Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

DERSTANDARD THEMA:ThemaCoronavirus-Krise MITTWOCH, 18.MÄRZ2020| 11


KanzlerKurz ruft zum Durchhalten auf,


2500 Freiwillige fürerneuten Zivildienst


3000 Milizsoldatenwerden bisMaiper Einberufungsbefehl mobilisiert


B


ereits mehr als 2500 ehemalige Zivil-
dienerhabensichfreiwilliggemeldet,
wegen der Coronavirus-Krise einen
außerordentlichen Zivildienst zu leisten,
sagte Zivildienstministerin Elisabeth Kös-
tinger (ÖVP) am Dienstag. Die Nachfrage sei
hoch, alleine am Dienstagvormittag hätten
sich rund 600 Personen telefonisch gemel-
det. Diese Menschen brauche es auch, wie
Köstinger betonte. Es bestehe ein „enormer
Bedarf“anUnterstützern,manbraucheder-
zeit „jede helfende Hand“. Denn: „Wir se-
hen in Italien, was passiert, wenn wir nicht
genügend Personal bereitstellen.“ Soweit
wolle man es hier nicht kommen lassen.
Bescheide an rund 1700 aktuelle Zivil-
diener, deren Zeit verlängert wird, würden
derzeit ausgeschickt. Zudem würden jene,
die in Bereichen, die derzeit keine Unter-
stützung brauchen, umgeschichtet. Etwa in
der Kinderbetreuung. Die Ehemaligen wür-
den in den kommenden Tagen einen Brief
mit dem Aufruf erhalten, sich zu melden.
Zivildiener werden nicht die Arbeit von
Hauptamtlichen übernehmen, sondern sol-
len unterstützend zur Verfügung stehen,
versicherte Köstinger. Und: Es gelten die-
selben Schutzbestimmungen wie bei den
Hauptamtlichen.
Verteidigungsministerin Klaudia Tanner
(ÖVP) erklärte die neuen Aufgabenbereiche
von Soldaten: Sie würden in den kommen-
den Tagen vermehrt die Polizei entlasten,
etwa bei der Bewachung von Botschaften.
Mehr als 800 Soldaten unterstützen bereits
die Supermärkte in den Lagern. Die Versor-
gung sei garantiert, sagte Tanner: „Hamster-
käufe sind nicht notwendig.“


Bis Mai würden 3000 Milizsoldaten per
Einberufungsbefehl mobilisiert. Der Dienst
von 2000 Grundwehrdienern wird um zwei
Monate verlängert–sie erhalten zusätzlich
190 Euro pro Monat.

Österreicher über „Hubs“ heim
Zu den neuen Aufgaben der Soldaten ge-
hörtauch,beidenRückholaktionenvonÖs-
terreichern, die im Ausland gestrandet
sind, zu helfen. Jedenfalls 47.000 sitzen in
mehr als 100 Ländern fest, wie Außenmi-
nister Alexander Schallenberg (ÖVP) be-
kannt gab. Nun sei die „größte Rückholak-
tion in der Geschichte“ gestartet, die da-
durch erschwert würde, dass immer mehr
Grenzen und Flughäfen zumachen würden.
Man würde nacheinander Destinationen
mit den meisten Österreichern abklappern.
Schallenberg könne sich „Hubs“ vorstellen,
wo Leute gesammelt werden. Kooperiert
werde mit anderen EU-Staaten.
Auch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat
ein erstes Fazit zur Wirksamkeit der Maß-
nahmen gegen das Coronavirus getroffen.
Er bedankte sich bei den Österreichern für
das „konsequente und verantwortungsvolle
Mittragen“ der beschlossenen Einschrän-
kungen.DieÖsterreicher„leisteneinengro-
ßen Beitrag“. Kurz bedankte sich auch bei
den Menschen, die arbeiten müssen, um
das „System aufrechtzuerhalten“. Er appel-
lierteandieBevölkerung,sichweiter„strikt
an die Maßnahmen und Empfehlungen“
zu halten. Kritik gab es an „Entscheidungs-
trägern“, die anfangs Widerstand gegen die
Maßnahmen geleistet haben sollen. (fsc,
lalo, ook)

