Ö1, eine solche sei „bereits erfolgt, 24 Stun-
den-Betreuerinnen dürfen wieder einrei-
sen, das ist abgesichert mit den jeweiligen
Regierungen“. Am Dienstag sprach man je-
doch wieder lediglich von Zielsetzungen:
Man arbeite „mit großem Elan“ an Ausnah-
meregelungen, sagte Anschober bei einer
Pressekonferenz. Vorstellbar wäre etwa,
dass 24-Stunden-Betreuerinnen Grenzen
passieren dürfen, wenn sie zuvor auf
Covid-19 getestet werden. Sollte keine Ei-
nigung der Regierungen zustande kommen,
würde man ein „Auffangnetz schaffen“.
Man verhandle, solange es Sinn mache,
hieß es von Anschober–amDonnerstag er-
warte man nähere Details.

Von den 60.000 24-Stunden-Betreuerinnen kommen etwa 80 Prozent aus der Slowakei und Rumänien. Sie können aktuell entweder nicht zur Arbeit oder nicht nach Hause.

Foto: Heribert Corn

Pflegerinnen ein- undausgesperrt


Gabriele Scherndl

Chaos undUngewissheiten an der GrenzezuUngarn


EinMegastau inNickelsdorf, die Grenzpendler sindverunsichert, dieUngarnverärgert über dreisteTirolerHoteliers


D


ie Situation an der Grenze zu Ungarn
hat sich am Dienstag dramatisch zu-
gespitzt. Ungarn hat ja um Mitter-
nacht die Grenze für Nichtungarn geschlos-
sen. Selbst Transitreisende, Rumänen in
der Hauptsache, wurden zurückgewiesen.
Der Stau am Autobahngrenzübergang Ni-
ckelsdorf reichte schon am Nachmittag 30
Kilometer zurück, das Rote Kreuz musste
zur Notversorgung ausrücken. In der Nacht
sollte auch für Bulgaren und Rumänen die
Grenze für fünf Stunden geöffnet werden,
kündigte die burgenländische Polizei an.
Die dramatische Situation beeinträchtige
klarerweise auch das wirtschaftliche Le-
ben, nicht nur, aber hauptsächlich im Bur-
genland, wo ein Fünftel der Arbeitskräfte,


20.000 Menschen, Ungarn sind. Unklar war
nämlich, ob sie wie bisher pendeln können.
Der Sprecher der Wirtschaftskammer er-
zählt, dass am Dienstag auffällig viele
Krankmeldungen eingegangen sind. Man-
che kleine Betriebe hatten schon am
Montag händeringend Ersatz für fehlende
ungarische Mitarbeiter gesucht. Bäcker,
Fleischer, aber auch der Einzelhandel wa-
ren betroffen. Die Seewinkler Gemüsebau-
ern fürchten um die Frühernte. LGV Son-
nengemüse, die Vertriebsgenossenschaft,
sucht dringend Ersatz für die ungarischen
und slowakischen Erntehelfer.
Besonders betroffen ist allerdings auch
das Gesundheitswesen. Die burgenländi-
sche Krankenanstalten GmbH (Krages) hat

schon vor Tagen angeboten, ihren ungari-
schen Mitarbeitern nötigenfalls Wohnraum
zur Verfügung zu stellen. Vor allem unga-
rische Ärzte würden fehlen. Im Kranken-
haus Güssing sind etwa mehr als 20 Prozent
der Ärzte Grenzpendler, in Oberwart 15, in
Oberpullendorf –dem Corona-Behand-
lungszentrum des Burgenlandes–elf Pro-
zent. Auch ein Pflegeheim in Kittsee hat
ihren slowakischen Pendlern Wohnraum
zur Verfügung stellen müssen. Denn auch
die Slowakei war zu.
Unschuldig an den rigorosen Grenzsper-
ren ist Österreich freilich nicht. Denn das
Tiroler Versagen zieht Kreise bis ins Unga-
rische. Nicht nur Gäste sind ja von den Ho-
tels in den Quarantänegebieten überhastet

an die Luft gesetzt worden. Auch Bediens-
tete hatten schleunigst zu gehen. Ein unga-
rischer Hotelangestellter erzählte dem
STANDARD:„Der Chef hat uns zusammen-
gerufen und gesagt, wir haben eine Stunde
zum Packen. Dann müssen wir verschwin-
den.“ Fristlos hinausgeworfen. Und ohne
die ungarischen Behörden vorzuwarnen.
Der burgenländische ÖGB bietet seit
jeher auch ungarischsprachige Beratung
an. Seit Freitag herrscht dort Hochbetrieb;
nunmehr klarerweise per Mail:magyar@
oegb.at.Die ÖGB-Sprecherin: „Die Leute
haben einen befristeten Saisonvertrag. Also
keine Kündigungsfrist. Und als ungarische
Hauptwohnsitzer keinen Anspruch auf
Arbeitslose.“ (wei)
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