Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

Wirtschaft


DieCorona-KrisezwingtVW zu einem drastischenSchritt:


Europas größterAutobauerstopptdie ProduktionfürdreiWochen.


AUTOMOBILINDUSTRIE

Seite 16

MI., 18.MÄRZ2 020 15


Wirtschaft


Foto: AP


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Nationalbank-GouverneurRobertHolzmannglaubt, dass Österreichs
Wirtschaft trotzCorona-Krisegestärktins nächsteJahrgehen wird.
In der Krise sieht er auch Reinigungskräfte wirken.

„Nur überlebensfähige


A Firmen sollen überleben“


mMontagvormittag hat Notenbank-
Chef Robert Holzmann in einer
Pressekonferenz mit Finanzminister
Gernot Blümel die Gesundheit der österrei-
chischen Banken beteuert. Am Nachmittag,
als die Bundeshauptstadt schon stillstand,
empfing er denSTANDARDzum lang ver-
einbarten Interview– auf Distanz natürlich.

STANDARD:Wie sehr wird die Corona-Krise
Österreich wirtschaftlich treffen?
Holzmann:Corona ist in erster Linie ein Ge-
sundheitsproblem, das, wenn es gut ange-
gangen wird, bald gelöst werden kann. Die
Situation ist daher einfacher als die Finanz-
krise vor zehn Jahren, als es umfassende
Verwerfungen auf dem Finanzmarkt gab.
Jetzt geht es um eine Krise, in der die Leu-
te nicht arbeiten können und bestimmte
Produkte nicht angeboten werden –es
kommt zu einem Output-Schock, der rasch
überwunden werden kann.

Standard:Istesnicht komplizierter, weil
die Krise die Realwirtschaft trifft? Wenn Fir-
men pleite- und Jobs verlorengehen, wäre
das ein nachhaltiger Schaden.
Holzmann:Ja –wenn das passieren sollte.
Aber die Aufgabe der Regierungen besteht
ja genau darin, das zu verhindern, indem
sie Liquidität und Einkommensersatz si-
cherstellen. Die Maßnahmen in Österreich,
wie Zuschüsse für Unternehmen, damit sie
ihre Rechnungen zahlen können, oder Zah-
lungsaufschub, Steuerstundung, Kurz-
arbeit und sonstige soziale Abfederungen
werden den Ausfall in der Realwirtschaft
abfedern. Wir haben rechtzeitig damit be-

gonnen, und ich gehe davon aus, dass es bei
einem schweren, aber bewältigbaren Ein-
kommensschock bleiben wird.

Standard:Wie lang darf die Krise dauern,
damit Österreich glimpflich davonkommt?
Holzmann:Wenn die Maßnahmen der sozia-
len Distanz wirken und wir das weit vor
dem Sommer beendet haben, schleppen wir
die Auswirkungen nicht in die Zukunft mit.
Dann muss man Maßnahmen setzen, um
die Wirtschaft wieder in Schwung zu brin-
gen. Das würde bedeuten, dass wir das Jahr
2020 nicht mit einem Wirtschaftswachs-
tum beenden, aber auch nicht mit viel Ver-
lust. Und wir könnten gestärkt ins nächste
Jahr hineingehen, weil die Ansätze dafür ja
schon da waren.

Standard:DieMaßnahmen der Regierung
kompensieren nicht den Ausfall der Unter-
nehmen und EPUs. Sie müssen die Kredithil-
fen ja großteils zurückzahlen. Müsste ihnen
die öffentliche Hand den Ausfall nicht er-
setzen, damit sie überleben können?
Holzmann:Man wird den Ausfall zu einem
großen Teil ersetzen, aber nicht komplett.
Es ist nicht Aufgabe der Regierung, alles zu
ersetzen, sondern das Überleben der Unter-
nehmen sicherzustellen und den Leuten ihr
Auskommen. Wir alle müssen uns auf Ein-
schränkungen einstellen. Aber so wird die
Krise ein bewältigbares Problem bleiben.

Standard:Auf Pleiten würden Massen-
entlassungen folgen. Deutschland ändert
das Insolvenzrecht, setzt Konkursanträge
aus. Sollte man das auch in Österreich tun?
Holzmann:VonInsolvenzen sind wir in Ös-
terreich noch entfernt und Insolvenzen ge-
hören auch in guten Zeiten zur Wirtschaft

dazu. Dieser Ansatz ist problematisch,
denn er macht keinen Unterschied zwi-
schen Unternehmen, die sowieso nicht
überlebt hätten und denen, die schon über-
lebt hätten. Diese Hilfe ist ein Fehler, weil
damit die Reinigungskräfte nicht wirken
können. Sie würde verhindern, dass man
aus diesem Loch gestärkt herauskommt.

Standard:Sie meinen, die Krise reinigt die
Wirtschaft?
Holzmann:Jede Wirtschaftskrise ist auch
eine Reinigung, Sie kennen sicher Joseph
Schumpeter und seine Theorie der schöp-
ferischen Zerstörung. Schon die Geldpoli-
tik der letzten Jahre mit Null- und Negativ-
zinsen hat diese Reinigungskraft etwas
unterbrochen. Man kann eine Krise auch
dazu nützen, gestärkt daraus hervorzuge-
hen und dabei den sozialen Anforderungen
Genüge zu tun.

Standard:Sie führen den tiefen Fall der
Aktienmärkte also auch darauf zurück, dass
die Märkte durch die erhöhte Liquidität zu-
letzt sehr stark gestiegen sind?
Holzmann:Die Aktienkurse waren losgelöst

Hilfen wie in Deutschland, wo für die Unternehmen das Insolvenzrecht geändert
wird,hält OeNB-Gouverneur Robert Holzmann für einen Fehler.