DasBudget bleibteine


grobe Richtschnur in derCorona-Krise


Die Oppositionverlangt eine höhere Finanzhilfefürdie Betriebe


A


uch in Zeiten der Corona-Krise spart
die Opposition nicht mit Kritik an der
Regierung. Am Wochenende brachte
Türkis-Grün gemeinsam mit den Stimmen
von SPÖ, FPÖ und Neos zwar das „Corona-
Gesetz“ samt Krisenfonds für die heimische
Wirtschaft auf den Weg. Aus Sicht der
Opposition sind die beschlossenen vier
Milliarden, mit denen die heimischen Be-
triebe und Arbeitsplätze abgesichert wer-
den sollen, allerdings viel zu wenig.
Das heurige Budget, das am Mittwoch
und Donnerstag das Parlament beschäfti-
gen wird, rutscht aber allein mit diesem ers-
ten Schritt ins Minus. Finanzminister Ger-

not Blümel hat sich öffentlichkeitswirksam
vom türkisen Ziel eines Nulldefizits verab-
schiedet. Dieses dürfte aber noch weiter an-
wachsen, je länger die Krise in Österreich
andauert. Deshalb sollte das aktuelle Bud-
get auch nur als grobe Richtschnur betrach-
tet werden. Ob sich am ursprünglichen
Plan, dass einige Ressorts etwas mehr Geld
für dieses Jahr bekommen sollen, etwas än-
dern wird, dem will man im Finanzminis-
terium nicht vorgreifen. Man verweist auf
die Sitzung zum Budget am Mittwoch.

Schweden stellt mehr Geld bereit
Die Opposition denkt aber, dass der be-
schlossene Krisenfonds in kürzester Zeit
aufgebraucht sein wird und nachgebessert
werden muss. Neos-Wirtschaftssprecher
Sepp Schellhorn stellte Österreich in Rela-
tion mit den Ausgaben des einwohnermä-
ßig nur geringfügig größeren Schweden.
Dort schnürte die Regierung kürzlich ein
umgerechnet 28 Milliarden Euro schweres
Hilfspaket im Zuge der Corona-Krise. Die
Freiheitlichenforderten,dassderFondszu-
nächst mit acht Milliarden Euro dotiert sein
soll. Ein entsprechender Antrag wurde im
Budgetausschuss am Wochenende aller-
dings abgelehnt.
Gemeinsam brachten SPÖ, FPÖ und
Neos auch einen Antrag ein, der krisenge-
schüttelte Ein-Personen-Unternehmen und
Betriebe mit bis zu 25 Mitarbeitern unter-
stützen sollte. Die Opposition kritisiert,
dass deren Verdienstentgang im neuen Epi-
demiegesetz nicht garantiert ersetzt wird.
Aber auch dieser Antrag fand am Wochen-
ende im Parlament keine Mehrheit. (red)

Hat sich vom Nulldefizit verabschiedet:
FinanzministerGernot Blümel.
Foto: APA/Georg Hochmuth

A1 liefertRegierung Bewegungsströme vonNutzern


Smartphone-Datensollenzeigen,
ob sichHandynutzeran die
Ausgangsbeschränkungen halten.

Die Datensindzwaranonymisiert,


Experten bemängeln dennoch
fehlenderechtliche Grundlagen.
Auch dieOpposition istkritisch.

W


er das Smartphone mitnimmt, hin-
terlässt eine Spur: Unter anderem
über die Mobilfunkverbindung ist
es möglich, den Standort eines Nutzers
nachzuverfolgen. Diese Daten bereitet die
teilstaatliche A1 nun für die Regierung auf,
um Bewegungsprofile aller Handynutzer
österreichweit zu erstellen. Verglichen
wurden dabei aktuelle Daten mit Bewe-
gungsströmen vor dem Inkrafttreten der
Ausgangsbeschränkung im Zuge der Covid-
19-Maßnahmen. Die Daten sollen dem Kri-
senstab zeigen, wie und ob die sozialen
Kontakte, die als Schutz vor der Ausbrei-
tung des Coronavirus eingedämmt werden
sollen, abnahmen oder nicht.
A1-Sprecher Michael Höfler bestätigte
demSTANDARD,dass sein Unternehmen
die Bewegungsprofile sammelt, auswertet
und der Regierung liefert. Er betont dabei,
dass diese Profile anonymisiert weitergege-
ben werden, also nicht mit Kundendaten
verknüpft werden, und auch nicht einzel-
ne Personen, sondern nur Gruppen ab 20
Menschen getrackt werden. Die Bewe-
gungsanalysen werden gemeinsam mit In-
venium, einem Spin-off der TU Graz, ange-
fertigt. Rechtlich sieht man bei A1 keine
Probleme, die Methode gehe mit den An-
forderungen der Datenschutzgrundverord-
nung (DSGVO) konform. Auch wird betont,
dass die Weitergabe der Profile helfen soll,
die „Pandemie einzudämmen“.


Gibt es eine rechtliche Grundlage?


Rechtlich ist das Vorgehen allerdings
fragwürdig. Laut dem Datenschutzrechtler
Christof Tschohl vom Research Institute –
Digital Human Rights Center gebe es für den
Zugriff auf historische Daten keine Rechts-
grundlage. Diese „müsste man schon kon-
struieren“. Vorstellbar sei, dass mit extre-
men Begrenzungen nach Vorgaben der
Datenschutzgrundverordnungeine kurz-
fristige Anonymisierung erfolge. „Das heißt,


dass aus dem Livesystemdes Anbieters
gleichzeitig mit der Löschung oder Anony-
misierung von Daten nach Ende der Verbin-
dung Informationen ‚herausgezogen‘ wer-
den, die tatsächlich anonymisiert sind.“
Aber: Eine echte Unkenntlichmachung
sei vor allem bei Bewegungsdaten eine rie-
sige Herausforderung, wie sich bei sorg-
fältigen Datenschutzfolgenabschätzungen
immer zeige. „Hier geht es aber offenbar um
den Zugriff auf vorliegende, historische
Standortdaten.“ Weder aus dem Telekom-
gesetz noch aus dem Epidemiegesetz ließe
sich eine solche Vorgehensweise ableiten.
„Aus menschlicher Sicht kann man das
schon verstehen. Aber: Der Rechtsstaat ver-
langt sonst aus guten Gründen Präzision,
der Verfassungsgerichtshof zeigt ja, dass
das auch streng eingehalten wird“, sagt
Tschohl imSTANDARD-Gespräch. „Dass
das über Bord geworfen wird, da es schnell
gehen muss, finde ich schwer problema-

tisch.“ Aus Tschohls Sicht brauche es für
Österreich eine Sondermaßnahme, falls
eine erweiterte Standortüberwachung vor-
gesehen sein sollte. „Als Grundrechtler be-
stehe ich darauf, nur für diesen Anlassfall
eine Regelung zu schaffen–die dann aber
auch mit einer Klausel außer Kraft tritt.“

Opposition mit deutlicher Kritik
Die Neos reagierten unterdessen entsetzt
und kündigten mehrere parlamentarische
Anfragen zu der Rechtmäßigkeit des Vor-
gehens an. Auch SPÖ und FPÖ verorten
einen Eingriff in die Grundrechte.
Österreich ist nicht das erste Land, das
auf diese Weise agiert: Weltweit versuchen
Regierungen, mit restriktiven Maßnahmen
die Verbreitung des Coronavirus einzu-
dämmen. In China haben Techkonzerne
wie Alibaba und Tencent Handyapps auf
den Markt gebracht, die die Bewegungen
von Reisenden bis zu einem Monat zurück-

verfolgen können. Die Benutzer werden als
grün, gelb oder rot eingestuft, je nachdem,
wie nahe sie einer Hochrisikozone kamen.
Damit ist China aber längst nicht allein:
Das israelische Kabinett hat am Dienstag-
morgen die Überwachung von Infizierten
und Verdachtsfällen beschlossen. Dabei
setzt man auf Technologien, die normaler-
weise gegen Terroristen zum Einsatz kom-
men.
Nutzer, die sich in der Nähe von Infizier-
ten befunden haben, werden künftig notifi-
ziert. Demnach ist eine Massenüberwa-
chung via Geotracking vorgesehen.
Auch in Italien und Belgien wird aktuell
über ähnliche Maßnahmen diskutiert. In
Südkorea nutzt die Regierung nebst Smart-
phone-Tracking auch Daten wie Kreditkar-
tentransaktionen von Infizierten und Auf-
nahmen von Überwachungskameras. Nut-
zer können dann sehen, wo sich Personen
mit dem Virus aufgehalten haben.

Das Smartphone sammelt eine VielzahlvonDaten: Mithilfe zahlreicher dieser Informationen können Rückschlüsse im Hinblick
auf den Standort eines Nutzers gezogen werden–auchüber einen längeren Zeitraum hinweg.

Foto: APA

/A

FP

/Johannes Eisele

Muzayen Al-Youssef, Markus Sulzbacher

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