Foto: Regine Hendrich

INTERVIEW:Renate Graber, Andreas Schnauder

von realen Werten, der jetzige Sturz kam
also nicht überraschend. Es ist immer bes-
ser, die Verluste zu konsumieren, als zu ver-
suchen sie hinauszuzögern–Japan leidet
immer noch darunter. Für die Betroffenen,
die Vermögen verlieren, ist das natürlich
ein Problem. Aber für die Wirtschaft ist so
eine Bereinigung gut.

Standard:Heißt das, dass Sie in den Fol-
gen der Krankheit bzw. des Schutzes vor Co-
rona eine Genesung der Wirtschaft sehen?
Holzmann:Ich hätte das so nicht formuliert.
Aber ja, dieser Gesundheitsschock, so
schlimm er auch ist, führt andererseits
dazu, bestimmte Geschäftsmodelle zu über-
denken–obesnun um das Outsourcing in
ferne Länder samt langen Transportwegen
geht oder um die Organisation der Wirt-
schaft. Man sollte die Zeit nutzen, Dinge zu
ändern, die man schon lang ändern wollte.
Nach dem Motto: „Verschwende nie eine
Krise, um Verbesserungen durchzufüh-
ren“. Ich würde anregen, zu prüfen, was wir
künftig anders machen könnten.

Standard:Siebetonen die Stärke von Ös-

terreichs Finanzsystem. Sollte es aber zu grö-
ßeren Firmenpleiten kommen: Halten die
Banken das aus?
Holzmann:Es kommt auf die Schwere des
Schocks an. Aber Österreichs Banken ha-
ben ihr Eigenkapital seit der Finanzkrise
verdoppelt und sind gut aufgestellt.

Standard:Wenn Banken jetzt nicht alle
überfälligen Kredite fällig stellen: Wider-
spricht das nicht Ihrer These, dass es nun
Zeit wäre für Selektion auf den Märkten?
Holzmann:Wennman alle Unternehmen,
die nicht zurückzahlen können, sofort vor
die Tür setzt, würde das zum großen Schock
führen–dafür gibt es aber keinen Grund.
Verlängern wird man Kredite für Unterneh-
men, die Ausfallentschädigungen bekom-
men wie etwa im Tourismus. Man muss
aber sicherstellen, dass nur die überlebens-
fähigen Firmen überleben, die anderen, die
auch ohne Krise aus dem Markt ausgeschie-
den wären, sollen nicht überleben. Im Mo-
ment ist die Bereitstellung von Liquidität
das Wichtigste. Danach liegt es an den Ban-
ken, zu entscheiden, wer weiterfinanziert
wird und wer nicht.

Standard:Der Auftritt von EZB-Präsiden-
tin Christine Lagarde am Donnerstag kam
einem Kommunikationsfiasko nahe, die
Märkte spielten verrückt. Was ist da passiert?
Holzmann:Ich saß während des Auftritts im
Flugzeug, habe später Auszüge gesehen. Ich
denke, der Inhalt der Kommunikation war
richtig. Problematisch wurde von einigen
Marktteilnehmern gesehen, dass die EZB
einer Liquiditätsausweitung nicht im er-

warteten Ausmaß zugestimmt hat. Lagarde
hat gesagt, dass die Geldpolitik ihre Gren-
zen erreicht hat. Wir können das Problem
nicht alleine lösen, das ist jetzt vor allem
eine Aufgabe der Fiskalpolitik. Es ist die
Aufgabe des Staates, für Haftungen und so-
ziale Unterstützung zu sorgen. Die Geld-
politik kann das Problem nicht übertün-
chen. Als der Markt sah, dass Frau Lagarde
das ernst meint und Einstimmigkeit darü-
ber im EZB-Rat herrscht, hat er realisiert:
Die überhöhten Kurse auf den Aktienmärk-
ten können wir nicht aufrechterhalten.

Standard:Sollteman über Helikoptergeld
und ähnliche Instrumente nachdenken, da-
mit Billionen an Notenbank-Liquidität ein-
mal bei den Konsumenten ankommen?
Holzmann:Helikoptergeld ist ein theoreti-
sches Konzept. Natürlich kann man darü-
ber nachdenken. Ich will nicht ausschlie-
ßen, dass es Situationen gibt, in denen der-
artige Maßnahmen passen. Ich glaube aber
nicht, dass das jetzt der Fall ist. Die Mehr-
zahl der Leute, die jetzt Homeoffice ma-
chen, hat einen Job und braucht keine fi-
nanzielle Unterstützung. Die braucht rund
ein Viertel der Bevölkerung. Wenn man
jetzt allen etwas gibt, gibt man drei Vierteln
der Menschen Geld, die es gar nicht brau-
chen und jenen zu wenig, die mehr brau-
chen. Solche Instrumente sind dazu ge-
dacht, Kaufkraft und Inflation nach oben zu
treiben. Im jetzigen Fall wäre das nicht der
richtige Ansatz.

ROBERT HOLZMANN(71)istseit vorigem Septem-
berGouverneur der Oesterreichischen Nationalbank
(OeNB).Zuvor war der in Leobengeborene Ökonom
undPensionsexperte u. a. bei der Weltbank, der
OECDunddemInternationalenWährungsfondstätig.

JedeWirtschaftskrise isteine
Reinigung. Schon die
Geldpolitik der letztenJahre
hat diese Reinigungskraft
etwasunterbrochen.



Es istimmer besser,
dieVerluste zukonsumieren,
als zuversuchen, sie
hinauszuzögern–Japan leidet
immer noch darunter.


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